Süddeutsche Zeitung
Alles unter KontrolleDie repressive Drogenpolitik wird "verständnisvoll". Ist das gut? "Wenn sich das kleine Sätzchen Sucht ist Krankheit im Bewußtsein der Menschen durchsetzt, ist viel erreicht." Das sagte Christa Nickels, die Drogenbeauftragte der neuen Bundesregierung, jüngst in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel. Der Wechsel der Zuständigkeit vom Innen- zum Gesundheitsministerium zeigt also die neue Linie an: "weg von der Repression und hin zur Gesundheitspolitik". Nach all den Diskussionen endlich eine liberalere Drogenpolitik auch auf Bundesebene? Was aber, wenn alles umgekehrt wäre? Was, wenn unter dem Stichwort "Gesundheitspolitik" viel mehr Kontrolle ausgeübt wird als das unter dem Stichwort "Repression" der Fall war? Zwei Szenarien: 1. Stadtpark. Dutzende junger Menschen in dunkler Kleidung in verwahrlostem Zustand lagern auf einer Wiese. Müll, Flaschen, Dosen. Passanten drehen sich angewidert ab. Zoom. Mehrere Gestalten in Nahaufnahme, Ausländer dabei. Augen mit Balken verdeckt. Hände tauschen Geld und Drogenampullen. Ein Löffel über einer Kerze, ein abgebundener Arm, eine Spritze dringt in eine Vene ein, ein Blutstropfen. 2. Stadtpark. Eine Gruppe Jugendlicher in der Abendsonne, bunte Kleidung. Eine Weinflasche. Fangenspiele. Mädchenlachen. Eine vorbeigehende Oma bleibt stehen und lächelt. Zoom. Hinter einem Rucksack weißes Pulver auf einer CD-Hülle. Eine EC-Karte mit Spuren des Pulvers, ein zusammengerollter Zehnmarkschein. Schniefen. Glasige, ein bißchen fiebrige Augen in fröhlichen Gesichtern. Joints machen, weder besonders auffällig noch besonders unauffällig, die Runde. Die erste Szene ist die Horrorvision aller Eltern, Schablone für einen mythisierten Diskurs über Drogenabhängigkeit: Drogenkonsum als Einbahnstraße, die auf dem Weg vom Haschisch zum Heroin "vom Spaß zum Elend" nur wenige Abzweigungen aufweist. Das Elend der Bahnhofsjunkies als emblematisches Bild für das Elend des Drogenkonsums an sich. Und schließlich Drogenkonsum als radikale Form des Nihilismus, als willentlich betriebene Selbstzerstörung in Ablehnung aller bürgerlichen Werte. Der Hohn der Haschischtoten Letzteres war die Begründung für die Zuständigkeit des Innenministeriums. Entweder der Drogenabhängige oder der Dealer "oder, in letzter Konsequenz, die Droge selber" als Staatsfeind, als feindlicher Agent, der die Gesellschaft von innen auszuhöhlen trachtet. Nie war es so einfach, subversiv zu sein. Nie war es so einfach, eine gesunde Abneigung gegen die ausführenden Organe der Staatsmacht zu kultivieren. Für Polizeiparanoia brauchte man nicht fragwürdige linksradikale Zerstörungstaten zu begehen, es reichten ein paar Drogen-Accessoires, es reichte die Mitführung eines mittelgroßen Stücks Haschisch im Handschuhfach des gammeligen Automobils. Sozusagen auf der Rückseite dieses Mythos, der seine Wirksamkeit vor allem über ein einziges, in Variationen wiederkehrendes, schockierendes Bild entfaltete " das Bildnis des existentiellen Drogenelends " konnte sich eine relativ freizügige und offene Subkultur des genußorientierten Konsums von verbotenen und nichtverbotenen Drogen entfalten. Als Tarnung reichte es aus, nicht so auszusehen, wie sich die Gesellschaft Drogenabhängige vorstellt. Solange bayerische Politiker von "Haschischspritzern" und "Haschischtoten redeten und dafür nicht Hohn oder zumindest das kollektive Aufstöhnen der bürgerlichen Intelligenz ernteten, konnten die anderen vier (oder zwei, sechs, wieviel auch immer) Millionen Haschischkonsumenten a) sich sicher fühlen, denn sie waren bestimmt nicht gemeint, und b) sich im Besitz eines besseren Wissens vereinen, sozusagen eine Geheimgesellschaft der Illuminierten bilden. Man hatte keine Garantie gegen obrigkeitsstaatliche Zugriffe, aber man war gefeit vor der tiefgehenden Macht gesellschaftlicher Zuschreibungen. Zwar kamen im Lauf der Jahre noch ein paar weitere Drogenszenarien ans Licht " der kokainschnupfende Yuppie, der Ecstasy-einwerfende Raver ", aber an der spektakulären Anbindung des Klischees an außerhalb des bürgerlichen Verständnishorizonts