Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung
Dieses Blumengewühls über den Garren umher:
Viele Namen hörest du an, und immer verdränget
Mit barbarischem Klang einer den andern im Ohr.
Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern,
Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz,
Auf ein heiliges Rätsel. O könnt ich dir, liebliche Freundin,
Überliefern sogleich glücklich das lösende Wort!
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Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze,
Stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht.
Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald ihn der Erde
Stille befeuchtender Schoß hold in das Leben entläßt
Und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig bewegten,
Gleich den zärtesten Bau keimender Blätter empfiehlt.
Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendes Vorbild
Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt,
Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos;
Trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt
Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend,
Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht.
Aber einfach bleibt die Gestalt der ersten Erscheinung,
Und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das Kind.
Gleich darauf ein folgender Trieb, sich erhebend, erneuet,
Knoten auf Knoten getürmt, immer das erste Gebild.
Zwar nicht immer das gleiche; denn mannigfaltig erzeugt sich.
Ausgebildet, du siehsts, immer das folgende Blatt,
Ausgedehnter, gekerbter, getrennter in Spitzen und Teile,
Die verwachsen vorher ruhten im untern Organ.
Und so erreicht es zuerst die höchst bestimmte Vollendung,
Die bei manchem Geschlecht dich zum Erstaunen bewegt
Viel gerippt und gezackt, auf mastig strotzender Fläche,
Scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich, zu sein.
Doch hier hält die Natur mit mächtigen Händen die Bildung
An und lenket sie sanft in das Vollkommnere hin.
Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße,
Und gleich zeigt die Gestalt zärtere Wirkungen an.
Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke,
Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus.
Blattlos aber und schnell erhebt sich der zärtere Stengel,
Und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an.
Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne
Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin.
Um die Achse gedrängt entscheidet der bergende Kelch sich,
Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt.
Also prangt die Natur in hoher, voller Erscheinung,
Und sie zeiget, gereiht, Glieder an Glieder gestuft.
Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Stengel die Blume
Über dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter bewegt.
Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens Verkündung;
Ja, das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand,
Und zusammen zieht es sich schnell; die zärtesten Formen,
Zwiefach streben sie vor, sich zu vereinen bestimmt.
Traulich stehen sie nun, die holden Paare, beisammen,
Zahlreich ordnen sie sich um den geweihten Altar.
Hymen schwebet herbei, und herrliche Düfte, gewaltig,
Strömen süßen Geruch, alles belebend, umher.
Nun vereinzelt schwellen sogleich unzählige Keime,
Hold in den Mutterschoß schwellender Früchte gehüllt.
Und hier schließt die Natur den Ring der ewigen Kräfte;
Doch ein neuer sogleich fasset den vorigen an,
Daß die Kette sich fort durch alle Zeiten verlänge,
Und das Ganze belebt, so wie das Einzelne, sei.
Wende nun, o Geliebte, den Blick zum bunten Gewimmel,
Das verwirrend nicht
mehr sich vor dem Geiste bewegt!
Jede Pflanze verkündet dir nun die ewgen Gesetze,
Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir.
Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern,
Überall siehst du sie dann, auch in verändertem Zug:
Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile geschäftig,
Bildsam ändre der Mensch selbst die bestimmte Gestalt!
O, gedenke denn auch, wie aus dem Keim der Bekanntschafe
Nach und nach in uns holde Gewohnheit entsproß,
Freundschaft sich mit Macht aus unserm Innern enthüllte,
Und wie Amor zuletzt Blüten und Früchte gezeugt.
Denke, wie mannigfach bald die, bald jene Gestalten,
Still entfaltend, Natur unsern Gefühlen geliehn!
Freue dich auch des heutigen Tags! Die heilige Liebe
Strebt zu der höchsten Frucht gleicher Gesinnungen auf,
Gleicher Ansicht der Dinge, damit in harmonischem Anschaun
Sich verbinde das Paar, finde die höhere Welt!
J.W.v.Goethe (17./18.Juni 1798)
EPIRRHEMA
Müsset im Naturbetrachten
Immer eins wie alles achten;
Nichts ist drinnen, nichts ist draußen:
Denn was innen, das ist außen.
So ergreifet ohne Säumnis
Heilig öffentlich Geheimnis.
Freuet euch des wahren Scheins.
Euch des ernsten Spieles:
Kein Lebendiges ist ein Eins,
Immer ists ein Vieles.
J.W.v.Goethe (1749-1832)
Jenes vielgerühmte Kraut
Beim Mittagsmahle erörtere ich mit Schillern die wunderliche Sitte,
welche unter so seinen Studiosi Einzug erhalten, nämlich mittels einer
Pfeife ein süssliches orientalisches Harz abzubrennen, über dessen
erheiternde Kraft viel Lob zu hören sei. Nach einem angeregten Gespräch
darüber, dass in jedem Menschen eine Dreiheit von Menschlichem, Tier-
und Pflanzhaften walte, welches letztere durch Einatmung von wieder Pflanzlichem
geweckt werde, schlug ich gerne in Schillers Vorschlag ein, sich morgigen
Tages an eine Oertlichkeit zu begeben, um in Geselligkeit jenes vielgerühmte
Kraut zu rauchen, da hier, wie oftmals, nur naturhafte Anschauung hilft.
