Freitag: Die Ost-West-Wochenzeitung     15   07. April 2000

  Günter Amendt

The Party is over

 



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MUSIKVERBOT IM RAVERPARADIES*

Stell Dir vor, die haben das Abspielen von elektronisch verstärkter Musik zwischen 22:00 abends und 7:00 morgens verboten". Das war die erste Information, die mir unmittelbar nach meiner Landung in Goa gesteckt wurde. "Und weißt Du was? Jetzt finden die Parties tagsüber statt. Von morgens 7:00 bis abends 22:00". Mein Informant war begeistert. Er hielt es für einen listigen Einfall, den Tag zur Nacht zu machen, um das Musik-Verbot auszuhebeln. Einfach genial.

Goa, der von Portugal einst kolonialisierte indische Bundesstaat am Arabischen Meer, gilt als einer jener top-spots, den jugendliche Rucksacktouristen, aber auch lohnarbeitsmüde Aussteiger auf der Suche nach etwas Besonderem gerne ansteuern. Bereits in den siebziger Jahren hatten sich Freaks aus aller Herren Länder hier niedergelassen, wo das Leben billig war und Drogen leicht erreichbar. Mit der Technoszene erlebte Goa in den späten achtziger Jahren eine Renaissance als Zielort des internationalen Jugendtourismus. Goa Raves und Goa Trance sind ein Markenlabel im internationalen Veranstaltungsbetrieb und zugleich eine permanente Werbung für jenen magischen Ort im fernen Indien. Damit soll jetzt Schluss sein, wenn das Musik-Verbot, vom dem nicht nur alle Diskotheken, sondern auch die Feste der Einheimischen betroffen sind, aufrechterhalten und durchgesetzt wird. Und wenn die Ausnahmegenehmigungen, welche die Lärmschutzverordnung vorsieht, Ausnahmegenehmigungen bleiben.

Das nächtliche Musik-Verbot in Goa ist die Folge eines Skandals, der am Vorabend der Millenniumsfeiern eine öffentliche Kontroverse um rave-parties auslöste. Der Sohn eines in Bombay ansässigen Textilmoguls kündigte einen zwölftägigen non-stop Rave am Nordstrand von Anjuna an. Der event wurde im Internet als ›Mutter aller Millenniumsparties‹ beworben. Wie andernorts auch, wurden die Millenniumsfeiern in Goa zu einem Flop. Überall entlang dem Küstengürtel sind die Investitions-Ruinen dieses mega-hype zu besichtigen. Doch den grössten Flop setzte der millionenschwere Jungunternehmer aus Bombay in den heissen Sand von Anjuna. Der Industriellensohn liess einen Hügel terrassieren und Palmen abrasieren. Er liess Höhlen in Felsen schlagen, um Massagesalons einzurichten für eigens aus Südostasien eingeflogene Damen. Und er liess einen Bungee-Sprungturm errichten, dessen an einen stillgelegten Förderturm erinnernde Silhouette den Palmenwald überragt. Das alles ohne Baugenehmigung und unter stillschweigender Einbeziehung von gemeindeeigenem Land. Als er schliesslich noch einen Zaun um sein Investitionsvorhaben ziehen liess, war das eine Provokation zu viel.

Der brutale Eingriff in die Natur eines Strandabschnittes und die kalte Privatisierung von Gemeindeland forderten den Protest des Journalisten Peter D'Souza heraus. Seine Enthüllungsgeschichte zwang die Polizei einzuschreiten und das Projekt zu stoppen. Er appellierte an den High Court in Bombay, dem Treiben ein Ende zu setzen. Das Gericht ordnete nicht nur einen Baustopp an, es verlangte auch, alle Eingriffe in die Natur des Strandes rückgängig zu machen, und es verhängte unter Berufung auf ein in Vergessenheit geratenes Gesetz jenes Nachtmusik-Verbot, welches Rave Parties den Saft abstellen soll.

