Bob Marley - Tod in Babylon von Teja Schwaner Dreadlocks über Deutschland Rastaman vibration positive... If you get down and quarrel everyday You're saying prayers to the devil, I say Why not help one another on the way Make it much easier... Die Rastamannvibrationen sind positiv Wenn du dich unterkriegen läßt und zankst und haderst jeden Tag, sprichst du Gebete für den Teufel, sag' ich dir Warum nicht einander auf den rechten Weg helfen dann wäre alles viel leichter... ("Positive Vibration") Der solches so eindrucksvoll sang, sollte zum erstenmal nach Deutschland kommen - über Pfingsten 1976. Bob Marley und seine Wailers, eine, nein die Reggae-Band aus Trenchtown - Kingston - Jamaika. Drei Konzerte stehen auf dem deutschen Spielplan der jamaikanischen Musiker: ein Festival in Offenburg sowie je ein Auftritt in Düsseldorf und in Hamburg. Marley, der Prophet des Reggae, seit dem Jahre 1971 an die Schallplattenfirma Island, London, gebunden, befindet sich auf seiner ersten wirklich großen Tournee, um musikalisch eine Botschaft zu verbreiten: Reggae und Rasta. Etwas über zwei Jahre zuvor war ich zum erstenmal mit der Musik in Berührung gekommen, die sich Ska, Bluebeat, Reggae nannte. Ich hatte gelesen, mir, so gut es ging, Platten besorgt, war nach London eingeladen worden, um Toots and the Maytals zu sehen. Mein erstes Reggaekonzert. Das zweite, wiederum auf Einladung der Schallplattenfirma, fand statt am 18. Juli 1975, im Lyceum in London. "All the way from Trenchtown, Jamaica - Bob Marley and the Wailers..." Ich hatte eine Serie über die Reggaemusik in der Zeitschrift "Sounds" geschrieben und ein Interview mit Bob Marley gemacht. Ich hatte bei jenem legendären Konzert Freunde gewonnen und mir meine alten Freunde vergrault, weil ich zurückkam aus London und ihnen zuviel schwärmte. Wie der amerikanische Journalist Lester Bangs einmal schrieb: "Ich liebe Reggae mit einer Leidenschaft, die droht, mich ein paar Freunde zu kosten..." Und nun sollten sie nach Deutschland kommen, die mit den Zottellocken, dreadlocks, die, die den Rhythmus machten, der in Bauch und Beine geht. Die aus der ferner Karibik kamen, in die wir reisen, um ihnen ein bißchen von ihrer Sonne abzukaufen, von ihrem Strand, ihrem Ozean. Der Pressevertreter von Marleys deutscher Schallplattenfirma, von Reggae und den Wailers so besessen, daß er sich beinahe um seinen Job missionierte, hatte den richtigen Einfall: ein Reggae-Bus mit Journalisten und wahren Fans solle immer hinter den Helden herfahren: Marley gleichsam zum Anfassen, Wailers satt! Viel Geld wurde für Reggae-Publicity ausgegeben - Island ließ sich die PR für Marley weltweit etwas kosten. Marley hatte es vielleicht nicht nötig, war es aber wert. Sicher ist mit dem Wort Messias, das sich in der Schlagzeile so gut macht, zu oft leichtfertig umgegangen worden, aber schließlich geht es in Bob Marleys Songtexten nicht um Autos, Mädchen und Spaß nach der Schule, sondern um das Leben im Getto von Trenchtown, um sanfte, aber dennoch unerbittliche Revolution, um Recht und Unrecht, um Frieden und Liebe, um ein anderes Bewußtsein, ein schwarzes, das auch Weiße teilen können. Wie würden die Rastas, die von der Karibikinsel stammten, aber immer wieder formulierten, sie hätten vor, nach Afrika heimzukehren, Deutschland zu Pfingsten erleben, ertragen? Wie die Deutschen, mit denen sie in Berührung kamen, die Dreadlocks erleben, auf sie reagieren? Ich war darauf aus, einen kulturellen Zusammenprall mitzuerleben und zu dokumentieren. Daß nichts schiefgehen konnte, dessen war ich mir sicher. Zwar ist es schwer und letztlich unmöglich nachzuempfinden, worüber Bob Marley spricht, wenn er "Trenchtown Rock" singt. Um das wirklich zu verstehen, muß man wohl schwarz sein und im Getto gelebt haben oder leben, muß den Unterdrücker spüren, hungrig sein und ohne Arbeit, muß zugesehen haben, wie die Kinder hungrig ins Bett gehen, muß im Abfallhaufen nach Nahrung gesucht haben, muß die Frustrationen von Generationen in sich spüren und die Hoffnungslosigkeit und Wut und Zuversicht im Blick auf die Zukunft. Aber wer diese Erfahrung nicht hat, der kann zumindest ahnen, worauf er sich bezieht, was Marley singt, und die Musik tut nicht weh, wenn sie trifft. "Ein Gutes an Musik wenn sie dich trifft fühlst du keinen Schmerz Ein Gutes an Musik wenn sie dich trifft / fühlst du keinen Schmerz Triff mich mit Musik triff mich mit Musik triff mich jetzt... trenchtown rock..." ("Trenchtown Rock") "Hitler, Müller, Beckenbauer" lautete Bob Marleys Antwort auf die erste Frage, die ich ihm stellte, als ich ihn auf heimischem Boden zum Interview traf. Was er von Deutschland wisse, hatte ich ihn gefragt. Der Reggae-Bus der Plattenfirma war auf den Weg von München nach Offenburg, ich hatte den Zug nach Ludwigsburg bei Stuttgart genommen. Dort, im Schloßhotel "Monrepos", hatten die Wailers und ihr Rasta-Troß Unterschlupf gefunden, in einem vornehmen Apartmenthotel. Schließlich haben sie Michael, ihren Leibkoch, dabei, und der braucht eine Küche, um die vegetarische Spezialnahrung zu bereiten, deren Hauptzutaten sie aus Jamaika mitbrachten. "Mein Chef wollte erst keine Popmusiker im Hotel", sagt der Empfangschef, "aber diese Herrschaften sind ja derart höflich, zuvorkommend und angenehm." Wegen der Kochmöglichkeit hatte der deutsche Veranstalter die Wailers ins Schloßhotel gebucht und 20 DM pro Zimmer draufgezahlt. Daß am 11. September 1973 Haile Selassie I., der äthiopische Kaiser, auf Staatsbesuch in Deutschland auch in diesem Hotel übernachtet hatte, und zwar in Suite 101, das wußte man nicht, als man für Marley eben diese Zimmerflucht buchte. Die Rastas, muß man wissen, verehren den - inzwischen verstorbenen - äthiopischen Monarchen als lebendigen Gott, und auf den mehr als verblüffenden Zufall angesprochen, antwortete Marley abgeklärt, nicht überheblich: "Mein Haupt ruht immer bei Jah." Jah ist für ihn Gott, und Gott ist Haile Selassie. Und dessen Porträt in Öl steht unter dem Farbfernseher. Als der Manager der Wailers, Don Taylor, ins Zimmer kommt, ergibt sich bald ein hitziges Gespräch zwischen ihm und Marley, bei dem es um den Mangel an Marihuana geht. Ganja, so nennen es die Vertreter der jamaikanischen Obrigkeit, die seinen Genuß unter Strafe stellen, "'erb" heißt die Rauchware bei den Rastas. Das "Heilkraut der Völker", wie sie es auch nennen, gehört zu ihrem Leben wie zu ihrem Glauben, gehört zur Musik der Wailers wie die Töne aus dem Baß von "Family Man" Barrett. Aber Ludwigsburg ist sauber. Erst als sich die Abendsonne senkte, schlurfte der Dealer ins Schloßhotel. Gras hatte er nicht zu bieten, nur Haschisch. Und Speed. Als er das Marley anbot, wäre er beinahe der Suite verwiesen worden. Nachdem der "grüne Marokkaner" verteilt ist, werden allenthalben die "spliffs" gerollt, und dann geht's hinaus auf den Edelrasen zum Fußballspiel. Bob Marley, Allen "Skill" Cole, Marleys Freund, der in Jamaikas Nationalmannschaft kickte, und Neville, der sich im Rasta-Clan um Bühnenlicht und Grafik kümmert, spielen "soccer", den Spliff im Mundwinkel. Rasta-Fußball, die angetörntesten Abgaben, die man je gesehen hat. Ein halbes Stündchen konnte ich mitmachen, dann mußte ich erschöpft aufgeben. "Klar, Mann", sagt "Family Man", "die spielen noch stundenlang." Je länger es geht, desto seltener berührt der Ball den Boden. Und sie spielten, entgeistert und doch bewundernd betrachtet von Herren in Smoking und Damen in weißen Nerzen - im Schloßhotel wurde nämlich Hochzeit gefeiert, und in Grüppchen trat die Ludwigsburger Society auf die Terrasse, um das exotische Schauspiel zu betrachten. Sie wunderten sich, daß man beim Spiel rauchte - gut, daß sie nicht wußten, was dort geraucht wurde. Was die Rastas gern rauchen, hatte die Oberstaatsanwaltschaft Düsseldorf jedenfalls in Erfahrung gebracht. Und so erwarteten zwei Herren in schwarzem Leder, begleitet von ihrem Schäferhund, Bob Marley nach der Zugabe des Konzerts in Düsseldorf. "Können wir - wie wir auf deutsch sagen - unter vier Augen mit Ihnen sprechen?" radebrechten sie gegenüber dem verdutzten Marley, der seinen letzten Rest Marihuana weggeworfen hatte, als er die RD-Leute auf sich zukommen sah. Von eben einer solchen Situation hatte er gerade noch auf der Bühne gesungen: "Rebellen-Musik Rebellen-Musik Warum können wir nicht in diesem Land frei unseren Weg gehen Oh, warum können wir nicht sein, was wir sein wollen Wir wollen frei sein 3 Uhr - Straßensperre Ausgangssperre Und ich muß es fortwerfen muß es fortwerfen mein kleines Marihuana-Blatt..." ("Rebel Music (3 O'Clock Roadblock)") Auf Jamaika hatte Bob Marley wegen Besitzes der grünen Pflanze schon im Gefängnis gesessen, in Düsseldorf kam er ungeschoren davon - ja, man stellte den Wailers gar eine Art Passierschein aus, den sie in Hamburg vorzeigen sollen, wenn es auch dort zu einer Durchsuchung kam. "Meinst du, die Gestapo durchsucht mich heute abend wieder", fragte Marley in Hamburg, eher belustigt als besorgt. Den Nachmittag vor ihrem ersten Auftritt im Lande von Hitler und Beckenbauer verbrachten die Wailers in einem kleinen Mercedes-Bus - auf Sightseeing-Tour in Stuttgart und Umgehung. "Wo soll ich die Herrschaften nun hinfahren?" hatte der schwäbische Busfahrer gelassen gefragt. "Wir hätten ein paar historische Schlösser, das Mercedes-Museum, das Porsche-Museum oder den Fernsehturm." - "Gibt es hier keine Gestapo-Kasernen?" fragte Marley, und als ich ihm damit nicht dienen konnte, entschloß er sich: "I and I wanna see a german town, mohn." Also, auf nach Stuttgart und auf den Fernsehturm. Unterwegs wird bei einem Supermarkt gehalten, der den Schwaben auch des Sonntags den Konsum ermöglicht. Die Rastas schwärmen aus, sind aber nach gut einer Stunde wieder am Bus versammelt, von den braven Schwaben wie Menschen von einem anderen Stern begafft. Auf der Fahrt zeigt sich Marley besonders von der deutschen Schrebergarten-Ideologie begeistert, nachdem ich ihm schlecht und recht erklärt habe, was die Leute in ihren Gartenlauben treiben. "Glaubst du, daß Deutschland-Ost und Deutschland-West eines Tages wiedervereinigt sind?" fragt mich der leise Fußballartist Skill Cole zu meiner Verblüffung, nachdem ich kurz über die Mauer und die Todesgrenze referiert habe. "Nein", sagte ich. "Ich aber sage dir, mohn, es kommt der Tag der Wiedervereinigung", belehrt mich der Rasta-Fußballer, der seinen optimistischen Weitblick aus der Gewißheit schöpft, daß das Armageddon nicht weit ist. Und unter den 144000 Rechtschaffenen, die dann überleben, werden Deutsche aus Ost wie aus West sein. Skill ist sicher. Am Fernsehturm wird mit einer Altherrenmannschaft Fußball gespielt, während die Sängerinnen Rita Marley, Marcia Griffiths und Judy Mowatt sich zum Kaffeetrinken ganz nach oben auf den Turm begeben. Seeco, der Perkussion-Mann, der aussieht wie ein schwarzer Clochard, zahnlos und aus einer anderen Welt, umdribbelt den 67-jährigen Außenverteidiger der Altherrenkicker und schlenzt den Ball mit der Hacke an den Innenpfosten. Tor! Wieder haben sich die Rastas staunende Freunde gemacht. Wie wird es beim Konzert werden, bei dem die Wailers auf ausdrückliches Verlangen ihres Managers als letzte Gruppe auftreten? Das Open-Air-Festival in der Burda-Stadt Offenburg leidet zwar nicht unter schlechtem Wetter - den Sonnenschein haben die Rastas anscheinend nicht ganz uneigennützig mitgebracht - sondern an einer typischen Krankheit: Man hat sich zeitlich verkalkuliert. Die paar tausend Besucher, die noch ausgeharrt haben, werden tatsächlich von Marley auf die Beine gebracht ("Get up stand up for your right!"), und nach einer Weile scheint der Mann, der mit ungeheurer Intensität in der Fremde singt, außer dem Schallplattenpreis der Phonoakademie für sein Album "Natty Dread" auch das Publikum gewonnen zu haben. Aber da wird plötzlich der Strom abgeschaltet. Das Gelände liegt im Dunkeln. Die Zeit war abgelaufen, der Polizeipräsident war schon großzügig gewesen und hatte eine halbe Stunde mehr gegeben, aber jetzt war Schluß. Das System schlug zu. Der erregte Manager Don Taylor, verzweifelt über Veranstalter und deutsche Polizeistunde, wütet und weint - will die Tournee abbrechen. Einzig gelassen bleibt Bob Marley selbst. In der Garderobe wird aus Riesenjoints Rauch fabriziert, und der löwenmähnige Rastamann kommentiert: "Das ist das System. Macht nichts." In seiner fünfzehnjährigen Musikerlaufbahn hat er dergleichen und Schlimmeres erlebt. Er erzählt, wie einige Konzerte auf seiner Heimatinsel von der Polizei aufgelöst wurden. Da gab es Knüppelhiebe, und so mancher wurde ins Gefängnis verschleppt. Die Auseinandersetzungen mit der Polizei auf Jamaika haben schwererwiegende Gründe als hier, wo Festivalbesucher Krawall machen, weil sie nicht genug Musik für ihr Geld bekommen. "Alles wird in Ordnung kommen. Wir werden gewinnen, denn die Wahrheit ist auf unserer Seite. Auch die Deutschen werden zur Wahrheit tanzen. Die Wahrheit heißt Reggae." Bob Marleys Zuversicht ist nicht leicht zu teilen. Aber