Drogen sind gefährlich, Spaß machen sie trotzdem

Rot-Grün zeigt sich blind gegenüber der Realität: Es gibt einen genußorientierten, autonom kontrollierten Drogenkonsum, und um Verbote schert sich die Cannabisszene ohnehin nicht

Gelobt sei, was gelobt werden muß. Die neue Bundesregierung ist dabei, den drogenpolitischen Stillstand zu überwinden. Vorüber sind die Tage, in denen die deutsche Drogenpolitik von bayrischen Provinzpolitikern konzipiert wurde. Fixerräume und die Abgabe von Opiaten, das wird jetzt gemacht werden. Auch soll Cannabis an HIV-Positive, Krebskranke und Schmerzpatienten verschrieben werden dürfen. Doch das wär's dann auch schon.

Auf die Legalisierung von Cannabis als Genußmittel konnten sich die Regierungsparteien nicht einigen. Bündnis 90/Die Grünen hatten im Wahlkampf zuviel versprochen. Erstaunlich nur, wie klaglos die grüne Partei diese Eliminierung eines Wahlkampfversprechens hinnahm, unfähig zu erkennen, damit ein klassisches Jugendthema preisgegeben zu haben.

Wie schon die alte verschließt sich auch die neue Bundesregierung der Einsicht, daß Drogenpolitik mehr zu sein hat als nur Gesundheits- und Rechtspolitik. Drogenkonsumenten werden auch von dieser Regierung als Menschen wahrgenommen, die grundsätzlich auf Hilfe von außen angewiesen sind. Diese Wahrnehmung ist blind gegenüber der Realität. Denn es ist allgemein bekannt und sollte endlich auch auf politischer Ebene offen ausgesprochen werden, daß es einen genußorientierten, autonom kontrollierten Drogengebrauch gibt. Die Mehrheit aller Konsumenten von psychoaktiven Substanzen nimmt sozial integriert und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teil und ist auf keines der Hilfesysteme angewiesen.

Das ist der Stand der Diskussion. Das und nur das kann die Entscheidungsgrundlage bei der Formulierung einer neuen vernünftigen Drogenpolitik sein. Ob es ein juristisch verbrieftes Recht auf Rausch gibt, ist nebensächlich, wichtig ist einzig die Tatsache, daß ein erheblicher Teil der Bevölkerung sich ohne Schuld- und ohne Unrechtsbewußtsein dieses Recht einfach nimmt. Sie leben nach der Maxime: Drogen sind gefährlich, und Drogen machen Spaß. Die Entscheidung, eine Droge zu nehmen, ist nur eine von vielen Risikoabwägungen bei der Bewältigung des Alltages.

Ohne die Legalisierung des Anbaus, des Handels und des Konsums von Cannabis innerhalb bestimmter staatlich kontrollierter Rahmenbedigungen ist ein drogenpolitischer Neubeginn nicht möglich. Die SPD-Führung will diesen Politikwechsel nicht.

Bezeichnend für den sozialdemokratischen Kurs in der Cannabis-Frage ist das Lavieren von Innenminister Otto Schily. Eben noch will er die Legalisierung von Cannabis prüfen lassen, da folgt auch schon das Dementi, um kurz darauf erneut seine Bereitschaft zu bekunden, die Frage prüfen zu lassen. Soll er mal prüfen lassen. Viel Zeit wird er dafür nicht brauchen. Das Thema ist durch- und ausdiskutiert. Die von Schily befragten Sachverständigen werden, wenn sie nicht gerade einer Psychosekte angehören oder einer rechtspopulistischen Partei verpflichtet sind, bestätigen, daß es in Deutschland eine entwickelte Hanfkultur gibt. Das hat gerade auch der Suchtstoffkontrollrat der UN bestätigt. Weder die Justiz noch die Polizei sind in der Lage, sie aufzulösen oder zu zerschlagen.

