Drop out, turn on,
tune in!"
*
"Oh hey !"
(Augustus Owsley Stanley III.)
*
"Auch das noch ! Es war doch wirklich schon schlimm genug, daß sein Haus durchsucht und sein Labor beschlagnahmt worden war. Warum mußte Owsley ausgerechnet jetzt dafür sorgen, daß es noch mehr Ärger gab? Am 21. Februar 1965 hatten Beamte der kalifornischen Drogenbehörde ein Haus in Berkeley durchsucht - ein kleines Gebäude, das den Spitznamen ´Die Grüne Fabrik´ trug. Die Drogenfahnder beschuldigten Augustus Owsley Stanley III., ein MethedrinLabor zu betreiben, beschlagnahmten die gesamte Einrichtung während seiner Abwesenheit und verhafteten einen anwesenden Mitarbeiter. Spätestens jetzt, wo die Sache in den Akten der Drogenfahnder war, wäre es ratsam gewesen, sich die Haare schneiden zu lassen, sich in einen konservativen Anzug zu zwängen und den unschuldigen Sängerknaben zu spielen. Aber so war Owsley überhaupt nicht drauf. Im Gegenteil. Beim ersten Verhör erschien der gedrungene Möchte-Gern-Chemiker, Ende zwanzig, so vor der Polizei: kleine Nickelbrille, dunkler Schnäuzer, kleiner Backenbart, lange Koteletten, verwaschene Jeans und schmuddelige Jacke. Beim nächsten schockte er die Polizisten mit schrillem italienischem Aufzug. - Er wirkte eher wie ein Mafiosi, gefährlich, gereizt und grollend, als unterwürfig und ängstlich wie man es - so wie die Dinge lagen - erwartet hätte.
Die Überraschung war perfekt, als es ihm dann wirklich gelang, alle Vorwürfe gegen ihn glaubhaft zurückzuwei- sen! Er vertrat nämlich schlicht den Standpunkt, daß ´die Grüne Fabrik´ zwar wie ein Drogen - Labor ausgesehen haben könnte, aber ganz einfach keines war! Noch irgendwelche Fragen? Tatsache war ja schließlich, daß kein einziges Gramm der chemischen Droge Methedrin gefunden worden war. Owsley war wieder ein freier Mann."
Der amerikanische Journalist Charles Perry beschreibt so in seinem Buch "Haight/Ashbury - A History" , wie die Flower Power Bewegung für ihn ganz persönlich angefangen hat. Er und Owsley lebten zusammen in einer WG in Berkeley. Perry schreibt heute für das Musik - Magazin The Rolling Stone und ist Redakteur der Los Angeles Times. In seiner Berkeley-Kummune war Owsley bald `Mr LSD`. Er wurde reich und berühmt. Die Band The Greatful Dead schrieb einen Song über den LSD Millionär. Die Hippies trugen seinen Namen auf ihren Buttons. Er war der heldenhafte Chemiker", dessen LSD zum weltweiten Qualitätsstandard wurde.
Ich sitze wieder bei einer Tasse Tee im Buchladen Great Expectations auf der Haight Street und lese: "Haight / Ashbury - A History". Der Buchhändler erzählt mir, daß Perry und "ein gewisser Owsley alias Mr. LSD", eine zentrale Figur der Hippie-Kultur mal zusammen in einer Kommune in Berkeley gewohnt. - Wußte ich schon. - Dann sucht mir Nickelbrille" Perry's Nummer aus dem Telefonbuch und ich verabrede mich mit ihm. Mit Charles Perry. So einfach geht das ! Mir bleibt noch etwas Zeit, ein paar Seiten zur Vorbereitung zu lesen.
In seiner Berkeley-Kummune wurde dieser Owsley bald reich und berühmt, weil er die Hippies massenhaft mit ihrer Droge versorgen konnte. Für Charles Perry beginnt die Zeit der Flower Power 1965, und sie beginnt mit seinem Freund Owsley. Als ich ihn treffe, sprudelt es nur so aus ihm heraus.
"Er ist sehr vereinnahmend. Owsley ist so der Typ, der zu allem eine Meinung und Theorie hat. Der Schriftsteller Tom Wolfe hat ihn mal so beschrieben: ´Es ist, als ob du mit einem Fernsehapparat redest´. Ich denke, er meinte damit, daß Owsley sagt, was er denkt, ohne auf das einzugehen, was du ihm erzählst. Diese Eigenschaft machte ihn zum LSD-Millionär. Viele Leute redeten in den sechziger Jahren viel davon, LSD herzustellen. Owsley verlor zwar auch viele Worte darüber - aber er machte es auch. Als die Drogenbehörde sein Labor beschlagnahmte, schaffte er es sogar, alles unversehrt und voll funktionsfähig zurückzubekommen. So war er drauf ! Ich war mal unterwegs in einem Wagen voller Hippies. Owsley ist gefahren wie der Henker und wir hatten haufenweise Stoff dabei. Es war klar, daß uns eine Polizeistreife anhielt. ´Kann ich Ihnen irgendwie helfen, officer ?´, fragte Owsley scheinheilig mit der Mine des unbescholtenen Bürgers - und - ob du´s glaubst oder nicht - wir sind ungeschoren davongekommen ! Die Streife ließ uns einfach weiterfahren. Später mußte ich noch einmal an diese Szene denken, als ich den den Film STARWARS sah. Darin sagt Obi-Wan Kenobi irgendwann: ´These people can go!´ und der Polizist antwortet: ´Yes, these people can go!´ Was ich damit sagen will: Owsley konnte die Leute mit seinem ausgeprägten Selbstbewußtsein und seiner starken Persönlichkeit einfach überrumpeln, nach dem Motto: ´Du kannst mir gar nichts - Ich bin Owsley !´
Mit größter Selbstverständlichkeit bestellte Owsley später eine Substanz, mit der man LSD herstellen konnte. Und das gleich in gigantischen Mengen. Er gründete eine Scheinfirma, die Bear Research Group und behauptete dreist, er benötige diese Mengen für seine umfangreichen Tierversuche. Nun war es aber so, daß das Land Kalifornien immer noch die Laborgeräte hatte, die die Polizei während der Durchsuchung beschlagnahmt hatte. Owsley wollte sie wiederhaben. Es war schließlich seine Ausrüstung und er wollte sie selbstverständlich auch benutzen. Er verklagte selbstbewußt die kalifornische Behörde und - bekam sein Labor zurück! Unbeschädigt und voll funktionsfähig. Und nachdem er von den Behörden sein Arbeitsgerät zurückbekommen hatte, verschwand er, um ein paar Wochen mit seiner Freundin Melissa - einer Chemiestudentin mit warmen intellektuellen Augen - in Los Angeles zu verbringen. Als die beiden im April 1965 nach Berkeley zurückkehrten, hatten sie, was sie wollten: LSD.
Zu ihrer eigenen Überraschung war es wirklich LSD. Und es war sehr starkes LSD. Es war das stärkste LSD, das sie je hatten, verheerend starker Stoff. Bis zum Sommer '65 hatte er genug Grundstoff für eine Million LSD-Trips zusammen! Und sein LSD war wesentlich stärker als das anderer Hersteller. Ich war in dieser Zeit sein Versuchskaninchen für seine allererste LSD-Serie. Er jubelte mir das Zeug eines Morgens auf einer kleinen Vitaminpille unter. Ich schluckte sie völlig ahnungslos, und es war der helle Wahnsinn: Das war der stärkste Trip, den ich je hatte! ´Oh hey!´ - Diese ersten Trips waren einfach zu heavy! - ´Wir hätten vielleicht nur die Hälfte von dem Stoff nehmen sollen´, sagte er mit gewohnter Unschuldsmiene. Aber selbst als er später behauptete, die richtige Dosierung gefunden zu haben, war es immer noch ganz außergewöhnliches LSD. Eine halbe Stunde, nachdem ich die Pille geschluckt hatte, hielt ich mich für das Gemälde eines alten Ägypters. Aus meinen Ellbogen und Knien flossen Hyroglyphen an der Wand runter, aber so schnell, daß ich sie nicht lesen konnte. Als ich ihm nach ein paar Tagen davon erzählte, sagte Owsley bloß lapidar: ´Ah, genau ! - Du hattest was von der ersten Serie. Oh hey, die war einfach zu stark. Du hättest besser nur die halbe Dosis genommen !´
So ein Buchladen ist was Geiles. Und erstmal dieser hier in der Haight Street # 1512 Ich entdecke immer mehr Literatur zum Thema LSD, finde Timothy Leary und was Wissenschaftliches über LSD und über einen gewissen Schweizer namens Hofman.
Leary beschreibt 1964 das Phänomen LSD so:
"The wish for instant paradise is as old as man himself. For ages, people have searched for artificial means to improve their condition, and drugs have played an important role in this quest. With its emphasis on consciousness, on internal, invisible, indescribable phenomena, with its multiplication of realities, the psychedelic experience is dreadfully incomprehensible to one committed to a rational, protestant, achievement-oriented, behaviorist, equilibrated, conformist philosophy."