er wußte, was kaum einer sonst ahnte. Der Reggae wurde in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre auf der ganzen Welt zu einem ungeheuer wichtigen neuen musikalischen Einfluß. Höchsten Anteil daran hatte Bob Marley, der sich unermüdlich auf musikalische Missionsreise begab, überzeugt von seiner Rasta-Botschaft und voller mitreißender Überzeugungskraft in der Interpretation seiner Reggae-Musik. "Ihr werdet tanzen zu Jahs Musik, tanzen Vergeßt euren Kummer und tanzt Vergeßt eure Sorgen und tanzt Vergeßt eure Krankheit und tanzt Vergeßt eure Schwäche und tanzt" - so singt er in "Them Belly Full (But We Hungry)". Es mag nicht ganz schlüssig klingen, daß man sich etwa den Hunger aus dem Körper tanzen kann, aber diese Zeilen deuten auf den Charakter der Revolution, die Bob Marley vorschwebte: Er hat sich nie für Gewalt ausgesprochen. "Unser Vater hat hier gewohnt, ja", murmelt der milde Michael, seines Zeichens Koch und Bibelkundiger der Wailers. Er hatte sich gerade noch mal das Erinnerungsfoto an der Wand der Bar angesehen, auf dem Haile Selassie I. bei der Ankunft im Schloßhotel zu sehen ist. Er bereitet in der Küche "Irish Moss", ein Seegras, das vom Meeresboden um die Karibikinsel gepflückt wird. Er hat einen Riesenplastiksack davon bereitstehen. Aufgekocht und mit Jamaika-Honig halb und halb gemischt, wird "Irish Moss" getrunken, und wie Götterspeise geliert es in kaltem Zustand. Marley hat immer eine Thermosflasche davon auf der Bühne. Es geht direkt ins Rückgrat, beharrt Michael. Daher also die Standfestigkeit und Kondition aller Beteiligten. Michael ist aber auch der Bibelausleger, und bei längeren Busfahrten scharen sich die Rastas um ihn, damit er ihnen ausgewählte Kapitel vorliest und sie dadurch zu stundenlangen Diskussionen anregt. Ich habe mir viel Mühe gegeben, aber dabei zu folgen, ist unmöglich. Dennoch belehrte Michael mich mit einer derart freundlichen Ausstrahlung, daß ich immer wieder zustimmend nickte, obwohl ich doch überhaupt nichts verstanden hatte. Ich weiß jedoch, wie sehr mich die Bilder in einem "National Geographic"-Magazin beeindruckten, die 1930 bei der Krönung in Äthiopien entstanden waren. Wie eine Reliquie behandelte Michael sein über vierzig Jahre altes Exemplar der amerikanischen Zeitschrift. Die Dreadlocks in Deutschland: ein erster Schritt in ein fremdes Land, das sie im Laufe der Jahre mit ihrer Musik eroberten. In dem sie Bereitschaft weckten, sich auf einen Rhythmus einzulassen, der aus der Hitze kommt - in einem Land, in dem die Kälte herrscht. Ein seltsamer Zusammenprall zwischen zwei Welten, die einander intellektuell und sprachlich kaum verstehen, in denen die Menschen historisch so ungeheuer verschiedene Erfahrungen haben. Aber die Musik und die Botschaft, die Bob Marley, die Wailers, die Rastas bringen und zu verkünden haben, sind überall gleich fremdartig, aber doch auch einleuchtend. Bob Marley hat immer zum Frieden aufgerufen, zum Leben, zum Lebendigsein. Er hat wach gemacht. In seiner Musik wird Raum gelassen, sich zu bewegen, sich zu öffnen, friedlich zu kämpfen. Es wird aufgerufen, aufzustehen und einzustehen für die Rechte, die man als Mensch hat. Bob Marley hat niemals die Auseinandersetzung zwischen Schwarz und Weiß propagiert, sondern nur diejenige zwischen Macht und Ohnmacht. Er hat Einheit gewollt und beschworen. Er sagte: "Meine Mutter ist Afrikanerin, mein Vater ist Engländer. Wie kann ich da auf der Seite der Schwarzen sein oder auf der Seite der Weißen. Ich bin auf der Seite der Einheit. Nur der Teufel gibt dem Weißen ein, zu sagen, schlagt den Weißen. Ich bin auf der Seite der Einheit. Ich bin auf der Seite der Wahrheit." Was auch immer man gegen die reale Politik des Haile Selassie einzuwenden haben mag, was auch immer man von der Rasta-Vorstellung hält, dieser sei der lebendige Gott - es dürfte nicht schwerfallen, sich jenen Worten anzuschließen, die er am 28. Februar 1968 in Kalifornien aussprach und die von Bob Marley auf der LP "Rastaman Vibration" vertont worden sind. "Bis nicht jene Philosophie, die eine Rasse für höher und die andere für niedriger ansieht, ein für allemal abgeschafft ist... Bis es nicht mehr länger Bürger erster und Bürger zweiter Klasse gibt... Bis die Hautfarbe eines Menschen nicht mehr bedeutsamer ist als die Farbe seiner Augen... Bis die Menschenrechte nicht gleichermaßen allen gesichert sind ohne Ansehen der Rasse... Bis zu dem Tag wird der Traum eines dauernden Friedens, der Gleichberechtigung der Bürger der Welt und der Herrschaft einer internationalen Moral nichts sein als eine Illusion, der man nachfolgt, die man aber nie erreicht... und bis dahin wird Krieg herrschen..." ("War") Rude Boys in Trenchtown "There's one question I'd really like to ask Is there a place for the hopeless sinner Who has hurt all mankind One love, one heart... let's join together and feel alright..." "Eine Frage möchte ich wirklich gern stellen... Gibt es einen Ort für den hoffnungslosen Sünder Der Schmerzen zugefügt hat der ganzen Menschheit? Eine Liebe, ein Herz... schließen wir uns zusammen, dann geht es uns gut." Anfang der sechziger Jahre sang Bob Marley diesen Song. Und fast fünfzehn Jahre später wurde das Lied zum Motto eines Konzerts für den Frieden auf Jamaika. Bob Marley brachte die rivalisierenden Anführer zweier Polit-Banden sowie den damaligen Premierminister Michael Manley und seinen Opponenten Seaga auf die Bühne. Die Ruhe in den Gettos von Kingston hielt nicht an, der Friede hatte keine Dauer. Und das liegt sicher nicht an den Menschen, sondern wohl an den Umständen, unter denen sehr viele von ihnen zu leben gezwungen waren und sind. Das Leben auf dem Lande ist hart, das Leben in der Stadt verspricht leichter zu sein. In der Stadt, so dachte so mancher junge Jamaikaner Ende der fünfziger Jahre, kann man mit einem Lied berühmt und reich werden. Aber bis man berühmt war, mußte man auf den Straßen herumlungern, denn Arbeit gab es kaum in der Hauptstadt. Und so wie die Musik aus den USA herüberklang auf die Karibikinsel, so wurde auch der Lebensstil der Großstadtjugend importiert. Rowdies auf den Straßen, die Waffen saßen locker, aus der Langeweile wurden die Mutproben geboren. Wer wagte am meisten, wer war der coolste, wer der Mädchenheld? Wer besorgte das beste Marihuana, wer trank am meisten weißen Rum? Leitfiguren bezog man aus amerikanischen Filmen. Die "rude boys", die rüden Straßenjungs, die jeden Morgen aus den Slums in die Beestonstreet kamen, um auf irgendeine Chance zu warten, um Imponiergehabe auf die Spitze zu treiben, um sich mit allem anzulegen, was nach Autorität roch, wollten bald nicht mehr nur die US-Musik von Sam Cooke, Fats Domino, den Coasters und Drifters, sondern sie wollten eigene Songs, einen eigenen Rhythmus, eigene Thematik. Auch der fünfzehnjährige Bob Marley hatte sich entschieden, es lieber mit Musik zu versuchen als mit Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern oder in den Bauxitminen. Da man aber allein von Sängerwerdenwollen nicht leben konnte, lernte er nebenbei das Schweißerhandwerk. Die Gewalttätigkeit auf den Straßen und in den Slums war auch seine alltägliche Erfahrung. Er lernte Jimmy Cliff kennen, Desmond Decker und Joe Higgs, alles Musiker, die es schon geschafft hatten im harten Musikgeschäft der Insel. "Judge Not" und "One Cup Of Coffee" waren die ersten Titel, die Bob Marley einspielte, Balladen im gerade modischen amerikanischen Rhythm & Blues-Stil, aufgenommen im Studio von Leslie Kong. Weit brachte er es mit diesen Singles nicht. Clement Dodd war der nächste Produzent, mit dem es Marley versuchte, und der es mit Marley versuchte, welcher aufgegeben hatte, allein ein Star werden zu wollen. Eine Gruppe war statt dessen gegründet worden: die Wailers - die Wehklagenden. Junior Bratwaite war der Leadsänger, Beverley Kelso, Bunny Livingstone, Peter McIntosh und Bob Marley sangen Harmonie, begleitet von Studiomusikern. Und es gab ein Thema: 1964 drohte die Situation in Kingston außer Kontrolle zu geraten. Verbrechen und Schießereien in den Gettos nahmen überhand - und Marley beschwor die "rude boys" und die "bad men" von Kingston, "sich abzuregen": "Simmer down... Regt euch ab, verliert nicht die Kontrolle über euren Zorn, sonst wird der Kampf noch viel schlimmer, und ihr seid es, die am meisten darunter zu leiden haben..." Die Bläser, die Clement Dodd den Wailers beigab, prägen den typischen Ska-Sound dieser frühen Aufnahme "Simmer Down". Obwohl die Wailers bis 1966 eine Anzahl von Hits - Jamaika-Hits - mit Dodd produzierten ("I Need You", "It Hurts To Be Alone", "I'm Still Waiting"), waren es doch viel eher die Titel "Rude Boy", "Rule Them Rudie" und "Let Him Go" mit ihrem intensiven Ska-Beat, welche eine neue, typisch jamaikanische Musik kennzeichneten. Trotz ihres Aufrufs an die "rude boys", sich zurückzuhalten, wurden die Wailers zu Idolen der Straßenjugend. Wenn Bob Marley sang "Rude boy rough, rude boy strong, rude boy rough and tough..." fühlten sich die bösen Buben von der Straße wie die Hauptdarsteller in ihrer eigenen Hymne. Das Geschäft mit der Reggae-Musik hatte sich ausgeweitet, doch es waren kaum die Musiker, die daran verdienten. Sondern eher nur die Produzenten - Ausbeuter, die für ein paar lumpige Dollar alle Rechte an Musik einkauften. Verbreitet wurde diese Musik von den Sound-System-Leuten, vagabundierenden Diskjockeys. Mit ein paar guten Boxen, die die Bässe richtig brachten, einem Verstärker und einem Stapel Singles zogen sie durch die Hinterhöfe, die Kneipen und aufs Land. Das war der Idealjob für den "rudie", und der Konkurrenzkampf wurde mörderisch. Die Wattzahlen kletterten um die Wette, die Klamotten der DeeJays wurden immer wilder, die Platten immer schärfer, jeden Tag frisch. Aus diesen Sound-System-Leuten wurden Inhaber von Kneipen und Tanzsälen, Produzenten, Musiker, Texter, Antreiber und Ausbeuter in einer Person. So undurchdringlich wie die tropischen Wälder im Innern der Insel wurde auch das Geschäft mit der Musik im "Concrete Jungle". Aber eins wurde immer deutlicher: Es vollzog sich die Abkehr von den Vorbildern aus den USA. Der musikalische Freiheitskämpfer Bob Marley richtete seine Anklagen und seinen Zorn auf die Sklavenhalter, auf die Unterdrücker, auf die, die Macht haben und sie schamlos ausnutzen im "Beton-Dschungel", wo auch immer sich dieser befinden mag, ob in Harlem, Senegal, Chicago, Jamaika oder Watts: "Wo ist Licht zu finden, kann mir jemand das sagen Denn Licht muß irgendwo zu finden sein Anstatt dieses Dschungels aus Beton, in dem das Leben herzlos ist Dschungel aus Beton Trage keine Ketten um meine Füße Bin aber doch nicht frei Nein, ich weiß, ich bin hier gehalten in Knechtschaft und werde niemals wissen, was Glück bedeutet..." ("Concrete Jungle") Der Song vom Beton-Dschungel erschien 1973, und Robert Nesta Marley hatte inzwischen ereignisreiche Jahre hinter sich gebracht. Geld hatten die Wailers kaum verdient, Junior Bratwaite und Beverley Kelso verließen die Gruppe - und auch Marley beschloß, seine Musikerkarriere aufzugeben. Er folgte seiner Mutter nach Wilmington, Delaware, in die USA. Dort arbeitete er bei den Chrysler-Autowerken, wobei ihm gewiß seine Schweißerlehre zugute kam. Als man ihn jedoch für den Vietnamkrieg in die amerikanische Armee rufen wollte, kehrte Marley den USA eilig den Rücken. Auf seiner Heimatinsel hatten Bunny Livingstone und Peter Tosh inzwischen solo weitergemacht, aber als Marley wieder auftauchte, schlossen sich die drei von neuem zusammen und versuchten einmal mehr ihr Glück mit Clement "Coxsone" Dodd. Doch nichts hatte sich geändert - noch immer floß das Geld, das sie mit ihrer Musik eigentlich verdient hätten, in die Taschen anderer. Also gründeten sie ihr eigenes Label - "Wailin' Soul" - in der Hoffnung, auf diese Weise finanziell erfolgreicher zu werden. "Ich dachte, ich brauchte nie wieder für jemanden anderen zu arbeiten", sagte Marley. "Aber ich hatte keine Ahnung vom Geschäft, und so wurden wir wieder reingelegt." "Bend Down Low", zum Beispiel, ein Liebeslied, das Marley in den USA geschrieben hatte, wurde zu jener Zeit auf Jamaika Nummer eins, aber das Geschäft lief auf dem schwarzen Markt mit Raubpressungen. "Stir It Up", "Bend Down Low" und "Put It On" sind drei Liebeslieder, die einerseits in der Tradition der Reggae-Musik liegen, andererseits jedoch auch in ihrer Spiritualität typisch für die Wailers sind. Sexuell anzügliche Texte gehören zu dieser Musik wie die Baß-Töne, die ihren Rhythmus bestimmen. Schließlich macht der Baß die Töne für den Unterleib, und wenn das Wort "to rock" die angenehm schaukelnde Bewegung beim Liebemachen bezeichnen kann, dann ist "Rocksteady", die stetig wiederholte Bewegung. "Rocksteady" nannte sich die Musik, der man die Bläsersätze genommen hatte und bei der der Baß zum wichtigsten perkussiven Leadinstrument geworden war. Zusammen mit "Bend Down Low" sind "Stir It Up" und "Put It On" die schönsten Liebeslieder der Wailers. Die Texte beziehen sich zwar auf den Liebesakt, sind jedoch ganz und gar nicht so rüde und obszön, wie es im Bereich des sogenannten "rude reggae" üblich war. Texte von Songs wie "Shitting On The Dock Of The Bay" oder "Spermy Night in Kingston" stehen den übelsten Stammtischzoten und Herrenwitzen aus unseren Breitengraden in nichts nach. Der klagende Harmoniegesang, der für die Wailers so typisch ist, gibt jedoch einem Titel wie "Put It On" eine eigentümlich tröstlich-sinnliche Stimmung. Wenn Marley Liebe macht, dann heißt es: "Feel them spirit". Da die Wailers nicht über die erforderliche Gerissenheit verfügten, die man im harten Geschäft brauchte, war ihr eigenes Label schnell wieder eingegangen. 