Eine vernünftige Cannabispolitik wird über das viel gepriesene Coffee-Shop-Modell der Niederlande hinausgehen müssen. Den Konsum von Cannabis zu entkriminalisieren, den Handel zu dulden und die Produktion weiterhin zu kriminalisieren ist unlogisch, inkonsistent und unglaubwürdig. Die Konsumenten sind gezwungen, eine Droge quasi legal zum Preis der Illegalität zu erwerben. In vielen niederländischen Städten sind Dealer, die auch im Heroin- und Kokainhandel aktiv sind, in den lukrativen Cannabishandel eingestiegen. Das kriminelle Milieu beginnt direkt hinter dem Tresen des Coffee Shops. Damit wird die ursprüngliche Absicht des Coffee-Shop-Modells, den Markt von harten und weichen Drogen zu trennen, unterlaufen.

Mit ihrer angekündigten Cannabispolitik gerät die rot-grüne Regierung in Widerspruch zu ihrem pathetisch proklamierten Anspruch, Politik "wieder glaubwürdig" zu machen, für Gerechtigkeit zu sorgen und eine Kultur des Diskurses zu fördern. Es ist weder glaubwürdig noch gerecht, wenn in einigen Bundesländern Jugendliche wegen des Besitzes von Haschisch oder Marihuana juristisch belangt werden, ihre Arbeitsstelle verlieren oder von der Schule verwiesen werden, während ihre Altersgefährten in anderen Bundesländern unbehelligt bleiben.

Um jedes Mißverständnis zu vermeiden: Es ist nicht so, daß die kiffende Jugend auf die Entscheidungen des Bundeskabinetts angewiesen wäre. Denn es gibt keine Probleme bei der Beschaffung. Hardcore-Kiffer wissen, wo sie sich versorgen können, und Mitraucher nehmen es eh, wie und woher es kommt.

Günter Amendt
taz Nr. 5791 vom 20.3.1999 Seite 3 148 Zeilen
TAZ-Bericht Günter Amendt
http://www.taz.de/tpl/1999/03/20/a0011.nf/stext?Name=ls20664aaa&idx=3



 

Krieg zwischen den Generationen?

Die Vorbereitungen zum Generationenkonflikt laufen schon: Die Alten machen Regeln, ohne dabei die Interessen der Jungen zu berücksichtigen

Reibereien zwischen verschiedenen Altersgruppen hat es immer gegeben, sie gehören wohl untrennbar zu der Art und Weise, wie gesellschaftliche Entwicklung funktioniert. Nachdem die ältere Generation sie anfangs mit den bestehenden gesellschaftlichen Spielregeln vertraut gemacht hat, haben die größer gewordenen Jungen in der Regel Lust auf Neues und auf mehr oder weniger radikale Veränderungen; die Alten sind dagegen daran interessiert, daß alles so bleibt, wie sie es kennen.

Europäische Gesellschaften sind dabei besonders schizophren: Zwar singt hier jeder das Loblied der Kreativität und Innovation, gleichzeitig werden aber genau diese Fähigkeiten bei den Jungen stärker unterdrückt als anderswo, wie der Ethnologe und Soziologe Georg Elwert schreibt. Die "jungen Krieger" Afrikas, die sich selbst organisieren, neue Dörfer gründen und mit risikoreichen Unternehmungen Wandel in ihre Gesellschaften bringen, hätten in Fürstenfeldbruck oder Oggersheim einen schweren Stand. Auch bei Ersatzbeschäftigungen wie Sprayen, S-Bahn-Surfen oder Maibaumklauen ist Ärger garantiert. "Jedes neu gefundene Risiko wird durch Verbote gezähmt. Selbst beim Bungee-Jumpen wacht der TÜV", beklagt sich Elwert. Diese Totregelung von allem, was jungen Leuten Spaß machen könnte, fällt noch unangenehmer auf, wenn der Verdacht entsteht, daß Jung und Alt mit zweierlei Maß gemessen werden. So merkt nicht nur der Alt-68er Günter Amendt: "Die Alten dürfen saufen, die Jungen dürfen nicht kiffen." Kein Wunder - schließlich sind es die Alten, die die Regeln machen.