Lysergic Acid Diethylamide, zu deutsch Lysergsaures Diethylamid, abgekürzt LSD ist feinste schweizer Qualitätsarbeit: 1938 synthetisiert Dr. Albert Hofmann in einem Labor der Chemiefirma Sandoz den Stoff, aus dem später die Träume der Hippies werden. Hofmann forscht mit dem Stoff, weil er einem Aufputschmittel chemisch sehr ähnlich ist. Es dauert aber noch weitere fünf Jahre, bis Hofmann diesen Vermerk in sein Notizbuch einträgt:
"Vergangenen Freitag, es war der 16. April 1943, mußte ich meine Arbeit im Labor nachmittags unterbrechen und nach hause gehen. Ich verspürte eine sonderbare Ruhelosigkeit, und mir war dabei leicht schwindelig. Zuhause angekommen, legte ich mich etwas hin und war wie angetrunken, was nicht unangenehm war.
Charakteristisch war meine extrem rege Phantasie. Ich ließ meine Augen geschlossen, weil mir das Tageslicht unangenehm hell vorkam und lag völlig verdutzt da, als ein ununterbrochener Strom plastischer, fantastischer Bilder von außergewöhnlicher Brillianz und Klarheit über mich hereinbrach. Die Bilderflut nahm ich außerdem in einem kaleidoskopähnlichen sehr intensiven Farbenspiel wahr. Dieser Zustand hielt ungefähr zwei Stunden an und ließ dann allmählich nach."
Hofmann sagt später, daß diese erste Empfindung sehr schwach gewesen sei und aus sehr geringen Bewußtseinsveränderungen bestanden habe. Er ist sich sicher, daß diese erste LSD-Erfahrung durch die zufällige Aufnahme des Stoffes durch seine Fingerspitzen ausgelöst worden ist. Am folgenden Montag Morgen bereitet Hofmann 0,25 Milligramm LSD vor, was er für eine sehr kleine Dosis hält und macht die folgende Eintragung in sein Notizbuch:
"19. April 1943, 16.20 Uhr: 0,25 Milligramm LSD oral zugeführt. Die wässerige Lösung ist geschmacklos. 16.50 Uhr: Keinerlei Spur irgendeiner Wirkung. 17.00 Uhr: Leichtes Schwindelgefühl, Unruhe, Konzentrations - schwierigkeiten, Sehstörungen, ein starkes Bedürfnis zu lachen...".
An dieser Stelle brechen die Aufzeichnungen Hofmanns ab. Erst am folgenden Morgen schreibt der Chemiker weiter:
"Die letzten Worte konnte ich gestern nur mit großer Mühe schreiben. Ich bat meine Laborassistentin, mich nach Hause zu begleiten, weil ich glaubte, daß mein Zustand derselbe wie am vergangenen Freitag sei. Noch als wir zu mir nach hause radelten merkte ich plötzlich, daß die Symptome wesentlich stärker waren als beim erstenmal. Ich hatte große Schwierigkeiten, zusammenhängend zu sprechen, mein Gesichtsfeld veränderte sich ständig und alles vor mir bewegte sich und Gegenstände erschienen verzerrt wie in einem gebogenen Spiegel. Ich hatte das Gefühl, mich überhaupt nicht von der Stelle bewegen zu können. Meine Assistentin sagte mir aber später, daß wir gemeinsam ein gutes Tempo geradelt seien. - Bis der Arzt mich bei mir zuhause sah, war der Höhepunkt der Krise schon vorbei. Soweit ich mich erinnern kann waren dies die herausragenden Symptome: Schwindel, Sehstörungen, die Gesichter der Menschen empfand ich als lächerliche bunte Fratzen; deutliche motorische Unruhe, ein Gefühl der Schwere in Kopf, Körper und Gliedern, als ob ich aus Metall wäre, Krämpfe in den Beinen, kalte Hände und taube Finger, ein metallischer Geschmack auf der Zunge; eine trockene und wie zusammengeschnürte Kehle, Erstickungsgefühle, abwechselnd Verwirrung und wieder klares Bewußtsein über meinen Zustand, in dem ich mich dann auch selbst immer wieder wie ein unabhängiger, neutraler Beobachter, verrückte und alberne Dinge schreien oder unzusammenhängendes Zeug stammeln hörte. Manchmal schien es mir auch so als hätte ich meinen Körper verlassen und würde im wahrsten Sinne des Wortes physisch neben mir stehen. Immer wenn ich meine Augen schloß, wallte eine nicht enden wollende Woge von realistischen und fantastischen, farbenprächtigen Bildern in mir auf. Bemerkenswert war außerdem, daß alle akustischen Wahrnehmungen (zum Beispiel das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos) in optische Signale umgewandelt wurden! Jedes Geräusch löste eine entsprechende Farb-Halluzination aus, die sich dann ständig weiter in Form und Farbe veränderte. Der Arzt stellte einen schwachen Puls aber einen ansonsten stabilen Kreislauf fest. Gegen sechs Uhr bin ich eingeschlafen und am nächsten Morgen irgendwie erschöpft aber ansonsten fit aufgewacht. Ich fühlte mich gut."
*
Langsam gleitet der Thunderbird durch die kalifornische Nachmittagssonne. Ich sitze am Steuer, David Whitacker hält mein Mikrophon in der Linken und der Bürgermeister der Hippie-Bewegung von San Francisco zeigt mir seine Stadt:
"Wir stehen jetzt an der Ecke von Page und Broderic. Genau hier ist die Hausnummer 1090. Hinter einem kleinen Palmenhain stand ein großes, altes viktorianisches Haus: Page Street 1090. 1966 lebten genau an dieser Stelle die Prototypen der Hippies. Es war eine Kommune. Das Haus gehörte Peter Albin. Er war der Bassist der Band Big Brother and the Holding Company. Wer war die Lead Sängerin ? - Janis Joplin!
David Whitacker kramt ein zerfleddertes Buch aus seiner Jackentasche und blättert darin.
"Ich habe hier ein Buch von Charles Perry: Die Geschichte von Haight/Ashbury. Darin beschreibt der Journalist ein Zimmer im Erdgeschoß als wunderschönes viktorianisches Musikzimmer. Das Haus steht ja jetzt leider nicht mehr. Ich hab´ hier mal ´ne zeitlang gewohnt. Ich kann mich nur noch an ein schlichtes, großes Zimmer erinnern. Dies war der erste Ort, an dem die Bands spielen konnten, wo immer ein paar Leute rumhingen und Sessions machten. Nach einer Weile gab es regelrechte Auftritte. Immer samstags abends. Hier fanden die ersten Auftritte von Big Brother oder Jefferson Airplaine statt. Die Jefferson Airplaine waren damals ein Haufen Jungs, jetzt sind sie fast so alt wie ich. Ich bin vielleicht fünf Jahre älter als die: ich bin jetzt 54. Was da heute wie ein tolles, aber ein bißchen armselig konstruiertes Haus aussieht, war früher das Mekka der Hippie-Bewegung: Page Street 1090. Es war einmal sehr schön da."
Ich habe einen ganzen Nachmittag mit Charles Perry, dem Autor des Buches Haight/Ashbury - A History im Golden Gate Park verbracht. Der Redakteur der Los Angeles Times hat mir hier in den vergangenen drei Stunden seine Geschichte erzählt: Anfangs ein linksradikaler Berkeley Student, wechselte er später in die Hippie-Szene über. Hier war er auf den großen Konzerten, den LSD Parties, den be ins. Er ist guter Kenner der psychedelischen Hippie Szene und der intellektuellen Berkeley Szene zugleich, ein insider in jeder Beziehung. US-Amerikaner - ganz gleich, welcher Szene sie angehören, lieben Mikrophone. Kaum habe ich meins ausgepackt, da...
"Hey, ich bin Charles Perry. Ich erinnere mich an ein Treffen, auf dem die Hippies ein großes human be in planten. Es gab wohl ein paar Redner, aber die ganze Sache sollte eigentlich bloß darauf hinauslaufen, daß da ein Haufen Leute stoned zusammensitzt oder sich auf einen LSD trip begibt. Irgendwann fragte einer der radikalen Studenten von Berkeley: Welche Forderungen werden wir eigentlich stellen, wenn wir die 100.000 Leute zusammen haben ? - Die Hippies fanden diesen Gedanken ziemlich albern. Ihnen ging es einfach darum, gemeinsam etwas Schönes zu machen. Die Berkeley - Linken fanden es aber genauso lächerlich, eine so große Versammlung wieder auseinandergehen zu lassen, ohne wenigstens ein paar Forderungen gestellt zu haben! - Dieses Beispiel beschreibt, glaub' ich, ganz gut den Unterschied zwischen diesen beiden Bewegungen in den Sechzigern. Die Hippies waren eher die in sich ruhenden Weisen, die Linken die Hitzköpfe. Die Hippies beließen es nicht bei Forderungen sondern fingen mit den Veränderungen bei sich selber an. Und wenn sie die Welt schon nicht verbessern konnten, dann wollten sie sie wenigstens ein bißchen verschönern. Heute spielen die Linken in der Politik, in der akademischen Welt und in den Medien eine aktive Rolle. Die psychedelische Bewegung mit Jerry Garcia von den Greatful Dead oder Paul Kantner von Jefferson Airplaine, die sich dann später Jefferson Starship nannte, diese Leute sind ausgeschwärmt, um mal hier und mal da zu wirken.
