Subject: langhans Date: Sun, 20 Dec 1998 13:36:29 +0100 From: Bernie Was aus den APO-Leuten wurde Die Kommune 1, in der Rainer Langhans, Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann, Uschi Obermaier u.a. mit einer neuen Lebensform experimentierten, ist eines der Symbole und Mythen der 68er-Bewegung. Rainer Langhans und die Kommune I (K 1) Er predigte den freien Sex, doch mit Uschi Obermeier kam die Liebe mit ins Spiel. Sie waren das prominenteste Liebespaar der 68er-Generation. Und die insgesamt 16 Kommunarden, die mit der Zeit ein- und ausgegangen waren, wurden zu "Popstars der Studentenrevolte und veränderten den Alltag" (Spiegel, 27/97). Die Kommune I wurde am 1. Januar 1967 von Mitgliedern der "Subversiven Aktion" in Berlin gegründet. Eingerichtet hatten sich die Kommunarden zunächst in der leeren Dachgeschoßwohnung des Schriftstellers Uwe Johnson. In SDS-Kreisen hatte das Kollektiv bald den Ruf der "Horrorkommune" weg. In der K1 gab es keine Toilettentüren, denn: "Sie ermöglichen, daß sich einer zurückziehen kann, sie schaffen Privatsphäre. Wir wollten die Privatsphäre vernichten", erläuterte Langhans dem Spiegel (27/97). Zum Pinkeln mußten Männer wie Frauen das Waschbecken in der Ecke der Wohnung benutzen. Jeder beobachtete jeden. Und noch heute schwärmt Langhans laut Spiegel vom "Dreiklang der totalen Kontrolle, der totalen Intensität und der totalen Zerstörung". Die Kommune währte nur knapp 35 Monate lang, von Januar 1967 bis November 69. Sie war der Prototyp künftiger WG's und wohl der Anlaß, weshalb Eltern noch Jahre später erblaßten, wenn ihre Kinder in WG's ziehen wollten: "alle auf einer Matratze schlafen, nicht arbeiten, die Spießer ärgern, Weltrevolution machen, Spaß haben, ein neuer, besserer Mensch werden und niemals im Leben mit Stolz eine Krawatte tragen." (Spiegel, 27/97) Der Stern damals über den Lebensstil: "Es ist fünf Uhr nachmittags. Die Kommunarden frühstücken. Feste Regeln für den Tagesablauf gibt es nicht. Am Nachmittag wird der Haushalt versorgt. Und erst, wenn es dunkel wird, kommt Leben in die Kommune. Diskussionen mit Freunden dauern meistens bis in den Morgen." (Nov. 69) Den neuen Lifestyle verkauften die Kommunarden der Öffentlichkeit im Psycho-Sozio-Sprech, der später zum Stammvokabular von Gesprächen über Beziehungskisten wurde und heute zum Inventar der Nachmittagstalkshows gehört. Einpeitscher und Patriarch der revolutionären Gemeinschaft war Dieter Kunzelmann, der ausrief: "Ihr müßt euch entwurzeln." Das hieß: weg mit Stipendien, weg mit dem Streben nach Sicherheit, weg mit der alten Persönlichkeit und der herkömmlichen Liebe - alles bürgerliche Wahnvorstellungen. Statt dessen: "Revolutionierung des Alltags, Abschaffung des Privateigentums, Brechung des Leistungsprinzips, Proklamation des Lustprinzips." Statt neo-marxistischer Analyse stand bedingungsloses Zusammenleben auf dem Plan. "Was interessiert mich der Vietnam-Krieg, wenn ich Orgasmusprobleme habe", so Kunzelmanns blasphemisches Motto. Das führte im Sommer 67 zum Ausschluß der Kommunarden aus dem SDS. Die Kommune war kein Kollektiv von Gleichberechtigten, sondern streng hierarchisch gegliedert. Langhans heute: "Kunzelmann stand ganz oben in der Nahrungskette, und wenn einer viel weiter unten stand als er, dann wurde es für den schnell ungemütlich." (Spiegel) Als ein paar Polizisten die Kommunarden im Frühjahr 1968 dabei erwischten, wie sie im Grunewald mit Farbstoff, Pudding und Mehl gefüllten Tüten umherwarfen, zog das ein hysterisches Echo in Politik und Presse nach sich, von geplanten Anschlägen war die Rede. Elf Kommunarden mußten ins Gefängnis. Die überzogen Reaktion des Staatsapparates machte ihn der Lächerlichkeit preis, die Kommunarden avancierten daraufhin zu Medienstars. Sie nutzten die Gunst der Stunde und setzten das Interesse an der Kommune ganz prokapitalistisch um. In der neuen Wohnung am Stuttgarter Platz wurden Besucher mit dem Schriftzug im Flur begrüßt: "Erst blechen, dann sprechen." Interviews und Fotos gab es bald nur noch gegen Honorar. Besonders Langhans und seine später hinzugekommene