KAHLKOPF SUCHT KAHLKOPF


(Hippies & Zippies, Zauberpilze und Techno-Trance)


(von Dr.Lutz Neitzert)
(Vortragsmanuskript zu einer Veranstaltung zum Thema "Biogene Drogen" am 26.1.98 in Herten)

Der Kahlkopf sucht den Kahlkopf! Raver, die sich aufmachen, um vor dem Start ins Wochenende auf Wiesen und Weiden, gebückt über Kuhfladen Pilze zu ernten (- den spitzkegligen Kahlkopf / Psilocybe semilanceata oder den Glockendüngerling / Panaeolus sphinctrinus -)... Daß ausgerechnet innerhalb der Techno-Szene, inmitten einer Jugendkultur also, die den Umgang mit Accessoires und Spielmaterialien aus der Welt der Hightech zu ihrem Prinzip erhoben hat, eine Renaissance „naturbelassener" Rauschmittel stattfinden könnte, das stand eigentlich kaum zu erwarten. Doch eine durchaus tonangebende Fraktion innerhalb dieser Bewegung ist ganz offensichtlich dabei, jenes Sortiment an biogenen Drogen zu rekultivieren, das ehedem der typischen Ausstattung des Hippies zugerechnet wurde. Neben den erwähnten Zauberpilzen, den magic mushrooms, erleben auch der Peyotl-Kaktus, die Liane der Seelen (Ayahuasca), der Zaubersalbei, der Stechapfel und die Engelstrompete, die Tollkirsche und das Bilsenkraut oder der Fliegenpilz ihre Wiederkehr in unerwartetem Ambiente.

Fahndet man nun nach möglichen Berührungspunkten dieser auf den ersten Blick so divergenten Subkulturen und nach Wegen möglicher Indoktrination, so lassen sich einige Kontaktstellen durchaus konkret und sinnfällig lokalisieren. Als eine in hohem Maße mobile Gesellschaft fiel die Raving-Society auf ihrer Suche nach möglichst spektakulären Schauplätzen fast zwangsläufig auch immer wieder in traditionelle Hippie-Refugien ein. Im indischen Goa („Goa-Szene"), in Kalifornien - aber auch in Europa. Insbesondere in England begegneten die Techno-Anhänger schon in den späten 80er Jahren an mystischen Kultstätten wie Stonehenge jenen Nachfahren der Flower-Power-Bewegung, die, in Gestalt der New-Age-Travellers, als „fahrendes Volk" damals versuchten, den wachsenden gesellschaftlichen und politischen Zwängen  im Großbritannien Margaret Thatcher’s zu entgehen. Die Aversionen zwischen beiden Gruppen blieben dabei erstaunlich gering und so kam es bald zu ersten Annäherungen und personellen Verknüpfungen. Alte Hippie-Veteranen (wie etwa Fraser Clark) übernahmen als rührige Impresarios die Organisation von Techno-Clubs und Raves, zudem begannen sie unverzüglich damit (als Herausgeber vielgelesener Szeneblätter wie etwa der  „Encyclopedia Psychedelica"), einen bis heute andauernden spannenden Prozeß in Gang zu setzen. Ganz bewußt initiierten sie einen Ideologietransfer zwischen der redegewandten Diskussions-Kultur der Hippies (und deren Themen)  und der als narzistisch und sprachlos eingeschätzten Techno-Gefolgschaft.

Auch die Musiker beider Lager fanden langsam Gefallen an Synthesen: Steve Hillage etwa, der in den 70er Jahren eine sphärisch-psychedelische Gitarrenmusik zelebriert hatte, produziert nun erfolgreiche Technoprojekte („System 7"), und Bands wie „Spiral Tribe", „The Shamen", „The Orb" oder „Hexstasy" liefern mit  (eher klanglich als rhythmisch geprägter) Trance- und Ambient-Music den Soundtrack einer facettenreichen Szene, für die bald auch schon ein passendes Etikett gefunden war: „ZIPPIES"!

„’Hippies with Zip!... Before Zippies we had all these silly fragmented subcults not talking to each other,’ says Fraser Clark: ‘Hippies had dwindled to a few thousand around the country. I told them the ravers are our reinforcements, and they arrived just in time.... I  spent my first twenty years as a Hippie trying to get away from the techno side of things!’ (And) now he's getting a modem for his PC!" (Artikel über „Zippies" von Jules Marshall aus der Internetausgabe der Zeitschrift „Wired"2.05)

Angeregt von alten und neuen Vordenkern wie Terence McKenna („Mushrooms, Sex & Society") oder auch Timothy Leary, begann eine Debatte nicht zuletzt über die Frage nach der spezifischen Bedeutung der verschiedenen Rauschmittel. In diesem Kontext wurde dann natürlich auch jene Bibliothek wieder aufgeschlagen die in den 60er/70er Jahren das ideologische Fundament entsprechender Diskussionen geliefert hatte. Neugelesen werden heute wieder die programmatischen Texte von Wortführern der Psychedelic-Bewegung wie Alexander Shulgin („Pihkal - Psychedelics I Have Known And Loved"), Albert Hofmann (dem Entdecker des LSD), Gordon Wasson (dem Erforscher der mexikanischen Pilzrituale), Aldous Huxley („Pforten der Wahrnehmung") oder auch einschlägige Belletristik von Carlos Castaneda („Die Lehren des Don Juan") bis hin zu Lewis Carroll ("Alice im Wunderland").