In einem Satz würde ich sagen: Die Botschaft von Berkeley war: ´Ergreift die Macht!´ und die von Haight/Ashbury lautete: ´Versucht's doch erst mal hiermit!´".
Ich bin auf dem Weg nach Berkeley, 7 Meilen von San Francisco entfernt auf der anderen Seite der Bay. Ich schalte das Autoradio ein, um KPFA zu hören, eine listener sponsored station. KPFA wird von den Hörerinnen und Hörern direkt finanziert, ohne Werbung und ohne staatlichen Einfluß. Qualitätsradio. Es war vor 25 Jahren die Radiostation der politischen Linken und ist es noch heute.
In den Nachrichten geht es um die Verhaftung von fast 600 Demonstranten in San Francisco, der David Whitaker in der vergangenen Woche knapp entgangen war. Meinungsfor-schungsinstitute und selbst liberale Politiker werden jetzt mit der Aussage zitiert, es sei manchmal nötig, die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger zu verletzen. Dazu äußert sich im Radio eine Demonstrantin.
"Es ist nie nötig, Bürgerrechte und verfassungsmäßige Rechte zu verletzen. Ich bin ganz sicher, daß die Bevölkerung in den sechziger Jahren die Bürgerrechtsbewegung unterstützt hätte. In sechs Monaten werden die Leute vielleicht merken: Moment mal, das könnte ja auch ich sein, den sie da verhaften! Wir haben letzten Freitag die Massenverhaftungen gesehen, die uns an Soweto und Alexandra erinnert haben. Als Steuerzahler von San Francisco schäme ich mich dafür! Wir bitten darum, daß sofort Schluß ist mit dieser ausschweifenden Brutalität der Polizei. !"
Ein anderer Demonstrant wird interviewt und sagt lakonisch-böse:
"Redefreiheit! Greifen Sie jetzt zu! Dieses Angebot läuft bald aus! - Hat denn keiner von Ihnen den Mut zu sagen, daß die Verhaftungen vom 1. Mai ein großer Fehler waren? Die Verhafteten gelten als schuldig, bis sie selbst ihre Unschuld bewiesen haben. Die Straßen von San Francisco sind ein rechtsfreier Raum, man wird verhaftet, ob man etwas verbrochen hat oder nicht. Das macht mir Angst!"
Die Reporterin Wandel Harper berichtet weiter:
"Inzwischen haben der Polizeichef und der Bürgermeister angekündigt, daß sie keinerlei Demonstrationen mehr in San Francisco erlauben wollen, die potentiell gewalttätig sind. Die alten Regeln gelten nicht mehr, sagen sie und sind durch neue ersetzt worden. Wandel Harper für KPFA news."
Als ich die KPFA Radiostation vor drei Jahren besuchte, hausten die Redakteurinnen und Redakteure in engen, alten Räumen. Diesmal werde ich in einem nagelneuen, geräumigen Gebäude in Berkeley empfangen, und kann mich in Ruhe im KPFA-Archiv umsehen. Mich interessiert die Free Speech Bewegung, die gemeinhin als Anfang der Studentenproteste in den USA gilt. Mark Torres aus dem Archiv holt mir einen KPFA Sendemitschnitt und legt ihn auf das Tonbandgerät.
"1964: Die Free Speech Bewegung, die das Recht auf freie Meinungsäußerung forderte, wird als die erste Manifestation der Studentenbewegung in diesem Lande gesehen. Kennedy war tot, die Beatles waren da. Timothy Leary und Richard Alport experimentierten mit LSD, und der Süden rang mit Demonstrationen. Buddhistische Mönche verbrannten sich in Südvietnam. Die Republikaner Berry Goldwater und Nelson Rockefeller kämpften um ihre Nominierung als Präsidentschaftskandidat, während Lindon B. Johnson, der vorgebliche "Friedenskandidat" den Grundstein zur Bombardierung Nordvietnams im folgenden Februar legte. Mit dem Tod dreier Bürgerrechtskämpfer im Süden springt der Funke des Kampfes gegen Rassismus auf die Universitäten über. Die Apathie der Studenten, die so typisch für die fünfziger Jahre war, wandelte sich zu einer völlig neuen politischen Aktivität."
Schauplatz ist die Universität von Berkeley 1964: Der Sprecher der Free Speech Bewegung, Mario Savio, wird vom Kanzler der Uni daran gehindert, zu reden, als er die Studentinnen und Studenten zu einem Protestmarsch auffordern will. Das ist der Auslöser für die größten Studentenproteste, die die USA je gesehen hat: Die Studentinnen und Studenten planen, ein Universitätsgebäude zu besetzen. In der KPFA - Dokumentation höre ich weiter:
"Wir möchten nicht, daß einer von euch steht, wenn die Polizei euch hinauswerfen will. Wenn die Polizisten euch anfassen, bitten wir euch, zwei Dinge zun tun: fragt, ob ihr unter Arrest seid und laßt euch langsam zu Boden fallen. Es ist ganz einfach, sich lahm zu stellen. (Lachen). Sich lahm zu stellen, ist in dem Augenblick die einfachste Sache von der Welt. Wenn ihr dann unter Arrest steht, wird es sehr leicht sein, euch aufzulesen und zu den Polizeiautos zu tragen. Keine weiteren Anweisungen sind da nötig. (Lachen). Ihr gebt denen euren Namen und Adresse und damit hat sich's. Lauft bitte nicht weg. Wir bitten euch da sitzenzubleiben, wo man euch hinsetzt. Wir möchten nicht, daß irgendjemand verletzt wird."
Die Studentinnen und Studenten befolgen diese Ratschläge und verhalten sich gewaltfrei. Die Gewalt, so die KPFA-Dokumentation, geht von der Polizei aus. Zwei KPFA-Reporter schildern den Polizeieinsatz:
"Autobahnpolizei und andere Polizisten sind in die Lobby im zweiten Stock vorgedrungen. Es sind etwa 30 Streifenbeamte. Die Studenten setzen ihr sit in fort. Kalifornische Streifenbeamte dringen jetzt gewaltsam vor. Sie schieben die Studenten, treten auf sie und stoßen sie herum. Schau'n Sie mal dort der Mann von der Autobahnpolizei (Schreie, Tumult). Sie gehen einfach über die Leute drüber, über die Köpfe. Seh'n Sie mal ! Die Kinder, mein Gott ! Jetzt greifen sie einen Studenten und werfen ihn zu Boden und schlagen ihn auf den Hinterkopf ! Die Polizisten treten die Studenten und stoßen sie die Treppe hinunter. Kalifornische Autobahnpolizei ist es... sie werfen die Leute einfach auf die Treppenstufen. Ich weiß nicht, was mit diesen Kindern passiert! Aber es sieht schlimm aus ! Sie greifen sie sich bei den Beinen und werfen sie die Marmortreppe hinunter. Eine Doppelreihe Polizisten steht jetzt genau vor mir. Die Beamten hier vor mir lachen, während sie Jungen und Mädchen die Treppen runterwerfen. Ein Beamter redet mit einer Studentin, die sich weigert, aufzustehen." - Hey! Wir sind Reporter! - Hey, hey! Ist ja gut, okay. Hey, was soll das?! Lassen Sie mich bitte los, wir sind vom Radio! - Hey, wir sind von der Presse! Finger weg! Wir sind keine Demonstranten, immer mit der Ruhe. - Okay, okay, alles klar, wir geh'n ja schon! Ruhig Blut. Alles klar. -
Die Polizei fordert die beiden Reporter unmißverständlich auf, aus dem Weg zu gehen, bis die Halle geräumt ist. Sie wären beinahe auch die Treppe hinuntergeworfen worden, wie viele der Studenten, die sich nach Aussage der Journalisten gewaltfrei verhalten.
"We shall overcome"
Ich bleibe noch ein wenig in Berkeley. Im Autoradio läuft gerade meine derzeitige Lieblingsmusik: Under the Bridge der kalifornischen Band Red Hot Chili Pepper. Von meinem letzten Besuch vor einem Jahr weiß ich, daß hier in den Berkeley Hills irgendwo der Schriftsteller Ernest Callenbach leben muß. Callenbach ist u.a. Autor des Sachbuchs "Living poor with style" und des millionenfach verkauften Romans "Ökotopia", der fiktiven Geschichte eines ökologisch und friedlich orientierten Staates im Jahr 2025. Der Öko-Staat der Zukunft liegt für Callenbach in Nord-Kalifornien. Die Hauptstadt ist San Francisco. Ich habe wieder KPFA eingeschaltet und höre die news des Tages: Nach heftigen Protesten gegen die Notstandsgesetze und die Massenverhaftungen ist der Polizeichef von San Francisco zurückgetrteten!
