Aufstandsbekämpfung, Drogenkrieg und AntiterrorismusDas Auslieferungsverfahren gegen Patricio im Kontext der Remilitarisierung der amerikanischen StaatenReferat von Dieter Drüssel an der Solidaritätsveranstaltung des 1.Mai-Komitees vom 29. September im Restaurant Cooperativo.Das Auslieferungsverfahren gegen Patricio im Kontext der Remilitarisierung der amerikanischen Staaten, bekundeten 1968 populäre Plakate des SDS. Das hat sich geändert. Wir sollten heute vom Wetter reden. Aktuell bedroht das pazifische Naturphänomen El Niño die Ernährungssituation in Papua-Neuguinea. Nach einem vor kurzem erschienen Bericht des Tages-Anzeigers sind dort hunderttausende am Verhungern. In den Anden war es im dortigen Winter extrem kalt, im Sommer extrem heiss und trocken. In Zentralamerika kam es zu stürmischen Überschwemmungen in der Karibik und monatelanger Dürre am Pazifik während der theoretischen Regenperiode. Ein beträchtlicher Teil der Ersternte an Grundnahrungsmitteln wurde dadurch vernichtet. In Costa Rica hat die Regierung den Notstand ausgerufen, in Nicaragua ziehen in der Pazifikregion Karawanen von Menschen auf die Vulkane, um Wurzeln und anderes Essbares zu suchen. Hunger also doch ein Naturphänomen? Gegen diese These, die meist einher geht mit dem Ruf nach mehr Hightech-Agrarproduktion, spricht viel. Zum Beispiel Nicaragua: Seit der sandinistischen Wahlniederlage ist die Zahl der KleinkreditnehmerInnen bei der staatlichen Agrarbank, die nächstens aufgelöst wird, um fast 90 Prozent zurückgegangen. Logische Folge: Es wird viel weniger Nahrung produziert. Diese Zerstörung der agrarischen Kleinproduktion ist direktes Resultat der von IWF, Weltbank und Interamerikanischer Entwicklungsbank durchgesetzten Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.. Sie bedeutet strukturellen Hunger, der verschärft wird durch übrigens auch nicht einfach spontane Naturphänomene. Wir wissen ja vom Zusammenhang von gesellschaftlicher Umweltszerstörung und Naturkatastrophen. Am 16. September letzten Jahres veröffentlichte der britische Guardian Auszüge aus einem internen Papier der Weltbank zu Haiti. Kernaussage: Das kleine Produktionsvolumen und ökologische Ressourcenzwänge werden der Landbevölkerung zwei Möglichkeiten lassen: im Industrie- oder Dienstleistungssektor zu arbeiten oder zu emigrieren". Zeitgleich hielten die Weltbank und die USA einen 200 Millionen Dollarkredit zurück, bis das widerstrebende Parlament ein Privatisierungsgesetz und die Reduktion der Agrarzölle beschlossen haben würde. Es ist klassisch: Mittels der Überflutung mit vorerst billigen, da subventionierten Agrarimporten aus Nordamerika und Europa wird die nationale Produktion liquidiert. Als Auffangbecken nennt die Weltbank den Industrie- und Dienstleistungssektor, der aber gerade mittels Privatisierung "verschlankt" wird. Real meint sie die berüchtigten "Freien Produktionszonen", veritable Stützpunkte der Superausbeutung und des sexistischen Angriffes auf die Arbeiterinnen, die in Haiti seit der US-Intervention nochmals eine rasante Steigerung erhalten haben. Was die Emigration in die USA betrifft: Vor einem Monat konnte auch der rechtsradikale Bürgermeister von New York, Giuliani, sein Police Department nicht mehr weiswaschen. Polizisten des 70. Bezirkes waren in ihrer gewohnten Brutalisierung der "dreckigen Nigger" aus Haiti etwas zuweit gegangen, als sie dem Immigranten Abner Louima ein Rohr in den After einführten. Der Mann ist heute noch mit perforiertem Darm und verletzter Blase im Spital. Protestdemos der haitianischen MigrantInnen wurden jedoch gleich wieder niedergeknüppelt. Die bittere Ironie: Es ist das New Yorker Police Department, welches die sogenannt neue Polizei in Haiti in Sachen Menschenrechten ausbildet. Nochmals ein Beispiel von der neoliberalen Hungerfront: In den sechs Jahren der mexikanischen Regierung Salinas sind tatsächlich wirtschaftliche Fortschritte erzielt worden. Die mexikanische Bevölkerung nahm ab 1990 rund 29 Prozent weniger Grundnahrungsmittel zu sich, bezahlte aber dafür ein Drittel mehr. Letztes Jahr - ohne dass El Niño der Schuldige sein könnte - suchte eine ausserordentliche Dürre vor allem