1968 kam Besuch auf die Insel: Johnny Nash, ein schwarzer Sänger, der in den USA schon mit reggaeähnlicher Musik relativ erfolgreich war. Zusammen mit seinem Manager Danny Simms war er auf der Suche nach jamaikanischen Talent - mit dem man Geld machen konnte. Einerseits konnte Marley die Unterstützung von Johnny Nash durchaus gebrauchen, denn Geld hatte er kaum, aber es bleibt doch zu konstatieren, daß es eher Nash war, der mit Marleys Songs Geld verdiente. "Stir It Up", "Guava Jelly", "Comma Comma" waren drei Marley-Songs, die nicht unerheblich zum Erfolg der Nash-LP "I Can See Clearly Now" beitrugen. Marley folgte Nash sogar nach Schweden, um dort die Musik zu einem Film zu schreiben, in dem Nash die Hauptrolle spielen sollte. Das gesamte Projekt wurde ein ziemlicher Reinfall - weder von dem Film noch der Musik hörte man je wieder -, und man kann sich vorstellen, wie es Bob Marley im kalten Schweden ergangen sein muß. Über Nash sagte Marley: "Er ist ein harter Arbeiter, aber er kennt meine Musik nicht. Ich will nichts gegen ihn sagen, aber Reggae ist eigentlich nicht seine Sache." Und außerdem: "Man darf es nicht eilig haben, Reggae zu spielen, nicht darauf aus sein, eine Million damit zu machen, wie Nash. Ich spiele die Musik, weil ich das Gefühl, den Ausdruck liebe - nicht das Geld." Es scheint so, als habe man durchaus nicht angemessen mit Bob Marley abgerechnet, was die Tantiemen betrifft, und noch in diesen Tagen gibt es unerfreuliche Streitigkeiten die aus jener Zeit datieren. Danny Simms brachte nämlich nach dem Tode Marleys ein Album mit alten Aufnahmen von damals heraus, die man überarbeitet hat. Das rücksichtslose Geschäft mit der "elektrifizierten" Volksmusik geht weiter. Nächste Etappe nach der Rückkehr Marleys aus Europa war die Zusammenarbeit der Wailers mit Lee Perry, den man auch Scratch oder The Upsetter nannte. Scratch besaß ein kleines Studio, war fasziniert von den technischen Möglichkeiten, die es bot, und experimentierte auf unnachahmliche Weise. Er produzierte eine Zeitlang die Musik des Trios, und auf den LPs "African Herbsman" und "Rasta Revolution", die Anfang der siebziger Jahre auf dem Label Trojan erschienen, wird er des öfteren gar als Autor von Songs aufgeführt, die später dann als Kompositionen von Marley ausgewiesen werden. Die Zeit mit Perry der die Wailers unter anderem von seiner Studiogruppe The Upsetters begleiten ließ, ist eine besonders kreative für Marley, und viele der wichtigsten Stücke, die später in anderen Fassungen auf den Island-LPs erscheinen, stammen ursprünglich aus der Zusammenarbeit mit Perry. Diese Arbeit wurde zu einem Wendepunkt in der Karriere Bob Marleys, zudem auch noch seine Verbindung mit dem eigenartigen religiösen Kult der Rastas immer stärker wurde. Der Rasta-Glaube, der später zum wesentlichen Inhalt von Marleys Musik werden sollte und zu dem sich fast alle jamaikanischen Reggae-Musiker im Laufe der Jahre bekehrt fühlten, wird im nächsten Kapitel eingehender beschrieben. Ein höchst eigentümliches Stück aus der Zeit mit Perry ist "Mr. Brown". Mit Effekten wie aus der Geisterbahn versehen, beschwört dieser Song eine gespenstische Stimmung. Wer mag der ominöse Mr. Brown sein, der Clown, der in einem Sarg in die Stadt gefahren kommt. "Ist Mr. Brown ferngesteuert...?" fragt Marley. Zumindest eine unheilbringende Figur ist dieser Mr. Brown, vielleicht gar der Sheriff John Brown, der später in "I Shot The Sheriff" auftaucht? Nachdem Bunny Livingstone wegen Marihuana-Besitzes im Gefängnis gewesen war, erwischte es auch Bob Marley. Obschon er lange nicht mehr derjenige war, der das Outlaw-Leben auf den Straßen pries, sondern immer mehr Halt in seinen religiösen Überzeugungen fand, geriet er, wie alle anderen Rastas, häufig mit der Polizei in Konflikt - besonders wegen des Rauchens von Marihuana, dessen religiöse Notwendigkeit die Polizei nicht akzeptieren mochte. Der Gefängnisaufenthalt, über den Marley später nicht gern sprechen wollte, muß eine intensive Erfahrung für ihn gewesen sein. Jetzt war er nicht mehr der "rude boy", der von außen das System kritisierte, sondern er verfügte über Erfahrung aus erster Hand. Der Song "Duppy Conqueror" verarbeitet diese Erfahrung musikalisch. "Duppy" ist eine aus den Afro-Kulten hergeleitete, aber in die jamaikanische Tradition eingegangene Bezeichnung für den Geist von Verstorbenen. Diese Geister müssen mit besonderen Riten beschworen werden, damit sie den Menschen nichts Böses tun. Marley besingt sich als "Duppy-Überwinder" und bezieht sich damit auf seine Freilassung aus dem Gefängnis. Ein jamaikanisches Sprichwort lautet: "Der Duppy-Geist weiß, wen er erschrecken kann." Aus der Sicherheit des Gottvertrauens, das ihm die Rastazugehörigkeit vermittelt, schöpft Marley die Gewißheit, nicht hinter Gitterstäben festgehalten werden zu können. Duppy wird hier zur Kennzeichnung auch der weltlichen Macht. "Die Gitterstäbe konnten mich nicht gefangenhalten", singt er "die Macht konnte mich nicht bestimmen. Sie versuchen, mich zu unterdrücken, aber Gott hilft mir." Die biblische Erlösungsstätte, der Berg Zion, wird melodisch und harmonisch akzentuiert, die Duppy-Geister werden durch Rasseln und Gesang mit Hilfe der Studiotechnik von Lee Perry imitiert. Bob Marley ist der "Duppy Conqueror". Auch "The Upsetter" Perry wird später wegen seines Finanzgebarens von Marley kritisiert, aber die musikalischen Impulse, die von dem Produzenten kamen, sind nicht zu unterschätzen. Nicht zuletzt deswegen arbeitete Marley auch Ende der siebziger Jahre wieder mit dem Schlitzohr Perry zusammen. Jene wichtigen Songs, die Ende der sechziger Jahre entstanden, markieren einen wesentlichen Schritt in der Entwicklung von Bob Marley. Hatten sich er und seine beiden Freunde Tosh und Livingstone bis dahin eher von den Modeströmungen mittreiben lassen, so begannen sie jetzt, ganz deutlich ihren eigenen Stil zu finden. Aus Marley, dem "rude boy", wurde der "soul rebel", der Seelenrebell. Der Titel "Small Axe" hat im Refrain die Zeilen: "Wenn ihr ein großer Baum seid, so sind wir die kleine Axt, scharf genug, um euch zu fällen..." "Wie groß der Baumwollbaum auch sein mag, die kleine Axt kann ihn fällen", lautet ein jamaikanisches Sprichwort, und Marleys zuversichtliche Überzeugung ist, daß das Gute gegen das Böse siegen wird. Das Establishment, mag es nun aus den Plattenproduzenten bestehen oder aus Politikern, kann auf die Dauer der Kraft nicht widerstehen, die die sanften Rebellen aus ihrem Glauben schöpfen. Die Zeilen "Whosoever diggeth a pit / Shall fall in it", mögen direkt aus Psalm 7, Vers 16, stammen, denn da heißt es: "Er hat eine Grube gegraben und ausgehöhlt, und ist in die Grube gefallen, die er gemacht hat." "Trenchtown Rock", "Lively Up Yourself" und auch der Song "400 Years", in dem sich Marley seiner und seines Volkes Wurzeln in Afrika besinnt und mahnend und anklagend die vierhundert Jahre Sklaverei beklagt, stammen aus der Zeit, kurz bevor die Wailers ein zweites Mal versuchten, mit einem eigenen Label zum Erfolg zu kommen. Sie trafen Chris Blackwell, einen weißen Jamaikaner, der ihnen zum ersten Mal Produktionsbedingungen bot, die ebenso angemessen wie bis dahin unbekannt für Reggae-Musiker waren .1970 gründeten die Wailers ihr Label "Tuff Gong", und als ständige Rhythmus-Gruppe schloß sich ihnen das Brüderpaar Aston "Family Man" Barrett, Baß, und "Carlie" Barrett, Schlagzeug, an, die mit ihnen schon auf mancher Perry-Produktion gearbeitet hatten. Marleys Selbstbewußtsein und seine Selbstsicherheit waren gewachsen. Er bezeichnete sich als "Soul Rebel" (Songtitel) und sang: "Ich bin ein Fänger, ein Seelenabenteurer / Die Leute sagen, ich bin ein Rebell / Laßt sie reden... ich bin ein Seelenrebell." Rastaman im Exil "Preacher man don't tell me Heaven is under the earth... We know and understand Almighty God is a living man You can fool some people sometimes But you can't fool all the people all the time And now we've seen the light we're gonna stand up for our rights Get up stand up..." "Priester, ach, erzähl mir nicht Daß ich den Himmel finde erst im Grab... Wir wissen und sind sicher Der allmächtige Gott ist ein lebendiger Mensch Ihr könnt einige Leute einige Zeit an der Nase rumführen Aber ihr könnt nicht alle Leute alle Zeit für dumm verkaufen Und jetzt, da wir das Licht gesehn, werden wir für unser Recht aufstehn... Erhebt euch, steht auf..." Wenn Bob Marley dazu aufruft - beschwörend eher als bedrohlich -, sich für das Recht zu erheben, dann meint er das Recht des Unterdrückten auf Freiheit, das Recht des Versklavten auf Selbstbestimmung, dann meint er Menschenrecht und das Recht des Rastas auf seine Religion. Rasta beginnt mit Marcus Garvey, der 58 Jahre vor Bob Marley - 1887 - ebenfalls in St. Ann auf Jamaika geboren wurde. Garvey war Vorkämpfer schwarzer Selbstfindung und hatte die politische Bewegung des "Schwarzen Nationalismus" mit der Forderung "Back to Africa" gegründet. In den USA war es ihm Anfang der zwanziger Jahre beinahe gelungen, die Rücksiedlung der Schwarzen nach Afrika ins auserwählte Liberia zu beginnen. Als die liberische Regierung jedoch ihr Versprechen auf Siedlungsland widerrief, kehrte Garvey nach Jamaika zurück, wo er 1927 in einer Kirche in Kingston eine Prophezeiung aussprach: "Blickt nach Afrika, denn dort wird ein schwarzer König gekrönt werden, denn der Tag der Erlösung ist nahe." Marcus Garveys aus der Bibel begründete Lehre, daß Gott von schwarzer Hautfarbe sei, nahm 1930 plötzlich konkrete Züge an und wurde für seine Anhänger zur unerschütterlichen Glaubensüberzeugung. In diesem Jahre krönte sich nämlich in Afrika Ras Tafari Makkonen zum 111. Kaiser von Äthiopien und erhob Anspruch auf Titel: König der Könige, Seine kaiserliche Majestät, der siegreiche Löwe vom Stamme Juda. Zudem nannte er sich noch Haile Selassie I., "Die Macht der Dreieinigkeit". Garvey-Anhänger sahen das Bild des neuen afrikanischen Kaisers, sich als einzig wahrer Abkömmling König Davids bezeichnete, in Tageszeitung "Daily Gleaner" und befragten ihre Bibeln. Im Buch der Offenbarung, das auch Prinz Tafari studiert hatte, fanden sie Antwort. Kapitel 5, Vers 5: "Siehe, es hat überwunden der Löwe, der da ist vom Geschlecht Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und zu brechen seine sieben Siegel." Da Garvey alle Schwarzen als Äthiopier bezeichnet hatte, begannen jetzt Prediger in Kingston, für die solche Motivverkettungen nicht nur symbolisch waren, sondern Tatsache und Realität, zu predigen, Haile Selassie sei der lebendige Gott - Zentralfigur der sich in Afrika erfüllenden Erlösung. Diejenigen, die sich dieser Lehre anschlossen, nannten sich Ras Tafaris. Rastamänner oder Rastas. Unter den Männern, die auf der ganzen Insel die Lehre verbreiteten, war auch Leonard Howell, der 1933 in Trinityville eine öffentliche Versammlung abhielt, in der er gegen die englische und die jamaikanische Regierung sprach. Er soll zudem ungefähr 5000 Fotos von Haile Selassie zu einem Shilling das Stück unter seine Anhänger verkauft haben. Das Foto galt als "Reisepaß" für die nicht mehr ferne Heimkehr nach Äthiopien. Dieses Ereignis machte die Rastas mit einem Schlage auf der ganzen Insel bekannt, und die kleine herrschende Schicht auf Jamaika traf die Frucht, hier könne eine Keimzelle von revolutionären Untrieben sein. Babylon, der Ort, an dem das auserwählte Volk - als das sich in diesem Zusammenhang die Rastas sehen - in Knechtschaft gehalten wurde, ist Jamaika. Doch Babylon ist auch synonym mit Regierung, Polizei, offizieller Kirche. "Ich höre die Worte des Rastamanns, der sagt - Babylon, dein Thron geht unter Dein Thron ist untergegangen... Ich sage, fliegt fort, heim nach Zion... Eines hellen Morgens, da mein Werk getan, fliegen wir heim nach Zion..." ("Rastaman Chant") Die Rückkehr ins Gelobte Land, wie unrealistisch sie auch sein mag, bleibt für die Rastas das erhoffte Lebensziel und wurde zum Thema vieler Reggae-Songs. Leonard Howell kam ins Gefängnis, wurde jedoch zwei Jahre später wieder entlassen und gründete die "Äthiopische Erlösungsgesellschaft". 