Ich treffe Ernest Callenbach in einem Cafe an der Telegraph Road in Berkeley. Er freut sich sichtlich über den Rücktritt des Polizeichefs. Er war gerade in Hannover und Freiburg, wo er etwas Zeit hatte, in Archiven zu stöbern. Er hat mir eine soziologische Untersuchung über die Hippies mitgebracht. In deutsch lese ich ihm vor, was der deutsche Soziologe Peter Opitz über die Hippies geschrieben hat:
"Vorerst und vor allem - in Ruhe gelassen werden. Den Vietnamkrieg beenden, das Urchristentum wiederherstellen, zur Natur zurückkehren, das Privateigentum abschaffen, Nepal zum 51. Bundesstaat der USA machen, einen neuen Menschen schaffen, das Reich der Freiheit etablieren und vieles andere mehr. Stein des Anstoßes dieser Protestbewegung ist der gesamte sogenannte American Way of Life, das Streben nach Erfolg, eine Art Tüchtigkeitsdogma. Dagegen rebellieren die Hippies. Wie ihre Vorgänger, die Beatniks, sind sie gewillt, gerade nur soviel Zeit auf Arbeit zu verwenden, wie unbedingt notwendig ist. Sie fühlen sich von ihren Eltern zwar mit materiellen Annehmlichkeiten überschüttet, aber dennoch vernachlässigt und ungeliebt. Die Hippies glauben, daß ihre Eltern in ihr Streben nach Erfolg und Anerkennung soviel Zeit und Energie investieren, daß die Familie zu einer Farce wird. Die Suche nach einer community, in der man geliebt wird, in der man Zeit füreinander hat und in der jeder bereit ist, dem anderen zuzuhören, ist eines der Probleme, um die sich die Hippies am meisten sorgen. Hippies sind Pazifisten. Sie tragen Buttons mit der Aufschrift: "Make Love not War". Die Betonung von love steht im Gegensatz von violence. Natürlichkeit und Spontaneität sollen die Verkrampfung ablösen, die während der vergangenen Generationen herrschte, in denen Sex als Sünde deklassiert wurde. Vorbilder sind Jesus, Buddha, Gandhi und Franz von Assisi. Die Blume wird zum Symbol der Liebe und zum Symbol der Bewegung. Hippies tragen Blumen im Bart, im Haar oder hinterm Ohr. Diese Vorliebe für Blumen prägte den Begriff `Flower Power`."
Was haben die politisch gut organisierten Berkeley Studenten und die unorganisierten und verspielten Hippies gemeinsam erreicht? Ich habe offensichtlich lange genug geredet. Ernest Callenbach schnappt sich mein Mikrophon:
"Was dabei herausgekomen ist, ist vor allem das Ende des Vietnamkriegs. ´The Movement´, wie wir alles zusammen in den sechziger Jahren nannten, hatte das Land in Unruhe versetzt und polarisiert. Und es war den Herrschenden in den USA, der Elite oder wie immer Sie die Regierenden nennen wollen, bald klar, daß das Land auseinanderfallen würde, wenn sie den Krieg nicht schnell beenden würden. Das war sicher ein Verdienst dieser Jugendbewegungen. Und sie haben uns eine völlig neue Musik gebracht: Ich war damals begeistert von Bob Dylan und dem Song Blowing in the wind. Bob Dylan hat übrigens gerade ein paar Konzerte hier in der Bay gegeben und als letztes Lied Blowing in the wind gesungen. Es ist ein ziemlich mysteriöses Lied, und es ist sehr schwer zu sagen, was er damit ausdrücken wollte, gerade nach all den Jahren. Ich habe ihn damals so verstanden, daß sich etwas bewegt, daß diese Bewegung etwas verändern würde."
"The burgening of rock musik
although it had begun in the 50's
came to its climax in the sixties
and in San Francisco
which was one of the major centers of new rock music
this went on through the sixties and was important to people
who were in the flower power groups.
We have to talk about other aspects of this culture,
we have to also talk about
marihuana particulary
and LSD,
which were very important
in loosening people's minds
away from the prevailing
american mind sets."
(Ernest Callenbach)
"Natürlich waren die Beatles wichtig in jener Zeit als Ausdruck einer eher sanften Jugendrevolte. Die Rockmusik, die in den 50er Jahren aufgekommen war, erreichte ja in den Sechzigern ihren Höhepunkt. Und San Francisco war eines der wichtigsten Zentren neuer Rock Musik, und das war auch von großer Bedeutung für die Leute in den Flower-Power-Bands der Zeit. Und drittens müssen wir über ein weiteres Phänomen dieser Kultur sprechen: Drogen wie Marihuana und LSD. Beides war von großer Bedeutung und ermöglichte es, daß sich die Leute von den vorherrschenden amerikanischen Bewußt-seinsstandards lösen konnten. Ich denke immer noch, daß Marihuana eine relativ milde Droge ist. Wissen Sie, verglichen mit Alkohol und Tabak ist es wirklich eine sehr milde Droge. Und in den Sechzigern erlaubten diese Drogen eine neue Sexualität. Die Leute entdeckten plötzlich ihre Körper, neue musikalische Rhythmen und erkannten, daß Musik ein Genuß war und nichtverbale Äußerungen genauso wichtig sein konnten wie verbale. Es gab auch ein paar Leute, die sich regelrecht zugekifft haben oder jeden Tag auf einen LSD-Trip gingen. Aber das waren wirklich nur wenige. Wir hatten zu der Zeit kein echtes Drogenproblem in den USA. Weder mit Heroin noch mit Kokain. Hier in Berkeley hat so gut wie jeder Marihuana geraucht. Jeder Richter, jeder Anwalt, die Ärzte, Psychiater und wichtige Repräsentanten, sie alle haben Marihuana geraucht. Das war so wie einen Cocktail zu nehmen. Klar, keine Droge ist gut, wenn man sie in zu großen Mengen zu sich nimmt. Meine eigene Mutter ist wahrscheinlich gestorben, weil sie täglich 12 Tassen Kaffee getrunken hat. Aber Marihuana war weit verbreitet in der Gesellschaft der Sechziger. LSD war nicht so weit verbreitet und akzeptiert . Aber ich weiß, daß Künstler LSD sehr schätzten, weil sie dadurch sehr schöne Visionen bekamen und bildhafte Wahrnehmungen hatten. Marihuana war eher die gängige Droge, LSD aber war der Kaviar ! Ich denke, daß diese Drogen ein Teil dieser Zeit waren und dem, der sie nahm, ermöglichten, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, wie Bob Dylan es in einem anderen Lied beschrieben hat. Das betraf das eigene Leben genauso wie die Gesellschaft. Es waren Befreiungsdrogen. Alkohol wirkt nicht so stark in dem Sinn, daß er die Wahrnehmung verändert. Alkohol gibt einem nicht das Gefühl, daß man neue Gedanken denken kann oder mit seinem Leben etwas anderes anfangen kann. Deshalb paßten Drogen wie Marihuana und LSD in die Zeit. Die Leute haben aufgehört, Dinge zu tun, die sie für überholt und nutzlos hielten und sich für neue Wege interessiert. Ganz persönlich, im sozialen Leben und in der Politik. Die Drogen waren ein Teil davon. Sie haben ihren Beitrag zu dieser Kultur geleistet und waren gleichzeitig ihr Produkt. "
"Unsere Bäuche sind voll
und unsere Köpfe sind leer!"
(Die Phantastischen Vier)
Von England schwappt Mitte der Sechziger Jahre eine ganz neue Musik-Welle nach Nordamerika, die von den Beatles angeführt und von einem Tross neuer Modetrends, wie zum Beispiel dem Minirock, begleitet wird. Eine Werbekampagne prophezeit allüberall und unablässig , daß dies die neue und unaufhaltsame Pepsi Generation sei. Ein Teil der amerikanischen Jugend der sechziger Jahre ist aber auf der Suche nach was anderem. Noch mehr Konsum? - Nein danke! Der Krieg in Vietnam, der das brutale Gesicht der amerikanischen Überflußgesellschaft täglich enthüllt, läßt die Jugend zweifeln. Die Werte der Alten zählen nicht mehr. Der Kennedy-Mord hinterläßt 1963 ein Vakuum, das mit irgendwas gefüllt werden muß. JFK war Idol und Symbolfigur eines anderen besseren Amerika. Er hat Hoffnungen geweckt. Sein jugendlicher Elan, sein Kampf gegen die Armut und sein aktiver Einsatz für Rassengleichheit und Bürgerrechte lassen viele dropouts in die Gesellschaft zurückkehren. Seine Ermordung beraubt die amerikanische Jugend dieser Hoffnungen. Es bleibt die Erblast der Sklaverei, der ungelöste Rassenkonflikt zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung, die Kuba-Krise, die Angst vor atomarer Bedrohung. - Aber da gibt es ja etwas, mit dem man all' dem entfliehen kann: marijuana, speed, und - Owsley's bis Juni 1966 nicht verbotenes LSD gibt es in großen und deshalb erschwinglichen Mengen. LSD wird schnell zu der Droge der Flower Power Generation.