den Norden des Landes heim. Resultat: Die Nahrungsimporte mussten weiter gesteigert werden. Dies war jedoch nicht mehr zu den im NAFTA-Rahmen vereinbarten Präferenztarifen möglich. Es herrschte weltweit Nahrungmangel, die Börse in Chicago erlebte ein Hoch im Handel mit den Food futures. Mais und Weizen waren im Vergleich zu 1995 um 100 Prozent verteuert. Endlich kamen die zauberhaften komparativen Vorteile voll zum Zuge. Dieses marktliberale Axiom besagt im Falle von Mexiko schlicht, dass mexikanische Hände und Gehirne irgendwie eine besondere Begabung für die Züchtung von export crops wie Zierblumen und Gemüsen oder Winterfrüchten für den Supermarkt in Detroit aufweisen. Umgekehrt stellt der Norden unübertrefflich billig Mais her, den es nur zu importieren gilt. Zwar würden 10 Prozent der den Maisimporteuren nachgeworfenen Devisen reichen, um die nationale Agrarproduktion anzukurbeln. Das hatten letztes Jahr die Campesinaorganisationen Mexikos vorgerechnet. Doch ihre einfache Rechnung machten sie ohne die Wirte. Zum Beispiel Fritz Blankart vom Bundesamt für Aussenwirtschaft. An der Jahreskonferenz der DEZA (Direktion für Entwicklungszusammenarbeit) begrüsste er "die Liberalisierung (der Agrarmärkte) mit Blick auf die Entwicklungsländer, zumal zu erwarten sei, dass eine offene Agrarwirtschaft für den Export und für den Binnenkonsum mehr produziere als eine geschlossene" (NZZ, 2.9.97). Ähnlich freut sich etwa der salvadorianische Agrarminister aufgrund der mit El Niño begründeten Ernteverluste: Den Privatunternehmern seien jetzt die Importinvestitionen zu erleichtern, "um die guten Maispreise anfangs 1998 auszunutzen". Blankart & Co gehen von einem umgedrehten Begriff der Nahrungsmittelsicherheit aus. Während wir landläufig darunter verstehen, dass in einem Dorf oder einem Land genug Essen für alle BewohnerInnen produziert wird, haben sie den Begriff schon längst zur Bezeichnung eines möglichst transnationalen Instrumentariums für die entsprechenden Handelsströme orwellisiert. Statt über hungrige Mäulern sprechen sie von Agrarbörsen, Investitionsschutzabkommen, Schuldenrückzahlung. Wir sind nicht die einzigen, die das noch anders verstehen. Als letztes Jahr der Hunger in Mexiko eskalierte, kam es im Norden des Landes zu häufigen Plünderungen von Güterzügen, die Mais und anderes Essen aus den USA in die Zollfreilager transportieren sollten. Die Polizei machte vor allem Frauen und Kinder als TäterInnen aus. Im Süden des Landes widerstanden die von der Unterernährung besonders schlimm betroffenen Indigenas in der zapatistischen Bewegung dem Regimedruck. In Oaxaca udn Guerrero kamen neue aufständische Campesinaguerillas hinzu. Damit rücken wir vom realen Terrorismus - der neoliberalen Gewalt - zum Begriff "Antiterrorismus" vor, wie ihn auch Bundesanwältin Carla del Ponte verstanden haben will. Die Konferenz von WilliamsburgIm Dezember 1994 versammelten sich die Staatschefs der amerikanischen Länder in Miami, um diesen Gipfel unter Clintons Führung als ersten Schritt in Richtung einer einzigen amerikanischen Freihandelszone zu feiern, in der Wohlstand, Demokratie und Menschenrechte sich breit tun würden. Von der wirtschaftspolitischen Umsetzung sei hier nicht weiter die Rede. Wohl aber von einigen damit untrennbar zusammenhängenden Entwicklungen auf dem Gebiet der sogenannten Sicherheit.Einen ersten Vorgeschmack lieferte ein Treffen der amerikanischen Verteidigungsminister vom 25. Juli 1995 in Williamsburg bei Washington. Unter ausdrücklichem Bezug auf den Gipfel von Miami wurde ein neues Konzept "kollektiver Sicherheit" propagiert, ein "Element, das mit der Demokratie und dem freien Handel zu tun hat und Teil ist der Globalität der neuen Welt", wie der chilenische Verteidigungsminister sich ausdrückte. Das Trio USA/Argentinien/Chile forcierte ein Konzept, das sich in angeblichem Gegensatz zur alten OAS-Satzung neu an "inneren Bedrohungen" orientiere, also nicht mehr an der "von Moskau lancierten Subversion", der sich die einzelnen Nationalstaaten im Verbund entgegenstellten. Als solch inneren Bedrohungen genannt wurde der "Narcoterrorismus", die Korruption, interamerikanische Grenzkonflikte und