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Sympathy For the Dealer
Warum man Drogenhändler hassen soll
- 15 Aufsätze über ein verrufenes Gewerbe
Wie erkennt man Drogendealer? Für
den Süchtigen stellt sich diese Frage nicht; "wenn man ihn sieht",
schreibt William S. Burroughs in "Junkie", "schlägt die Wünschelrute
aus".
Die Mehrheit der Bevölkerung, die
keinerlei Kontakte zu Drogenhändlern unterhält, ist von diesem
Erfahrungswissen ausgeschlossen; sie verfügt jedoch über einen
Wissensvorrat, der ihr erlaubt, den Dealer sehr genau zu beschreiben: Er
ist arbeitsscheu, raffgierig, brutal; kennt keinerlei Skrupel, geht über
Leichen und kommt aus dem Ausland. "Drogenhandel ist", wie es Norbert Hacker
von der GAL während der Dealer-raus-Kampagne im Hamburger Schanzenviertel
formulierte, "eine der moralisch abstoßendsten Sachen, die es gibt."
Und Dealer sind, versichert Hacker, "persönliche Schweine".
Neben dem Dealer ist nur der "Kinderschänder"
einem so einhelligen Unwerturteil quer durch alle politischen Szenen ausgesetzt;
gleich jenem muß der Dealer regelmäßig zur Rechtfertigung
polizeilicher Maßnahmen und Gesetzesverschärfungen herhalten;
gleich jenem fungiert er als Scharnier zwischen rechten und linken Politikfeldern.
In dem von Bettina Paul und Henning Schmidt-Semisch
herausgegebenen Aufsatzband "Drogendealer. Ansichten eines verrufenen Gewerbes"
haben sich Kriminologen, Historiker und Soziologen des modernen Dämons
angenommen. Bislang wurden die Akteure des Drogenhandels als Gegenstand
der Sozialwissenschaft ignoriert. Zum einen, weil die Forschung dem gesellschaftlichen
Trend folgte, sich den offensichtlich Elenden zu widmen und den Süchtigen
in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellte; zum anderen, weil sich der Zugriff
auf die Händler ungleich schwieriger gestaltet. Dealer werden "als
Zwitterwesen" wahrgenommen, schreibt Stephan Quensel, "zwischen rational
handelndem Geschäftsmann einerseits und moralisch abartigem Dämon
andererseits. Eine Ambivalenz, die auf Wertfreiheit und Methodenreinheit
bedachte 'moderne' Sozialwissenschaftler den Umgang mit ihnen meiden läßt."
Einige der wenigen existierenden Untersuchungen
aus den USA zu Lebenssituation, Karriere und Identität der Illegalen
sind im hinteren Teil des Buches dokumentiert, u.a. die Studie von Patricia
und Peter Adler über "Großdealer und -schmuggler in Kalifornien".
Da diese Studien keiner spezifischen Fragestellung folgen, sind sie eher
als Steinbruch zukünftiger Forschungen anzusehen. Man kann den Selbstauskünften
der Befragten entnehmen, daß bestimmte Annahmen über den Dealer
nicht zutreffen (z.B. die gesteigerter Gewaltbereitschaft), andere (z.B.
die des hedonistischen Lebenstils mit Gelegenheitssex, Partys, teuren Autos)
zutreffen, bleibt aber auf die vermittelnde, z.T. in ethnographischen Vorannahmen
befangene Perspektive des Forschers angewiesen.
Aufschlußreicher als die Dealer-Biographien
sind jene Aufsätze, die sich mit der Schaffung rassistischer und kriminalistischer
Klischees befassen und die öffentliche Dealer-Debatte im Kontext ökonomischer
und innen- oder ausländerpolitischer Interessen diskutieren.
So rekonstruiert Christine Graebsch das
Image des ausländischen Dealers in in Deutschland, wie es sich aus
der Kopplung von Straf- und Ausländergesetzen ergibt. Susanne Krasmann
und Werner Lehne analysieren die Bekämpfung des Drogenhandels im Kontext
der Debatte um Globalisierung und Organisierte Kriminalität und kritisieren
die ideologische Funktion, "über die isolierte Diskussion der internationalen
Organisierten Kriminalität einen Schauplatz aufzumachen, auf dem (...)
die Dominanz des Ökonomischen auf eine Weise abgearbeitet werden (kann),
die das Grundproblem, die Strukturierung der Weltökonomie, unangetastet
läßt".
Zwar fehlt eine gesonderte Darstellung
"linker" Drogenpolitik, da Linke jedoch seit den siebziger Jahren die Debatte
maßgeblich prägen, findet sich auch hierzu einiges Material.
Zu den eher kuriosen Fundsachen zählt ein Kommentar des Journalisten
und Kabarettisten Henning Venske im stern. "Betroffen als Vater und Staatsbürger",
forderte Venske "den staatlichen Repressionsapparat" zu Zeiten der RAF-Hysterie,
1979, dazu auf, besser "Dealer statt Terroristen" zu "jagen".
Fürsprecher einer drogenliberalen
Politik standen von Anfang an unter ungeheurem Legitimationsdruck. Vor
allem dann, wenn sich linke Politiker und Sozialarbeiter zum Anwalt der
Süchtigen machten, durfte die Warnung vor dem Dealer nicht fehlen.