Der amerikanische Schriftsteller Allen Ginsberg, damals 40, ist in seinen Gedichten und Schriften auf der Suche nach einer anderen, mystischen Wirklichkeit durch Musik, Sexualität und Drogen. Ginsberg ist in den sechziger Jahren bedeutenster Sprecher der Beatniks und gleichzeitig Hippie-Papst. Ein Auszug aus einem Zeitschriften Interview:
"Wir sind alle von unseren eigenen Wahrnehmungen abgeschnitten. Die Pforten der Wahrnehmung sind versperrt, die Tore der Empfindung geschlossen, die Wege des Gefühls überwuchert, die Straßen der Phantasie blockiert, die Bewußtseinsfelder von Smog überzogen. Unsere fünf Sinne sind eingepfercht. Der amerikanische Durchschnittsbürger ist so ausschließlich für ein Leben innerhalb des geschlossenen Kreises von Nachtclub - Geld - Maschine - Flugzeug - Taxi - Büro - Kontoauszug - Fernsehen - Familie konditioniert, daß er anderen Bewußtseinsformen und Lebensweisen wie Rucksack - Pilzkopf - Kommune - Demonstration - high - Straße zutiefst mißtraut. Dieses Mißtrauen schafft Angst vor der Black Power, vor blumigen Hippies und dem violetten Venusvirus. Jeder von uns hat aber auch manchmal Bewußtseinsdurchbrüche: die Lebendigkeit eines freundlichen Blicks, die Verwandtschaft mit dem Leben der Pflanzen, oder die stählerne Science Fiction - Monstrosität eines Polizeiwagens. LSD ist eine Möglichkeit, Bewußtsein und Wahrnehmungen zu erweitern. LSD leitet Wahrnehmungen in neue Kanäle. Und genau das ist an LSD so wichtig und politisch. LSD bewirkt, daß du dir all der Vorgänge bewußt wirst - all jener Kanäle, die zu deinen Träumen, Erinnerungen, Hirngespinsten führen -, aber auch dessen, was da draußen um dich herum geschieht. Alles Existierende erweist sich als als ein großes, bewußtes Sein, dem die einzelnen Lebewesen als Organe dienen. Was würde geschehen, wenn sich Bewußtseinskünstler wie Timothy Leary, Paul Goodman und einige von den irren Digger-Anarchisten zu einer Universal-Akademie zusammenfänden und alles kostenlos hergäben. Die Beatles, die Rolling Stones und Dylan würden kommen, um nackt zu singen, kostenlos Kunst zu zelebrieren - und eine neue Nation zu entwerfen. Stell' dir das vor. Jeder junge Mensch in diesem Land, der auch nur die geringsten geistigen oder künstlerischen Interessen oder bewußtseinserweiternden Erfahrungen hat, würde mit fliegenden Fahnen kommen, lernen, beitragen, vögeln, sich amüsieren, sich antörnen lassen - und denken. Alles zusammen wäre überdies eine großartige Möglichkeit, die Jungen mit der psychedelisch aufgeklärten Intelligenz der Alten bekanntzumachen, um ihnen die Augen für die Welt der planetarischen Geschichte zu öffnen. Dieser Planet steckt mitten in einer Krankheit. Das Ende dieser Krankheit wird die Vernichtung unseres eigenen Planeten sein. Diese Krankheit besteht aus politischer Brutalität, skrupellosen Grund- und Bodenspekulanten, kalten Kriegern, Hexenjägern, blind angewandter Technologie, Militär, Industrialisierung und Ressourcenvergeudung. Es handelt sich bei dieser Krankheit um einen ökologischen Krebs, und die kids wissen es; das ist die Grundlage ihres Verhaltens. Man hat sie um den Garten Eden betrogen."
Ich hole David Whitaker wie verabredet zuhause ab. Er lebt unterhalb der Haight Street in einer Kommune mit acht Leuten zusammen. Was das gestern für eine Demo war, frage ich ihn. Er erzählt mir, daß in San Francisco 600 Leute ins Gefängnis gesteckt worden sind, weil sie für Bürgerrechte und das Recht auf freie Meinungsäußerung demonstriert hätten. Und das sei noch gar nichts: In Los Angeles hätte die Polizei in den ersten Tagen der Unruhen 16.000 Leute festgenommen und alle 16.000 unter den Notstandsgesetzen inhaftiert. Er hat Glück gehabt, sagt er und ist noch ganz außer sich, als wir mit dem Auto in die Haight Street einbiegen.
"Hier links rein, bitte. Jetzt sind wir auf der Haight Street. Dies war die Hauptstraße der Schwarzen Bevölkerung. Es war allerdings eine berüchtigte Straße. Es war sozusagen die illegale Seite der Schwarzen. Das hier waren alles Spielhöllen und sowas. Jetzt sind das Buchläden und Cafes. Da ist das Horeshoe Cafe. Das ist jetzt doppelt so groß wie vor 25 Jahren. Hey Leute ! Und da ist ein anderes Cafe, wo Leute draußen sitzen können. Hier spielt mein Sohn Bassgitarre. Genau hier! Jeden Samstag und Sonntag. Das ist die neue Haight."
"Pace in the world ain't easy
when there isn't anything going
standing on the corner waiting
watching time go by
will I go to work today
or shall I find my time ?
See that union man walking down the street
he' s the man who decides if I live or I die,
when he walks up to me the sun begins to shine !
Then he walks right ,passed and I know that I've gotta get back in line.
Now I think of what my mama told me:
she always said that it would never ever work out
but all I wanted to do is make some money
and bring it home somewhy
I don't ever want you to see me
standing in that line!"
(Mikel Lane, song written by Ray Davis)
"Hey, Ich heiße Mikel Lane und lebe seit drei Monaten hier in San Francisco. Im Moment bin ich auf Arbeitssuche. Zwischendurch komme ich immer mal wieder hier zur Haight Street. Hier gibt's jede Menge Läden für Jugendkultur und auch 'ne Menge zu konsumieren: Cafes, Restaurants, Kneipen. Da auf der anderen Straßenseite gibt's zum Beispiel einen Buchladen mit lauter Comics, hier gibt es viele Plattengeschäfte und Läden mit second hand Sachen zum Anziehen. Am Ende der Haight Street gibt es viele auch viele Geschäftsleute und regelrechte Ausbeuter, die ihr Geschäft mit dem machen, was hier in San Francisco 1967 abging, ich meine die ganze Sache mit Haight/Ashbury und den Hippies."
Ich heiße Jim Seagel und ich bin der Eigentümer von ´Distraction`. In den sechziger Jahren hättest du das hier einen head shop genannt. Wir verkaufen hier psychedelische Artikel, das sind Sachen, die dich ein bißchen in Stimmung bringen: Hier haben wir Räucherstäbchen, Pfeifen, Anstecker, Schmuck, T-Shirts, Ansichtskarten und allerlei psychedelisches Spielzeug. Es sieht so aus, als gäbe es im Moment ein wiederauflebendes Interesse an Psychedelik. Das scheint jetzt in zu sein. Wenn früher vor allem die Leute zu uns gekommen sind, die eher hippiemäßig drauf waren und sich für die Greatful Dead interessiert haben, dann sind es jetzt mehr und mehr die härteren Typen. Das sind jüngere Leute, die gar nicht wie Hippies aussehen, aber dieses psychedelische Zeugs mögen. Die nehmen LSD und Extasy und verkehren in Kreisen, die diese ganzen psychedelischen Sachen haben. Wir verkaufen hier auch Wasserpfeifen. Die hier sind aus Holz, die da aus Metall oder hier hab' ich welche aus Sandstein. Ähem, also es gibt jetzt schärfere Drogengesetze als früher. Die meisten Sachen sind jetzt nicht mehr erlaubt, und wir dürfen nicht mehr alle Pfeifen verkaufen. Wir müssen darauf hinweisen, daß unsere Pfeifen Tabak-pfeifen sind, und daß man damit kein Marihuana rauchen darf. Wenn jemand kommt und eine Marihuanapfeife haben will, darf ich sie ihm nicht verkaufen. Was die Leute allerdings zuhause damit machen, ist ihre eigene Sache!"
"Siehst du das hier Tom ? Das ist ein Camp für Hobos, Hippies, obdachlose Jugendliche und so weiter. Ich hab' dir ja schon von den Beatniks erzählt. Da oben sind die Hippies, die Hauptstadt der Hippies liegt jetzt direkt vor uns, die Anfänge waren da oben in Haight/Ashbury. Als es da oben aber immer teurer wurde, sind viele Leute hier runtergezogen, und während wir jetzt diesen Berg hinauf fahren, fahren wir sozusagen von der Gegenwart in die Vergangenheit. - Wir sind jetzt oben auf dem Hügel angekommen, da links ist der Buena Vista Park, das ist sozusagen der Eingang zu Haight/Ashbury, auch ´Hippie Hill´ genannt. Okay, da links ist der ´Anarchist's Bookstore´. Das hier auf der Ecke, das jetzt ´Dish´ heißt, das war Mitte der Sechziger Jahre das ´Drugstore Cafe´. Das war eine alte Apotheke und wurde zu einem der ersten Kaffeehäuser der Szene, das ´Drugstore Cafe´ - und genau das war es auch! Da vorne rechts wohnte lange eine Kommune, deren Haus ein renommierter Drogenumschlagplatz war. Ich hab' da auch ein paarmal gewohnt. Es war ein berüchtigter Ort. Hier haben wir ´Kids Only´, eine Boutique für YUPPIES, und das hier war glaub' ich der ´Psychedelic Shop´. Da gab es ein Hinterzimmer, wo man rumhängen konnte. Da ist eine Menge Energie freigesetzt worden und in alle Welt geströmt. Dort im ´Blue Front Deli´, wo jetzt das Lebensmittelgeschäft ist, war ein Recycling Zentrum der ´Good Earth´ Kommune. Das war eine große maoistische Bäcker-Kommune, in der ich damals auch mal gewohnt habe. Wir haben dort leere Dosen und Flaschen wiederverwertet. Zeitungen auch. Die Leute haben damit versucht, sich eine wirtschaftliche Basis zu schaffen. Und jetzt sind wir schon an der Kreuzung Haight und Ashbury Street. Ich bin oft hier und gucke mir die Leute an. Das ist wie ein endloser Strom von Menschen aus aller Welt. Hier kann man gut rumhängen und relaxen."