Über das konkrete Objekt (den Pilz oder das Kraut) hinaus kamen so für die Techno-Szene völlig neue Denkansätze und Weltanschauungen in den Blick, welche die Palette dieser Jugendkultur ohne Zweifel bereits entscheidend erweitert haben. Neben eher Skurrilem aus dem Sinnstiftungsrepertoire des New Age (- und gelegentlich Unbehaglichem: nur am Rande sei hier erwähnt, daß pflanzliche Rauschmittel eingebettet in einen esoterischen Kontext nordisch-mythischer Provenienz auch innerhalb neurechter/neofaschistischer Zirkel in Mode zu kommen scheinen! -) wird tatsächlich wieder gesprochen (und das in zeitgemäßer Form) über ökologische und explizit politische Fragen:

"’The political content of (our) music is intrinsic,’ Will Sinnott, (member) of the early Zippieband The Shamen pointed out...’It stimulates ego-role behavior reduction, offering the experience of unity and affinity with others. This experience invalidates liberal, individualistic ideology and creates true political opposition!’" („Wired"/s.o.)

Und als vielleicht bedeutsamster Aspekt dieser Entwicklung ist jetzt, wie es den Anschein hat,  auch eine dezidiert konsumkritische Haltung zumindest wieder diskutabel geworden:

„... what is being offered is an entire cultural attitude, a post-cyberpunk,  post-consumerist way of life... (avoiding) the selfish, consumer-oriented and technologically dependent libertarianism!" („Wired"/s.o.)

Vielleicht läßt sich hier nun (bei aller Vorsicht - aber auch mit dem uns Soziologen eigenen Hang zur Überspitzung) der Versuch einer ersten Einschätzung wagen:

Interpretierte man das Auftauchen von (auf Amphetamin-Basis fabrizierten) aufputschenden Designerdrogen wie Ecstasy in den 80er Jahren mit einigem Recht als Manifestation eines Wandels vom (sedierenden) Eskapismus (etwa als Punk-Attitüde) zum Doping für das Saturday Night Fever, so ließe sich nun möglicherweise wiederum die ganz spezifische Aura pflanzlicher Halluzinogene als neuerliches Indiz für eine beginnende Umorientierung deuten.

Diese Substanzen scheinen einen kommunikativen Austausch regelrecht zu provozieren.

Fast alle diese Pflanzen sind besetzt mit Erzählungen und Assoziationsfeldern (mit vielgestaltigen Anknüpfungspunkten), die gerade Jugendliche anzusprechen vermögen.  Auch scheint der Umgang mit ihnen (anders als der mit den kleinen bunten Pillen) rituellere, konzentriertere Formen des Gebrauchs zu bedingen und zudem die Tendenz zu einer gerade innerhalb der Techno-Szene ungewohnten Langsamkeit in sich zu tragen:
„The symptoms (of this new and rapidly spreading cultural virus are) attacks of optimism, strong feelings of community, and lowered stress levels!" („Wired"/s.o.)

Was nun diese möglicherweise neuentstehende Diskurskultur anbetrifft, die sich oft eben ganz konkret am Sujet der biogenen Drogen zu entwickeln beginnt, so findet diese ihr sicherlich wichtigstes Forum im Internet. (- Wobei erwähnt sein muß, daß die Idee des WorldWideWeb als eines subversiven, antiautoritären und nicht kommerzialisierten Mediums eine Lieblingsidee vor allem der späten Hippies im Westen der USA gewesen ist. Nicht zufällig gehörten zu den frühen Internet-Gurus solche Leute wie Timothy Leary oder auch John Perry Barlow, einst Songschreiber der Rockkommune „Grateful Dead". Dementsprechend hatte die Drogen- und Psychedelic-Szene natürlich schon von Beginn an ihre Nischen im Netz -). Heute wird via Internet, wie man weiß,  gehandelt und gedealt aber eben auch, und das ist in unserem Kontext höchst bedeutsam, es wird dort in vielfältigster Weise kommuniziert - vor allem in den unzähligen Diskussionsforen (jedermann problemlos zugängliche Newsgroups unter Namen wie „alt.drugs", „alt.psychoactives", „rec.drugs.psychedelic", „de.soc.drogen" oder „alt.drugs.mushrooms") oder auf eigenen (privaten oder von Szenezeitschriften veranstalteten) Internetseiten/Homepages (unter Adressen wie  „http://www.hyperreal.org", „http://www.discover.nl" oder „http://deoxy.org/mckenna.htm").

Es ist nun bezeichnend, daß hierin „Threads" (d.h. Diskussionsstränge) über pflanzliche Rauschmittel mittlerweile den weitaus größten Raum einnehmen.  Oft laufen die typischen Diskurse dann in etwa nach dem folgenden Schema ab:

Frage: „Hat jemand Informationen über die Substanz X oder Y?"

Geantwortet wird daraufhin zumeist als erstes mit konkreter Information  (nicht selten auch gefährlicher Fehlinformation!) über Wirkungs- und Gebrauchsweise, über medizinische, biologische/chemische und juristische Aspekte.  Es folgen danach fast immer persönliche Berichte (Trip-Stories) - entweder begeistert, desillusioniert oder warnend.

Weiten Raum nimmt daneben auch häufig die Idee der Pharmazie ein (d.h. das in unserer Gesellschaft reflexhaft sich einstellende Bedürfnis, die Wirkstoffe in ihrer Potenz durch Raffinieren zu verstärken - eine Tendenz, die gerade in der Geschichte der Drogen immer wieder verheerende Auswirkungen zeitigte: vom Kokablatt zum weißen Pulver! -).

Und dann eben abschließend (bzw. neue Diskussionen anstoßend) ideologische Interpretationsversuche (oft in bezug auf die erwähnten Philosophen und Autoritäten)  und nicht selten weiterführend zu den letzten Fragen nach dem Sinn des Lebens und überhaupt!

Dies sind, wie gesagt, erste vorsichtig gewagte Hypothesen, deren Relevanz oder Irrelevanz sich dann in zukünftigen Entwicklungen noch zeigen wird.