Paul Lafargue:Das Recht auf Faulheit Widerlegung des "Rechts auf Arbeit" von 1848Inhalt:
2. DER "SEGEN" DER ARBEIT 3. WAS AUS DER ÜBERPRODUKTION FOLGT 4. EIN NEUES LIED, EIN BESSERES LIED!
Paul Lafargue wurde 1842 in Santiago de Cuba geboren, kam bald nach Frankreich und schloss sich schon als junger Mann dem radikalen Flügel der Arbeiterbewegung an. Als Teilnehmer am Kommuneaufstand musste er nach 1871 das Land verlassen und konnte erst 1882 nach Paris zurückkehren. 1883 erschien erstmals auf französisch seine kleine Schrift "Le droit a la Paresse" die 1891 von Eduard Bernstein deutsch veröffentlicht wurde. Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx und Vorkämpfer des Marxismus in der französischen Arbeiterbewegung, nahm sich gemeinsam mit seiner Frau Laura im November 1911 das Leben. 1. EIN VERDERBLICHES DOGMAEine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, die Ökonomen und die Moralisten die Arbeit heiliggesprochen. Blinde, und beschränkte Menschen, haben sie weiser sein wollen als ihr Gott; schwache und unwürdige Geschöpfe, haben sie das, was ihr Gott verflucht hat, wiederum zu Ehren zu bringen gesucht. Ich, der ich weder Christ noch Ökonom, noch Moralist zu sein behaupte, ich appelliere von ihrem Spruch an den ihres Gottes, von den Vorschriften ihrer religiösen, ökonomischen oder freidenkerischen Moral an die schauerlichen Konsequenzen der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft.
In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Arbeit die Ursache des
geistigen Verkommens und körperlicher Verunstaltung. Man vergleiche
die von einer ganzen Schar zweihändiger Knechte bedienten
Vollblutpferde in den Ställen eines Rothschilds oder Hohenlohe mit
den schwerfälligen normannischen oder pommerischen Gäulen,
welche das Land beackern, den Mistwagen ziehen und die Ernte einfahren
müssen! Man betrachte den stolzen Wilden, wenn ihn die Missionare
des Handels und die Handlungsreisenden in Glaubensartikeln noch nicht
durch Christentum, Syphilis und das Dogma von der Arbeit korrumpiert haben,
und dann vergleiche man mit ihnen unsere abgerackerten Maschinensklaven!
Christus lehrt in der Bergpredigt die Faulheit: "Sehet die Lilien
auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht,
und doch sage ich Euch, dass Salomo in all' seiner Pracht nicht herrlicher
gekleidet war." (Matthäi 6, 28 und 29.) Jehovah, der
bärtige und sauertöpfische Gott, gibt seinen Verehrern das
erhabenste Beispiel idealer Faulheit: nach sechs Tagen Arbeit ruht er auf
alle Ewigkeit aus. (...) Welches sind in unserer Gesellschaft die Klassen, welche die Arbeit um der Arbeit willen lieben? Die Kleinbauern und Kleinbürger, welche, die einen auf ihren Acker gebückt, die andern in ihren Boutiken vergraben, dem Maulwurf gleichen, der in seiner Höhle herumwühlt, und sich nie aufrichten, um mit Musse die Natur zu betrachten.
Und auch das Proletariat, die grosse Klasse der Produzenten aller
zivilisierten Nationen die Klasse, die durch ihre Emanzipation die
Menschheit von der knechtischen Arbeit erlösen und aus dem menschlichen
Tier ein freies Wesen machen wird, auch das Proletariat hat sich, seinen
historischen Beruf verkennend, von dem Dogma der Arbeit verführen
lassen. Hart und schrecklich war seine Züchtigung. Alles individuelle
und soziale Elend entstammt seiner Leidenschaft für die Arbeit. 2. DER "SEGEN" DER ARBEIT(...) "Je mehr meine Völker arbeiten, um so weniger Laster wird es geben schreibt Napoleon am 5. Mai 1807 aus Osterode. (Begeisterte ihn die Lage der dortigen Landsklaven zu seinem Ausspruch?) "Ich bin die Autorität, ... und ich wäre geneigt zu verfügen, dass sonntags nach vollzogenem Gottesdienst die Geschäfte wieder geöffnet werden und die Arbeiter wieder ihrer Beschäftigung nachgehen sollen." (...)