1940 wurde er Anführer einer Gemeinde, die sich westlich der Hauptstadt Kingston in Pinnacle, einer auch zu Fuß nur unter Gefahren zu erreichenden, unwegsamen Gebirgsgegend, niederließ. Dort baute man Marihuana an, und die Rastas, die - wie das Alte Testament gebot - ohnehin ihre Haare nicht schnitten, begannen sie zu Zöpfen zu flechten, nachdem sie Bilder von Massai- und Somali-Kriegern aus Ostafrika gesehen hatten. In der Formelsprache dieser Minderheit wurde das Wort "dread" - Schrecken, aber auch Ehrfurcht erregend - zur Selbstkennzeichnung. Ihre langen Locken nannten sie Dreadlocks. Aus dem 3. Buch Moses bezogen sie ihre Lebensregeln, Speisegebote und Hygienevorschriften. Zur Rechtfertigung des Ganjagenusses zitieren sie den 9. Vers des 18. Psalm: "Dampf ging auf von seiner Nase und verzehrend Feuer von seinem Munde." Obwohl ihre Grußformel und Lebensmaxime "Peace and Love", "Frieden und Liebe", hieß, gerieten sie doch immer wieder in Konflikt mit der Autorität, weil ihre Lebensweise so extrem alternativ war. Da sie staatliche Institutionen ablehnten, forderten die Rasta von Pinnacle von benachbarten Bauern Steuern und überfielen deren Ganja-Felder. 1941 und 1954 wurde Pinnacle daher von der Polizei ausgehoben. Die Anhänger des eigenwilligen Kults wurden in die Slums von Kingston verschleppt. Wenn auch die Grundauffassungen der Rastas gleichblieben, so entstanden in den Slums der Hauptstadt - seit Mitte der fünfziger Jahre - die unterschiedlichsten Rasta-Gruppierungen, und die Sekte mag heute gut hunderttausend Mitglieder zählen. Bob Marley hat nie genau berichtet, wie er mit den Rastas in Berührung kam, es geht jedoch die Geschichte, er sei in den frühen sechziger Jahren Mortimo Planno, einem führenden Mitglied der verzweigten Rastagemeinde, begegnet. Er sei aufgewachsen, um ein Rastamann zu werden, hat Marley einmal gesagt, und: "Wenn man sich verändert, dann kann man sich von Babylon in Rasta ändern, aber niemals von Rasta in etwas anderes. Wenn die Wahrheit in dir erwacht ist, kannst du nichts tun, als die Wahrheit zu akzeptieren." Auf der programmatisch "Natty Dread" genannten LP wird im Titelsong das Selbstbewußtsein des Rastas gefeiert, und Marley singt: "Man muß viele Straßen entlangwandern, bis man auf den richtigen Weg gerät." Doch er schließt, wie immer, optimistisch: "Natty Dread findet seinen Weg aus Babylon. Wir werden leben können, wie wir leben wollen." Die Sprache der Rastas ist ein seltsames Gemisch aus Jamaika-Englisch, Bibelzitaten, Spruchweisheiten und afrikanischen Wörtern. In ihrem Selbstverständnis wird der Gebrauch ursprünglich diskriminierender Wörter im Sinne von "dread is beautiful" zur Bewältigung der unverschämten Überheblichkeit aller Unterdrücker. "I and I", sagen sie. Das Schluß-I von Ras Tafar-I entspricht für sie dem englischen I gleich ich. "Ich und ich" meint "ich und du", "ich und Gott", meint "wir", die wir alle zusammen "I" sind, und "I" wiederum, ist Ras Tafar-I, ist Haile Selassie I., ist Gott, Jehowa, Jah. Für unsere Rationalität ist das nur schwer einsichtig, wird aber allzu leicht abgetan als im Ganja-High vernebelte Logik. Der Sprachwitz der Rastas ist überdies nicht zu unterschätzen, und der spielerische Unernst so mancher ihrer Aussagen entzieht sich unserem Verständnis. "Da white man understands, but da black man overstands" - dieser Spruch mag vielleicht von einem Rasta stammen. Haile Selassie kam 1966 zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Jamaika. Am 21. April erwarteten ihn 100.000 Menschen - darunter 10.000 Rastas - am Flughafen. Es war ein regnerischer Morgen, doch die Rastas sagten: "Sobald unser Gott eintrifft, wird der Regen aufhören." Und tatsächlich, als die Maschine landete, schien die Sonne. Aus der fieberhaften Erwartung des leibhaftigen Gottes und einer unzerstörten Hoffnung auf eine jetzt unmittelbar bevorstehende Repatriierung entstand ein ungeheurer Tumult, und der Kaiser, der von alledem nichts verstand, weinte vor Rührung und konnte eine halbe Stunde lang sein Flugzeug nicht verlassen. Da die Polizei machtlos war, wurde der Rasta Mortimo Planno gebeten, dem König der Könige zu ermöglichen, das Flugzeug zu verlassen. Der Besuch des Negus auf ihrer Insel half den Rastas, ihr Schicksal als Verbannte ein wenig leichter zu ertragen, und nach dem Staatsbesuch erhielt ihre Sekte neuerlich erheblichen Zulauf. Als der ein Jahr zuvor gestürzte Kaiser im Jahre 1975 starb, akzeptierten die Rastas seinen Tod nicht, sondern sagten ganz einfach: "Wie kann Gott sterben?" Gut einen Monat nach dem Tod der Erlöserfigur Haile Selassie trat Bob Marley im Stadion von Kingston zusammen mit Stevie Wonder auf und intonierte eine Hymne, die alle Anwesenden, ob Rasta oder nicht, verstehen und akzeptieren konnten: "Gott lebte, lebt und wird weiterleben!" "Die Wahrheit mag Anstoß anregen, aber sie ist keine Sünde Der, der zuletzt lacht, Kinder, der wird Sieger sein Dumm ist der Hund, der den Vogel anbellt, der fliegt Es muß das Schaf lernen, Kinder, den Hirten zu achten... Jah lebt, Kinder, ja Jah-Jah lebt, Kinder, ja! (`Jah Live") Ein tägliches Rastagebet lautet: "So preisen wir unseren Gott, Selassie I, den ewigen Gott, Rastafar-I: erhöre uns und hilf uns und lasse dein Antlitz leuchten über uns, über deine Kinder." Der schwarze Mann ist die Reinkarnation des alten Israel, die Rastas sind die wahren Israeliten, und sie wurden einst von Gott für ihre Sünden mit der Sklaverei durch die Weißen und mit dem Exil auf Jamaika - Babylon - bestraft. Sie sind zwar längst rehabilitiert, aber die Tricks der Weißen haben ihre Rückkehr in die Heimat Afrika bisher verhindert. Die Weißen haben auch Gott für sich in Anspruch genommen: der weiße Gott jedoch ist der Gott des Bösen, verantwortlich für Haß, Blut, Unterdrückung und Krieg. Der weiße Mann ist geringer als der schwarze, er steht unter ihm, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die richtigen Verhältnisse wieder hergestellt sind. Die meisten Rastas steuern dies Ziel jedoch nicht etwa an, indem sie den gewalttätigen Aufstand propagieren, sondern in Gelassenheit und einer Lebensweise, die ihrer Ansicht nach rechtschaffen sein muß, glauben sie, auf den Tag der Wahrheit hoffen zu können. Ganz und gar ist ihre Haltung nicht die der Resignation und des Wartens auf ein besseres Leben nach dem Tode - die Erfüllung der verdienten Ansprüche ist schon auf Erden zu erreichen. Ganz eigenwillig interpretieren sie ihr heiliges Buch, die Bibel. In der Regel benutzen sie Übersetzungen aus dem Amharischen. Die apokalyptischen Teile aus Matthäus und Markus haben besondere Bedeutung, die Offenbarung ist der zentrale Text. Aber die Rastas sind in gewisser Weise auch unabhängig von der Bibel, denn: Der Mensch existierte schon vor ihr, also war und ist sein Wort wichtiger als das geschriebene. Und aus der Alltagswirklichkeit, die zudem sehr häufig ihre eigenartige Beurteilung von Ganja-Rauch beeinflußt erfährt, werden Ideen geboren, die man ohne Rücksicht auf den Kontext durch Bibelstellen beweist oder Zitate belegt. Bob Marley, Sohn einer Schwarzen und eines Weißen, ist nie als Vertreter extremer Rasta-Dogmen aufgetreten, sondern hat immer eher versöhnliche Töne gewählt. "Wir müssen zu einer universellen Liebe kommen, in der man sich frei bewegen kann, in der man leben und lieben kann", sagte er. "Es gibt viele Leute, die nicht Rastas sind, und es nicht meine Aufgabe zu hassen. Meine Aufgabe ist nicht zu kritisieren, daß einer nicht Rasta ist, sondern ich kann höchstens sagen, was Rasta ist." "Dread hat eine Aufgabe vor sich Muß seine Mission erfüllen Ihm etwas anzutun, mag ihr größter Ehrgeiz sein Doch wir werden überleben in dieser Welt der Auseinandersetzung Denn was auch immer sie tun mögen Natty Dread wird es überstehen..." ("Ride Natty Ride") Die Rasta-Brüder, die anfangs im unzugänglichen Innern der Insel oder an den Stränden der Südküste wohnten, wurden zum echten Problem erst dann, als man sie in die Gettos der Hauptstadt gebracht hatte. Ihre kommunale Lebensweise, ihr provozierendes Auftreten und das demonstrative Rauchen von Ganja mußten denjenigen ein Dorn im Auge sein, die für "law and order" sorgten, um ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen. Mochten Rastas auch des öfteren gegen Weiße und ihr anmaßendes Auftreten wettern, so schadeten dem Touristen-Zustrom auf die Insel wohl weniger die Existenz von durchaus exotisch wirkenden Rastas als vielmehr die politischen Machtkämpfe, die rigoros auch mit Waffengewalt ausgetragen wurden. Die Rastas, eher an ihrer symbolischen Heimstatt Afrika orientiert als am politischen Tagesgeschehen in Kingston, versagten sich strikt die Teilnahme an Politik. "Politik und Kirche sind dasselbe", sagte Marley. "Sie halten die Menschen in Unwissen." Und er sang: "Laß nie einen Politiker dir einen Gefallen tun - er wird dich dafür nur in alle Ewigkeit regieren wollen." Die sich stetig wiederholenden Absagen an die Regierenden, an alle, die Politik als ihr schmutziges Geschäft betreiben, haben gewiß einen nicht unerheblichen Anteil daran, daß die Reggae-Musik, die in so hohem Maße von Rasta bestimmt ist, weltweit ihre Anhänger gefunden hat. Diese fielen nicht nur der hypnotischen Sinnlichkeit der Musik anheim, sondern sie konnten die Verweigerung an das Establishment, die aus den Texten nicht nur Marleys sprach, nur allzu leicht nachvollziehen. "Rasta macht bei eurem Ratten-Rennen nicht mit!" ist die deutliche Botschaft des Liedes "Rat Race" von der LP "Rastaman Vibration". "Es ist eine Schande, die Menschen wie die Ratten rennen zu sehen", singt Marley, und: "Politische Gewalttätigkeit regiert in eurer Stadt / Aber auf Rasta könnt ihr nicht zählen / Denn Rasta arbeitet nicht für die CIA..." Die Sklaven haben gelitten, die Nachkommen der Sklaven litten und leiden. Das schwarze Selbstbewußtsein, das sich in Rasta so eigentümlich ausprägt, widersetzt sich dem Leiden, beschwört aber auch durch die radikale Eigenart seines Anspruchs und seiner Weltsicht Opposition. Vielleicht ist das "Peace and Love" der frühen Rastas von einem Amerikaner nach San Francisco gebracht worden, wo es zum Motto der Hippie-Bewegung wurde. Ende der siebziger Jahre verbreitete sich die Musik der kleinen Karibik-Insel immer mehr über die Welt, und viele derer, die sich über diese Musik hermachten, weil sie ahnten, daß sich mit ihrer modischen Aufbereitung Geld machen ließe, taten so, als seien sie Rastas. Auch auf Jamaika wurde es plötzlich Mode unter den jungen Leuten, sich die Locken wachsen zu lassen und an jeden Satz ein Rastafar-I anzuhängen. Die echten Rastas warteten nicht tatenlos auf die Rückkehr nach Afrika, sondern verwirklichten in ihren Kommunen eine landwirtschaftliche Alternativgesellschaft - ganz sicher beeindruckt das so manchen bei uns, der sich den Grünen zurechnet. Den Rastas war es manchmal in den Gettos gelungen, ihren erheblichen Anteil dazu beizutragen, daß ein unsinniger Krieg zwischen den Anhängern der rivalisierenden Parteien ein Ende fand. "The War Is Over" - dank Rastas Einsatz für den Frieden. Viele, die sich in unserer Gesellschaft nicht wohl fühlen, weil sie die Verteilung von Macht - und Geld - auch bei uns für ungerecht halten, mögen sich durchaus vorkommen wie Ausgestoßene, Verschleppte in Babylon. Das Gespenst eines drohenden Krieges, die Furcht vor den eventuell nicht zu bändigenden atomaren Kräften, die für Energiegewinnung in die Zügel genommen werden sollen, die Arbeitslosigkeit und die zunehmende Sinnentleerung der Ideale vorangegangener Generationen angesichts weltweit existenter und drohender Probleme - all das mag dem Rasta-Gedanken, der doch eigentlich nur für eine Außenseitergruppe auf der Insel Jamaika galt, jene Massen von Anhängern gebracht haben, die sich mit ihm identifizieren können oder es doch zumindest glauben. Die Rasta-Bewegung, die auf ihre eigene Weise antiautoritär ist und auf Führer verzichtet, fand in Bob Marley einen musikalischen Missionar, dem es gelang, durch sein Charisma eine grundlegende Bereitwilligkeit zu schaffen, Verständnis aufzubringen für die Problematik der Außenseiter auf der Karibik-Insel. Doch schnell wurde denen, die zuhörten, bewußt, was Marley zu sagen hatte. Es wurde ihnen bewußt, daß es auch sie betraf. Zuversicht, aber auch den unbeugsamen Willen zum Widerstand konnte man von ihm lernen. Sein Witz war ganz sicher auch dem Einfluß des Heilkrauts der Völker zu verdanken, von dem er in wahrer Rasta-Manier Unmengen qualmte. Ein Messias war er gewiß nicht, aber doch einer, der zum Leben immer ja gesagt hat. Er hat sich am Positiven orientiert, und damit angesteckt. Ihm ging es nicht um das Überleben nur der Schwarzen, sondern um das Leben und das Überleben aller der, "die nichts haben" - eine Songzeile - aller derer, "die das Beste in sich tragen", aller schwarzen Schafe. Bob Marley war ein Rastamann im Exil. "Rastamann, sei lebensfroh, Rastamann, gib nie auf... erhalte dir deine Kultur und fürchte dich nicht vor den Geiern, ... rastaman don't give up... keep your culture... don't be afraid of the vulture..." ("Rastaman Live Up"). 