Presseerklärung




des nova-Instituts vom 3.2.1997 zum Abschluß des
Hanfproduktlinienprojektes

Die praxisorientierte Studie wurde im Jahr 1996 durchgeführt vom nova-Institut Hürth bei Köln in Zusammenarbeit mit dem IAF/FH-Reutlingen und dem ifeu-Institut Heidelberg. Insgesamt waren über 20 Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen an dem interdisziplinären Projekt beteiligt.

Das Projekt wurde finanziell gefördert durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (Osnabrück). Finanziell beteiligt haben sich die Firmen Badische Naturfaseraufbereitung (BaFa) (Malsch bei Karlsruhe) und TreuHanf Berlin sowie der Verein hanfnet Hannover.


Chancen für deutschen Hanf

Der deutsche Hanfanbau wird nur dann eine Zukunft haben, wenn es bereits innerhalb der nächsten 5 Jahre gelingt, Hanfproduktlinien in relevanter Weise zu etablieren. Die entscheidende Frage ist:

Welche Produktlinien haben unter technischen, ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten am Standort Deutschland die besten Chancen auf eine Realisierung?

Die Antwort liegt nun vor: Elf Produktlinien aus den Bereichen Fasern, Schäben, Samen/Öl und Cannabinoide haben gute Chancen bis zum Jahr 2000 die Basis einer nachhaltigen deutschen Hanfindustrie zu bilden (s. u.). Investitionen sollten auf diese Produktlinien fokussiert werden.

Anwendungsbezogen und marktorientiert liefert die Studie konkrete Entscheidungshilfen für Unternehmen, Produktentwickler, Investoren und Förderinstitutionen.


Vorgehensweise

In der ersten Projektphase wurde eine Vielzahl möglicher Hanfproduktlinien in Hinblick auf ihre kurz- bis mittelfristige Umsetzbarkeit analysiert. Es ergaben sich dabei elf favorisierte Produktlinien. In der zweiten Projektphase wurden diese detailliert untersucht, eventuell noch zu überwindende Hemmnisse sowie Strategien zu Realisierung herausgearbeitet und die kurz- bis mittelfristig erschließbaren Marktpotentiale abgeschätzt. Die wichtigsten Untersuchungskriterien waren dabei:

Technische Machbarkeit; ist die Produktlinie am Standort Deutschland vom Anbau bis zum Endprodukt technisch innerhalb von 5 Jahren realisierbar? Wie sind die technisch-qualitativen Eigenschaften von Hanf relativ zu Konkurrenzrohstoffen zu bewerten? 

Ökonomie; wie sehen die Kosten entlang der Wertschöpfungskette vom Anbau bis zum Endprodukt aus? Kann Hanf mit anderen Rohstoffen ökonomisch konkurrieren? Besonders detailliert wurden die Kosten von Anbau und Faseraufschluß untersucht.

Ökologie; im Rahmen des Projektes wurde erstmalig eine ökologische Übersichtsbilanz für verschiedene Hanfproduktlinien erstellt.

Marketing-Image; im Rahmen des Projektes wurden erstmalig das Image von Hanf marktpsychologisch analysiert.

Marktpotential und Markt-/Infrastruktur; ein ganz wesentlicher Teil der Studie befaßt sich mit der Frage, welche Marktanteile von den favorisierten Hanfproduktlinien innerhalb der nächsten 5 Jahre erschlossen werden können.

Die Studie basiert auf der Auswertung aktuellster Daten. Neben umfangreichen Literaturauswertungen und Datenbankrecherchen standen Experteninterviews im Mittelpunkt, da bei der jungen Hanfwissenschaft viele Informationen über die üblichen Recherchewege nicht verfügbar sind. Insgesamt wurden ca. 60 Experten aus Forschung, Entwicklung und Anwendung aus sechs Ländern befragt.