ökologische Probleme. Neues Zauberwort war die "Interoperabilisierung" der Streitkräfte, das heisst die gemeinsame Standardisierung von Ausrüstung, Organisation und Einsatzdoktrin. Unter anderem sollten gemeinsame Ausbildungszentren dieser "Harmonisierung" Vorschub leisten. Neben einem bereits bestehenden in Kanada wollte man ein neues Ausbildungszentrum in Argentinien gründen. Ziel: die Schaffung einer multinationalen kontinentalen Interventionsmacht. Williamsburg brachte natürlich nur weiter, was schon früher begonnen hatte. Es stellt jedoch insofern einen Einschnitt dar, als die bisherige Ideologie nationalstaatlicher Souveränität tendenziell ad acta gelegt wurde. Propagandistisch wird diese Zurichtung auf transnationale Gegebenheiten hinter einem Argumentationsschwall von der Abkehr von Militärdiktaturen versteckt. Die berühmte Unterodnung unter die zivile Gewalt nimmt sich in dem Masse schon beinah als belustigend aus, als das, wofür der Begriff einst stand, als obsolet revidiert und tendenziell abgeschafft wird: die Nationalstaatlichkeit. Die homogenisierten Strukturananpassungsprogramme lassen nationale Regierungen immer mehr als mehr oder weniger willfährige Werkzeuge der transnationalen Elite erscheinen. "Der einzige Krieg, den wir haben": US-Südkommando in PanamaPraktisch hatte Williamsburg eine massive Ausweitung der Involvierung der jeweils nationalen Armeen in dem zu tun, was uns als Drogenkrieg verkauft wird. Erstaunlicherweise wird der Einsatz der Armee jeweils mit der Korrumpierung der Polizeiapparate durch die sogenannten Drogenmaffias begründet. Erstaunlich, weil schon längst klar ist, dass die Militärs diesem Phänomen keineswegs zu widerstehen wissen. Deshalb auch sperrten sich eine Reihe von Militärführungen Lateinamerikas eine Weile lang gegen den US-Plan des Drogenkrieges. Auf die eigenen Soldaten sollte unbedingter Verlass sein.In Peru standen im August letzten Jahres über 200 Offiziere unter Militäranklage, aufgrund ihrer Beteiligung am Drogenhandel, angeklagt allerdings bezeichnenderweise wegen des Verstosses gegen die militärische Disziplin. Im Mai desselben Jahres war gerade ein hoher Vertrauensoffizier Fujimoris mit 174 Kilogramm Kokain aufgeflogen, die er in des Präsidenten ehemaligem Privatjet befördern wollte. Der Flug sollte übrigens über die USA in die Schweiz gehen, angeblich zur Revidierung defekten Militärmaterials. In Mexiko hatte im letzten Jahr die Regierung Zedillo angesichts der gewaltigen sozialen Spannungen die Polizeihoheit in verschiedenen Bundesstaaten und in der Hauptstadt an hohe Militärs übertragen. Im Februar wurden hohe Militärs, darunter Mexikos oberster Drogenjäger General Repollo, wegen Drogenhandels verhaftet. Repollo war gerade zuvor vom US-"Drogenzar" General Barry McCaffrey als absolut integre Geheimwaffe gegen den Drogenterrorismus öffentlich abgefeiert worden. Ein Missgeschick, das dem vormaligen Kommandanten des US-Südkommandos in Panama mehrmals in ähnlicher Weise widerfahren ist. Interessant ist auch folgende Nachricht, auch wenn sie es hier nie in die Schlagzeilen geschafft hat: Am 18. November 1996 erhebt eine Grand Jury in Miami Anklage gegen den Chef der CIA-gesponsorten Drogenabteilung der venezuelanischen Guardia Nacional Ramón Davilla. Anklagepunkt: Seine Gruppe war dabei erwischt worden, wie sie 1990 eine Tonne Kokain in den International Airport von Miami einführen wollte. Offizielle US-Quellen gehen davon aus, dass Davilla von 1987 bis 1991 22 Tonnen in die USA geschmuggelt habe, was er bestreitet: Es habe sich bloss um 2 Tonnen gehandelt, und diese seien in Absprache mit der CIA eingeführt worden, welche internationale Drogenkreise infiltrieren wollte. Als die CBS-Sendung "60 Minutes" ihre Recherchen zum Thema ausstrahlen wollte, bequemte sich die CIA zum entsprechenden Geständnis. Der mit der Sache befasste Agent, der früher in El Salvador die Aufstandsbekämpfung koordiniert hat, soll auf einen andern Posten versetzt worden sein. Interessant auch der Umstand, dass die erwähnte Spezialabteilung der venezuelanischen Guardia im Rahmen eines Programmes gegründet wurde, das die CIA (in Verbund mit DEA und FBI) in vielen