12 Arbeitsstunden pro Tag, das Ideal der Philanthropen und Moralisten des
18. Jahrhunderts! Wie weit sind wir über dieses Nonplusultra hinaus!
Die modernen Werkstätten sind ideale Zuchthäuser geworden, in
welche man die Arbeitermassen einsperrt, und in denen man nicht nur die
Männer, sondern auch die Frauen und Kinder zu zwölf- und
vierzehnstündiger Zwangsarbeit verdammt.
Und wenn die Leiden der Zwangsarbeit über das Proletariat
hereingebrochen sind, zahlreicher wie die Heuschrecken der Bibel, so ist
es dieses selbst gewesen, das sie heraufbeschworen hat.
("Nun", fährt Lafargue fort, "wir wollen
ihnen das glänzende Bild der proletarischen Genüsse zeigen"
- und es folgt eine breite Schilderung der Verelendung überall dort,
wo die kapitalistische Produktion sich durchsetzt.)
Arbeitet, arbeitet Tag und Nacht: indem ihr arbeitet, vermehrt ihr euer Leiden, und euer Elend enthebt uns der Aufgabe, euch gesetzlich zur Arbeit zu zwingen. Der gesetzliche Arbeitszwang macht "zu viel Mühe, fordert zu viel Gewalt und erregt zu viel Aufregung; der Hunger ist dagegen nicht nur ein friedlicher, geräuschloser, unermüdlicher Antreiber zur Arbeit, er bewirkt auch, als die natürlichste Veranlassung zur Arbeit und gewerblichen Tätigkeit, die gewaltigste Anstrengung." Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den Nationalreichtum und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu sein. Das ist das unerbittliche Gesetz der kapitalistischen Produktion.
Dadurch, dass die Arbeiter den trügerischen Redensarten der
Ökonomen Glauben schenken und Leib und Seele dem Dämon Arbeit
verschreiben, tragen sie selbst zu jenen industriellen Krisen bei, wo die
Überproduktion den gesellschaftlichen Organismus in krankhafte
Zuckungen versetzt. (...) 3. WAS AUS DER ÜBERPRODUKTION FOLGTIch werde mich im folgenden auf den Nachweis beschränken, dass angesichts der modernen Produktionsmittel und ihrer ungeheuren Vervielfältigungsmöglichkeit der übertriebenen Arbeit ein Dämpfer aufgesetzt und es den Arbeitern zur Pflicht gemacht werden muss, die Waren, die sie produzieren, auch zu verbrauchen (...) Jede Minute Maschinenarbeit ermöglicht dem Arbeiter zehn Tage Ruhe. Was sehen wir aber? Je mehr sich die Maschine vervollkommnet und mit beständig verbesserter Schnelligkeit und Sicherheit die menschliche Arbeit verdrängt, verdoppelt der Arbeiter, anstatt seine Ruhe entsprechend zu vermehren, noch seine Anstrengung, als wollte er mit der Maschine wetteifern. O törichte und verderbliche Konkurrenz! (...) Die blinde, wahnsinnige und menschenmörderische Arbeitssucht hat die Maschine aus einem Befreiungsinstrument in ein Instrument zur Knechtung freier Menschen umgewandelt: die Produktionskraft der Maschine ist die Ursache der Verarmung der Massen geworden.
Da jedoch die Arbeiterklasse in ihrer Einfalt und Treuherzigkeit sich den
Kopf hat verdrehen lassen und mit angeborenem Ungestüm blindlings auf
die Devise "Arbeit und Enthaltsamkeit" hineingefallen ist,
so sieht sich die Kapitalistenklasse zu erzwungener Faulheit und
Üppigkeit, zur Unproduktivität und Überkonsum verurteilt.
Und wenn die Überarbeit des Proletariers seinen Körper abrackert
und seine Nerven zerrüttet, so ist sie für den Bourgeois nicht
minder fruchtbar an Leiden: er muss seinen ehemals bescheidenen
Bedürfnissen Zwang antun, muss die ihm seit zwei Jahrhunderten zur
Gewohnheit gewordene Arbeitsamkeit sich abgewöhnen und sich einem
zügellosen Luxus, der Ausstopfung mit Trüffeln, sowie
syphilitischen Ausschweifungen ergeben. Er muss zudem eine enorme Masse
Menschen der produktiven Arbeit entziehen, um sich Mitesser zu
verschaffen. (...) Trotz dieser Übel gewöhnte sich die Bourgeoisie bald an ihr
Parasitenleben und sah mit Schrecken jeder Änderung der Dinge
entgegen.
