Betreff: DP: Berauschend Datum: Mon, 25 Jan 1999 00:06:21 +0100 Von: "Tan Tin" Firma: Regionales Rechenzentrum Erlangen, Germany Foren: de.soc.drogen Aus der ZEIT vom 21.1.99 Seite 27: Berauschend Eine nuechterne Abrechnung mit klassischer Drogenpolitik Ausgerechnet aus Frankreich, dem Land des Beaujolais und der Gauloises, kommt ein Vorstoss, die Drogenpolitik vom Kopf auf die Fuesse zu stellen: Eine interministerielle Arbeitsgruppe empfiehlt, beim Kampf gegen Rauschgifte Alkohol und Tabak aehnlich zu behandeln wie Heroin und Kokain. Statt wie bisher zwischen legalen und illegalen Drogen zu unterscheiden, plaediert die Arbeitsgruppe dafuer, "die Gesamtheit des Suchtverhaltens, unabhaengig vom gesetzlichen Status des suechtigmachenden Produktes" zu beurteilen. Wuerde diese nuechterne Forderung ernst genommen, muessten Politiker radikal umdenken. Schliesslich sind Suchtpotential und Giftigkeit von Alkohol aehnlich hoch wie bei Heroin und Kokain. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls ein wissenschaftlicher Bericht des franzoesischen Gesundheitsministeriums, der die gebraeuchlichen Drogen in drei Kategorien einteilt: Am gefaehrlichsten sind Alkohol, Heroin und Kokain, es folgen Tabak, Ecstasy, Aufputsch- und Beruhigungsmittel, und am wenigsten bedenklich seien Marihuana und Haschisch. Kettenrauchende Politiker staenden demnach auf einer Stufe mit Ecstasy schluckenden Ravern, und die Tradition des Gemeinschaftsbesaeufnisses waere nicht anders zu bewerten als verbotene Heroin-Trips. Diese Logik wird durch die Zahl der Drogentoten untermauert: So sterben in Frankreich pro Jahr 60 000 Raucher am Nikotinismus, 20 000 Tote sind durch Alkoholismus zu beklagen doch einer Ueberdosis Heroin fallen weniger als 300 Junkies zum Opfer. Cannabis-Tote sind nicht bekannt. Doch natuerlich wird auch in Frankreich die Drogenpolitik nicht allein von wissenschaftlichen Expertisen gepraegt. Schliesslich bestimmen vor allem kulturelle und soziale Gepflogenheiten, ob eine Droge als verpoentes Rausch- oder geliebtes Genussmittel gilt. Wer daran ruehrt, ruft einen Sturm der Entruestung hervor. Premierminister Lionel Jospin hat denn auch bereits angekuendigt, er wolle keinesfalls eine Diskussion des bestehenden Rauschmittelgesetzes. Doch vielleicht koennte der franzoesische Vorstoss auch hierzulande dazu beitragen, dass Debatten ueber Drogenpolitik kuenftig weniger emotional gefuehrt werden: Man ersetze nur einmal versuchsweise das Reizwort Heroin durch Alkohol und umgekehrt. Die Wirkung ist gewaltig. von ULRICH SCHNABEL Soviel Vernunft unserer Nachbarn laesst hoffen!