Wo sozialstrukturelle Unterschiede, Interessengegensätze und Machtgefälle zusammentreffen, sprechen Soziologen und Politikwissenschaftler von Konfliktlinien oder "cleavages", die in der Regel zur Interessenorganisation, Parteienbildung und auf diesem Weg zu gesellschaftlichem Wandel führen. Ein Beispiel wäre die Konfliktlinie zwischen Unternehmern und Industriearbeitern im letzten Jahrhundert: ein klassischer Gegensatz zwischen herrschenden und unterdrückten Interessen, der uns die Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften, die Sozialdemokratie und schließlich Bundeskanzler Gerhard Schröder brachte.

Heute zeichnet sich ein neuer Interessenkonflikt von historischem Ausmaß ab - zwischen den Generationen. Dieser Konflikt entzündet sich derzeit an der Frage der Rentenfinanzierung. Waren um die Jahrhundertwende nur etwa 5 Prozent der Bevölkerung 60 Jahre und älter, aber ein Drittel unter 20, ist heute die Zahl der über 60jährigen schon ungefähr so groß wie die der unter 20. In 10 Jahren werden nur noch 18 Prozent der Bevölkerung unter 20 sein, aber 27 Prozent über 60. Und so weiter. Diese demographische Entwicklung hebelt den "Generationenvertrag" der Rente mit seinem Prinzip der Solidarität zwischen Jung und Alt auf die Dauer komplett aus. Nur ungern drückt man einen guten Teil seines Einkommens ab, wenn man genau weiß, daß man selbst im Alter nur noch Centbeträge aus der staatlichen Rente bekommen wird. Hinzu kommen die schwer zu verdrängende Befürchtung, daß das hart verdiente Geld umgehend von jemand anders zum Urlaub auf Mallorca verwendet wird, und die physischen Attacken älterer Damen in der Straßenbahn.

Natürlich sind bei weitem nicht alle heutigen Rentner wohlhabend. Auf der anderen Seite: Jeder vierte Seniorenhaushalt in den alten Bundesländern hat im Monat mehr als 5.000 Mark netto zur Verfügung. Bereits heute muß die Frage beantwortet werden, ob zur Sicherung des Rentensystems der Beitragssatz für die Renten steigen soll (es ächzen die Jungen) oder das Rentenniveau sinken (es kreischen die Alten). Hier steht knallhart Interesse gegen Interesse. Und bei diesem Gegensatz allein wird es nicht bleiben.

Das Alter könnte schon in kurzer Zeit zu einem so konfliktträchtigen und politisch so wichtigen Persönlichkeitsmerkmal werden wie etwa die Religion in Nordirland. Zwar findet der von vielen befürchtete "Krieg der Generationen" noch nicht statt, aber die Vorbereitungen laufen. So sieht etwa eine Studentenzeitschrift an der Gesamthochschule Kassel nur eine Lösung für Seniorenstudenten, "die den Jungen das Blut aussaugen, Seminare besetzen und Exkursionsgelder fressen": nämlich ein "Maschinengewehr, das die erste Reihe wegpustet". Gemeint ist das satirisch. Unterhalb der Schwelle der Kriegserklärung hat sich 1996 eine "Gesellschaft für die Rechte zukünftiger Generationen" gegründet, die die Rechte der Jugend gegenüber den Rentnern und vor allem gegenüber der politisch bestimmenden mittleren Generation vertreten will.

Bereits seit längerem kämpfen die "Americans for Generational Equity" (AGE) gegen eine wohlfahrtsstaatliche Umverteilung, die den Wohlstand der Alten zuungunsten verarmender Junger steigert. Aber auch die Alten machen mobil. Die "American Association for Retired Persons" gehört zu den größten US-Interessenverbänden. Ist nicht im Grunde die gesamte etablierte Politik eine Veranstaltung älterer Herrschaften auf Kosten der Jüngeren?