lateinamerikanischen Staaten implementiert hatte. In El Salvador nannte sich das UEA und befasste sich längst nicht nur mit Drogen, sondern übte in den letzten Kriegsjahren und in der ersten Phase des Friedensprozesses vor allem in den Städten eine allgegenwärtige Kontrolle aus. Die UEA wurde auf Drängen der US-Experten unter krasser Verletzung der Friedensabkommen und gegen den massiven Protest der UNO-Mission in corpore in die neue Zivilpolizei eingegliedert. Als die vom FMLN gedrängten Vereinten Nationen schliesslich öffentlich gemacht hatten, dass die ehemalige UEA das Scharnier zwischen alter Todesschwadron und neuer organisierter Kriminalität war, musste die Regierung ihrer weitgehenden Entfernung aus der Polizei zustimmen. Bevor sie das Feld räumten, versuchten die Repressionskader erst noch einen bewaffneten Aufstand in ihrer Kaserne. In Haiti nannte sich die einschlägige Gründung SIN (Service d'Information National), der dokumentierterweise von Beginn weg den damals stark über Haiti abgewickelten Dopetransfer in die USA kontrolliert hatte. Der SIN war führend am Putsch gegen Aristide beteiligt und direkt sowie über die mit ihm verbundene und vom CIA-Agenten Emmanuel Constant geleitete Todesschwadron FRAPH für die Ermordung tausender Oppositioneller verantwortlich. Dieser Constant lebt im Exil in den USA, trotz eines Auslieferungsbegehrens der haitianischen Regierung. Auf die Herausgabe des von den einmarschierenden US-Truppen beschlagnahmten, 160'000 Seiten umfassenden Archivs des FRAPH wartet Port-au-Prince noch heute. Das schlagende Argument Washingtons: Die Unterlagen gehörten nicht der rechtmässigen Regierung, sondern den Putschisten, folglich heute den USA. Am 3. November 1996 machte die US-Sektion von Amnesty International ihr zugespielte Regierungsdokumente der USA öffentlich. Sie belegen, dass die nach Kolumbien gelieferte Ausrüstung für den Drogenkrieg in den Händen der berüchtigsten Counterinsurgency-Einheiten ist. Am 8. April hatte ein US-Oberst vom Südkommando in Panama seinem damaligen Chef, dem weiter oben erwähnten heutigen "Drogenzar", schriftlich mitgeteilt, dass die militärische Ausrüstung der USA identisch ist mit dem Arsenal für die Aufstandsbekämpfung. Wobei die Army aber keine politische Verantwortung trage, da in Kolumbien der Staat eifrig die Menschenrechte propagiere. Ähnliche Indizien hat AI für Brasilien, Peru, Mexico, Bolivien und Venezuela. Soft Power in unseren KöpfenDie Beispiele sind nichts als ganz wenige Streiflichter auf die Realität des Drogenkrieges. Was uns interessieren muss: Wie kann angesichts der durch die erwähnten Facts skizzierten wahren Natur dieses Krieges dennoch mit beeindruckender Leichtigkeit auch in unseren Köpfen die Lüge verankert werden, es gehe darum, irgendwelchen Drogenkonsum zu unterbinden?Mir fällt, nicht als Antwort, aber als Illustration der Frage, eine Anektode aus unserer jüngsten Geschichte ein: Als die GSOA ihren Streit um die Frage einer erneuten Initiative für die Abschaffung der Armee hatte, trat die befürwortende Fraktion mit dem bemerkenswerten Argument an, minimale Armeestrukturen zwecks Beteiligung an "humanitären Aktionen der internationalen Gemeinschaft" müssten im Falle einer Armeeabschaffung garantiert werden. Die "radikale" Fraktion hat sich hier, bestimmt ohne Absicht und vielleicht ohne es zu merken, in den Schlepptau moderner imperialistischer Strategien begeben, in die schönen neuen Gefilde des "global governance", der aufgeklärten Weltinnenpolitik. Wie man solche Prozesse fördert haben der ehemalige Vizechef der US-Joint Chiefs of Staff, William Owens, und der ehemalige Assistenzsekretär im Pentagon, Joseph Nye, beschrieben. In der Foreign Policy vom März 1996 liessen sie sich über die "Soft Power" aus. Unter "Soft Power" verstehen sie die Fähigkeit der USA, weltweit Prozesse nach ihrem gusto zu steuern. Soft Power funktioniere "dadurch, dass andere überzeugt werden zu folgen, oder dazu gebracht werden, in Normen und Institutionen einzuwilligen, die das gewünschte Verhalten produzieren. Soft Power (...) kann auf der Fähigkeit beruhen, die Agenda so zu formulieren, dass sie die Präferenzen anderer