Gespielin, das Fotomodell Obermaier, standen im Mittelpunkt des medialen Interesses und ließen sich das teuer bezahlen. Eine Titelstory über die beiden ließ sich der Stern 20.000 Mark kosten. Die Politaktionen der Kommunarden machten Schlagzeilen, und die humorlose und hysterische Reaktion der Behörden ließ sie zu Helden der Gegenkultur werden. Säckeweise erhielten sie Post von Gleichgesinnten oder Hilfesuchenden, die in der Kommune wohl sowas wie den Petitionsausschuß sahen. "Wir waren auf einmal die Anlaufstelle für alle Unzufriedenen, wir waren überlastet und haben nur noch mit einem Kinderpoststempel 'Weiter so' auf Postkarten gestempelt", erinnert sich Langhans. Groupies im Teeniealter umlagerten den Hauseingang, und vor allem Fritz Teufel entwickelte sich zum Playboy der APO, holte seine bescheidenen sexuellen Erfahrungen mit 16jährigen Schülerinnen nach, die er etwa alle zwei Tage wechselte, bis ihn die Mitbewohner entnervt auf die Straße warfen. "Wir waren keine doofen Gruppensexler, die auf Körperfunktionen abgefahren wären", ereiferte sich Langhans später. "Wir haben die weibliche Form der Erotik gesucht. Mit uns ist die Frau in die Geschichte eingetreten. Deshalb war nicht 1945 die 'Stunde Null', sondern '68. Da entstand die Frauenbewegung." (D.A.S., Juni 88) Im Winter '68 war Langhans das große Straßentheater leid und zog mit den Kommunarden in eine ehemalige Schreinerwerkstatt in Moabit, um mithilfe psychedelischer Drogen eine Reise nach Innen anzutreten. Im Sommer '69 entdeckte Langhans auf den "Essener Song-Tagen" die liebliche Gestalt der Obermaier und war hingerissen. Sie zog zu ihm, und das war der Anfang vom Ende der Kommune. "Was Richtern, Polizisten, Politikern und Zeitungsschreibern, den ganzen alten berechenbaren Autoritäten nicht gelang, das schaffte ein Mädchen: Ihre völlig unreflektierte Lebenslust, ihr absolutes Desinteresse an allem Politischen - das war mehr, als die Kommunarden, allen voran Kunzelmann, verkraften konnten. Ihr Hedonismus machte aus dem Provokateur [Kunzelmann] endgültig einen alten, häßlichen Spinner", so der Spiegel. Uschi, "Deutschlands schönste Kommunardin" (Stern), füllte allein mit ihren Fotohonoraren (1000 Mark/Tag), die Rainer für sie aushandelte, die Kommunenkasse. "Vor der Kommune war sie ein Mädchen mit einem schönen Busen. Danach war sie das Mädchen. Die Kommune hat sie zum Star gemacht", sagt Langhans, der längst für sich entschieden hatte: "Die Revolution für eine Frau zu verraten ist immer gerechtfertigt." Beide planten, einen Popkonzern zu gründen, denn "Popkultur ist die erstrebenswerteste Existenz auf Erden, da weitgehend von Repressionen befreit", meinte Langhans. Kunzelmann, der weiter den bewaffneten Kampf predigte, flog aus der Wohnung. Das endgültige Ende der Kommune hat im Grunde die Titelstory des Stern vom 9. Nov. 69 über Obermaier/Langhans und das Leben der Kommunarden veranlaßt. Drei Rocker, die gerne einen Teil des SternHonorars von Obermeier und Langhans für sich haben wollten, verwüsteten, als ihnen dies verweigert wurde, die Wohnung und schlugen das Paar in die Flucht. Langhans, der eine große Sympathie für die heutige Techno-Jugend hegt, sieht sich als eigentlicher Vater der Berliner Love Parade: "Seit ich in der Kommune 1 gelebt habe, bin ich meiner Erfahrung treu geblieben, daß wir eine große, liebende Familie sind. Das ist bei den Jüngeren jetzt angekommen. Im Vergleich zu dem ekstatischen Gefühl eines Raves ist jeder Orgasmus ein Witz." (ZEITmagazin, Juli 97) Was aus den APO-Leuten wurde Hintergrund: Was aus den Protagonisten der 68er-Bewegung geworden ist Eine Auswertung von 120 Lebensläufen ehemaliger SDS- und APO-Aktivisten ergab laut FOCUS, daß fast 20 Prozent an Hochschulen lehren und rund 35 Prozent im Medienbereich tätig sind - sei es als Verleger, Autor, Filmemacher, Journalist o.ä. Nur etwa 15 Prozent landeten in der Politik bzw. im politischen Umfeld. Rudi Dutschke war Führer des SDS und der APO in Berlin und Leitfigur der Bewegung. Er rief zum "langen Marsch durch die Institutionen" auf. Am 11. April 68 wird Dutschke von einem Hilfsarbeiter auf dem Ku'damm niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. 