Die Presse - Donnerstag, 15. Oktober 1998 - SPECTRUM - Vienna Online

"Wozu braucht man(n) Waffen?" Unzulässige oder Kernfrage? 

Zur Logik unserer Waffenbrüder

VON BERND MARIN

Am Ende laufen alle Diskussionen mit "Waffenliebhabern" immer auf zwei Fragen hinaus. Wozu braucht man(n) Waffen außer in Sport-, Jagd- und Schützenvereinen? Gängige Antworten bzw. Verweigerungen auf diese erste Kernfrage machen Unbewaffneten nur Angst.


Machtausdruck?Sie zeigen wenig Logik und viel Leidenschaft unserer Waffenbrüder, vor allem ihrer Lobbyisten, die dem Ernst der Frage nicht entsprechen: "Wer braucht eine Waffe? Eine unzulässige Frage, weil in einer Demokratie der Betreffende selbst über sein Bedürfnis entscheiden darf. Wer beginnt, sein Bedürfnis zu erklären, entschuldigt sich und schwächt seine Position . . . Wer darf bestimmen, was ich brauche? Wird in Zukunft auch der Besitz mehrerer Autos . . . bedarfsbestimmt sein ?" (ÖIW) Ein Leser: "Die Frage ,Wozu braucht man . . .?' ist (in) einer liberalen Demokratie - völlig unangebracht. "Man" "braucht" Waffen genau so dringend wie Orientteppiche, Sportwagen oder Flugdrachen. Die Beurteilung . . . "was man braucht" möge bitte dem Einzelnen, . . . nicht dem Ministerium für Wahrheit , überlassen bleiben."

Penisersatz?Da haben wir's: Wozu braucht man Kinderprostituierte und Kinderpornos? Wozu Haschisch oder Kokain? Wozu Handgranaten? Kriegsmunition? Schalldämpferwaffen, Maschinenpistolen, Stock- und Sturmgewehre, Schlagringe, Totschläger? Ist das alles zu Unrecht verboten? Oder sind alle (Waffen)Verbote tendenziell "totalitär"? Wer der Waffenlibertins ist konsequent anarchistisch-libertär, ohne Wenn und Aber für laissez-aller?

Polizeistaat USAWarum dürfen auch Milliardäre, die sich bedroht fühlen, nur in Bananenrepubliken Privatarmeen unterhalten? Warum werden manche schießtaugliche Waffensammlungen als Versuch der Bildung krimineller Organisation strafrechtlich verfolgt? Warum dürfen wir uns nicht mit ein bissel Plutonium/Uran oder ein paar chemisch-bakteriologischen Kulturen im Weinkeller "unangreifbar" machen? Weshalb können wir nicht a gusto mit dem Hauslöwen Gassi gehen, die Klapperschlange frei im Garten spazieren oder, wie ein Anverwandter in Beverly Hills, die Boa im Pool sich erfrischen lassen? Warum verbietet man viele harmlose und weniger harmlose Drogen auch in den "eigenen vier Wänden"? 

Notstandsgesetze BRDBekommt einer Drogen nur weil er sie für seine "Freizügigkeit" und "Selbstentfaltung" "notwendig braucht", irgendwo "legal erworben" hat, "ordnungsgemäß anmeldet", sie "sicher verwahrt", "verantwortungsvoll" damit umgeht, "niemanden gefährdet", einschlägige Wutzel- oder Spritzkurse absolviert hat, die verträglichen Dosen kennt und anwendet Verhalten in Notsituationen (z. B. Horror-Trips) beherrscht, und beim Drogenkauf drei Tage warten kann ?

Weil man in einer Demokratie über fast alles reden kann und über vieles streiten soll, selbstverständlich auch über Prohibition, Zulässigkeit oder Monopolisierung von Rauschmitteln oder privater Bewaffnung, gerade deshalb braucht man Argumente gerade zum "wozu braucht man".

Polizeistaat USAWaffenbesitzer müssen zuerst und vor allem beantworten können: Wozu brauchen Sie, Herr XY, als Baulöwe, Photohändler, Sportreporter oder TV-Moderator, eine, drei, viele Waffen im Schrank, im Rock oder im Studio - anstatt im Vereinslokal? In so elementaren Sicherheitsfragen darf man mehr als aufstampfenden Bubentrotz, Aufgeregtheit, und hysterische Gekränktheit erwarten. Waffenbesitzer sollten nicht angerührt wichtigste Fragen vorschnell als "dumm" oder "unzumutbar" abtun. Bockige Antwortverweigerung auf Sorgen von Mitbürgern bedeutet in der Demokratie Legitimationsentzug - also Entwaffnung. Und zwanghafte Suchtlogik tut den meisten Waffenbesitzern grob Unrecht - sie können auch anders. Meine Herren "Waffenliebhaber", bitte erklären Sie sich und Ihre Leidenschaft - und wie wir sie für uns ungefährlich machen können!

"Die Presse", Wien