gestaltet". Mitautor Nye war der zentrale Planer des Treffens in Williamsburg. Das überaus lesenswerte Elaborat der beiden imperialistischen Planer geht weit über die Thematik hinaus, die uns hier interessiert. Es ist dennoch von Nutzen, sich den Mechanismus vor Augen zu führen, den Nye und Owens begrüssen: Einwilligung in "Normen und Institutionen (...), die das gewünschte Verhalten produzieren". Wenn es um "humanitäre Aktionen" und "Drogenkrieg" geht, haben wir es mit solch wenig hinterfragten Normen zu tun. Erhellend ist das vorher erwähnte Argument eines Offiziers des US-Südkommandos, warum es ok ist, dass sogenannte Anti-Drogen-Ausrüstung an die Killereinheiten der kolumbianischen Armee geliefert werden. Die kolumbianische Regierung, der die Armee natürlich untergeordnet ist, fördere die Menschenrechte besonders aktiv. Es ist der angeblich zivile, demokratische Charakter der Regierungen in Lateinamerika, welche es erlaubt, Militarisierung als eine technische, nicht politische Angelegenheit zu betreiben. In unfehlbarer Regelmässigkeit wird deshalb die "Professionalisierung" der lateinamerikanischen Streitkräfte zitiert. Vor ca. zwei Monaten übten die US-Armed Forces mit salvadorianischen und andern karibischen und zentralamerikanischen Truppeneinheiten den Kampf gegen die "organisierte Kriminalität" und für "humanitäre Einsätze". Nicht zum ersten Mal. Der zentrale Punkt des salvadorianischen Friedensabkommen sah die definitive Relegierung der Streitkräfte auf Fragen der Verteidigung der Landesgrenzen vor, angesichts schwelender Konflikte mit Honduras übrigens auch nicht unbedenklich. Die neue Einsatzdoktrin macht diesen Punkt des Friedensabkommens faktisch zu Altpapier, was nur deswegen nicht auffällt, weil im Moment kein bewaffneter Konflikt im Gange ist. Dieser Tage wird die Gründung einer Konferenz der zentralamerikanischen Streitkräfte (COFAC) beschlossen, welche nach den Worten des hondurianischen Armeechefs ganz im Trend liegt: Zur ökonomischen Integration gehöre auch die militärische. COFAC soll gemeinsame Offiziersausbildung garantieren und die Schaffung einer regionalen Einsatztruppe vorantreiben, zum Beispiel für "humanitäre Einsätze". Das ist das regionale Echo einer Kolumne des Präsidenten von Argentinien, der am 10. Mai dieses Jahres die Idee von Williamsburg in einer Kolumne auf spanisch übersetzt hatte: Eine OAS-Armee zur Bekämpfung von Narco- und sonstigem Terrorismus müsse geschaffen werden, wenn möglich mit eigenen Gerichten und Gefängnissen. Für moderne ZeitgenossInnen hat das Pentagon noch etwas besonders Verlockendes: den Umweltschutz. AP hatte am 5. Juni gemeldet, dass das US-Südkommando plant, US-Soldaten in 32 Länder Lateinamerikas und der Karibik zu entsenden, um dortige Kameraden zu Behütern des Regenwaldes und aussterbender Spezies auszubilden. An einer Southcom-Konferenz in Miami trafen sich kontinentale Spitzenmilitärs mit der Zivilgesellschaft, die in der Form von Umweltorganisationen auftrat. Das Pentagon veröffentlichte im Internet die Erkenntnisse seines Southcom-Chefs, des Generals Wesley Clark: Da Luft- und Wasserverschmutzung keine Landesgrenzen kennen, müssen die Militärs "zunehmend mehr zusammenarbeiten, (...) um unsere Regenwälder und andere Sachen zu schützen". Das Konferenztamtam fasste die Southcom-Sprecherin zusammen: "Wenn man sich die Länder anschaut, die in den letzten Jahren den Übergang zur Demokratie gemacht haben, ist ein offensichtlicher Bedarf da, die Männer in Uniform als good guys zu zeigen". Zum Beispiel bei der Errichtung eines Naturparkes an der Grenze Venezuela/Kolumbien. Das Genzgebiet wird zu einem beträchtlichen Teil von der Guerilla kontrolliert. Die Kontinuität verschleiernEs ist schon fast banal, Belege dafür zu zitieren, dass die Gegenseite das elende Geschwätz von der Demokratisierung und dem Primat der Zivilgesellschaft selbst nicht ernst nimmt. Es vergeht in Lateinamerika kaum eine Woche, dass nicht irgendwo US-Militärs mit verschiedenen "nationalen" Armeeinheiten sogenannte Manöver abhalten. Bisher haben die USA 290 Milliarden Dollar Steuergelder für die polizeiliche und militärische Ausrüstung im "Drogenkrieg" ausgegeben. Gleichzeitig kommt immer mehr und immer billigeres Kokain und Heroin auf den US-Markt. Im US-Rechnungsjahr 97 steigerte sich die Hilfe für Militär und Polizei in Lateinamerika gegenüber dem Vorjahr um 400 Prozent. Am 1. August kurbelte Clinton ein neues Waffenwettrennen für den amerikanischen Kontinent an: Künftig darf jeder Gorilla seinen Jetfighter in den USA kaufen.Wenn wir davon ausgehen, dass wir viele sind, die das nicht wollen, aber kaum wissen, wo uns der Kopf steht, dann ist es sinnvoll, die Mechanismen zu beleuchten, die uns vergessen lassen, dass der Kaiser keine Kleider trägt. Ein Moment dieser Gehirnwäsche besteht schlicht darin, so zu tun, als ob zwischen dem hässlichen Gestern und dem schönen Heute keine Kontinuität existiere. Dazu ein Beispiel. John Negroponte ist in Diplomatenkreisen in Panama als Mister Death Squad bekannt. Einigen von uns mag der Name vertraut vorkommen. Negroponte war unter Reagan und Bush Botschafter in Honduras. Er war mit wichtigen Koordinationsfunktionen im Krieg gegen Nicaragua betraut. Der Typ steht wie wenige für Dopedeal und Militarisierung der Politik. Für Clinton leitete Mister Death Squad bis vor wenigen Tagen die Verhandlungen mit der Regierung Panamas über die Zukunft der US-Basen, die - ginge es nach dem Carter/Torrijos-Vertrag - Ende 1999 vom letzten Gringo befreit sein müssten. Die Verhandlungen drehen sich aber um das Vorhaben, an die Stelle der US-Basen ein multinationales Zentrum aufzubauen, das über ausgefeilte Technologie verfügt, um Drogenhändler zu erwischen. Die "zivile" Base soll mit Militärs aus verschiedenen Länder samt eines namhaften US-Kontingents besetzt werden. Die verwendete High Tech bleibt selbstverständlich unter US-Militärkontrolle. Streitpunkt: Wieviel Grundrente die panamesische Regierung dafür erhalten darf. Wenn sie dir sagen, dein Kind würde in die Obhut eines Lehrers gestellt, der seit Jahrzehnten für sexuelle Gewalt steht, würdest du empört reagieren. Wenn sie dir aber sagen, der Lehrer sei Experte in Spieltheorie und Verhinderung der Drogensucht, dann freust du dich vielleicht. So simpel funktioniert das. So werden wir gefüttert mit Geschichtslosigkeit. Im Februar letzten Jahres veröffentlichte das US-Blatt "Baltimore Sun" Auszüge aus dem von den US-Diensten verfassten Folterhandbuch für das Bataillon 316. Technisch versiert wurden da etwa die Aspekte erörtert, die es punkto Elektroanschlüsse beim Bezug von neuen Geheimknästen zu überprüfen gilt, damit der Spannungstransformer für das mitgelieferte Folterinstrument richtig eingesetzt werden kann. Am 21. Februar wusste der Assistenz-Generalinspektor des Pentagons Klärendes zu berichten: Die mittlerweilen eingestellte Untersuchung habe keinen "absichtlichen oder geplanten Versuch" zu Tage gefördert, "die Politik des Pentagons oder der US Army zu verletzen". Wer von uns hat davon gelesen? Wer hat gehört von ähnlichen Folterbüchen der School of the Americas, der US-Militärschule für die Gorillas Lateinamerikas? Wer weiss, dass diese School of the Assassins gerade vom US-Kongress weiter finanziert wurde? Wer hier hat mitbekommen, dass der honduranische Menschnrechtsombudsman nach jahrelangen vergeblichen Versuchen, von den US-Diensten Unterlagen zu der von der CIA gegründeten Spezialeinheit 316 zu bekommen, nun endlich Post von Clinton bekommen hat? Wer weiss, warum die MenschenrechtlerInnen bei der Lektüre lange Gesichter gemacht haben? Was interessant hätte sein können, war nämlich eingeschwärzt, als einzige handfeste Information wurde nur mitgeteilt, welche Oppositionelle der 80er Jahre die CIA und das Militärbataillon 316 als TerroristIn fichiert hatten. Ich stell mir das Gegrinse im CIA-Hauptquartier in Langley vor, als sie, statt Unterlagen über die eigene Seite rauszurücken, mit "feiner Ironie" klar stellten, wer Gegenstand von "Untersuchungen" zu sein habe. Das sind nichts als ein paar Spotlights der letzten Monate. Sie werden kaum mitgeteilt: Ihr Öffentlichwerden könnte das Agieren der gleichen Akteure in ein ungünstiges, das heisst das richtige Licht rücken. Also wird verschwiegen und Ideologisches verbreitet. Der neue Militarismus, der sich