1979 stirbt er an den Spätfolgen des Attentats. Seine Frau Gretchen, die er 1966 geheiratet hatte, veröffentlicht 1995 ein Buch über deren gemeinsames Leben. Dorothea Ridder gehörte zu den Mitgliedern der Kommune I in Charlottenburg. Heute praktiziert sie als Ärztin in Berlin. Ulrich Enzensberger, kleiner Bruder von Hans Magnus, war Mitglied der Kommune I. Heute arbeitet er als Autor. Fritz Teufel arbeitet als Fahrradkurier in Berlin. Bernd Rabehl gehörte zusammen mit Rudi Dutschke und dem Frankfurter Hans-Jürgen Krahl zu den theoretischen Köpfen der Bewegung. Sein Traum war es damals, in West-Berlin eine Räte-Demokratie entstehen zu lassen. Heute lehrt er am Zentralinstitut für Sozialwissenschaftliche Forschung der FU Berlin. Hans-Jürgen Krahl war Mitglied des SDS Frankfurt und "Kopf der APO". Kam 1970 bei einem Autounfall ums Leben. Wolfgang Lefèvre, ebenfalls einer der Studentenführer, gründete mit 40 Studenten und Assistenten die "Kritische Universität" (KU) als Gegenuni in Berlin.. Heute ist er Privatdozent an der FU Berlin. Horst Mahler war damals Mitglied des "sozialistischen Anwaltkollektivs", war Verteidiger von Teufel und Langhans und der RAF. Heute arbeitet er wieder als Anwalt in Berlin. Daniel Cohn-Bendit war einst Pariser Studentenführer, durfte nach dem Mai 1968 nicht mehr nach Frankreich einreisen. Er ging später zu den Grünen, für die er in Frankfurt diverse Funktionen bekleidete. Heute ist er Europa-Abgeordneter in Straßburg. Detlev Albers wurde bekannt, als er am 9. November 1967 in Hamburg das Transparent mit der Aufschrift entrollte: "Unter den Talaren/Muff von 1000 Jahren". Heute ist er Vorsitzender der Bremer SPD. Gert Hinnerk Behmler, der die andere Seite des Transparentes hielt, ist heute Staatsrat in der Senatskanzlei Hamburg. Matthias Beltz war damals im SDS Frankfurt und studierte Jura. Heute als Kabarettist bekannt. Hans Magnus Enzensberger verfaßte damals das "Kursbuch", wurde später Schriftsteller. Joschka Fischer gehörte zur Spontiszene in Frankfurt. Heute Fraktionsführer der Grünen im Bundestag. Claus Theo Gärtner war Mitglied im SDS Göttingen. Der Schauspieler ist heute als Matula aus der Serie "Ein Fall für zwei" bekannt. Thomas Hartmann war im SDS Frankfurt aktiv. Wurde später Chefredakteur der taz. Heute als Autor tätig. Klaus Hartung war ebenfalls im SDS aktiv, ist heute Redakteur bei der Zeit. Brigitte Heinrich war im SDS, schmuggelte mit Waffen und arbeitete für die Stasi. Später wurde sie Europa-Abgeordnete der Grünen. Inzwischen verstorben. Lutz Hieber war APO-Organisator. Heute ist er Prof. f. Soziologie in Hannover. Jürgen Horlemann war Ideologe des SDS, später Funktionär der KPD/AO, dann Verleger. Inzwischen verstorben. Udo Knapp war der letzte Vorsitzende des SDS Berlin. Heute ist er Vizelandrat und Dezernent für Umweltfragen auf Rügen. Tom Koenigs, SDS, stieg mit den Grünen zum Stadtkämmerer in Frankfurt auf. Oskar Negt, SDS, APO-Wortführer, Assistent bei Habermas, ist heute Prof. f. Sozialwiss. in Hannover. Knut Nevermann, 1967 AStA-Vors. der FU, heute Leiter der Hamburger Landesvertretung in Bonn. Sibylle Plogstedt, SDS Berlin, 1969 in der CSSR verhaftet, Mitbegründerin der Frauenzeitschrift "Courage"; später Redakteurin beim "Vorwärts", heute freie Autorin. Rupert v. Plottnitz, SDS, heute Justizminister in Hessen. Wolfgang Roth, SHB, AStA-Vors. Berlin, Juso-Bundesvors.; heute Vizepräs. Europ. Investitionsbank. Helke Sander, "Berliner Aktionsrat zur Befreiung der Frauen", SDS, Filmemacherin; heute Professorin an der Hochschule der Künste in Hamburg. Hans-Christian Ströbele, Mitbegründer des Sozialistischen Anwaltskollektivs, RAF-Anwalt; heute bei den Grünen. Hermann Scheer, früher Agitator des Sozialistischen Hochschulbundes, sitzt seit 17 Jahren für die SPD im Bundetag. Karl Dietrich Wolff, 1967/68 Bundesvors. SDS, 1970 Gründer des Verlags Roter Stern, heute Stroemfeld/Roter Stern. http://www.wdr2.de/tv/parlazzo/a-langha.html http://www.hanfnet.org/partisan.net/