Wichtigste Ergebnisse

Unter den oben genannten Kriterien werden insbesondere folgende Produktlinien für eine kurz- bis mittelfristige Umsetzung favorisiert:

Faser, mechanisch grob- bis mittelfein aufgeschlossen:

Spezialzellstoff für technische Anwendungen

Autoinnenverkleidungen (Formpreßteile)

Geotextilien für den Erd- und Wasserbau

Nadelfilzteppiche

Faser, chemisch-physikalisch aufgeschlossen (fein):

Bekleidungstextilbereich - Kotonisierter Hanf als Baumwollsubstitut

Wärmedämmvliese im Baubereich

Schäben:

Schäben als Einstreu für Tiere, vom Pferd bis zum Kleintier

Samen und Öl:

Lebensmittel

Naturkosmetika

Gamma-Linolensäure-Lieferant für die Pharma- und Kosmetikindustrie

Cannabinoide:

Medikamente auf natürlicher THC-Basis (derzeit noch laut BtMG nicht verkehrs- und verschreibungsfähig)

In allen genannten Produktlinien besitzt deutscher Hanf Märkte, in denen er technisch-qualitativ und ökonomisch konkurrenzfähig ist. Alle Produktlinien zusammengenommen, besitzt deutscher Hanf ein mittelfristig erschließbares Marktpotential, das einer Anbaufläche von ca. 30.000 ha und einem Marktwert der Zwischenprodukte (Fasern, Schäben, Samen und Öl) von 120 bis 140 Mio. DM/Jahr entspricht (ohne medizinische Nutzung).

Die Schätzung der zukünftigen Marktanteile wurde dabei detailliert und vorsichtig vorgenommen. Das Beispiel Wärmedämmvliese soll die Vorgehensweise verdeutlichen: Aus Kostengründen wird der Einsatz von Hanfdämmstoffen auf den ökologischen Bausektor begrenzt bleiben. Hier kann chemisch-physikalisch aufgeschlossener Hanf qualitativ und ökonomisch gut mit Konkurrenzfasern wie Schafwolle, Baumwolle oder Flachs mithalten.

Derzeit haben ökologische Dämmstoffe einen Marktanteil von ca. 3 % am Gesamtdämmstoffmarkt, eine Ausdehnung des Marktes auf ca. 6 % wird kurz- bis mittelfristig erwartet. Etwa 40 % dieses Marktes wird von Zellulosedämmstoffen abgedeckt. Von den restlichen 60 % wird angenommen, daß Hanf etwa 1/3 Marktanteil erobern kann, was ca. 10.000 t Fasern bzw. einer Anbaufläche von 8.000 ha entsprechen würde.


Ökonomie - Anbau

Die derzeit vergleichsweise hohe EU-Beihilfe für Hanf in Höhe von 1.510 DM/ha bietet eine gute Startbasis für eine deutsche Hanfindustrie. Beim jetzigen Stand in Bezug auf EU-Beihilfe, Sorten und Technik kann Hanf Deckungsbeiträge von 1.400 bis 1.500 DM/ha erwirtschaften, die denen von Winterweizen, -gerste und Körnermais gleichen (angenommener Hanfstrohpreis: 140 DM/t).

Die ökonomischen Analysen haben gezeigt, daß der Hanfanbau nicht dauerhaft auf diese hohen Flächenbeihilfen angewiesen ist. Die Vollkostenrechnung kommt zu dem Ergebnis, daß nach einer Etablierung unter heutigen Bedingungen eine Beihilfe von 800 bis 1.200 DM/ha erforderlich ist, um den Anbau für den Landwirt rentabel zu machen. Bei einer weiteren Optimierung von Sorten, Ernte- und Aufschlußtechnologien, EU-Regelungen u. a. wird der Hanfanbau mittelfristig mit Beihilfen auskommen, wie sie für eine Reihe anderer Nutzpflanzen in der EU üblich sind (ca. 700 DM/ha).


