Source: Junge Welt (D) Pubdate: Fri, 21. May 99 Author: Anke Pieper/Jörg Hilbert Drogentote sind PolitiktoteHamburger rot-grüne Koalition setzt weiter auf RepressionSand wirbelt durch die Luft. Kinder tummeln sich neugierig hinter einem Bauzaun. Der Rettungshubschrauber ist am Rande des Hamburger Schanzenviertels gelandet. Im Hintergrund heult die Sirene des Notarztwagens. Die Hubschrauberbesatzung rennt Richtung Schulterblatt, der Einkaufsmeile des bei Linken, Alternativen und Künstlern so beliebten Viertels. Die Polizei ist auch schon da. Martialisch. Ganz cool im Kampfanzug. Alles stürmt in den Fixstern, den Druckraum mit Drogenberatungsstelle. Der Notarzt ist bereits drin, kann schnell helfen. Ein Drogentoter weniger. Ein Junkie hat sich eine deftige Überdosis Heroin gespritzt. Ohne fremde Hilfe im Park oder auf einem einsamen Friedhof hätte das seinen sicheren Tod bedeutet.»Der Reinheitsgehalt des angebotenen Heroins liegt zwischen null und 80 Prozent«, sagt Rainer Schmidt, Geschäftsführer beim Drogenhilfeverein Palette in Altona. Da kommt es schnell zu tödlichen Fehldosierungen. Schmidt meint, viele davon könnten verhindert werden, wenn in den Druckräumen der Reinheitsgehalt des Stoffes gemessen würde. Das sei technisch kein Problem. Doch der Sozialarbeiter weiß: »Solch eine Verbraucherberatung ist strafbar.« Leben retten kann also strafbar sein, zumindest wenn es sich um das Leben von Junkies handelt. Repression ist noch immer Prämisse staatlicher Drogenpolitik. Strafe statt Hilfe. Daran hat sich unter Rot-Grün weder in den Ländern noch auf Bundesebene etwas geändert. Ganz im Gegenteil: Längst überholt geglaubte Ansätze staatlicher Drogenbekämpfung feiern fröhliche Urständ. Die Devise lautet: Junkies sind ein Problem, das den braven Bürger stört, so wie im Schanzenviertel. Winfried Salz, Sozialpädagoge im Fixstern, schätzt: »Etwa 400 Drogenkonsumenten halten sich täglich im Viertel auf.« Darunter viele, die von der Polizei aus dem Stadtteil St. Georg und vom Hamburger Hauptbahnhof vertrieben wurden. Polizisten der berüchtigten Revierwache 11 hatten dort Anfang der 90er Jahre geprügelt und gefoltert. Scheinhinrichtungen, das zwangsweise Einflößen von Salzwasser, Fesselungen und Schläge gehörten zu den Praktiken der Beamten. Rassistisch motivierte Gewalt, die besonders Afrikaner traf, die als Dealer verdächtigt wurden - Teil des später über die Grenzen Hamburgs hinaus bekanntgewordenen Polizeiskandals. Und von Mai 1995 bis Dezember 1997 verhängte die Polizei nach eigenen Angaben am Hauptbahnhof und im angrenzenden St. Georg fast 184 000 Platzverweise und nahm mehr als 9 000 mutmaßliche Drogenkonsumenten und Kleindealer in Gewahrsam. Der Ankauf der täglichen Dosis Drogen wurde zum Dauerstreß - immer auf der Flucht. Ein Teil der Junkies wanderte darauf ins Schanzenviertel ab. Und mit ihnen die Dealer. An die 140 Konsumenten nutzen täglich den Druckraum im Fixstern. Einige zwei- oder dreimal am Tag. Die Einrichtung hilft den Junkies, ohne Vorbedingungen zu stellen. Es gibt zwar eine Hausordnung - so darf in den Räumen nicht gedealt werden -, aber niemand muß die bohrenden Fragen eines Sozialarbeiters über sich ergehen lassen, bevor er einen Kaffee bekommt oder den Druckraum nutzen kann. Akzeptierende Sozialarbeit nennt sich das. Viele der Besucher benötigen dringend Hilfe. Mehr als 60 Prozent sind vermutlich mit Hepatitis C infiziert, etliche sind HIV-positiv. Folgen des sogenannten Needle-Sharings, des gemeinsamen