1979 nahm Bob Marley diesen Titel zusammen mit Lee Perry für sein eigenes Label Tuff Gong auf, und die Single erschien nur auf Jamaika. Roots, Rock, Reggae "Play I some music This is reggae music Roots Rock Reggae This is reggae music He Mr. Music Sure sound good to me What to be got to be Feel like dancing, dance cause we are free..." "Spiel ich mal Musik Dann ist's Reggae-Musik Roots Rock Reggae Das ist Reggae-Musik He, Mr. Music, das klingt gut Was sein muß, muß sein Hab' Lust aufs Tanzen, tanzen, denn wir sind frei..." Es ist ein simpler Song, den Bob Marley auf der LP "Rastaman Vibration" singt, ein Song, der die Qualitäten jener Musik preist, die seine Musik war: Reggae. Reggae, der seine Wurzeln hat und diese weder verleugnen kann noch sollte - Reggae, der seinen Einfluß in der Rockmusik geltend macht. Auch Hinweise auf die Hitlisten sind in diesem Song zu finden, und gemeint sind damit die internationalen Auflistungen erfolgreicher Schallplatten, nicht die lokalen Jamaikas - die sind eh zu schnellebig, denn auf ihnen werden, wenn überhaupt, eher die Eintagsfliegen des Musikerfolgs registriert. "Roots, Rock, Reggae" - wo hat die Musik Marleys ihre Wurzeln? Wie der Blues der schwarzen Amerikaner ist auch Reggae die Musik eines unterdrückten Volkes, Musik der Nachkommen von Sklaven. Im 16. Jahrhundert blühte der "große Ringhandel", der für lange Zeit das Wirtschaftsgefüge der westlichen Welt beherrschte. Billige Fertigwaren wurden von Europa nach Afrika exportiert. An der Küste von Westafrika wurden für den Erlös Sklaven gekauft (oder auch direkt eingefangen). Diese Sklaven transportierte man über den Atlantik und tauschte sie auf den Westindischen Inseln oder in Amerika gegen Mineralien und Nahrungsmittel. Und die wiederum wurden mit großem Gewinn in Europa verkauft. Was nun Jamaika betrifft, so wurde dort im 18. Jahrhundert der Rohrzucker zur Monokultur, und in Europa verteidigte der französische Staatswissenschaftler Montesquieu die karibische Sklaverei mit den lapidaren Worten: "Sklaven müssen sein, sonst wäre der Zucker zu teuer." Hemmungslose Menscheneinfuhr und ebenso hemmungslose Monokultur bedingten einander, die Großplantagenwirtschaft war nur lohnend bei zahlreichen Billigarbeitskräften. Die Liaison zwischen Argrarfeudalismus und Leibeigenschaft wurde jedoch gewiß nicht für ein Übel gehalten, sondern man sah in ihr den Grundpfeiler des Merkantilismus. 1807 wurde der Sklavenhandel abgeschafft, 1838 das Sklavenhalten verboten. 1962 wurde Jamaika unabhängig von Großbritannien, blieb aber Mitglied im Commonwealth. Es ist nicht leicht, in der jamaikanischen Volksmusik afrikanische Melodien nachzuweisen. Diese sind nur noch in manchen religiösen Hymnen der sogenannten Afro-Kulte zu ahnen. Mannigfaltige afrikanische Bezüge sind jedoch in der Rhythmik der jamaikanischen Musik deutlich, ferner in der Art antiphonen Singens, dem Wechsel zwischen Vorsänger und Chor. Die Instrumente, vor allem Trommelformen und ihre Ensemble-Bildungen, Rasseln und einige Flöten, haben eindeutige afrikanische Vorbilder. Aber diese Instrumente und die Musik, die mit ihnen gemacht wird, müssen immer auch als eigenständige Entwicklungen durch die Akkulturationsprozesse auf Jamaika verstanden werden. Es ist kaum anzunehmen, daß den Sklaven erlaubt war, ihre Instrumente aus Afrika mitzubringen. Das Banjil, wahrscheinlich Vorläufer des heutigen Banjos, zahlte zu jenen Instrumenten, mit denen sich die Sklaven musikalische Abwechslung von der unerhört harten Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern schufen, auf denen sie, erbarmungslos angetrieben von der Peitsche des Aufsehers, den Rohrzucker ernteten. In dem Song "Slave Driver" erinnert Bob Marley an die Zeit der Erniedrigung, und diese Erinnerung an die Vergangenheit dient ihm wohl auch dazu, seinen afrikanischen Wurzeln näherzukommen. "Sklaventreiber", singt er, "das Blatt hat sich gewendet... immer wenn ich das Knallen einer Peitsche höre, läßt es mein Blut gefrieren... ich erinnere mich an das Sklavenschiff... wie sie uns brutal bis in die Seele quälten..." ("Slave Driver"). Afrikanisches durchsetzt die gesamte Folklore Jamaikas. In der Sprache der Bevölkerung, besonders in der eigentümlichen Spezialsprache der Rastas, in Sitten und Gebräuchen, in der Volksmedizin, in religiösen Vorstellungen und Handlungsweisen, in Geschichten, Fabeln, Märchen sind afrikanische Elemente immer wieder anzutreffen. Eine besonders im 18. Jahrhundert lebendige Gattung von Volksmärchen waren die "Anansi-Stories". Die Spinne Anansi oder jamaikanisch "Miss Nancy" ist eine trickreiche Figur mit menschlichen Zügen. Als Einheit von Geschichte, Lied und Tanz waren die "Nancy-Stories" eine gemeinschaftliche dramatische Aktion, die zu vielen Gelegenheiten - so etwa auch in den knappen Pausen während der Feldarbeit - stattfinden konnte. Die harte körperliche Arbeit erleichterten sich die Sklaven zudem ein wenig durch gemeinsames Singen von Arbeitsliedern, die überdies zum Teil noch den Sinn hatten, den Arbeitstakt anzugeben. Gewöhnlich intoniert ein Vorsänger - der "bomma" - das Lied, und die Arbeiter antworten im Chor mit kurzem Refrain - dem "bobbin" -, der oft nur aus sehr wenigen Worten besteht. Viele dieser Arbeitslieder wurden so sehr Gemeingut der traditionellen Volksmusik, daß die Grenzen zwischen ihrer funktionalen Bindung an die Arbeit und ihrer sonstigen Verwendung verfließen. Zudem gibt es auf Jamaika eine Unzahl von Tanzliedern und Tanzformen, unter denen besonders der "Mento" hervorzuheben ist, der sich womöglich bis auf die Ureinwohner, die Arawaken, zurückführen läßt. Der Vers des Mento besteht aus zwei bis drei, höchstens vier Zeilen und einem wiederholten Refrain. Die spontane Erwähnung von Dingen und Ereignissen sowohl des täglichen Lebens wie auch historisch bedeutsamer Geschehnisse ist in diesen Texten konzentriert. Die im Mento-Tanzschritt einfache, aber stetig durchgehaltene Verlagerung des rhythmischen Gewichts auf die unbetonten Taktteile des 2/4- oder 4/4-Taktes bewirkt den Eindruck permanenter Synkopenbildung, die durch den Sprachakzent verstärkt wird. Diese Verlagerung - die auch im Reggae so typisch ist - erzeugt in der Musik eine Art Dauerspannung, welche die Körperbewegung geradezu erzwingt. Viele jamaikanische Lieder sind realistische Beschreibungen des Alltags und kämpferische Auseinandersetzung mit den sozialen Verhältnissen. Aber auch die satirische Aufarbeitung der Realität und eine nur Eingeweihten verständliche, gleichnishafte Darstellung von Ereignissen sind typisch für die Tradition jamaikanischer Volksmusik. Erfreulicherweise bricht jedoch auch immer wieder die einfache und elementare Lebensfreude der Schwarzen in ihrer Folklore durch und bietet eine Ablenkung von den konkreten Nöten des Daseins. Kein Anlaß ist zu gering, um nicht in Lied und Tanz seinen naiv-fröhlichen und unbeschwerten Ausdruck zu finden. Auf der LP "Catch a Fire" finden sich neben den aufbegehrenden und sozialkritischen Songs ganz einfache Liebeslieder wie "Baby, We've Got A Date". Das "date" findet statt "at quarter to eight" und Marley verspricht, es werde die ganze Nacht gerockt, und das bedeutet nicht nur: getanzt - sondern gewiß auch: geliebt. In die Volksmusik Jamaikas, die aus den vielfältigsten Ursprüngen gewachsen ist, bricht nach dem Zweiten Weltkrieg Musik aus den Vereinigten Staaten ein. Besonders die von Miami aus operierenden Radiostationen spielen Mitte der fünfziger Jahre Rhythm & Blues-Programme. Die Unterhaltungsmusik, die kommerziell auf der Insel selbst produziert wurde, war kaum anderes als seichte Hintergrundmusik zum Urlauberparadies, Musik zum Touristentraum von rauschenden Palmen, silberweißen Stränden und azurblauer See. Man spielte koffeinfreien Calypso, hochglanzpoliert zum provokationslosen Ohrenschmaus. Der jamaikanische Mento, gröber, einfacher und in seiner sexuellen Direktheit auch provokativer, war damals von den Baptisten und der protestantischen Kirche geächtet, und man sorgte dafür, daß die beste, die volkstümlichste Mento-Musik nicht über die Grenzen der Hinterhöfe und Hütten der einfachen Leute hervorklang. Es sei an dieser Stelle erwähnt, daß zu den Wurzeln des Reggae gewiß auch die Kirchengesänge religiöser Minderheiten-Sekten zählen. Für sie ist ebenfalls der antiphonale Stil typisch. Ein paar Takte werden von dem Lead-Sänger, meistens dem Priester selbst, vorgesungen, dann antwortet eine Gruppe der Gemeindemitglieder in Harmonie mit der Grundmelodie des jeweiligen Liedes. Bei diesen Gesängen steigerte man sich oftmals zu Höhepunkten gegenseitiger Erregung, so daß es durchaus legitim erscheint, von einem Musik-Erleben zu sprechen. Für die Wailers ist der Wechselgesang zwischen Bob Marley und den I-Threes neben der unverkennbaren Rhythmus-Arbeit der Barrett-Brüder und der Stimme Marleys das wohl charakteristischste Element. Die neue Musik jedenfalls, die aus den USA herüberschallte, war laut und aufrührerisch, rhythmisch und zum Tanzen animierend. Und eine gängige Theorie vom Ursprung der Musik, die sich später über den Ska, den Blue Beat, den Rock Steady zum Reggae entwickelte, nennt eben diesen amerikanischen Einfluß entscheidend. Als man begann, die jamaikanische Volksmusik, orientiert an amerikanischen Vorbildern, zu "elektrifizieren", d. h. sie mit den modernen Instrumenten zu spielen, war die Grundlage gelegt zur musikalischen Eroberung der Welt. Man sagt auch, die Session-Musiker in den Studios von West-Kingston seien verantwortlich für den bestimmten Stil der Jamaika-Musik, hatten sie doch in der ihnen eigenen, besonders lässigen Art den R&B-Beat zu jenem Shuffle-Rhythmus verändert, der durch die Bläsergruppe akzentuiert wurde, die ihr Riff auf dem Off-Beat gründete. Auch wurde die Betonung des Baß immer stärker. Typisch für jene Zeit ist ein Song, den Bob Marley für Coxsone Dodds Studio One-Label aufnahm: "Love And Affection". "Marley kam vorbei", sagt Dodd, "und sang zwei bis drei Stunden. Zwei Wochen später kam er dann wieder und arbeitete an demselben Song. Er hatte Gelegenheit, seine Vorstellungen zu realisieren, ohne daß Druck auf ihn ausgeübt wurde." Die Skatalites waren die legendären Bläser, unter ihnen Don Drummond und Rico Rodriguez. Von den Pyramids, einer Reggae-Gruppe, stammt die Erläuterung: "Unsere Musik beruft sich auf musikalische Stilrichtungen von Schwarzen auf der ganzen Welt. Diese Techniken bilden eine musikalische Sprache, die bestimmte Leute entwickelten, um ein Gefühl zu vermitteln. Lynn Tait, der erste, der die Reggae-typischen Gitarren-Riffs gespielt hat und eine zweite Gitarre einsetzte, entdeckte den Beat, den man Ska nennt. Tait hat seine musikalische Erfindung nur zu gern seinen schwarzen Brüdern überlassen." Jene schwarzen Musiker hatten ein gemeinsames Ziel: Sie wollten fort von dem übermächtigen Einfluß der USA, und sie wollten das Feeling ihrer Heimat und ihrer Existenz mit Hilfe einer Musikform ausdrücken, die den Menschen auf den Straßen und in den Gettos verständlich war. Jedenfalls traf das Aufkommen des "Neuen Beat" aus West-Kingston zusammen mit einem Mangel an R&B-Platten aus den USA und der Einbeziehung von Schlagzeug und elektrischen Instrumenten bei den meisten Bands Jamaikas. Da sich diejenigen, die eine Karriere als Musiker wollten, weil sie sich von ihr den einzigen Fluchtweg aus der Armut versprachen, keine eigenen Instrumente kaufen konnten, waren sie angewiesen auf die Studios, in denen diese vorhanden waren. Daraus erklärt sieh die Tatsache, daß es weitaus mehr Sänger als Instrumentalisten in der Musikszene Jamaikas gab, zumindest in jenen Tagen. Auch die Wailers waren lange nur eine Vokalgruppe. Für die Wailers bot sich die entscheidende Chance, als Chris Blackwell Bob Marley begegnete. Der Jamaikaner Blackwell stammt aus einer reichen weißen Kolonialfamilie, aber er hatte seine eigenen Vorstellungen und seinen eigenen Willen. Er gründete seine Schallplattenfirma Island nicht in großem Stil in Londons West-End, sondern begann mit Verkaufständen auf den Märkten in Dalston und in der Portobello-Road. Eine schöne Geschichte, ob sie nun wahr ist oder nicht, weiß zu berichten, als Kind habe sich Blackwell verirrt und sei in einem Rastalager an einem Fluß gelandet. Dort habe er, der Weiße, an eigenem Leib erfahren, daß die Rastas, die Buh-Männer, des Establishment, hilfreiche, freundliche Menschen waren, die ihm zu essen gaben und ihn wieder auf den rechten Weg führten. Mag er die Rasta-Botschaft verstanden haben oder nicht, an sie glauben oder nicht, jedenfalls glaubte er an Marley - und bewies ungemein viel Geschäftssinn. Er finanzierte den Wailers ein Stereo-Album unter Bedingungen technischer Art, wie sie bis dahin auf Jamaika unbekannt waren. Zudem ließ er ihnen so viel Zeit, wie sie wollten. Bis hin zum Album-Cover, dem cleveren Design eines Feuerzeugs, war das Marketing perfekt. Verpackung und Inhalt wurden - für Reggae - unerhört erfolgreich. Marley und die Musik der Wailers wurden unter anderem von einem Rock-Publikum auch deswegen akzeptiert, weil auf diesem Album, das den Titel "Catch a Fire" trug, auch