"Hey, Ich bin amerikanischer Hippie: Relaxin' Jackson in Aktion! Ich bin hier geboren und groß geworden mit den Greatful Dead, den Jefferson Airplaine und Quicksilver. Die haben alle hier auf der Haight Street gespielt, als ich noch ein Kind war."
I love it. Relaxin' Jackson steht mitten in einem Kaffeehaus an der Haight Street und hält ein Plakat hoch über seinen Kopf, auf dem steht: ´Jerry Brown for president and Berry Melton for judge!´ Jerry Brown, erzählt der Alt Hippie mir, kandidiert gegen Clinton im Präsidentschaftswahlkampf, war mal Gouverneur in Kalifornien und ist jetzt ein Grüner. Berry Melton spielte in den 60ern in einer Hippie Band, wurde dann Rechtsanwalt und kandidiert jetzt für ein Richteramt in San Francisco. Relaxin' Jackson unterstützt sie so gut er kann, klebt Plakate und läuft mit seinem Schild durch Haight/Ashbury. Er trägt eine weiße Sommerhose und ein psychedelisches, buntes Batik T-Shirt. Er setzt sich neben mich und bestellt sich ein Sodawasser. ´Damit die Leber sich ein bißchen erholen kann´, schmunzelt er.
In dem Cafe sitzen überwiegend Leute zwischen 15 und 25. Mir fallen einige auf, die ungewöhnliche Kleidung tragen; weite altmodische Sachen. In einer Boutique gegenüber hängen noch mehr davon. Victorian and Edwardian, steht auf einem blassgelben Schild im Schaufenster. Hier gibt es offenbar, was die Blumenkinder angezogen haben - Hippiemoden.
"Ich heiße Sarah. In diesen Kleidern hier steckt viel Handarbeit. Dies hier zum Beispiel hat sehr viel Seidenaufsätze und ist in sehr gutem Zustand. Das würde etwa 350 Dollar kosten. Das ist viktorianischer Stil um die Jahrhundertwende. Die edwardianische Mode, die darauf folgte war etwas freizügiger, freier im Stil, freiere Formen und natürlicher. Es gab da keine Korsetts mehr, und die ganzen Unterröcke, die die Frauen bis dahin normalerweise trugen, verschwanden aus der edwardianischen Mode. Die viktorianischen Kleiser sind sehr streng. Hier habe ich eine viktorianische Bluse. Die ist ein schönes Beispiel. Wunderbare Handarbeiten, sehr schöne Spitzen-Stickerei, irische Spitzen und sowas."
"Hey Schwester, alles klar Bruder! Hey Bruder! Hier hängen die Leute rum. Jerry Garcia ist in der Stadt und spielt heute Abend, und deshalb hängen hier viele deadheads rum. Als ich 1965 zum erstenmal hierher..... warte mal, halt mal an, da ist Bang Bang - hey, Bang Bang!"
David Whitaker hat einen alten Bekannten auf der Haight Street entdeckt und muß mal eben aussteigen. Das passiert so zehn, zwanzig mal während unserer sightseeing tour durch Haight/Ashbury. Zehn Minuten später sitzt er wieder neben mir.
"Das war Bang Bang! Er ist einer der besten Schlagzeuger in der Gegend. Er kommt gerade aus dem Knast. Er ist aus dem Gefangenentransporter gesprungen und abgehauen, dann aber wieder gefaßt worden. Die Jungs wollten ein militärisches Testgebiet in Nevada blockieren. - Hier sind wir jetzt an der Kreuzung Haight und Clayton. Man sagt immer Haight/Ashbury aber eigentlich ist das hier das Zentrum: Haight und Clayton. Dies hier war früher die Zentrale von etwas, was die Leute HAND nannten: Haight Ashbury Nachbarschaftshilfe. Das war ein Bürgerzentrum und ein politischer Ableger der ´Good Earth´ Kommune. - Guck, da ist Bang Bang wieder auf seinem Fahrrad. - Und hier rechts ist die ´Free Clinic´. Hier die Treppen hoch. Die ist schon seit Menschengedenken hier, die ist schon ein Hippie-Denkmal."
Diesmal möchte ich unsere Tour gerne für ein paar Minuten unterbrechen. Von der Free Clinic habe ich schon einmal gehört. Dieses kostenlose Krankenhaus behandelte in den 60er Jahren Patienten ohne Krankenschein. Die Haight Ashbury Free Clinic entwickelte erfolgreich ein für die ganze Welt vorbildhaftes Programm zur Behandlung Drogenabhängiger. Sie gilt auch heute - 25 Jahre später - noch als Musterbeispiel für kostenloses Gesundheitswesen. Es ist ein blau-weißes Holzhaus in viktorianischem Baustiel. Zweistöckig wie auch alle anderen Häuser hier. Ich steige die Holztreppe hoch und habe riesiges Glück: Zwei Minuten später sitze ich dem Gründer der Free Clinic, Dr David Smith gegenüber.
"Unsere Haight/Ashbury Free Clinic hat gegenwärtig 20 verschiedene Häuser um die ganze Bay herum. Dies hier ist das Original, mit dem wir im Juni 1967 angefangen haben. Free ist zuallererst einmal ein philosophisches und wirtschaftliches Konzept: Jede Behandlung ist kostenlos. Umsonst. Null Dollar. Leute, die Geld haben, spenden etwas, aber es gibt keine unterschiedlichen Preise für eine medizinische Behandlung. Die Philosophie, die dahinter steckt, ist die, daß niemandem eine Behandlung verweigert wird, bloß weil er arbeitslos oder nicht krankenversichert ist. Die Vereinigten Staaten stecken in einer wirtschaftlichen Krise. Wir haben eine Rezession. Viele Leute haben ihre Jobs verloren und kommen ohne jede finanzielle Beihilfe in eine unserer 20 Kliniken. Da werden sie dann kostenlos versorgt. Später erleben wir oft, daß unsere Patienten sich an ihre finanziell schweren Zeiten erinnern und uns Geldspenden schicken oder kostenlos für uns arbeiten, zum Beispiel als Krankenpfleger. Ursprünglich kommt die Idee für das kostenlose Krankenhaus aus der Bürgerrechtsbewegung Martin Luther King's. Ärztliche Behandlung sollte ein Bürgerrecht für alle und nicht ein Privileg für wenige sein. Wir behandeln die Menschen, die zu uns kommen, nach ganzheitlichen Methoden und haben keinen bürokratischen Apparat. Wenn Sie verstehen wollen, was wir mit kostenlos und frei meinen, müssen Sie, glaube ich, erst einmal verstehen, was in den sechziger Jahren in der Alternativbewegung passiert ist. Wir waren ja nur ein Teil einer großen Zahl alternativer Einrichtungen, die in den Jahren 65, 66, 67 entstanden sind. Unsere Free Clinic entstand während des kalifornischen Sommers der Liebe, dem ´Summer of Love´, in dem Tausende von Blumenkindern, Tausende von Hippies hier nach Haight/Ashbury kamen. Wir behandeln Patienten , die drogen- oder alkoholabhängig sind, die ganzen Außenseiter, wissen Sie, AIDS-Patienten, Homosexuelle, Patienten, die von der herrschenden Kultur ausgegrenzt sind."
Sein kleines Büro ist vollgestopft mit Aktenordnern, Mappen und Videocassetten. An den Wänden hängen unzählige Preise, Diplome und Zeitungsaus-schnitte aus den sechziger Jahren. Bilder von open air Konzerten. Plakate von Jefferson Airplaine, The Mamas and The Papas und The Greatful Dead. Diese Band um Jerry Garcia und Mickey Hart scheint Dr Smith besonders zu schätzen. Direkt neben seinem beladenen Schreibtisch hängen Briefe an die Band, die damals wie heute jedes Jahr an die hundert Konzerte gibt und immer noch die Hippie-Band zu sein scheint. "In diesem Sommer", sagt Dr Smith und kramt dabei eine CD aus der Schublade, "werden die Greatful Dead wieder ein Benefiz-Konzert für uns geben. Die Free Clinic wird nämlich 25!".
We will get by
We will get by
We will survive!"
(aus: Touch Of Grey", The Greatful Dead)
"Der ´Circle of Friends´ hier ist eine Handwerks-Kooperative. ´New Life Emporum´, das Kaufhaus da war das ´Chattanooga Cafe´, ein weiteres intellektuelles Energiezentrum und Treffpunkt der Hippie-Szene. Hier gleich um die Ecke, - wir sind gerade an der Kreuzung von Haight und Belvedere - ist die ´Haight/Ashbury Suppenküche´. Nahrung für Körper, Geist und Seele. Hier ist jetzt ... Hey Bruder! ..... hier sind wir jetzt direkt vor dem ´Straight Theater´. Das war 1967 das erste Haus am Platze. Hier haben all' die Bands gespielt. Jetzt ist da eine Konzertkooperative drin, das heißt, die Musiker veranstalten hier ihre Konzerte in eigener Regie. Es heißt jetzt ´I-BEAM´ und ist auch eine Disco und es sitzen 'ne Menge Deadheads davor."