Wenn denn nun die Arbeitssucht in den Arbeitern eingewurzelt ist, wenn sie
denn alle anderen natürliche Instinkte erstickt, und wenn anderseits
die von der Gesellschaft erforderte Arbeitsmenge notwendigerweise durch
den Konsum und die Menge des Rohmaterials begrenzt ist, warum in sechs
Monaten die Arbeit des ganzen Jahres verschlingen? Warum sie nicht
lieber gleichmässig auf die 12 Monate verteilen, und jeden Arbeiter
zwingen, sich das Jahr über täglich mit fünf oder sechs
Stunden zu begnügen, anstatt sich während sechs Monaten mit
täglich 12 Stunden den Magen zu verderben? Wenn ihnen ihr
täglicher Arbeitsanteil gesichert ist, werden die Arbeiter nicht
mehr miteinander eifersüchteln, sich nicht mehr die Arbeit aus der
Hand und das Brot vom Mund wegreissen, dann werden sie, nicht mehr an
Leib und Seele erschöpft, anfangen, die Tugenden der Faulheit zu
üben. (...)
Die Erfahrungen intelligenter Kapitalisten liegen vor: sie beweisen,
unwiderleglich, dass, um die menschliche Produktion zu steigern, man die
Arbeitszeit herabsetzen und die Zahl der Ruhetage vermehren muss. 4. EIN NEUES LIED, EIN BESSERES LIED!Wenn die Herabsetzung der Arbeitszeit der gesellschaftlichen Produktion neue mechanische Kräfte zuführt, so wird die Verpflichtung der Arbeiter, ihre Produkte auch zu verzehren, eine enorme Vermehrung der Arbeitskräfte zur Folge haben. Die von ihrer Mission, Allerweltskonsument zu sein, erlöste Bourgeoisie wird nämlich schleunigst die Menge von Soldaten, Beamten, Kupplern usw., die sie der nützlichen Arbeit entzogen hatte, damit sie ihr konsumieren und vergeuden halfen, freigeben das heisst dem Arbeitsmarkt. Dieser wird, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte ihm zugeführt werden, so überfüllt sein, dass man schier gezwungen sein wird, die Arbeit zu verbieten; es wird fast unmöglich sein, für diesen Schwarm bisher unproduktiver Menschen Verwendung zu finden, denn sie sind zahlreicher als Heuschrecken. Dann wird man an die denken, die für den kostspieligen und nichtsnutzigen Bedarf dieser Leute aufzukommen hatten. Wenn keine Lakaien und Generäle mehr galonniert, keine verheirateten und unverheirateten Prostituierten mehr in Spitzen eingehüllt, keine Paläste mehr eingerichtet und keine Kanonen mehr gegossen zu werden brauchen, dann wird man mittels drakonischer Gesetze die Posamentier-, Spitzen-, Eisen- usw. Arbeiter und Arbeiterinnen im Interesse der Hygiene und der Veredelung der Menschheit zu Ruder- und Tanzübungen anhalten, damit sie ihre untergrabene Gesundheit wiederherstellen. Von dem Augenblick an, wo die europäischen Produkte nicht mehr in alle Welt hinaus verschickt werden, werden auch die Seeleute, die Lastträger und Fuhrleute anfangen, den Daumen drehen zu lernen. Dann werden die glücklichen Südseeinsulaner sich der freien Liebe hingeben können, ohne die Fusstritte der zivilisierten Venus und die Predigten der europäischen Moral fürchten zu brauchen. (...) Die Proletarier haben sich in den Kopf gesetzt, die Kapitalisten zu
zehn Stunden Gruben- oder Fabrikarbeit anhalten zu wollen - das ist der
grosse Fehler, die Ursache der sozialen Gegensätze und der
Bürgerkriege. Nicht auferlegen, verbieten muss man die Arbeit.
Den Rothschilds, den Krupps wird erlaubt werden, den Beweis zu liefern,
dass sie ihr ganzes Leben lang Nichtstuer gewesen sind.(...) Wie Christus, die leidende Verkörperung der Sklaverei des Atertums,
erklimmt unser Proletariat, Männer, Frauen und Kinder, seit einem
Jahrhundert den rauhen Kalvarienberg der Leiden; seit einem Jahrhundert
bricht Zwangsarbeit ihre Knochen, martert ihr Fleisch, zerrüttet
ihre Nerven; seit einem Jahrhundert quält Hunger ihren Magen und
verdummt ihr Gehirn... O Faulheit, erbarme Du Dich des unendlichen
Elends! O Faulheit, Mutter der Künste und der edlen Tugenden, sei Du
der Balsam für die Schmerzen der Menschheit! (Aus: Paul Lafargue, Das Recht auf Faulheit. Edition Sonne und Faulheit,
Juni 1980. "Genießt den Untergang des Abendlandes" |