Rock-Gitarrentöne zu hören waren. Der amerikanische Sessionmusiker Wayne Perkins hatte die für die Wailers-Musik bis dahin ungewohnten Klänge beigesteuert. Von diesem Zeitpunkt an waren es wechselnde amerikanische Gitarristen, die auf Platte und live der Wailers-Musik jene zusätzlichen Akzente gaben, die sie zwar nicht verfälschten, aber doch so prägten, daß neue Publikumsgruppen gewonnen werden konnten. Fast ebenso wichtig wie Blackwell erwies sich - zumindest im Jahr 1973 - ein Mann namens Eric Clapton für die Wailers. Er machte einen Song mit dem Titel "I Shot The Sheriff" zum weltweiten Single-Hit, der sich millionenfach verkaufte. Ursprünglich hatte dieser Titel "I Shot The Police" lauten sollen, doch Marley, der einleuchtenderweise behutsam mit seinen Aussagen über den Konflikt zwischen Rastas, rebellischer Straßenjugend und Polizei umgehen mußte, wählte das unverfänglichere Wort "sheriff". Es ist durchaus anzunehmen, daß die wirkliche Bedeutung des Songs den wenigsten jener Käufer klar wurde, die Claptons Version erstanden. Das Lied beschreibt eine Notwehr-Situation: "Sheriff John Brown haßte mich schon immer - ich weiß nicht, warum. Wann immer ich eine Pflanze setzte, befahl er: Töte sie, bevor sie wächst." Dies ist einerseits eine direkte Anspielung auf Marihuana in der Sprache der Rastas, zu denen sich Marley inzwischen unbedingt zählte, "erb" genannt (das Heilkraut der Völker) - andererseits aber auch allgemeine Anklage gegen jegliche Art von Unterdrückung. Bob Marley wendet sich gegen die Brutalität der Macht, gegen das Symbol John Brown, den Sheriff. Aber er betont ausdrücklich in seinem Text, daß er nicht das ausführende Organ, den "deputy" meint. Er bekennt sich zum Widerstand und sagt: "Wenn ich schuldig bin, werde ich dafür bezahlen..." Die simple und überzeugende Motivation für die Notwehr formuliert er am Schluß: "Der Krug geht solange zu Wasser, bis er bricht." "Man hat Reggae-Musik immer wieder ausgebeutet und betrogen", sagte er mir in einem Interview. "Man wollte sie umbringen, aber sie ist wie ein Samen, aus dem immer wieder eine neue Pflanze wächst, von deren Früchten wir uns ernähren können." Der internationale Erfolg, den Clapton zu verzeichnen hatte, ebnete jedenfalls den Weg für die Musik, die aus der Hitze der Karibik kam. Plötzlich erwachte das Interesse an dem eigenartigen Rhythmus, den anfangs, aber auch noch später viele als zu monoton bezeichneten und von dem man sagt, daß ihn so recht und richtig kein Weißer spielen könne, weil er eben empfunden werden müsse und nicht als Technik erlernbar sei. Inzwischen ist es unmöglich, auch nur versuchen zu wollen, jene internationalen Rockstars zu nennen, die sich vom Reggae haben inspirieren lassen. Kaum eine LP Ende der siebziger Jahre, die nicht zumindest einen Reggae-Titel zu verzeichnen hatte. Leider muß man jedoch sagen, daß kaum einer dieser Adepten an die Meister heranragte. Aber besonders erfreulich ist, daß sich aufgrund der weltweiten Verbreitung, die Reggae in erster Linie Bob Marley verdankt, eine Unzahl von jamaikanischen Gruppen etablieren konnte, weil die Nachfrage nach ihrer Musik stieg. Desmond Decker, Jimmy Cliff, Toots, um nur drei Veteranen zu nennen - sie alle erlebten neues oder erstes Interesse an ihrer Musik. Die frühen siebziger Jahre waren schließlich auch fade gewesen, was die internationale Musikszene betraf, und man wartete geradezu auf einen neuen Trend. Auf der dritten Island-LP der Wailers, "Natty Dread", die mehr noch als die beiden vorangegangenen Platten Rasta-Bewußtsein und -Zugehörigkeit formulierte, findet sich ein Song, der aus der Lethargie weckt: "Kommt ingang, werdet lebendig, wacht auf und seid nicht so langweilig... you rock so, you rock so, like you never did before, you dip so, you dip so... cause reggae is another bag." Von diesem Song, den die Wailers in ihren Konzerten niemals ausließen, wurden viele aufgeweckt: "Lively Up Yourself". Seine Wurzeln hatte Bob Marley auf Jamaika, und dort eher auf dem Lande als in der Stadt. Seine "roots" hatte er aber auch ebenso wie die Musik, die er spielte, in Afrika. Manche, die Reggae-Musik machten und ihre Insel kaum je verließen, mögen gemeint oder gesagt haben, Marley sei nicht mehr "roots", er habe seine Musik an die Bedürfnisse der internationalen Rock-Szene angepaßt. Dies zu behaupten, ist jedoch ungerecht. Marley ist sich treu geblieben: Er hatte etwas zu sagen, und immer mehr wollten hören, was er zu sagen hatte. Er braucht sich nicht gefallen zu lassen, als Rattenfänger aus Kingston bezeichnet zu werden. Er wollte diejenigen, die klagend, aber auch zuversichtlich mit ihm sangen, nicht in die Leere, die Ausweglosigkeit verführen, sondern sie zur Hoffnung motivieren. Seine sanfte Rebellion brauchte sich nicht der Autorität zu bedienen, sondern sie hatte Überzeugungskraft. Die "positive vibrations", die er besang und auch ausstrahlte, erfaßten die meisten, die sich ihnen aussetzten: "Die Sonne scheint, das Wetter ist schön, man möchte sich bewegen, die Füße wollen tanzen... wenn am Morgen sich der Regenbogen formt... auch ich bin ein Regenbogen..." ("Sun Is Shining"). Kreuzzug aus der Karibik "There's a natural mystic blowing in the air If you listen carefully now you will hear This could be the first trumpet - might as well be the last Many more will have to suffer, many more will have to die Don't ask me why... Things are not the way they used to be, I won't tell no lie One and all have to face reality now..." "Ein natürlicher Zauber weht in der Luft Wenn ihr aufmerksam lauscht, werdet ihr ihn hören Dies könnte die erste Trompete sein - doch ebensogut die letzte Noch viele mehr werden leiden müssen, viele mehr werden sterben müssen Fragt mich nicht, warum Es ist nicht mehr, wie es war, und was ich sage, es ist wahr Wir alle müssen uns der Wirklichkeit jetzt stellen..." Bob Marley war ein "Natural Mystic", ein Zauberer, einer voller Geheimnisse - auch ein Mann, der vom Lande kam, der nach eigener Aussage gern Farmer gewesen wäre. "Am liebsten habe ich die Musik, die ich auf meiner akustischen Gitarre spiele", sagte er. "Ich will nur leben, mehr will ich nicht - will positiv zu jedem und allem empfinden, rein und sauber, will frei meinen Weg gehen und tun, was ich tun will." Um die Musik zu verwirklichen, die in ihm war, hatte er sich auf die ständige Auseinandersetzung mit der Stadt, dem Getto, dem Geschäftspraktiken der Musikausbeuter eingelassen. Erst die Arbeit mit Chris Blackwell und bei seiner Firma Island brachte ihm und seinen Wailers eine neue Freiheit - aber auch eine Verpflichtung: auf internationale Tourneen zu gehen, um die Musik zu verbreiten und den Plattenabsatz zu fördern. Doch Bob Marley fiel dies scheinbar nicht schwer. Zwischen 1973, als mit "Catch a Fire" das erste richtige Album der Wailers erschien, und 1975 machten sie Tourneen durch England und in den USA. Peter Tosh stieg schon nach der zweiten England-Tournee aus: erstens hatte er Bronchitis bekommen, und zweitens hatte es geschneit - für die Wailers ein Zeichen, daß Jah mit ihrer Reise nicht einverstanden war. Bunny Livingstone war ebenfalls nur noch bereit, auf Jamaika mit den Wailers aufzutreten. "Ich mag nicht auf Tournee gehen", sagte er. "Ich habe die Gruppe verlassen, denn für mich hat der Baum ein anderes Bild. Bob sieht den Baum auf seine Weise, ich sehe ihn auf andere Weise, aber es ist derselbe Baum! Es ist alles Rasta!" Marley wurde der nomadisierende Bote seiner Musik und der Rastas. Er nahm es auf sich, von Land zu Land zu fliegen, mit dem Bus durch Babylon gefahren zu werden. Gewöhnlich war er dabei von genügend Rastabrüdern und -schwestern umgeben, um sich nicht ungeschützt dem Ansturm der jeweils einheimischen Kultur auszusetzen. Aber die Weltreise in Sachen Reggae forderte auch ihren Tribut. Der Versuch, "to bring the ghetto uptown", "das Getto in die besseren Wohngegenden zu schaffen", kostete Kraft, wenn auch seine Verwirklichung Bob Marley mit Stolz erfüllt haben muß. In der Hope Road 56, dem ehemaligen Island-Haus auf Jamaika, residierte der Rasta-Clan. In der besten Wohngegend Kingston spielten die Dreads Fußball und Tischtennis, machten sie Musik und ließen Dampfwolken aus ihren Pfeifen aufsteigen. Ein rot-gold-grüner Außenposten war jenseits des Gettos entstanden. Hier herrschte nicht mehr die Armut, aber geblieben war die Gemeinschaft, war das Zusammengehörigkeitsgefühl von Menschen, die gemeinsame "roots" haben. Mit dem Erfolg in der Welt draußen wuchsen der Ruf und der Ruhm Marleys auf seiner Insel. Manche kritisierten zwar, er habe sich verkauft, entfernt von seinen Wurzeln. Doch die meisten teilten wohl die Ansicht, der internationale Erfolg sei verdient und gut, und die Musik werde nicht verkauft, sondern sie gehöre Marley, ihnen, Jamaika. Die Stimmung war gut 1976, und die Wailers brachten eine Platte heraus, die "Smile Jamaica" hieß. "Fühl mich gut, fühl mich schlecht, dies Auf und Ab blieb bei - doch dann kam ein Gefühl: `He, dread! Lächle, natty dread!" Du kannst es bringen auf Jamaika. Die Stadt hat Seele, und die Menschen haben Seele, ich sehe, du hast Spaß und tanzt zum Reggae-Rhythmus - Insel in der Sonne! Komm und lächle, du bist auf Jamaika!' Dieser Song wurde zur inoffiziellen Nationalhymne erklärt, obwohl er viel eher an die Rastas gerichtet ist, als daß er etwa nationales Selbstbewußtsein predigt. Doch es brodelte unter der Oberfläche. Ja, die politischen Machtkämpfe in den Gettos wurden so stark, daß der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Marley, der einmal gesagt hatte, die Diebe, die links und rechts von Christus ans Kreuz gebunden waren, seien vergleichbar mit den beiden politischen Parteien, die sich um die Herrschaft auf Jamaika stritten... Marley hatte sich entschlossen, nach den vielen Konzerterfolgen allerorten "back home", auf Heimatboden, ein Free Concert zu veranstalten. Michael Manley, Premier und Parteiführer der PNP (People's National Party), Widersacher von Seaga (Jamaican Labour Party), wollte dies zu seinen Gunsten ausnutzen, denn bei der zu erwartenden Resonanz mußten amtliche Stellen informiert und um Mithilfe gebeten werden. Am 5. Dezember sollte das Konzert im National Heroes' Park stattfinden, und unter den Ausnahmebedingungen ließ sich der Wahltermin kurzfristig auf den 15. Dezember verschieben. Hintergedanke: "Regierungspartei sponsert Free Concert - Wailers helfen Wahl gewinnen!" Nach eigenen Aussagen hatte Marley eine Vorahnung im Traum, und ein Song war ihm überdies eines Abends in den Sinn gekommen, der auf der Platte "Survival" erschien: "Ambush In The Night - Hinterhalt bei Nacht". Schüsse habe er im Traum gehört, aber er sei ohne Furcht gewesen, denn er habe gewußt, Jah sei sein Schild. Ihm werde nichts geschehen. Don Taylor wurde zu seinem Schild, der Manager der Wailers, als am 3. Dezember 1976 fünf Revolverschützen das Haus in der Hope Road zum Schauplatz eines Attentats machten. Taylor warf sich in die Schußbahn und wurde ebenso wie Rita Marley und ein Freund der Wailers schwer verletzt - Bob jedoch nur von einem Schuß in den Arm getroffen. Die Attentäter wurden nie identifiziert oder gar gefaßt, ebensowenig wurde endgültig geklärt, welche Motivation sie gehabt haben mögen. Marley jedoch sang: "Hinterhalt bei Nacht Geplant von der Gesellschaft Hinterhalt bei Nacht Sie versuchen, mich zu überwinden Hinterhalt bei Nacht Alles, was mit Geld zu kaufen ist Hinterhalt bei Nacht... Sie eröffneten das Feuer auf mich Doch mich schützte Gott." ("Ambush In The Night") Das Konzert fand statt. Aber danach begibt sich Bob Marley freiwillig in eine Art Exil - nach Miami. Es folgten ihm jedoch genügend Freunde, so daß er nicht isoliert war. Und auch nach London begibt er sich, wo an der nächsten LP gearbeitet wird, die passenderweise "Exodus" heißt. Der eigene Auszug von der Insel, auf der sein Leben bedroht ist, hat einen wesentlichen Anteil daran, daß die Wailers zu einer eher internationalen Reggaeband wurden, die sich in ihrer eigenen Fortentwicklung von der Musik entfernte, die man auf Jamaika machte. Während in London "Exodus" abgemischt wurde, tauchte gerade zur rechten Zeit Lee Perry auf, der mit dem Sänger Junior Marvin den Song "Police And Thieves" produziert hatte. Die Gruppe Clash sorgte für eine Speed- und Punkversion dieses Titels, und Marley zeigte sich auf gewisse Weise fasziniert vom Punkphänomen. So verschiedenartig auch die Dreadlocks und die wildgefärbten Haarbüschel der Londoner Straßenjungs und -mädchen aussehen mochten, Punks wie Rastas drückten ungeniert aus, wie sehr sie einem Leben außerhalb der konventionellen Regeln verpflichtet waren. Zu jener Zeit begann die seltsame, aber auch verständliche Koalition zwischen Punk und Reggae. Die schwarzen Diskjockeys interessierten die Punks für den Reggae, und sie fanden einen gemeinsamen Ton: die beiden ausgestoßenen Gruppen der Gesellschaft - Gegensätze ziehen sich an. Spontan ging Marley mit Perry ins Studio und zusammen mit