In der Diskothek I-BEAM, dem ehemaligen Straight Theater, tritt heute abend eine Band auf, die in diese Stadt und in diese Straße gehört wie die Greatful Dead und die deadheads, die Fans der Band: Jefferson Airplaine oder wie sich die Band um Paul Kantner später nannte: Jefferson Starship heute live im I-BEAM auf der Haight Street. Der Eintritt ist frei. Das heißt: Disco und Band wollen keine Dollars. Sie wollen Eßbares für die Suppenküche und andere Hippie-Einrichtungen! Dies ist ein Benefizkonzert für die Haight/Ashbury Free Clinic, Soup Kitchen und Food Bank: Ladies and gentlemen, please very warmly welcome: Jefferson Starship!
Vor der Tür stehen die Leute Schlange und haben allerlei komische Sachen dabei. Ich interviewe ein paar von ihnen:
"Hey, du hast eine Dose mit Konserven mitgebracht, oder was ist das da ?"
"So isses ! Bohnen mit Schweinefleisch."
"Bohnen mit Schweinefleisch. Nicht schlecht. Weißt Du, wer die kriegen soll ?"
"Ja klar, die sind für die ´Haight/Ashbury Free Clinic´. Die helfen, hier eine Menge Leute mit Essen zu versorgen. Und es ist auch für das ´Haight/Ashbury Food Project´ ."
Ein Typ stapelt die Dosen in fünf Einkaufswagen:
"Diese vollen Kisten hier kommen da oben rein. Hast du keine Kamera dabei ? Hier kippen wir die Dosen rein, weil wir nicht genug Kisten für das haben, was die Leute mitbringen. Bis jetzt haben wir schon fünf Einkaufswagen voll mit Lebensmitteln, und ich bin gerade dabei, ein bißchen mehr Platz zu schaffen, weil die Leute hier jeder mit fünf, zehn Konserven auf einmal ankommen. Das ist echt 'ne gute Sache. Schau mal hier, jede Menge Thunfisch, ein ganzer Berg Bohnen, da haben wir spanischen Pfeffer, gedünstete Tomaten, italienische Minestrone, verschiedene Dosengemüse, Birnen, Pfirsiche, alles, was es gibt unter der Sonne. Auch frische Sachen: Zwiebeln, Pepperoni, Spargel, Möhren, frische Korianderblätter."
"Ich habe eine leckere Suppe mitgebracht, weil ich den Nichtseßhaften helfen möchte oder wer auch immer das kriegt."
"Hi, ihr habt auch Lebensmittel mitgebracht ?"
"Ja klar, ein paar Dosen Pfirsiche. Und ganz was Besonderes: Bungle Bee Bungle Dee Thunfischstückchen. Delphin-sicher gefangen. Die Starship machen das doch immer so: Lebensmittel statt Geld. Wenn sie im Park gespielt haben, haben sie die Leute ja auch oft gebeten, ein paar Konserven für die Obdachlosen oder für die Food Bank mitzubringen. Das kommt noch aus den Sechzigern, schätze ich."
Wieder drinnen, versuche ich mir einen Weg zur Bühne zu bahnen. Das ist fast unmöglich. Die Disco ist voll. Vielleicht 300, 400, 500 Leute, kann man schlecht schätzen. Nach einer halben Stunde stehe ich endlich rechts neben der Bühne und warte auf eine Gelegenheit mit Paul Kantner, dem alten und neuen Kopf der Band zu sprechen. Ich bin nicht angemeldet und will es einfach mal versuchen, an ihn ranzukommen. Ich schleiche mich heimlich zwischen den Ordnern hindurch und bin irgendwie plötzlich back stage! In einem kleinen Nebenraum ist die Band gerade dabei, eine Riesenpizza zu essen. Paul Kantner unterhält sich angeregt mit jemand, bis er mich mit dem Mikrophon bemerkt: Erwischt! Der eine von den beiden will, daß ich sofort das Mikrophon einpacke und verschwinde. Paul Kantner aber hat offenbar Lust, mit mir über die Food Bank zu reden:
"Also die San Francisco Food Bank ist....."
Da mischt sich aber Paul Kantners Gesprächpartner ein:
"Ich muß euch mal unterbrechen. Ich möchte, daß du das Band sofort zurückspulst und dann schleunigst von hier verschwindest!"
"Ach, laß das ! unterbricht ihn Paul Kantner und fragt mich: Du weißt echt nicht, was die Food Bank ist? - Die ist für bedürftige, hungrige Leute. Da gibt's was zu essen. Warte mal, ich muß mal eben mit jemand reden, der draußen auf mich wartet, ich bin aber gleich zurück!"
Während Paul Kantner mit einem großen Stück Pizza hinter einem Vorhang verschwindet, setzt sich ein älterer Herr neben mich, der vorher auf der Bühne virtuos Geige gespielt hat und schnappt sich mein Mikrophon ! Das scheint hier so üblich zu sein, sofort loszulegen, wenn man nur ein Mikro sieht...
"Hey, Yeah, ich bin, ähm, für das europäische Radio, Leute, ich bin Papa John ! - Papa John Creach, der alte Fidler, und das mach' ich jetzt schon seit 60 Jahren und länger. Yeah. Es macht Spaß, sag' ich euch. Danke, ich liebe euch ! Allright ! Es ist immer schön, Menschen zu essen zu geben. Ja, yeah, das ist wirklich schön ! Das ist es , was wir bis heute brauchen: Jeder braucht was zu essen, um sich wohlzufühlen."
Wie alt sind Sie jetzt, Papa John ?
"Ich bin 74 Jahre alt. Und am 28. Mai werde ich 75. Genau drei Viertel, yeah.
Paul Kantner kommt zurück. Back to the Sixties, yeah. Ich frage ihn, was er noch mit Flower Power verbindet.
"Total gute Gefühle. Das wird nie wieder so sein. Yeah, ein wahnsinnig gutes Gefühl war das. Alles. Vollkommene Freiheit ! Alles mal auszuprobieren ! Alle Türen standen eine zeitlang weit offen. Für bestimmte Leute ein gutes Beispiel."
Ich erzähle ihm: "Als ich heute ein paar Leuten im Publikum zugehört habe, hatte ich das Gefühl, daß davon immer noch etwas zu spüren ist, von dieser Freiheit."
"Oh ja, das sind Ausläufer einer großen Welle, die in den sechziger Jahren begonnen hat und noch bis ins nächste Jahrhundert reichen wird. Alles, von der Bürgerrechtsbewegung bis zum ökologischen Bewußtsein, die Grünen bei euch in Deutschland, all' das ist hier entstanden. Diese Wellenbewegung hat bis heute nicht aufgehört. Sie wird von verschiedenen Kräften geschwächt, aber sie hat etwas, das man nicht töten kann. Es schwillt an und ebbt dann wieder etwas ab und fließt weiter. Was wir gerade in L.A. gesehen haben, war eine Kostprobe der wütenden Seite dieser Welle. Die Hälfte der Leute waren allerdings Trottel. Weißt du, die wollten Rabbatz machen und haben bloß ein paar Geschäfte geplündert. Das war kein politisches Statement. Ein politisches Statement wäre es gewesen, wenn sie Beverly Hills plattgemacht hätten. Da wäre die Polizei sofort aufgetaucht. - Da sind tausend verschiedene Sachen. Das waren bloß ein paar Beispiele dafür, was noch von der Bewegung der sechziger Jahre übriggeblieben ist. Da ist all' das, was in der Zeit geschrieben worden ist, die Literatur, die Musik, die Leute, die Kunst, überall läuft irgendwas auch in der Politik, und hier ist der Ort, um die Leute zu uns rüberzuholen."
"I wanna sail through the rising sun
With you and you, with you and you !
You have something to learn from the other side
Something to give, we got nothing to hide
I wanna ride, ride the Tiger!"
(aus "Ride The Tiger", Jefferson Airplaine)
"Wir kommen jetzt ans Ende der Haight Street. Hier ist der Ort, wo die Initiative ´Essen statt Bomben´, wo ich auch mit drinstecke, kostenloses Essen austeilt, und das dahinten ist John, den kannst du auch interviewen:
"Okay, ich heiße John Mean. Ich bin Leiter des Haight/Ashbury Ernährungs-Programms. Wir gehen hier zwischen neun, zehn Tischen durch, auf denen wir frische Produkte, Obst und Gemüse, liegen sehen. Das ist uns alles gespendet worden, da haben wir kein Geld für bezahlen müssen. Hier sind Limonen und Zitronen, die wunderbar zu dem frischen Fisch passen, den es morgen geben wird. Heute kommen ein paar an die Salatsoße. Hier sind Frühlingszwiebeln, verschiedene Maissorten, grüne Bohnen, Kräuter, was ist das hier ? - Aja, süße Kartoffeln, Zucchini, Pilze, Tomaten, - die kommen heute in den Salat, seh'n sehr gut aus - . Jetzt kommen wir langsam zu den Obsttischen: Äpfel, Birnen, ganze Kisten voll Bananen. Das ist so die Menge, die wir jeden Tag verarbeiten. Lassen Sie uns mal in die Küche schauen. Heute ist Mittwoch. Wir bieten jeden Tag eine vegetarische Alternativ-Mahlzeit an, aber heute ist alles vegetarisch. Hier siehst du, wie gerade Salat geputzt und Möhren geschnitten werden. Ich möchte dir gerne James vorstellen. James ist heute Küchenchef, unser vegetarischer Küchenchef, und er hat auch eine Beziehung zu den Diggers."