Nicht nur in der Renten-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, auch durch Umweltzerstörung, ungezügelten Rohstoffverbrauch und steigende Staatsverschuldung wird Politik gemacht, deren Folgen die heute Jungen und die bisher noch gar nicht Geborenen auszubaden haben. Möglich ist das auf höchst demokratische Weise: per Wahl. Eine politisch interessierte 16jährige, die vielleicht noch 70 Jahre lang auf dieser Welt herumlaufen wird, hat nichts zu melden, während ihr Opa noch auf dem Sterbebett die Regierung für alle mitwählen darf. Die ehemalige Sportlerin und Ärztin Heidi Schüller, die vor ein paar Jahren darüber nachgedacht hat, ob man alten Menschen unter bestimmten Bedingungen das Wahlrecht aberkennen sollte, hat nach einhelliger Meinung ihre politische Zukunft verspielt.

Natürlich ist es ein offenes Geheimnis, daß der Einfluß der Wähler auf die Politik, die dann tatsächlich gemacht wird, ein sehr indirekter ist. Dennoch - ein gewisser Einfluß besteht. Eine so große und ständig wachsende Gruppe wie die alten Menschen kann man als Politiker nicht völlig vor den Kopf stoßen, wenn man auch nach der nächsten Wahl noch seine Abgeordnetendiäten beziehen möchte. Bereits jetzt sind 40 Prozent aller Wahlberechtigten über 60 - und nur 6 Prozent unter 21. Otto Graf Lambsdorff: "Wahlen werden zunehmend in Altenheimen gewonnen." Aber auch das Durchschnittsalter im Bundestag schwankt um 50 Jahre.

Es bestehen also nicht nur klare Interessengegensätze, sondern auch klare Herrschaftsbeziehungen zwischen Alt und Jung. Und fertig ist eine anständige "cleavage". Erschwerend kommt hinzu, daß ältere und jüngere Leute heute durch die Auflösung traditioneller Familienformen weniger miteinander zu tun haben als je zuvor. Solche Distanz führt unweigerlich zu Gruppenabgrenzungen und zu Stereotypen, aus denen dann prima Feindbilder für beide Seiten werden können. Vor allem aber kann erst durch die Auflösung der traditionellen Bindungen aus dem uralten Generationenstreit, der früher vor allem in der Familie ausgetragen wurde, ein handfester gesamtgesellschaftlicher Verteilungskampf werden.

Der große Krach kann losgehen! Noch gibt es gewisse Verzögerungen dadurch, daß weder "Alt" noch "Jung" eine klar abgegrenzte Klasse mit jeweils völlig einheitlichen Interessen ist. Wer heute 15 ist, kann nicht nur mit einem 60jährigen, sondern bereits mit einem 25jährigen wenig anfangen. Und umgekehrt. Trotzdem halten viele den Ausbruch politischer und physischer Kämpfe zwischen den Altersgruppen nur noch für eine Frage der Zeit, bis die Probleme durch die "Vergreisung" der Gesellschaft zu groß werden.

Tatsächlich könnte die Überalterung in absehbarer Zeit nicht durch die Vermehrung der Jungen verhindert werden, sondern nur durch Verminderung der Alten. Noch sind wir lange nicht soweit wie in dem Film "Logan's Run", wo es gar keine alten Leute mehr gibt, weil jeder vorher auf das "Todeskarussell" geschickt wird. Aber wer weiß: vielleicht fällt in ein paar Jahrzehnten niemandem mehr eine andere Lösung ein - wenn wir dann alt sind.

David Fischer-Kerli
taz Nr. 5774 vom 1.3.1999 Seite 10 251 Zeilen
Kommentar David Fischer-Kerli
http://www.taz.de/tpl/1999/03/01/a0122.nf/stext?Name=ls20664aaa&idx=8