Unbestritten haben sie die Drogendebatte entdramatisiert, unzweifelhaft
aber auch am Feindbild des Dealers ihren Anteil. Im selben Moment, als
man den Konsumenten entlastete - indem man ihn zum Süchtigen/Kranken
erklärte -, belastete man den Händler, indem er zum Verursacher
der "Drogenkrankheit" gestempelt wurde. Damit waren die, die gegen die
herrschende Drogenpolitik opponierten, Teil des morality play. Verfolgten
einige von ihnen mit der Verwerflichmachung des Dealers zunächst noch
die Strategie, u.a. Forderungen nach Legalisierung plausibel zu machen,
hat sich das taktische Argument längst verselbständigt.
Das Fazit nach rund 30 Jahren Drogenliberalisierung
muß lauten, daß den bescheidenen Zugeständnissen an den
Konsumenten (Wasserpfeifchen, Fixerräume, evtl. Methadon) ein sich
ständig perfektionierender Apparat zur Kontrolle und Verfolgung (Lauschangriff,
Datenstaubsauger) der Händler gegenübersteht.
Einer der mit den Phantasien über
den Dealer beschäftigten Aufsätze des Bandes fragt nach dem Gebrauchswert
medialer Dealer-Bilder für ein Publikum, das sich selbst als anständig
und rechtschaffen definiert. Johannes Stehr hat sich dazu mit urban legends
(modernen Sagen) beschäftigt, die von skrupellosen Dealern handeln
und eine Art Nachdichtung bestimmter Medienberichte sind. Seinen ganz persönlichen
Gewinn zieht der Leser oder Zuschauer aus den Presseberichten dann, wenn
er diese so umschreibt, daß sie seine eigenen Moralkonstrukte stützen.
Ein von Stehr untersuchter Legenden-Typ
variiert z.B. die Warnung an junge Frauen, gefährliche Orte (Disko/Großstadt)
zu meiden, und berichtet von Dealern, die in Diskotheken ahnungslosen Mädchen
Koks in die Cola schütten. Ein anderes Legendenschema handelt von
den Risiken kindlicher Eigenständigkeit, z.B. die Geschichte von den
LSD-Klebebildchen, mit denen Kindern angeturnt werden. "Zwei wesentliche
Elemente sind in diesen Geschichten immer vorhanden: Der skrupellose Dealer,
der die Abhängigkeit zur Maximierung des eigenen Profits herstellen
will, und die Annahme einer allein durch den (einmaligen) Kontakt mit der
Droge erzeugbaren Abhängigkeit und Sucht."
Das Image des Drogendealers, konstatieren
die Autoren, ist durch die Abwesenheit von Dissens gekennzeichnet; die
Schmuggler und Verkäufer verkörpern heute - im Unterschied zu
anderen Epochen, die den Dealer als ehrbaren Kaufmann oder Sozialrebellen
kannten - das absolut Böse, sie sind, wie Stehr anhand der urban legends
zeigt, inzwischen "Mörder", nicht mehr wie zu Beginn der Drogen-Panik
in der BRD "exotische Verführer".
Dissidente Erzählstrategien, die sich
der moralischen Verurteilung widersetzen, finden sich allenfalls in der
US-amerikanischen Underground- oder Popkultur (Bereichen, in denen sich
die Autoren und Autorinnen dieses Bandes allerdings nicht umgesehen haben).
Dealer-Images, angedeutet durch bestimmte Kleidung oder Requisiten, funktionieren
beispielsweise im Kontext von GangstaRap als positives Modell der Auflehnung.
Auch in den Filmen Quentin Tarantinos haben die amoralischen Dealer den
Junkie in seiner Funktion als Subversionsmodell abgelöst; stand der
Drogenkonsument im Kino der Sechziger und Siebziger noch für Rebellion,
ist er inzwischen ein braver Verbraucher.
Gemeinsam ist den Autorinnen und Autoren
von "Drogendealer", daß sie sich einer administrativen Sozialforschung
ebenso widersetzen wie dem Paradigma, wonach der Sozialforscher seinen
Blick "nach unten" zu richten habe. Angenehmerweise ist die Mehrzahl der
Beiträge perspektivisch angelegt, ohne jedoch von vornherein im Hinblick
auf konkrete (drogen)politische Veränderungen zu argumentieren oder
die Vormundschaft des entrechteten Dealers übernehmen zu wollen.
Eine Entdramatisierung der Dealer-Debatte
erwarten sich Holger Mach und Sebastian Scheerer am ehesten durch die Fokussierung
auf die Langzeitkonsumenten harter Drogen (Heroin, Crack). "In dem Maße,
in dem die illegalen 'Suchtstoffe' gar nicht zwangsläufig zur Sucht
führen (...), wird sich auch die moralische Bewertung von Droge, Konsument
und Dealer der Bewertung beim Alkohol angleichen."
Grotesk allerdings ist in diesem Zusammenhang
ihr auf flächendeckende Prävention zielender Vorschlag, "das
Schwergewicht moralischer Steuerung von der negativen Sanktion gegenüber
Dealern auf die positive 'Heldenverehrung'" derjenigen umzulenken, "die
es schaffen, ein Leben ohne Zigaretten, Alkohol, Ecstasy, Opium, Kokain
usw." zu führen.
In die richtige Richtung weist dagegen
die Fragestellug von Johannes Stehr, "ob sich der dämonisierte Zwischenraum,
den die Dealer bewohnen, nicht in einen karnevalesken Zwischenraum - wie
ihn Bachtin - vorgeführt hat - verwandeln läßt, der die
Angst und die Identität lächerlich macht und der Neugierde, Grenzüberschreitung
und Autonomiebestrebungen nicht bestraft, sondern die Subjekte kompetenter
werden läßt."
Bettina Paul/Henning Schmidt-Semisch (Hg):
Drogendealer. Ansichten eines verrufenen Gewerbes. Lambertus. Freiburg/
Breisgau 1998, 235 S. |