befindliche Bilder "Jetset-Glamour, totales Elend oder totale Fernsteuerung" wurde festgehalten. Eine ehrliche Analyse hätte möglicherweise neben der Erkenntnis, daß der durchschnittliche Drogenkonsument nur unwesentlich vom Verhalten seiner Zeitgenossen abweicht, sowie der, daß es den typischen Drogenkonsumenten nicht gibt, sondern eine Vielzahl von Spielarten, den Drogenkonsum mit anderen Praktiken des Lebens zu kombinieren, noch eine andere zutage gebracht. Etwas grundsätzlich Unangenehmes über unsere Gesellschaft: daß jedem fortgeschrittenen Konsumentenbewußtsein mit seinem Wunsch nach kontrollierten Intensitätssteigerungen und zielgerichteten Erlebnisproduktionen eine Suchtdisposition zugrunde liegt. Es gibt Geläuterte Was aber ist aus den freundlichen Jugendlichen im zweiten Szenario geworden? Einige basteln an einer Karriere, andere haben ihre Ausbildung abgebrochen und sind Hilfsarbeiter, dritte studieren immer noch " wie viele andere ihrer Generation. Wahrscheinlich haben ein paar "ganz aufgehört mit den Drogen (und trinken jetzt nur noch Wein, wie Joschka Fischer, der Geläuterte). Die anderen "nehmen nur noch ab und zu was" (was Teureres zu besonderen Anlässen) oder auch regelmäßig, vielleicht ist auch einer "hängengeblieben (was nicht ausschließt, daß er erfolgreich als Art-Designer arbeitet). Ihnen allen drohen jetzt neue Gefahren. Denn möglicherweise bedeutet der Übergang von einem "repressiven" zu einem "verständnisvollen" System nicht weniger, sondern mehr Kontrolle. Nun könnte, im Namen der Gesundheit, ein differenzierteres Reden beginnen, um den Drogenkonsumenten ans Licht der Welt zu zerren. Ein fachkundiges, gut informiertes Reden, das genau festlegt, welche Substanzen in welcher Dosierung auf welche Art und Weise (gesundheitsschädlich) wirken, das heißt, den Körper in seinen Funktionen in einem produktionsorientierten Sinne beeinträchtigen. Eine Drogenpolitik, die den Konsumenten nur als "Abhängigen" und damit als "Kranken" auffaßt, hat weiter den elenden Bahnhofsfixer im Visier. Nur daß der verschobene Untersuchungsschwerpunkt diesmal wirklich die anderen, die überwiegende Mehrzahl der unspektakulären Drogenkonsumenten treffen könnte. Neue chemische Verfahren machen den schnellen Nachweis verschiedenster Substanzen im Körper möglich. Konzentrierten sich Polizisten früher auf die aufwendige Suche nach dem Stoff, können sie jetzt eine routinemäßige Untersuchung der im Körper vorhandenen Substanzen vornehmen (die teilweise wochenlang im Körper bleiben). Dies trifft zwar ausschließlich die Konsumenten, macht sich aber gut in der Statistik und ist im Sinne einer ernüchternden Gesundheitspolitik. Den dabei Erwischten drohen keine harten Strafen "Drogenvergehen gleichsam als Kavaliersdelikt", aber eine ganze Reihe von "sanften" regulatorischen Eingriffen sind in einer Gesellschaft denkbar, in der "Gesundheit" die oberste Prämisse ist: Drogenkonsumenten stellen zum Beispiel ein Risiko dar, das von Versicherungen gesondert eingestuft werden könnte. "Abhängigkeiten von illegalen Substanzen könnten, im Gesundheitspaß eingetragen, oft Grund für eine Nichteinstellung sein (eine Maßnahme, die bisher, durchaus trickreich ausgenutzt, nur potentielle Rekruten betraf); oder für Führerscheinentzug, Entzug des Sorgerechts etc. Eine ganze Palette von Ausschließungen, die im Namen der Gesundheit eine Normalität durchsetzen, die grundsätzlich nicht abweicht von der der Drogenkriegszeit, deren Netz aber wesentlich dichter gespannt ist. Das Risiko des Drogen-Rebellentums ist minimal angesichts des Zwangs zur Anpassung, zu dem die Sucht als Krankheit zwingt " unter Drohung, aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden (wie es dem gelegentlich kiffenden Hochleistungssportler passieren kann). Von einem "Recht auf Rausch", von dem in der Vorlage zum Cannabis-Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Rede war, von der erlebnis- und gemeinschaftsstiftenden Potenz von Drogenerfahrungen sowie von den spezifischen Räuschen in unserer Gesellschaft wird man in Zukunft wohl kaum noch hören. ALEXANDER KLOSE |