Bandmitgliedern von Aswad wurde der Song "Punky Reggae Party" eingespielt, "New wave new phrase Going to a party And I hope you are hearty So please don't be naughty For it's a punky reggae party." Auf Jamaika hatten sich Claudie Massop und Bucky Marshall geeinigt. Die beiden Anführer der rivalisierenden Polit-Banden schlossen Frieden, jedenfalls Waffenstillstand. Man erzählt, sie hätten sich in derselben Gefängniszelle getroffen, und dort sei ihnen endlich die Einsicht gekommen, es sei das Kriegsbeil lieber zu begraben. Tagtäglich mußten zu viele junge Leute in den Gettos ihr Leben verlieren, um der Politik willen. Inzwischen sind beide tot. Claudie Massop, ein Freund Marleys, wurde von der Polizei erschossen. Im Frühjahr 1978 war er in London aufgetaucht und hatte Marley beschworen, zurückzukehren ins Babylon Jamaika, das bestimmt nicht so schlimm sei wie das Babylon anderer Orte, und zwölf Jahre nach dem Besuch des Haile Selassie ein Konzert zu geben. "One Love" sollte es heißen und im National-Stadion stattfinden. Marley sagte zu, und was sich am 22. April 1978 in Jamaika begab, war weit mehr als nur ein Konzert. Ein Dutzend Gruppen spielten, lieferten eine eindrucksvolle Palette aller Stilformen des Reggae. Doch der Höhepunkt war gegen Mitternacht der Auftritt der Wailers. Bob Marley rief, ja befahl die politischen Gegner Manley und Seaga auf die Bühne, und über seinen Dreadlocks, dem vom Establishment ebenso gefürchteten wie mißachteten Symbol der Rasta-Opposition, reichten sie sich die Hände. Man hatte Gewalttätigkeiten befürchtet, aber im Schein des Vollmonds herrschte Eine Liebe - zumindest für die eine Nacht. In seinem Song "The Heathen" hatte Bob Marley gesungen: "Der, der kämpft und davonläuft, lebt weiter, um eines Tages von neuem zu kämpfen." Auf der LP "Kaya" ist der Song zu hören, in dem sich Marley mit dem Davonlaufen auseinandersetzt: "Running Away". War er davongelaufen, hatte er seine Leute sitzenlassen? Mußte er sich Vorwürfe machen lassen? "Ich muß mein Leben schützen, nein, nein, ich renne nicht davon... es ist besser, auf dem Dach des Hauses zu leben als im Haus, wenn darin soviel Verwirrung herrscht, also hab' ich mich entschlossen und dich verlassen." ("Running Away"). Die Reisen um die Welt, bei derer Zwischenaufenthalten er seine ganze persönliche Botschaft, aber auch die Botschaft, es möge eine unterdrückte Dritte Welt Freiheit finden, musikalisch formulierte und dafür soviel Beifall erhielt, diese Reisen haben ihn ganz sicher ungeheuer angestrengt. Zwar war er immer von Gefolgsleuten umgeben, hatte immer einen Koch mit, der für ein leibliches Wohl nach Rasta-Manier sorgte. Zwar ist wohl auch ihm der Erfolg, in dem er sich sonnen konnte, ein Anreiz gewesen, die Anbetung eines Publikums, das sicherlich zum Teil ganz unkritisch kam, dem Exoten zu betrachten und anzuhören. Aber ganz sicher gab es auch Streß, eine Verantwortung, an der schwer zu tragen ist. Der "Skipper", wie sie ihn nannten, überwarf sich mit seinem Manager Don Taylor. "Don hat zu viele Tricks im Kopf", sagte er. "Aber ich laß mich nicht reinlegen, ich bin kein Narr." Der Song "Bad Card" von der LP "Uprising" mag an Don Taylor gerichtet sein. Marley mußte sich nun auch noch mit der Logistik seiner inzwischen fast ununterbrochenen Tourneen beschäftigen, und es galt, die USA zu erobern. Daß in Europa Hunderttausende teilweise mitsangen, was er ihnen vorsang, lag gewiß nicht daran, daß er denen nach den Mund redete, die eigentlich seine Sprache und seine Probleme nicht teilen und daher nicht verstehen konnten. Zeichen von Ausverkauf oder Korrumpierung durch den Erfolg waren nicht zu bemerken, und es war wohl auch gut, daß er sich wieder auf Tournee befand, denn 1980 brachen die Gewalttätigkeiten auf Jamaika von neuem aus. "Ich weiß nicht", sagte Marley dazu, "irgendwas muß an dieser Insel sein. Vielleicht wird sie zum nächsten Afghanistan. Manley, der hat was mit Kuba, und Seaga, der ist Amerika. Kuba, das sind die Russen." Inzwischen hat Seaga die Wahl gewonnen. Marley geriet in die Schlagzeilen nicht nur der Musikpresse, er wurde zum Superstar der Dritten Welt erklärt, High Society und Schickeria versuchten, ihn zu vereinnahmen, auf so mancher Party hätte man ihn gern als Ehrengast gehabt, und so manche hat er wohl auch besucht. Es erschienen Fotos von ihm beim Diskothekenbesuch mit Miss World, einer Jamaikanerin, und prompt sagte man ihr wiederum nach, sie habe ein Kind von ihm. Gewiß war er weltlichen Freuden nicht abgeneigt, eher zugetan, doch wo sie nur Schein und Fassade waren, da sah er schnell hindurch. "Pimper's Paradise" - "Paradies für Zuhälter" - das sind nicht nur die Diskotheken, sondern auch die Mädchen, die drinnen warten: "Verliert nicht den Weg, verliert nicht euch selbst, seid nicht wie Ware auf dem Regal" ("Pimper's Paradise"). Der Tourneen-Kreuzzug aus der Karibik, der musikalische Feldzug, der von Minneapolis bis nach Kopenhagen führte, schlug durch auf die Hitparaden, und besonders von dem Album "Exodus", das sich ganz in Gold präsentiert, wurden die ausgekoppelten Singles so verkauft, daß man sie Marley in vielen Ländern vergoldete. Der Erweckungsprediger Marley, der das Diesseits pries, verdiente Dollars in Massen, aber er lebte nicht wie einer der Neureichen der Rockszene. Hunderttausende soll er gespendet haben - für Schulen, für Krankenhäuser. Ein Studio baute er sich zwar, einen eigenen Plattenvertrieb auf Jamaika richtete er ein. Aber sonst? Solange er zu essen hatte, ein Dach über dem Kopf, Ganja zu rauchen, eine Gitarre zum spielen, gingen seine Ansprüche kaum darüber hinaus. Der BMW, den viele ihm vorwarfen, war eher ein Spielzeug, das schließlich von den Initialen her geradezu danach verlangte, von Bob Marley, dem Wailer, besessen zu werden. Doch er war auch Gemeinschaftsbesitz, und eines Tages mußte Marley mit Schrecken aus dem Fernseher erfahren, daß einer der Freunde, die in der Hope Road Asyl fanden, sich den Wagen für einen Bankraub ausgeborgt hatte. Als das Album "Kaya" veröffentlicht wurde, mußte sich Marley von vielen Kritikern sagen lassen, er sei weich geworden. Ganz sicher wird er sich über das Unverständnis geärgert haben. "Dies Album ist wie eine Ruhepause, die man einlegt, wenn man zu lange auf der Autobahn gefahren ist", sagte er mir. "Man muß einen Rastplatz aufsuchen, Atem schöpfen." Das Attentat muß ihn geschreckt haben, trotz allen Jah-Vertrauens, und es heißt, daß man ihm damals schon eine Zehe amputiert hatte: Anzeichen der Krebskrankheit? Das Album beginnt mit dem Song "Easy Skanking". "Verzeiht mir - aber ich zünde mir einen Joint an. Guter Gott, ich brauche eine Pause, denn die Realität macht mir zu schaffen." ("Easy Skanking"). Die LP "Kaya" mit ihren Balladen und Liebesliedern, von denen drei auch schon früher mit Lee Perry aufgenommen worden waren (der Titelsong "Kaya", "Satisfy My Soul" und "Sun Is Shining"), war also die Studio-Ruhepause, während das Tournee-Karussell sich weiter drehte und die Busfahrten durch Babylon immer länger wurden. Jetzt waren die Konzerthallen ausverkauft, wo auch immer die Wailers hinkamen. Und da dieser Streß es kaum zuließ, neue Songs zu schreiben, folgte als nächste LP dann das Doppelalbum "Babylon by Bus", wohl die kommerziell erfolgreichste Platte der jamaikanischen Gruppe, wenn auch musikalisch gewiß nicht die beste. Das erste Live-Album war eindrucksvoller, doch dieses dokumentiert dennoch, auf welche überwältigende Weise die Konzerte der Wailers bei ihrem Publikum ankamen, wo immer sie auch stattfinden mochten. Niemand weiß genau, ob Bob Marley sich 1978 und 1979 etwa schon mit dem Gedanken quälen mußte, etwa Krebs zu haben. Jedenfalls kehrte er nach den immensen Tourneen jetzt endlich nach Jamaika zurück, wo er beim großen Reggae Festival Sunsplash zum ersten Mal seit dem Friedenskonzert wieder auf heimatlichen Boden auftrat. Und er hatte sich inzwischen sein Tuff-Gong-Studio eingerichtet, exzellente Technik in der Hope Road, so daß er nicht mehr nach London oder Miami reisen mußte, um seine Platten aufzunehmen und abzumischen. Hier im Tuff-Gong-Studio entstand "Survival", ein Album, dessen Zentralthema Afrika ist, eine Platte, die militanter ist als vielleicht jede zuvor, aus der nicht mehr ganz soviel Zuversicht spricht. Sie ist rebellischer, Rasta-rebellischer. In seiner Anfangszeit hatte Bob Marley beschwörend gesungen: "We don't need no more trouble" und dieses Lied in seinen Konzerten zur beschwörenden Formel für alle diejenigen gemacht, die Schwierigkeiten bannen zu können, indem sie einstimmten. Auf "Survival" beklagt er "So Much Trouble": "So meint ihr also die Lösung gefunden zu haben... doch es ist nur eine weitere Illusion... so much trouble in the world..." Exodus aus Babybon "Open your eyes and look within Are you satisfied with the life you're living We know where we're going We know where we're from We're leaving babylon Into our father's land Exodus, movement of Jah people Exodus, movement of Jah people..." "Öffnet eure Augen und seht nach innen Seid ihr zufrieden mit dem Leben, das ihr lebt? Wir wissen, wohin wir ziehen Wir wissen, woher wir kommen Wir verlassen Babylon, zieh'n in unseres Vaters Land Exodus, Auszug aller Gottes Menschen Exodus, Auszug aller Gottes Menschen..." "Exodus" rief beschwörend zum Auszug aus Babylon und damit vielleicht auch zum Auszug aus der Zivilisation, die sich als immer bedrohlicher darstellte und darstellt. Der Auszug in den Frieden, in eine andere Welt, mag in den Ohren vieler geklungen haben wie der Auszug aus der überkommenen Umgebung, die nicht mehr das alles bietet, was man von ihr wünscht. Die Aussteiger mögen in diesem Song ihre Hymne gefunden haben, mögen geantwortet haben, auch sie seien nicht mehr zufrieden mit dem Leben, das sie lebten. Für Marley selbst war dieser Song das Leitmotiv seiner musikalischen Missionsreise um die Welt. Der Auszug aus der Heimat Jamaika, die doch nicht mehr ist als Babylon, auf der Suche nach des Vaters Land, dem Vaterland, das für ihn und die, die wie er Rasta waren, nirgendwo anders sein konnte als in Afrika. Ende der siebziger Jahre erhielt Bob Marley endlich ein Visum und konnte nach Äthiopien reisen. In einem Interview sagte er, er verteidige weiterhin Haile Selassie, selbstverständlich, aber das Äthiopien, das er besucht habe, sei nicht mehr das des Ras Tafari. Es sei sehr schön gewesen, aber die Regierung, die Politik, die dort herrschte, das sei nicht so, wie er es sich wünsche. Wenn ein Symbol näher betrachtet wird, wenn es Realität annimmt, wenn es nicht mehr nur aus der Ferne leuchtet, dann sieht man die Schattenseiten. Die beschworene Heimat Äthiopien - zur neuen und wirklichen Heimat konnte sie nicht werden. Auch nach Kenia reiste Marley, und er wußte, wie erfolgreich inzwischen allenthalben auf dem schwarzen Kontinent die Reggae-Musik geworden war. In Nigeria stritten sich Marley-Platten mit denen Stevie Wonders um die ersten Plätze auf den Hitlisten. Wenn auch die Rasta-Bewegung selbst in Afrika kaum populär wurde, so schätzte man doch Marleys Eintreten für die Befreiungsbewegungen im südlichen Teil des Kontinents hoch ein. 1980 brachte den Höhepunkt der Begegnung Marley-Afrika. Man lud den Reggae-Star zu den Unabhängigkeitsfeierlichkeiten ein, die am 17. April im Rufaro-Stadion von Salisbury stattfinden sollten. Rhodesien hatte freie Wahlen erlebt, den Buschkrieg rivalisierender Guerilla-Armeen hinter sich gebracht und einen neuen Namen gewählt: Zimbabwe. Premierminister Mugabe lud den Musiker ein, Ehrengast zu sein, der in einem Song zur Solidarität zwischen Rastas und Zimbabwe aufgerufen hatte. Ursprünglich war gar nicht daran gedacht, daß Marley auch auftreten könne. Mit mehr Enthusiasmus als Kenntnissen darüber, wie der Auftritt einer international erfolgreichen Musikergruppe zu organisieren war, machte man sich daran, für einen Wailersauftritt zur Feier der Unabhängigkeit zu sorgen. Nach Aussagen Tyrone Downies hat Marley viele Dollars aus eigener Tasche beigesteuert, um die beiden Konzerte möglich zu machen. Am 17. April waren diejenigen, die die Musik Marley gern gehört hätten, draußen vor den Toren des Stadions, und die, die drinnen saßen, konnten wohl allzuviel mit den Reggae-Tönen nicht anfangen. Als die Wailers "I Shot The Sheriff" spielten, traten ihnen plötzlich Tränen in die Augen. Nicht vor Rührung, sondern weil Tränengas eingesetzt worden war - gegen all jene, die Einlaß begehrten, gegen die Unabhängigen von der Straße. Sie sollten nicht Stören an jenem Tag, der den hohen Tieren vorbehalten blieb. Am nächsten Tag spielte Marley dann nochmals - frei und für alle. Und ganz sicher hat er ihnen auch folgende Zeilen gesungen: "Zu teilen und zu herrschen, könnte uns nur auseinanderreißen. In jedermanns Brust da schlägt ein Herz, und bald werden wir herausfinden, wer die wahren Revolutionäre sind. Und ich möchte nicht, daß mein Volk betrogen wird von Söldnern... natty dread is in a Zimbabwe... Africans a liberate