D'Souzas Motive sind unklar. Er jedenfalls gibt sich mit seinem Erfolg vor Gericht nicht zufrieden. Unterstützt vom Herald, Goas grösster Tageszeitung, nützt er die Entscheidung des Gerichts zu einer Kampagne gegen den allgemeinen, von rave parties ausgehenden Sittenverfall. "Rave Parties sind Drogenorgien, an denen Techno Rock Musik bei sehr hoher Dezibelzahl gespielt wird", definiert der Herald in einem Leitartikel, und weist zugleich darauf hin, dass die Parties ausschließlich von Ausländern organisiert und von Touristen besucht werden. Auch D'Souza geht in die Vollen. Er will den Narco-Tourismus stoppen. Mit dieser Wortschöpfung wird er bei den Herren des Internationalen Suchtstoffkontrollrates der Vereinten Nationen und bei den Agenten der US-amerikanischen Drogenbehörde, die dem Narco-Terrorismus den Kampf angesagt haben, gut ankommen. Es ist auffallend, wie bereitwillig und unreflektiert man in Indien und vergleichbaren Ländern die Drogenrhetorik der UN übernimmt.

Von Narco-Tourismus hätte man in den siebziger Jahren mit einiger Berechtigung sprechen können. Smack (Heroin) und Coca (Kokain) standen damals hoch im Kurs und waren leicht verfügbar - leichter als irgendwo sonst. Die Jugendlichen aber, die heute aus England, Deutschland, Italien oder Israel nach Goa reisen, kommen aus Ländern, wo sogenannte Partydrogen mehr oder weniger frei verfügbar sind. Weil die Reputation des in Goa gehandelten Ecstasy nicht sonderlich hoch ist, bringen viele Kurzzeittouristen auf der Suche nach der ultimativen Party sogar ihre Pillen gleich mit. Und Haschisch - Charras genannt - ist, wenn man genau rechnet und den Flugpreis draufschlägt, auch nicht gerade billig. Um an Drogen zu kommen, muss man wahrlich nicht nach Goa gehen. Einzig bei den Apotheken hat Goa in der Konkurrenz mit anderen Travellerzielen einen Standortvorteil. Die Apotheken in Panjim und Mapusa sind das reine paradise für jeden Polytoxikomanen. Darüber und über das gravierende Alkoholproblem erregt D'Souza sich nicht, obwohl es ständig präsent ist. Kiffenden Indern begegnet der Reisende nur selten, trinkenden dagegen oft.

Für die einen ist D'Souza ein fanatischer, religiös motivierter Saubermann, für die anderen ist er ein Befreier vom Lärmterror des Partybetriebs. Er geniesst schon heute den Nimbus eines Volkshelden, der sich tapfer allen Korruptionsversuchen widersetzte. Was auch immer D'Souzas Motive sein mögen, er hat starke Verbündete. Goas Umweltschützer sind in die Kampagne eingestiegen und haben der Lärmbelästigung den Kampf angesagt. Umweltschutz ist ein Thema in Indien. In einer gerade von India Today veröffentlichten Befragung, durchgeführt in Bombay, Delhi, Kalkutta und Chennai, werden die Verschmutzung und die Vergiftung der Umwelt als das grösste Problem Indiens benannt.

Auch alteingesessene Residents, die anfangs noch glaubten, es ginge hier wieder einmal nur um einen der in Indien üblichen Interessenkonflikte, der mit der Neufestlegung der Bestechungssummen geregelt werde, gehen mittlerweile davon aus, dass es diesmal ernst werden könnte. Ein Interessenausgleich auf lokaler Ebene ist so ohne Weiteres nicht mehr möglich, denn der Druck kommt von oben. Die Regierung hat sich des Themas angenommen, die Zeitungen veröffentlichen Telefonnummern von Umweltschutzorganisationen und fordern die Bevölkerung auf, Lärmbelästigungen dort oder bei der Polizei anzuzeigen. Es wurden bereits Veranstalter festgenommen und Equipement beschlagnahmt.

Der Zufall will es, dass das Musik-Verbot zeitlich zusammenfällt mit dem Beschluss der goanischen Regierung, dem Tourismus den Status einer Industrie zu geben.

Wenn überhaupt, dann nur widerwillig, waren einige bereit einzuräumen, dass die wabernden Bässe der Soundsysteme und der Lärm des nächtlichen Motorradverkehrs von Party zu Party, die Nachtruhe der Einheimischen stören könnten. Nur kam dann gleich als Entlastungsargument, wir lassen auch eine Menge Geld hier. Die meisten Jugendlichen, mit denen ich sprach, interpretiert das nächtliche Musikverbot als eine ausschliesslich gegen die Partyszene gerichtete Schikane.