in seiner Modalität tatsächlich von gestern unterscheidet, wird zur technischen Spezialität von demokratisch legitimierten Professionalierern. Drogen und Naturschutz zur militärischen Kategorie. Die politische Ökonomie des Dopedeals seit dem 2. Weltkrieg zum Comic in Fortsetzung von den bösen Kartellen und der missbräuchlichen Benutzung von Sozialleistungen durch Süchtige. Nahrungssicherheit zur Frage der Kursschwankungen an der Chicagoer Börse. In diese tägliche Umkehrung der Begriffe passt das neuste Kapitel der "brave new world", die Wiederentdeckung des "Anti-Terrorismus". OAS-Kunde vom soliden KonsensOAS-Generalsekretär César Gaviria hatte es am Treffen der amerikanischen Sicherheitsminister vom April 96 in Lima genau vorbuchstabiert: "Terrorismus wurde in unserer Region zum Diskussionsgegenstand, als seine Stärkung in den 70er Jahren viele unserer Länder in Mitleidenschaft zog". Monsieur meinen die Zeit des internationalen Sturms auf die imperialistische Ordnung, den trikontinentalen Versuch, zwei, drei, viele Vietnams zu schaffen. "Undiskriminierte terroristische Handlungen, Flugzeugentführungen und Drohungen gegen Botschaften (...) erschütterten die Grundlagen von Frieden und Ruhe fast überall auf der Welt" (Yankees go home!). "So reagierte die Staatengemeinschaft mit der Europäischen Antiterrorismus-Konvention; in den amerikanischen Ländern mit der Washingtoner Erklärung (...) Selbst in jenen Tagen bestand aus juristischen und praktischen Gründen die Auffassung, dass keine politischen Motive für solche terroristischen Akte angeführt werden konnten. Dennoch erwies es sich in Amerika als unmöglich, den gewünschten soliden Konsens zu diesem Thema herzustellen. Die Ausbreitung militärischer Diktaturen in der Region, die unerlaubte Ausdehnung des Wortes "terroristisch" auf die legale Opposition (...) erschwerten damals den Konsens. So wurde ein (...) politisches Vakuum geschaffen (...). (Terroristische Gruppen) erhielten oft Asyl und Finanzierung und konnten so der Justiz entfliehen". Kontraproduktiv, diese Diktaturen: Sie haben zwar, was nicht so betont wird, die Opposition vielerorts geschlachtet, teilweise die Falschen, aber ein paar der Bösen sind entwischt, nach Mexiko etwa. Heute, so freut sich Gaviria, ist alles "radikal anders". "Alle Regierungen der OAS-Mitglieder sind aus demokratischen Wahlen hervorgegangen". Und so kann man endlich geeint zur definitorischen Sache kommen. "Diese Staaten drückten (an der Konferenz) ihre Bereitschaft aus, in Übereinstimmung mit den heimischen Gesetzen strenge Massnahmen gegen ein Verbrechen anzuwenden, das man übereinstimmend als gemeines oder schweres Verbrechen bezeichnet hatte und als solches ahndet".Gemeinsam sind sie starkAufatmen, die Begriffsklippe ist magistral geschafft: Verbrechen ist, wenn Verbrechen ist. TerroristIn, wer sich nicht an die (spezifischen) Wahlspielregeln hält. Vorerst hat, so Gaviria, die neoliberale, neomilitarisierte Antiverbrechens-Staatengemeinschaft "beschlossen, den Erfahrungsaustausch zu intensivieren und sowohl den polizeilichen und geheimdienstlichen Informationsaustausch wie auch die gerichtliche Zusammenarbeit zu stärken". Gaviria verspricht weiter eine nicht näher definierte "substantielle Zahl weiterer Massnahmen". Das gibt Arbeit. "Ein guter Ansatzpunkt wird die Unterstützung für Zentralamerika sein, damit dessen (im Dezember 95) unterschriebener 'Vertrag über Demokratische Sicherheit' nützlich ist im Kampf gegen den Terrorismus, der leider als Produkt der langen Konfrontationsperiode Wurzeln geschlagen hat".Der zweite Flug des CondorsWir kennen die Töne. Der Verweis auf die Strassburger Konvention ist nicht aus der Luft gegriffen. Als die Militärdiktaturen des Cono Sur und Washington sich zur Operation Condor zusammen taten, wurden tausende von Flüchtlingen ausgemerzt. Gaviria benennt die Schwachstelle mit technokratisch-demokratizistischem Vokabular, aber stets aus der Sicht der Mörder. Nicht alle hatten am gleichen Strick gezogen, einige hatten unterschiedliche Vorstellungen von "Terrorismus" gehabt. Der Konsens war nicht solide genug, tausende von GenossInnen konnten etwa nach Mexico flüchten.Mit