Zimbabwe." ("Zimbabwe"). "Afrika, vereinige dich", sang Marley in demselben Album, dessen Titel "Survival" ist. "Afrika, vereinige dich, denn die Kinder wollen heimkehren. Afrika, vereinige dich, denn es ist später, als du denkst." Und er beklagt auf diesem Album in "So Much Trouble": "Jetzt sitzen sie auf einer Zeitbombe, jetzt weiß ich, die Zeit ist gekommen. Was sich erhebt, wird auch wieder fallen." Seit Jahren hatte Bob Marley manchmal so gesprochen, denn er trug in sich die Überzeugung, die letzten Tage der Menschheit, so wie sie sich jetzt darstellte, seien gekommen. Aus der Bibel hatte er diese Überzeugung, aus der Offenbarung. "Ohne Zweifel leben wir in den letzten Tagen. Wir schreiben das letzte Quartal vor dem Jahr 2000, und die Rechtschaffenheit, die positive Art zu denken, muß gewinnen. Das Gute über das Böse. Wir sind des Sieges gewiß." Das war seine Ansicht. Darum nannte er seine zweitletzte LP "Survival". Und "Black Survival" meint nicht nur das Überleben der Schwarzen, sondern auch sein eigenes und das aller derer, die leiden unter den ungerechten Verhältnissen auf dieser Erde. Da besingt einer das Überlebensrecht der Dritten Welt, und die erste tanzt dazu. "Wissenschaftliche Abscheulichkeiten, atomare Mis-Philosophie in einer Welt, die lebenslange Unsicherheit erzwingt, da sind wir alle zusammen jetzt die Überlebenden..." Das Zeitalter der technischen Unmenschlichkeit gelte es zu überleben, dann sei die Rechtschaffenheit zur Siegerin geworden. "Ja, ich persönlich, ich will nur leben", sagte er 1975. Er hat nicht nur an das Leben geglaubt, sondern auch an das Überleben. Er hat an Kinder geglaubt, und man sagt ihm nach, er habe viele gehabt. Viele der Songs, die er in den letzten Jahren schrieb, schrieb er für seine Kinder. "We are the children of the rastaman", sang er. "We are the children of the higher man." Und doch sprach er auch die, die ihm zuhörten, als seine Kinder an. In der nächsten Generation werde sich alles entscheiden - dessen war er sich sicher. Die Entscheidung, wenn sie kommt, kann, braucht er nicht mehr am eigenen Leibe zu erleben. Wir können nur hoffen, daß die Entscheidung zum Überleben fällt. Survival. "Uprising" hieß die letzte Platte, die Bob Marley vor seinem Tode veröffentlicht hat. Das bedeutet sowohl Aufstand wie Auferstehung. Und mit dieser Platte wollte er die letzte Hürde nehmen, das letzte Terrain erobern, das er mit seiner Musik noch nicht erobert hatte. Die USA standen noch aus. Die Schwarzen, die in diesem Lande lebten, mochten sich nicht anstecken lassen von den eigenwilligen Gedanken und dem eigenwilligen Rhythmus, die aus Jamaika kamen. Vielleicht waren und sind sie, ähnlich wie ihre weißen Landsleute, von Überheblichkeit geprägt - leben sie doch in Gottes eigenem Land. Und was die Musikindustrie betraf, so hatten sie in deren Rahmen schon genügend Eigenes geleistet, hatten Blues und Soul und Disco zu weltweit akzeptierten musikalischen Stilrichtungen gemacht. Bob Marley hatte jedoch nicht im Sinn, seine Musik etwa so hinzubiegen, daß sich amerikanische Ohren leichter daran gewöhnen konnten. "Um ehrlich zu sein, das kommt mir überhaupt nicht in den Sinn", sagte er in einem Interview. "Ich sehe mich nur meiner inneren Kreativität verantwortlich. Die Musik ist in meiner Brust." So ist es denn eine bittere Ironie, daß ausgerechnet auf jener Tournee, die die erfolgreichste in den USA bis dato war, die grausame Krankheit zuschlug und Bob Marley für immer von der Bühne holte. Nach zwei ausverkauften Konzerten im Madison Squarare Garden brach Marley beim Jogging im Central Park zusammen. Noch einen weiteren Auftritt in den USA - in Pittsburgh - hielt er durch. Danach begann der Kampf gegen den Krebs, der mehr als ein halbes Jahr dauerte und Bob Marley nach Deutschland, nach Bayern, in die Klinik des Dr. Issels brachte. Dort wurde er mit besonderen Diäten behandelt, mußte seine Dreadlocks abschneiden, bekam Bestrahlungen - und es trat auch eine Besserung in seinem Befinden ein. Während der akuten Phase seiner Krankheit hat er mit niemand Fremdem mehr gesprochen, hat kein Interview mehr gegeben. Mit zwei Leibwächtern lebte der Reggae-Prophet in einem typischen bayrischen Bauernhaus, bewacht von Schäferhunden. In einem Land, das er mochte, weil er bei seinen Busfahrten viele Felder sah - wie er einmal sagte. Dennoch, es muß ein langer und schwerer Aufenthalt in der Kälte gewesen sein. Auf seinem letzten Album befindet sich die erfolgreichste Single, "Could You Be Loved", aber auch ein Song, der vielleicht wie kein anderer sonst Resignation formuliert: "Real Situation". Wenn Marley sonst in seinen Texten kaum jemals versäumte, zur positiven Sicht aufzurufen oder sein Rasta-Jah-Vertrauen zu vermitteln, beschreibt er hier die "wahre", die reale Situation als unabänderlich ins Verderben führend. Wie immer jedoch verblüfft die musikalische Darbietung: "sweet harmonies" von den I-Threes, und auch Marleys Stimme ist eher sanft. "Es hat keinen Zweck, niemand kann sie jetzt mehr aufhalten... Man betrachte nur die reale Situation, eine Nation führt Krieg gegen die andere, wo hat das alles begonnen, wo wird es enden... es hat den Anschein, als sei die einzige Lösung nur die totale Zerstörung..." ("Real Situation"). Der Auszug aus dem Babylon Jamaika, der um die Welt führte, endete erst in Bayern und dann in Miami. Dort starb Bob Marley am 11. Mai 1981 - 36 Jahre alt. "When you're dead, you're dead", hat er einmal in einem Gespräch gesagt - nicht fatalistisch oder gar dräuend, sondern eher heiter. "Wenn ihr wüßtet, was euer Leben wert ist, würdet ihr es auf Erden suchen", sang er in "Get Up Stand Up". In New York hatte er, nicht lange bevor er starb, den Namen Berhane Selassie angenommen - Das Licht der Dreieinigkeit -, und er war Mitglied der Orthodoxen Äthiopischen Kirche geworden. Als man sicher war, daß er nicht mehr lange zu leben hatte, wünschte er sich, zurückzukehren auf die Karibikinsel, um zu sterben, wo er geboren war. Aber weiter als bis nach Miami brachte er es nicht. Vielleicht hatte er sich selbst zuviel zugemutet. Er hat alles gegeben, hat sich kaum Ruhe gelassen. Man hatte ihn und seine Musik immer wieder angekündigt als "The Trenchtown Experience", als sei er nichts anderes gewesen als ein Mann des Gettos. Und doch war er viel eher ein Mann, der vom Lande kam und sich dahin zurücksehnte - ein Country Boy. Nach dem Leben als international gefeierter Superstar hätte er sich gern zurückgezogen und wäre Farmer gewesen. So sagte er jedenfalls. Nach Nine Miles bei St. Ann auf dem Land brachte man seinen Sarg, nachdem im Nationalstadion von Kingston ein Staatsakt vonstatten gegangen war. In den afrikanischen Sprachen Amharisch und Geez sowie in Englisch wurde der Gottesdienst abgehalten. Polizisten, die Marley Zeit seines Lebens eher gemieden hatte, sorgten für Ordnung, Politiker, mit deren Geschäft er eher gar nichts zu tun haben wollte, zollten ihren Tribut. Cedella Booker, seine Mutter, sang ein Gospellied, die Wailers gaben ein Abschiedskonzert, und Ziggy und Stevie, zwei seiner Söhne, tanzten und sangen auf der Bühne. (Die Band von Marley-Sprößlingen, die sich The Melody Makers nannte, war sein ganzer Stolz gewesen - seit Jahren hatte er Songs für sie geschrieben.) "When the race is hard to run And you just can't stand the pace All I know is that Jah will be waiting there..." "Wenn es schwerfällt, bei den Rennen mitzumachen und man einfach das Tempo nicht mehr mithalten kann Dann weiß ich nur, daß Jah da ist und auf mich wartet... ich weiß es..." Das sind Zeilen aus einem Song, den Marley während seiner letzten Monate schrieb. Ein Song, der an alle gerichtet sein könnte, die um Marley trauerten, ist "No Woman No Cry": schon vor vielen Jahren geschrieben, wohl eines der bekanntesten Lieder Marleys, eines der schönsten Liebeslieder der populären Musik unserer Zeit. Auch er handelt von einem Abschied: "Oh, while I'm gone, everything's gonna be alright, everything's gonna be alright... no woman, no cry..." Bevor Rita Marley die jamaikanische Fahne, die den Sarg ihres Mannes bedeckte, noch ein letztes Mal glattstrich, legte sie einen Zweig Marihuana darunter. Nach all den Schmerzen, die er hatte erleiden müssen, sei es besser, daß er jetzt hier zur Ruhe komme, wo er so glücklich gewesen sei. Eines sei sicher, sagte sie außerdem: "Die Arbeit wird weitergehen." Nicht nur musikalisch hat Bob Marley seine Botschaft von Rasta und Reggae, von Frieden und Liebe, vom Heilkraut der Völker, vom Kampf gegen die Unterdrückung, von der Kraft positiver Ausstrahlung verbreitet. Er hat sich auch in vielen Interviews die Mühe gegeben, das verständlich zu machen, was ihn bewegte und trieb. Er hat versucht zu erläutern, warum er das dachte, das uns oft wirr vorkam. Sicher bleiben viele Geheimnisse und Ungereimtheiten, und ganz gewiß ist oft übertrieben dargestellt worden, was Marley war. Ein Messias war er gewiß nicht, auch sicherlich kein Heiliger. Ein Dichter war er gewiß und einer, der ebenso simple wie eingängige Melodien schreiben konnte, die beeindrucken und nie wieder aus dem Kopf und aus dem Herzen gehen, wenn man sie einmal dort empfunden hat. Ein Rebell war er ganz sicher auch, eher sanft als gewalttätig, ein Revolutionär war er nicht. Er hatte Charisma wie nur wenige, und daher muß man ihn auf der Bühne gesehen haben, um die wirkliche Dimension seiner Musik nachempfinden zu können. Er hat gute Musik gemacht, sie gut gesungen - und das, was er gesungen hat, kann niemandem geschadet haben, sondern nur geholfen. Um zu hören, wie er sprach, wenn man ihn fragte, habe ich eine Stelle aus einem Interview ausgesucht. Sie ist die am leichtesten verständliche. Bob Marley gab sich Mühe, die grammatikalischen Fallgruben des Jamaikaslang zu meiden, die Intonationsfreizügigkeiten des Patois der Insel auf ein Minimum zu beschränken, wenn er sich mit Journalisten unterhielt, die seiner Welt sehr fern waren. Auch über seine Musik hinaus wollte er sich verständlich machen. Daß er niemals die Auseinandersetzung zwischen Schwarz und Weiß propagierte, sondern nur diejenige zwischen Macht und Ohnmacht, das sagt er hier sehr deutlich. Er hat in seinem Leben zum Widerstand gegen die Unterdrückung aufgerufen, und er durfte erleben, daß viele seine Meinung teilten. Aber seine Hoffnung hat er doch in die gesetzt, die von ihm lernen konnten. Auf die Frage, für wen er sich Einigkeit wünsche, antwortete er: "Meine Mutter ist Afrikanerin, mein Vater ist Engländer. Wie kann ich da auf der Seite der, Schwarzen sein oder auf der Seite der Weißen. Ich bin auf der Seite der Einheit. Ich hin auf der Seite der Wahrheit. Und ich glaube, die Kinder werden es einfacher haben, sie werden es schaffen, sie werden es viel einfacher haben." "Uprising" bedeutet sowohl Aufstand wie Auferstehung. Und Aufstand bedeutet gewiß nicht "burnin' and lootin'" - "brandschatzen und plündern" -, sondern es bedeutet: "Aufstehen und für sein Recht eintreten". Und Auferstehung, Erhebung bedeutet gewiß auch nicht, daß Marley sich etwa für unsterblich gehalten hätte. Er hat zum Leben ja gesagt, er hat sich am Positiven orientiert. Ihm muß die Krankheit Rock 'n' Roll, die zum Tode führt, fremd gewesen sein. Er hat gelebt und wollte leben. Seine Droge war keine harte, sondern eine weiche: die Musik - Reggae - und die Überzeugung - Rasta - ja, und auch das Gras, das er lieber "'erb" nannte. "Grass is for the ass", sagte er (für den Esel, der es frißt, und für den Hintern, der sich draufsetzt) "'erb is for mankind." Gelebt hat er trotz aller Afrika-Heimat am liebsten zu Hause auf seiner Insel Jamaika, wo er mit seinen Rastabrüdern und -schwestern über Gott und die Welt redete, ein Studio baute, einen Plattenvertrieb gründete - etwas tat für diejenigen, denen er sich nahe fühlte. Dort spielte er auf seiner akustischen Gitarre. "Am meisten liebe ich die Musik, die ich allein auf der akustischen Gitarre spiele", sagte er. Der bisher letzte Song von Bob Marley ist so ein Song: Er spielt ihn allein auf der akustischen Gitarre, zum ersten Mal auf einer Platte, und doch auch zum letzten Mal, denn er ist der letzte Song auf der zweiten Seite seines zu Lebzeiten letzten Albums. "Emanzipiert euch aus der geistigen Sklaverei", singt er. "Niemand als wir selber kann unseren Geist befreien." Und dann fordert er auf: "Helft mir doch singen, helft sie mir singen, diese Lieder von Freiheit - nichts hatte ich als Lieder der Erlösung, Lieder der Erlösung..." Bob Marley hat aufgehört mit dem, was er am liebsten tat: mit der Musik, die er auf der akustischen Gitarre spielte. Und er singt nicht mehr: sanft, überzeugt und überzeugend, stark, zuversichtlich und mitreißend. Der Löwe schläft - the lion sleeps - doch bevor er sich zur Ruhe legte, sang er noch: "Wir haben in dieser Generation einen triumphalen Fortschritt gemacht." "Won't you help to sing these songs of freedom?..." ("Redemption Song"). Letzte Änderung von Vialli: 05.03.1998 (c) Copyright by Thomas.Wallner@TU-Clausthal.DE