Daselbst traf ich nebst Schillern drei junge Leute an, geheissen von Spiess,
Munster und Bierbichel. Ich wurde auf das herzlichste begrüsst, man
schilderte mir, dass man die Pflanzen, eine Abart von Hanf, selbst in liebevoller
Kleingärtnerei selber gezogen, geerntet und getrocknet habe, und plauderte
aufs angeregteste über Gartenkunst. Darüber ward schon die gekrümmte
Pfeife gestopft und von Bierbichel mittels Fidibus in Gang gebracht. Sofort
verbreitete sich ein starker Geruch, halb süsslich, halb streng mit
dem Anhauch von verschmorrter Gummierung durchsetzt. Cand. jur. Bierbichel
setzte das Werkzeug seufzend ab und reichte es von Spiess, welcher zwei
Züge nahm und seufzte, worauf Schiller an der Reihe war. Er tat es
ihnen nach; wonach ich die Pfeife in Empfang nahm und den Rauch einsog,
welcher mich nun überaus parfümiert anmutete. Danach kreiste
die Pfeife ein zweites Mal, während sich ein eigentümliches Gefühl,
begleitet von einem tiefen Summen, in meinem Kopfe breitmachte.
Nun, hub von Spiess an, nachdem er sich die Lippen befeuchtet, ob es Wirkung
zeige? Er jedenfalls spüre, wie das Poetische nur so aus ihm herausbreche.
Gerade sei ihm der Satz Mit dem Löffel muss man das Gleiche aus dem
Wirklichen schöpfen eingefallen. Schiller erwiderte, dass ihm nichts
derartiges in den Sinn getreten sei, allein, ihm sei etwas unpässlich.
Darauf bemerkte Studiosus Munster, Unpässlichkeit sei ein Problem
am Anfang, der stets schwer sei, und es gäbe sich; ihm, Munster, gehe
es augenblicklich ungeheuer wohl. Er, meldete sich cand. phil. von Spiess,
fühle sich, als ob er mit dem Weltganzen in gemütlichste Verbindung
trete. Man müsse nämlich wissen, dass schon die Altvorderen Hanf
gekannt und genutzt hatten - die urdeutsche Gemütstiefe habe hier
ihre bäuerlichen Wurzeln ... Dito habe er aus sicherer Quelle, dass
aus die griechischen Philosophen, Aristoteles allen voran, Hanf gekannt
und davon profitiert hätten ... Derlei Wunderlichkeiten brachte er
darauf viele hervor, als er durch ein eigentümliches, krankhaftes
Kichern Schillers unterbrochen wurde, in welches die anderen sofort einstimmten,
ich unwillig mit einbegriffen.
Mein Zustand war der seltsamste: allerlei trübe Gedanken schwirrten
um mich herum wie kalte Goldfische in einem Glase, allein ich erhaschte
keinen und blieb gelangweilt, was sich mit immer stärkerem Unwillen
mischte, als ich bemerkte, dass die drei, die mit Fleiss zu reden anhuben,
was wunders sie fühlten und dächten, diese Reden schon oft gehalten
hatten und gleich einem Marketender, welcher seine Ware mit denselben Worten
schon tausendmal angepriesen, gleichsam mit der Stimme eines Mühlrades
klapperten, wobei sie mir und dem armen Schiller, welchem der Schweiss
auf der Stirne stand, mit grosser Wonnigkeit und beständigem Blinzeln
Vorträge über die medizinische Wirksamkeit ihres Kräutleins
hielten, welches das Krebsleiden, die rheumatischen Anfälle, Erkältungensowie
kolischen Durchfall heilen solle. Hierauf verteilten sie Papier, die aussergewöhnlich
poetischen Steigerungen der Kreatur unter Hanf festzuhalten: ich schrieb
ein, zwei magere Sonette, die wenig Wert hatten, Schiller eine Ballade
mit den Zeilen Ein frommer Knecht war Fridolin / Ergeben der Gebieterin,
welche noch weniger Wert hatte.
Nachdem von den Studiosi eine weitere Pfeife geraucht, und sie vollends
in einen Zustand der stillen Einfalt verfallen, begaben sich Schiller und
ich zur Wirtsstube des "Roten Rosses" um dort bei erstaunlichem Appetit
zwei Wurstteller einzunehmen.
Über unser Abenteuer waren wir uns schnell einig; es schien uns, nach
einem Bonmot Schillers, dass die Wirkung weder besonders übel, dafür
aber noch salzloser als die vereinigten Gedichte Klopstocks & Müllers
gewesen sei, ferner bemerkte ich, dass jenen Studiosi des Hanf mir vorkämen
wie jene lieben Kleinbürger, die ebenfalls auf die Philister schimpfen,
dabei aber Gemüt und Gemütlichkeit hochleben lassen ... Aber
da sah ich mitten im Explizieren nach Schillern hin und fand ihn schlummernd
sitzen, den Kopf auf den geleerten Wurstteller gebettet.
Quelle: Schweizer Sonntagszeitung
zitiert im Hanf Handbuch (2001 Verlag) |