Spritzengebrauchs. Aber auch der Cocktail verschiedener Drogen führt zu gesundheitlichen Problemen. Kokain sowie daraus mit Backpulver gebrautes Freebase und Crack sind weiter im Kommen. Nicht zuletzt deshalb, weil das Heroin auf dem Markt oft schlecht und teuer ist. Es wird geballert, was billig ist und knallt. Tödliche Nebenwirkungen eingeschlossen. Der Hamburger Senat schätzt in seinem neuesten Suchtbericht die Zahl der Konsumenten harter Drogen in der Stadt auf 7 000 bis 8 000, darunter seien »zwischen 300 und 500 Drogenabhängige, die als gesundheitlich und sozial extrem verelendet bezeichnet werden müssen«. Kritiker halten diese Schätzung für stark untertrieben und sprechen von bis zu 12 000 Heroinabhängigen. Dagegen wurde die Zahl der Substituierten, die Ersatzpräparate wie Methadon erhalten, auf etwa 3 500 eingefroren. Davon warten um die 40 Prozent auf einen Therapieplatz. Junkies, die ihre Drogen lediglich nicht mehr bezahlen können, kommen nur noch schwer ins Methadonprogramm. Bleibt die Frage, warum erhalten sie kein sauberes Heroin vom Staat? Damit könnte ihre Lebensqualität entscheidend verbessert werden, und Drogentote - 1998 in Hamburg 132 - wären eine Ausnahme. Sauberes Heroin erzeugt vielleicht ein gutes Gefühl, aber keine körperlichen Schäden. Für Sozialarbeiter Schmidt ist das Verbot bestimmter Drogen »eine klare gesellschaftspolitische Entscheidung«. An dieser werde auch die rot-grüne Bundesregierung nichts ändern. Schließlich habe, so Schmidt weiter, die sozialliberale Koalition 1972 das Betäubungsmittelgesetz gegen den weit verbreiteten Konsum von Cannabis-Produkten geschaffen und damit den jetzigen Zustand eingeleitet. »Und die Grünen unterscheiden sich in dieser Frage nicht von der SPD«, konstatiert der Fachmann und betont: »Drogentote sind Politiktote«. Dabei versucht die rot-grüne Hamburger Stadtregierung gerade, sich mit ihrer Beteiligung am bundesweiten Modellversuch einer kontrollierten Heroinabgabe an »Schwerstabhängige« drogenpolitisch zu profilieren. Bis zu 300 Konsumenten sollen in der Hansestadt ihr Heroin vom Arzt bekommen. Die SPD- Gesundheitssenatorin, Karin Roth, verteidigte das Projekt gegenüber Anfeindungen aus der CDU mit der Feststellung, es handele sich um »keine Legalisierung harter Drogen«. Wie wahr! Doch wozu dann das Ganze? Hier wird etwas erprobt, dessen Wirkungen längst bekannt sind: Die Heroinabgabe wird die Betroffenen gesundheitlich und sozial stabilisieren. Doch es geht nicht um die Menschenwürde der Junkies, sondern um Ordnung und Sauberkeit am Hauptbahnhof. Die dortige Szene soll mit dem Projekt angesprochen und verkleinert werden. Für Schmidt ist klar: »Klappt das nicht wie geplant, nimmt die Repression wieder zu.« Akzeptierende Ansätze, wie sie Schmidt vertritt, werden vom rot-grünen Senat durchaus kritisch beäugt. Da heißt es im Suchtbericht des Hamburger Drogenbeauftragten: »Es geht am Auftrag einer qualifizierten Drogenhilfe vorbei und ist auch für den Hilfesuchenden schädlich, wollte etwa die Drogensozialarbeit unter dem Etikett der Akzeptanz sich damit begnügen, das individuelle Überleben zu sichern und riskante Drogenkonsumpraktiken zurückzudrängen.« Da schaut das alte Dogma vom drogenfreien Leben hervor, möglicherweise zu Papier gebracht zwischen der Zigarette danach und dem Gang in die Kneipe. Auch wenn Einrichtungen wie der Fixstern ein Stückchen Raum zum Luftholen bieten, draußen lauert schon die Polizei. Die Jagd geht weiter. Anke Pieper/Jörg Hilbert |