Bonn will Marihuana als Medizin nicht blockieren

Positives Signal bei Kongreß / Studie soll Erkenntnisse über Wirksamkeit bringen

Von Michael Emmrich

FRANKFURT A. M., 3. Dezember. Die rot-grüne Bundesregierung will Marihuana als Medikament erlauben. Im nächsten Jahr beginnt dazu in Deutschland und Europa eine große Studie. Sollte sie erfolgreich abgeschlossen werden, könne das Betäubungsmittelgesetz innerhalb weniger Monate zugunsten der medizinischen Anwendung der Hanfpflanze geändert werden, kündigte ein Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) am Donnerstag in Frankfurt am Main an. Die Arznei wäre dann im günstigsten Falle in zwei Jahren erhältlich.

Helmut Budge, Betäubungsmittelexperte aus dem BMG, sagte beim von der Hessischen Gesellschaft für Demokratie und Ökologie und mehreren Aids-Hilfen veranstalteten Kongreß "Medizinisches Marihuana" in Frankfurt, daß die Regierung keine "Scheuklappen" und "keine Probleme" mit einer therapeutischen Anwendung der Pflanze habe. Gesetze und Verordnungen müßten geändert werden, wenn dies zum Wohle der Menschen sei.

Beim Hanf (Cannabis) sind derzeit 64 Cannabinoide (Inhaltsstoffe) bekannt. Eines davon ist seit Anfang des Jahres in Deutschland als synthetisch hergestelltes Marinol zugelassen. Doch viele Wissenschaftler sehen in der natürlichen Aufbereitung der Pflanze (Marihuana) die weitaus wirksamere Medizin. Zahlreiche Studien hätten bisher belegt, daß Cannabis Schmerzen lindert, Appetit anregt, Muskelkrämpfe löst, das Befinden verbessert und gegen Erbrechen bei Chemotherapie wirkt. Vor allem Aids- und Krebspatienten sowie Querschnittsgelähmte können davon profitieren.

Die derzeitige Versorgung der Patienten bezeichnete die Ärztin Ulrike Hagenbach als "skandalös". Denn auch das Marinol sei in Deutschland nur theoretisch über wenige internationale Apotheken aus dem Ausland zu beziehen. Sie kenne niemanden, der es geschafft habe, das Medikament wirklich zu bekommen. Die erlaubte Höchstdosis sei zudem viel zu niedrig angesetzt. Außerdem werde das Präparat nicht von den Kassen bezahlt.

Budge unterstrich, daß mit einer Zulassung von Marihuana als Medikament die experimentelle und "unselige Selbstmedikation" der Patienten der Vergangenheit angehören solle. Für die Zulassung von Cannabis als Therapeutikum müsse das Betäubungsmittelgesetz geändert werden. Dies könne die Regierung aber innerhalb von drei bis vier Monaten bewerkstelligen. Dann werde noch die Zustimmung des Bundesrates benötigt.

Voraussetzung ist für Budge allerdings der wissenschaftliche Nachweis des Nutzens von Cannabis. Laut Arzneimittelgesetz müssen Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit eines Medikaments nachgewiesen werden. Im Februar oder März kommenden Jahres beginnt dazu auch an vielen deutschen Universitäten eine große Studie. "Die Tür für die wissenschaftliche Absicherung ist weit offen", unterstrich Helmut Budge deshalb.

Der niederländische Arzt Robert Gorter vom Europäischen Institut für onkologische und immunologische Forschung in Berlin erläuterte dem Kongreß die Studie. Krebspatienten werden dabei drei Gruppen zugelost, die jeweils das synthetische Cannabinoid, einen Wirkstoffmix aus dem Hanf oder Scheinmedikamente erhalten. In eineinhalb Jahren will Gorter die Ergebnisse präsentieren. Sein Ziel ist es zu beweisen, daß die natürliche Pflanze die besten Ergebnisse liefere.

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Dokument erstellt am 03.12.1998 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 04.12.1998