Ökonomie - Zwischenprodukte

Mechanisch aufgeschlossene Hanffasern können unter heutigen Bedingungen je nach Schäbenfreiheit und Feinheit zu Preisen zwischen 0,70 und 2,00 DM/kg angeboten werden, also deutlich unter dem Preis entsprechender Flachsfasern. Werden in Anwendungen grobe bis mittelfeine Fasern mit hoher Reißfestigkeit und möglichst niedrigen Preisen gesucht, so ist Hanf unter den in Europa kultivierbaren Faserpflanzen aufgrund seiner hohen Erträge und günstigen ökologischen Eigenschaften die erste Wahl.

Soll Hanf für Anwendungsbereiche feiner Fasern (insbesondere Bekleidungstextilien und Wärmedämmung) nutzbar gemacht werden - ohne auf die traditionelle Wasserröste zurückzugreifen -, so ist ein chemisch-physikalischer Aufschluß der Faserbündel erforderlich. Die Faserpreise liegen dann bei etwa 3 DM/kg - konkurrenzfähig zur Baumwolle.

Hanfsamen aus deutschem, kontrolliert biologischem Anbau können unter derzeitigen Bedingungen zu Großhandelspreisen von ca. 2 DM/kg auf den Markt gelangen.


Politische Entscheidung auf EU-Ebene

Letztendlich ist es eine grundsätzliche Entscheidung, ob in der EU gewonnene Pflanzenfasern in (technischen) Textilien eingesetzt werden sollen oder ob die Nachfrage in diesem Bereich - trotz aller ökologischen und strukturellen Vorteile einer Versorgung mit EU-eigenen Fasern - nur mit Importfasern gedeckt werden soll. Werden die geeigneten Rahmenbedingungen für den Einsatz in der EU erzeugter Fasern geschaffen, so wird Hanf aufgrund seiner Fasercharakteristika und seiner hoher Hektarerträge von allen europäischen Faserpflanzen die besten Chancen im technischen Textilbereich besitzen.


weitere Aspekte

Die Studie zeigt, daß sich die Hanfverarbeitung ideal für den Aufbau regionalwirtschaftlicher Strukturen eignet. Da Hanf sich gut für den ökologischen Landbau eignet, bietet er die Chance zur umweltverträglichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe.


Gesamtfazit

Die deutsche Hanfwirtschaft besitzt eine wirkliche Chance zur Etablierung.

Es gibt eine Reihe von Hanfproduktlinien, die unter technischen, ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten am Standort Deutschland innerhalb von etwa 5 Jahren umsetzbar sind.

Die mittelfristig in Deutschland realisierbare Hanfanbaufläche wird mit etwa 30.000 ha geschätzt.

Die deutsche Hanfindustrie hat 1996 einen rasanten Start gezeigt. Für den weiteren Aufbau der Hanfindustrie wird entscheidend sein, Investitionen und Fördermittel in die richtigen Technologien und Produktlinien zu lenken, die Nachfrage bei der verarbeitenden Industrie zu stimulieren und zu stabilisieren, mechanische Faseraufschlußanlagen langsam und mit der Nachfrage synchronisiert aufzubauen (Vermeidung von Überkapazitäten) und einen chemisch-physikalischen Faseraufschluß zu realisieren, um der Hanffaser höher wertschöpfende Märkte zu erschließen.

Die vollständige Studie "Das Hanfproduktlinienprojekt" (485 Seiten) wird Mitte Februar als Buch erscheinen und beim nova-Institut, hanfnet Hannover und HanfHaus Berlin gegen 200 DM (incl. Porto) erhältlich sein.

Eine Kurzfassung der Studie mit dem Titel "Das Hanfproduktlinienprojekt - Zusammenfassung und Ausblick" (ca. 40 Seiten) wird ebenfalls im Februar als Broschüre erscheinen und beim nova-Institut, hanfnet Hannover und HanfHaus Berlin gegen 10 DM (plus 3 DM Porto) erhältlich sein.
 

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