einer homogenen Verrechtlichung soll nun kontinental die Möglichkeit von Asyl und der Reorganisation des Widerstandes bekämpft werden. Als Symbol für diese Entwicklung steht die krass illegale Auslieferung des argentinischen Ex-Guerillero Enrique Gorriarán von Mexico an Argentinen. Gorriarán ist in Argentinien in einem Schauprozess von den Nachfolgern der Junta zu praktisch lebenslänglichem Knast verurteilt worden. In Chile und vielen andern Ländern läuft im Moment die Anpassung der sogenannt nationalen Gesetze an die Lima-Norm. Die Stürmung der vom MRTA besetzten japanischen Botschaft in Lima ist an der diesjährigen Anti-Terrorismus-Konferenz der OAS nicht umsonst zum Paradigma erklärt worden. Hinter dem Begriff der Verrechtlichung verdeckt sich bekanntlich - auch hier gilt, was wir früher das Modell Deutschland genannt haben - das Primat der Vernichtung, die Verweigerung einer politischen Verhandlungslösung. Kronzeugenregelung und ähnliches zielen auf den instrumentalisierten individuellen Deal, gegen die politische Lösung. Das hatte vor einiger Zeit der zapatistische Sprecher Marcos thematisiert, als er von den Auswirkungen der Verpolizeilichung der Armee in Chiapas sprach. Ob die subpolizeilich mandatierte bolivianische Armee Cocaleros wegen terroristischer Umtriebe ins Gefängnis bringt, ob wir von einer neuen Militarisierung sprechen, die unter technischem Demokratizismus segelt, darauf kommt es nicht an. Beides meint Zerschlagung, Neutralisierung, Vernichtung von Widerstand. Erinnern wir uns die neuen Formen der Hungerrevolten in Nord- und Südmexiko. Wenn sich das etwa mit linken Wahlerfolgen in El Salvador, Mexiko und Uruguay verbindet, dann verstehen wir etwas von den neuen Konfliktformen, verstehen die Vorbereitungen der transnationalen Elite darauf. Und begreifen unseren Versuch, die Bundesanwaltschaft daran zu hindern, Patricio Ortiz an Pinochet auszuliefern, nicht ausschliesslich als humanitäres Engagement. Der Nebel in unseren KöpfenZum Schluss noch eine allgemeine Bemerkung. Während der Vorbereitung auf diesen Vortrag habe ich plötzlich begriffen, wie sich die Zeiten verändert haben. Früher hätten wir zu so einem Thema dutzende von Papieren und Büchern als Unterlage. Auf deutsch, auf englisch, leicht zugänglich. Ich erinnere mich an die Texte zum Thema "Low Intensity Warfare". Heute? Neuer Militarismus? Anti-Terrorismus-Konferenzen der OAS? Was gibt es da? Eine zusammenfassende Analyse ist mir nicht untergekommen, geschweige denn, dass diese auch so etwas wie Bewegungsgut geworden wäre.Es ist merkwürdig. Natürlich haben viele von uns ab und zu mal was mitbekommen zum Thema, sei's bezogen auf Lateinamerika oder auf andere Gebiete. Doch irgendwie wird das kaum mehr systematisch analysiert, ist es nicht mehr Wert, Gegenstand der Aufmerksamkeit zu sein. Wo sind die organischen Intellektuellen der Bewegung geblieben, woran arbeiten sie heute? Wir sind ein paar wenige AktivistInnen der Solidarität, keine Intellektuellen mit Sabbaticals und Buchverträgen. Wir versuchen, Infoteile zusammen zu bringen. Das ersetzt aber nicht die systematische Analyse. Ich habe den Eindruck, dass die ewigen Reden von der Zivilgesellschaft es wenig reizvoll machen, sogenannt Militärisches anzuschauen, bzw. die Politik, die dahinter steht. Die Facts werden zu einer Art Hintergrundgeräusch, an das wir uns schon beträchtlich gewöhnt haben - Hungertode, Militäraktionen, "Humanitäres", dies und jenes. Natürlich ist es extrem schwierig, mit dieser Realität umzugehen. Das Problem ist aber auch, dass dieser "Background" einfach nicht als Kulisse zum modernen zivilgesellschaftlichen Diskurs taugt, bei dem wir anscheinend alle zusammen, ohne Antagonismen, um die "beste" Lösung ringen. So darf das nicht sein. Wenn wir uns das Wissen um antagonistische Interessen in dieser Gesellschaft aus dem Kopf hinausnebeln lassen, dann haben wir zuviel verloren. Natürlich sind wir seit einigen Jahren nur noch in der Defensive. Aber wenn diese Grunderkenntnis abhanden kommt, kann auch von Defensive nicht mehr geredet werden. All das ist nicht nur ein Problem der Zentralamerika-Solidarität. Das geht allen linken Gruppen so. |