Neben dem Waschbecken entdecke ich ein verrschmiertes Flugblatt. Es steckt in einem verschlossenen Cellophan-Umschlag, ist aber dennoch fettig und fleckig. Kein Wunder, klärt mich James auf, das ist noch aus den Sechzigern ! - Überschrift: "Wenn du Hunger hast." Und dann der Text: "Wir lieben euch so; kommt und eßt gutes wahrhaftiges Zeug. Umsonst ! Ihr findet uns im Park. Beginn am 22. Mai von 12 bis 14 Uhr montags bis freitags. Und wenn du keine Unterkunft hast, ruf an oder komm im Digger-Büro vorbei ! San Francisco, 19. Mai 1967."
Weiter kann ich nicht lesen, denn da kommt auch schon James und schnappt sich..., ihr kennt das ja...
"Hey, ich bin James. Yeah. Mitte der sechziger Jahre haben die Diggers angefangen, kostenlose Mahlzeiten auszugeben. Das war ´The Free Food Soup Kitchen´ im Park. Das Essen wurde in 20-Liter-Töpfen und großen Kaffeekannen zubereitet. Die meisten Kunden nahmen LSD oder andere Drogen, und es war ziemlich chaotisch, kannst du dir vorstellen. Aber es hat einige Jahre lang prima geklappt. Diese Suppenküche hier, in der ich jetzt mitarbeite, gab es damals noch nicht. Sie ist aus der Philosophie der Diggers entstanden. Die Philosophie der Diggers lautet: Alles sollte umsonst sein. Und mit dieser Philosophie im Kopf haben die Diggers angefangen, Sozialarbeit zu machen. Und das hat uns alle irgendwie beeinflußt, und wir versuchen jetzt, ihrem Beispiel zu folgen. Das waren die ersten Sozialarbeiter. Ich bin nur heute Küchenchef, morgen ist ein anderer dran. Die Leute, die zu uns zum Essen kommen, sind vor allem Anarchisten, Obdachlose, Hippies, ganze Familien, alle möglichen Leute kommen hierher und ich bin nur der Koch."
Die Diggers bildeten eine lockere Gruppe innerhalb der Hippie-Gesellschaft. Sie galten als die Mönche von Haight/Ashbury. Sehr ernst nahmen die Diggers, was Bob Dylan oder die Beatles sangen: "Mit Geld kann ich mir keine Liebe kaufen. Geld zählt nicht". Sie verachteten Geld, verbrannten ihre Dollar-Scheine und nahmen nur Lebensmittel, Kochgeschirr oder das Angebot an, ihnen beim Kochen zu helfen. Die Diggers galten als das selbsternannte Gewissen der menschlichen Gemeinschaft und wollten das Übel an der Wurzel, am Dollar, packen. Ihr Motto bei den Massenpicknicks im Park lautete: Nimm nur, es gehört dir !"
John erzählt weiter:
"Die Lebensmittel kamen in der Regel von dem, was die Leute wegwarfen oder was Restaurants ihnen spendeten. Für die Diggers war das die fette Stadt. Sie hatten ja das Geld abgeschafft und holten sich, was sie brauchten, aus dem Abfall oder bekamen Lebensmittel-Spenden. Das einzige Problem war, irgendwie Brot zu backen. Normaler-weise gab es nur eine Suppe. Sehen Sie diese Kannen hier, das sind alte Kaffeekannen, in denen wir Brot nach Digger Art backen. Das ist die leichteste Art, Brot zu backen. Dazu braucht man keine Backformen oder sowas. Es gab 30 bis 40 Diggers, die den festen Stamm der Gruppe bildeten. Sie lebten alle hier in der Haight Street in Kommunen, ganz frühen Kommunen. Sie haben ein Manifest veröffentlicht, bevor sie sich in alle Winde zerstreut haben. Es enthält die Philosophie der Diggers. Dieses Manifest geht seitdem von Hand zu Hand, es ist auch viele Male nachgedruckt worden, und man findet immer irgendwo eine Kopie davon."
Das Manifest hängt in der Haight Ashbury Food Bank über dem Tisch auf dem James gerade die Möhren putzt. Kernsatz: Nimm ! Es gehört Dir ! Daneben ein Zeitungsausschnitt ohne Datum. Es ist ein Interview mit einem Philosophen der University of California. Sein Name: Herbert Marcuse. Zitat:
"Bei den Hippies gibt es eine Reihe spielerischer Tendenzen. Etwa bei den Diggers mit einem Slogan, der lautet: "Nehmt es den Armen und gebt es den Reichen". Die Diggers sammeln Sachen bei den Armen und fahren damit zu den hochherrschaftlichen Villen in Beverly Hills, wo sie anklingeln und höflich fragen, ob jemand die Sachen haben möchte, - es sei alles umsonst ! Das sind spielerische Formen, die jedoch klare soziale Elemente enthalten. Diese Welt wird entsetzlich ausgebeutet. Es abzulehnen, Dinge zu kaufen, die man kaufen soll, ist sehr positiv. Oder den Krieg abzulehnen und das ganze Konkurrenz-System, das alles ist sehr positiv."
"Ich war eigentlich nie ein richtiger Digger, aber dieses Manifest hat mich sehr beeinflußt. Beeindruckt hat mich die Vorstellung, daß wir Leuten etwas anbieten können statt sie auszubeuten. Eine Idee der Diggers war, nicht nur an sich zu denken, sondern auch anderen etwas abzugeben. Oder anderen Menschen seine Zuneigung und Liebe zu zeigen, ohne etwas zurückzuerwarten. Es hatte auch etwas mit Kapitalismus zu tun: Die Diggers bekämpften den Kapitalismus, davon wollten sie sich befreien, von der gegenseitigen Ausbeutung. Sie wollten zurück zu menschlichen Werten und solchen Sachen. Sie waren gegen Massenproduktion und Monokulturen. Die Diggers wollten wieder miteinander arbeiten."
Ernest Callenbach hat mich in sein Haus in den Berkeley Hills eingeladen. Wir sitzen im Garten in der milden Abendsonne. Auf einem Hügelbeet wächst kalifornischer Wein, und stolz zeigt er mir eine Pflanze, die ich schon kenne: Heavenly Blue Morning Glory. Wir trinken Tee und stöbern in seinem Zeitungsarchiv. Unter dem Datum 7. Oktober 1967 lese ich im San Francisco Chronicle:
"Die Sonne geht gerade auf, drüben auf der anderen Seite der San Francisco Bay, hinter den Berkeley Hills, die noch unter einem weichen Morgennebel liegen. Es ist der 6. Oktober 1967. Ein langer Zug von Trauernden bewegt sich feierlich auf den Gipfel des Buena Vista Parks in San Francisco zu. Verschleiert hängt die Sonne nun über dem Morgen - verschleiert, prall und orangefarben. Einige der Trauernden blicken zu ihr hinüber und rufen: ´Man, it knows, we are here´, ´Hey, we're reborn!´ und ´Natural LSD!´ - Sie heben die Arme, und die Glöckchen und Perlenketten um ihre Hälse klirren und klingeln hell. Ein leichter Wind, der jetzt vom Pazifik herüberweht, läßt die Kerzen flackern und trägt die Wellen des rhythmischen Ommmmm der Menge bis in den Fillmore District. Ein Fichtensarg wird herangetragen und vor einem Opferfeuer aufgebahrt. Bunte indianische Gürtel, lange, abgeschnittene Locken, ein paar Exemplare des Berkeley Barb werden ins Feuer geworfen - eine Kopie des San Francisco Chronicle, einige Perlen und eine Schachtel mit LSD. Als der Sarg wieder aufgenommen wird, ist er mit der Asche des Opferfeuers gefüllt und mit frischen Blumen bestreut Die Prozession, die von Buena Vista herunterschreitet, ist noch länger geworden. Ihr voraus läuft ein kleiner braungefleckter Hund mit einer Feder im Halsband. Auf der Kreuzung von Haight- und Ashbury Street verharrt der Zug, kniet nieder zu einem kurzen kneel-in und bewegt sich dann gemessen durch hippieland - vorbei an schwarz umrandeten Todesanzeigen mit der Aufschrift: ´Hippie, ergebener Sohn der Massenmedien´. Am ´Psychedelic Shop´ hält die Prozession noch einmal an. Der Sarg wird auf der sauber gefegten Straße abgesetzt und mit weiteren Perlen, Postern und regenbogenfarbenen T-Shirts bekränzt. Ein Hippie in wallendem weißen Gewand wendet sich der Menge zu und verkündet laut: `Es gab eine Zeit, da hing ein Mensch sich Perlen um und wurde ein Hippie. Heute nimmt er die Perlen wieder ab und wird ein Mensch - ein freier Mensch !` - Ein weithin hallendes ´Ommmmmm´ der Menge antwortet ihm.
Dann zieht die Prozession weiter.