Kommentar

Nicht Rausch-, sondern Schmerzmittel

Die Bundesregierung will offenkundig Marihuana als Medikament freigeben

Von Michael Emmrich

Die Bundesregierung will offenkundig einen gesundheitspolitischen Skandal beenden und Marihuana als Medikament freigeben. Dieser Schritt ist überfällig. Auch wenn dazu heute eigentlich kein Löwenmut mehr vonnöten ist, zeugt die Ankündigung des Gesundheitsministeriums, schwerkranken Menschen eine ädaquate Arznei an die Hand zu geben, dennoch von Courage. Wenn nämlich die Worte Cannabis oder Marihuana in der Öffentlichkeit fallen, ist das in der Vergangenheit häufig Munition für den politischen Gegner gewesen, konnte der doch prompt wieder eine grundsätzliche Debatte über die Freigabe von Rauschmitteln vom Zaun brechen.

Deshalb legen Mediziner und das nun von einer grünen Ministerin geleitete Gesundheitsministerium auch zu Recht großen Wert darauf, daß es bei der Legalisierung von Marihuana nur um den Einsatz in der Medizin geht. Cannabis als frei zugängliches Rauschmittel ist ein ganz anderes Thema. Dies zu trennen, vereinfacht die Debatte und hilft den Kranken.

Cannabis ist ein seit Jahrtausenden in vielen Kulturen bekanntes und benutztes Therapeutikum. Erst die synthetischen Mittel mit ähnlichen Wirkspektren, die zu Beginn dieses Jahrhunderts verstärkt auf den Markt kamen, haben die Hanfpflanze verdrängt. Der vor allem von den US-Amerikanern angeführte weltweite Drogen-Krieg hat dann sein übriges getan, um Cannabis auf den Index zu setzen. Die Forschung zu den medizinischen Wirkungen ist dennoch nie ganz zum Stillstand gekommen, auch wenn sie oft an bürokratischen Hindernissen vieler Länder scheiterte. Auf diese Ergebnisse kann deshalb zurückgegriffen werden.

Es sind vor allem die Aids- und Krebs-Patienten, die über gute bis sehr gute Erfahrungen im Umgang mit Cannabis berichten können. Doch sie werden durch die bisherige Gesetzgebung in die Illegalität, auf den Schwarzmarkt und in die Verzweiflung getrieben. Eine Gesundheitspolitik, die diesen schwerkranken Menschen wirklich beistehen will, muß aber dafür sorgen, daß wirksame und gut verträgliche Präparate erhältlich sind. Nach allem bisherigen Wissen gehört Cannabis nicht nur dazu, sondern ist vielen herkömmlichen Wirkstoffen sogar überlegen. Wenn es dafür noch eines Beweises in Form einer europäischen Studie bedarf, die in den nächsten Wochen beginnen soll, dann bitteschön. Noch länger dürfen die Patienten aber dann nicht warten müssen und kriminalisiert werden.

 

[ dokument info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 1998
Dokument erstellt am 03.12.1998 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 04.12.1998