Freitag, 11. Dezember 1998, 06:04 Uhr

Verfassungsgericht prüft den Pullacher «Staubsauger»

Polizei - «Tageszeitung» klagt Von AP-Korrespondent Roland Losch

Karlsruhe (AP) Die Arbeit des Geheimdienstes wird ab kommenden Dienstag vom Bundesverfassungsgericht durchleuchtet. Zwei Tage lang verhandeln die Karlsruher Richter öffentlich über die internationale Telefonüberwachung des Bundesnachrichtendienstes. Das 1994 in Kraft getretene G-10-Gesetz erlaubt dem BND, seine Informationen über bestimmte schwere Verbrechen an die Polizei weiterzugeben. Die «Tageszeitung», zwei Journalisten und ein Mitarbeiter sowie ein Hamburger Professor für Strafrecht sehen durch einzelne Bestimmungen ihre Grundrechte verletzt und haben Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Minister werden nicht in Karlsruhe erwartet. Aber der neue BND-Präsident August Hanning und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, sollen an der Verhandlung über den Pullacher «Staubsauger» teilnehmen.

Bis 1994 durfte der BND den internationalen Telefon- und Postverkehr nur überwachen, um die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik rechtzeitig erkennen zu können. Seither sucht er auch nach Hinweisen auf Terroranschläge, Kriegswaffen- und Drogenhandel, Geldfälschung und Geldwäsche. Dazu wird der Telefonverkehr auf bestimmte Suchbegriffe hin belauscht. «Mit dem elektronischen Staubsauger kann alles abgehört werden. Wenn das eingegebene Stichwort irgendwo im Äther auftaucht, springt das Aufzeichnungsgerät an», erklärte der Anwalt Eggert Schwan. Er vertritt die in Uruguay tätige deutsche Journalistin Gabriele Weber und deren Mitarbeiter in dem Verfahren.

4.000 Gespräche täglich auf Band

Der Datenschutzbeauftragte Jacob schätzt, daß täglich mehr als 100.000 Telefon- und Faxverbindungen überwacht und 4.000 Gespräche aufgezeichnet werden. Der BND darf die Informationen nach eigenem Ermessen an Staatsanwaltschaft, Polizei, Verfassungsschutz, Zollkriminalamt und andere Behörden zur Strafverfolgung weitergeben.

Gegen diese Weitergabe richten sich zwei Einwände der Kläger. Sie meinen, statt um die äußere Sicherheit kümmere sich der Auslandsgeheimdienst nun verfassungswidrig um die innere Sicherheit und die Verbrechensbekämpfung. Professor Schwan sagte: «Der BND ist jetzt offen eine Polizeibehörde. Das wirft die Frage nach der Trennung von Polizei und Geheimdienst auf.»

Zum zweiten aber setzt die Rasterfahndung im Äther nur ein Stichwort, noch keinen Verdacht voraus. Deshalb hatte der Erste Senat des Verfassungsgerichts schon 1995 eine Einstweilige Anordnung erlassen: Der BND darf zwar weiter lauschen. Aber an die Strafverfolger weitergeben darf er seine Informationen über Personen erst, wenn ein «hinreichender Tatverdacht» besteht.

Nicht benötigte Daten müssen der BND und die anderen Behörden vernichten. Die Abgehörten sind zu benachrichtigen - es sei denn, das würde den Zweck des Einsatzes gefährden, oder die Daten wurden binnen drei Monaten gelöscht. «Das wird ein Kernpunkt der Auseinandersetzung sein», kündigte Schwan an. Die Datenlöschung sei «die Vernichtung der Spur von Rechtsbrüchen», sie sei den Betroffenen zu überlassen.

Seine Mandantin recherchiere als Journalistin über internationale Verbrechen. «Wenn der Staat ein Ohr in der Leitung hat, ist ihre Pressefreiheit eingeschränkt», sagte Schwan. Ihre Recherchen würden erschwert. Neben der Verletzung der Pressefreiheit (Artikel 5) rügen die Kläger die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10), des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 1 und 2) und der Garantie umfassenden Rechtsschutzes (Artikel 19). Gewiß könnten die Strafverfolger ein paar kleine Erfolge präsentieren. «Aber Erfolg rechtfertigt ja nicht alles», meinte der Anwalt.

In einem Interview mit der «Tageszeitung» forderte Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin kürzlich neue Sicherungen für die Bürgerrechte, gerade bei der geheimdienstlichen Tätigkeit. Ein Kreis von Fachleuten und Verfassungsrechtlern werde Vorschläge ausarbeiten, aber nicht vor nächstem Sommer: «Den Ausgang dieses Verfahrens möchte ich abwarten.»


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