Maestro de Cannabis

Auf dem Darß im verschlafenen Born kreiert Chefkoch Ralf Hiener Leckereien aller Art. Seit Jahren hat er ein kulinarisches Steckenpferd - den Hanf. Seine Rezepte hat er jetzt im ersten Deutschen Hanfkochbuch veröffentlicht.

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Born, irgendwo auf dem Darß: Hier kommt der Hanf in den Topf, nicht in die Tüte.
   

»Meine erste Tüte hab ich als Teenager geraucht«, erzählt Ralf Hiener von seinem frühesten Kontakt mit dem Hanf und atmet tief den Duft des Boddenwassers ein. »Rauchen tu ich's jetzt nicht mehr. Ich esse es.« Kraniche sammeln sich in der Herbstsonne, auf Reusenstangen lauern Kormorane nach Leckerbissen. Hiener ist gern hier draußen, um auszuspannen und Ideen zu finden. Auf seinem Lieblingssteg macht er halt, in der Hand hält er das erste deutsche Hanfkochbuch - auch sein erstes Buch. »Es ist wohl der Traum eines jeden Menschen, irgendwann ein Buch zu schreiben«, blinzelt Hiener in die Sonne. »Besonders aber von Köchen.« Die bunten Regalmeter der Kochliteratur schrecken ihn nicht, so überzeugt ist er vom Erfolg. Hundert Meter weiter im Dorf, im Weißen Hirschen, in dem Hiener seit ein paar Jahren die Kochlöffel schwingt, entstanden die Rezepte für das jüngst erschienene Cannabiskochbuch. »Keine Kifferküche«, wie der gebürtige Badener immer wieder betont; davon kann man sich sehr schnell überzeugen. Natürlich verwendet Hiener nur Produkte des rauscharmen Industriehanfs. Der hat solch einen geringen Anteil an THC, dem benebelnden Tetrahydrocannabinol, daß man schon fünf Kilo auf einmal rauchen müßte, um eine Wirkung zu erzielen. Trotzdem, so der Koch, sei immer noch etwas Mystisches, etwas Zwielichtiges mit dem Hanf verbunden.

Die ältesteKulturpflanze der Welt

Hanf hat immer noch keine Lobby in Deutschland. Seit 1996 ist der Anbau der THC-armen Sorten zwar wieder gestattet, aber auch das nur unter äußerst strengen Blicken der Landwirtschaftsbehörden. Es gab Zeiten, da sah das ganz anders aus. Und zwar vor rund 12 000 Jahren in China. Hanfanbau in Größenordnungen - zur Textilherstellung, als Nahrungsmittel und natürlich als Medizin. Der früheste Fund von Cannabis-Samen auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands stammt aus Eisenberg in Thüringen; datiert auf 5500 vor Christus. Karl der Große erließ im Jahre 800 ein Gesetz, daß in seinem Reich Hanf angebaut werden muß. Die Reihe derer, die sich in den letzten Jahrhunderten mit dem Hanf beschäftigten ist endlos. Hildegard von Bingen erforschte schon im zwölften Jahrhundert die medizinische Heilwirkung der Pflanze, sogar die Gutenberg-Bibel wurde auf Hanfpapier gedruckt. Ganze Völkerstämme verdanken ihr Überleben während großer Dürreperioden dem robusten Hanf und seinen Samen.

Die Wende kam mit dem 20. Jahrhundert. Auf der 1. Internationalen Opiumkonferenz 1912 wird Hanf auf die Verbotsliste gesetzt. Die 2. Konferenz 1924 erläßt ein weltweites Gesetz zur Drogenkontrolle und setzt Hanf wiederum auf die Indexliste. Obwohl der Anbau während des zweiten Weltkrieges einen leichten Aufschwung erhält - denn kaum eine Pflanze ist so widerstandsfähig und so vielseitig verwendbar, versinkt die Cannabis-Pflanze nach dem Krieg fast in der Bedeutungslosigkeit. Erst die Hippie-Bewegung schafft eine Renaissance für die alte Kulturpflanze; zunächst aber nur als Droge.

Heute ist Hanf zum Inbegriff des nachwachsenden Rohstoffes geworden. Ob als Dämmstoff für den Haus- und Fahrzeugbau, als Rohzellstoff für die Papierindustrie, als Textil-faser, Öl und
Energie - Hanf ist die umweltschonende Alternative. Und nun erobert er auch noch die Kochtöpfe.

Die kulinarische Neuentdeckung

Hanf in der Küche, das bedeutet vor allem das Kochen mit den Hanfsamen oder dem daraus gewonnen Öl. Ralf Hiener ist voll des Lobes - allerdings weiß er um die wenigen, wirklich guten Hanfmanufakturen. Die Produkte der Cannabispflanze sind teuer, aber der Preis lohnt sich. Kein Samen und kein Öl enthält einen so hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren. Der Verzehr von Hanfprodukten ist nicht nur unbedenklich, er ist äußerst empfehlenswert - und außerdem schmackhaft.

Aus einem Zehnkilo-Sack Hanfsamen schüttet Ralf Hiener eine fingerdicke Lage in eine heiße Pfanne ohne Fett. Die Vorbereitungen für ein echtes Hanfmenü. Er will zeigen, was im Hanf steckt. Die Rezepte des Buches findet der Gast auch auf der Speisekarte; nicht aber vordergründig als Hanfspezialitäten, sondern versteckt - hier ein Dessert, dort eine Kruste oder ein Salat. Der Koch geht nicht hausieren mit exotischen Besonderheiten, vielmehr will er Hanfprodukt-Zutaten zur Selbstverständlichkeit erheben.

Die Samen in der Pfanne beginnen langsam zu knacken. Sie werden geröstet. Wie Popcorn springen sie einen Augenblick später vom Herd; das ist der richtige Zeitpunkt aufzuhören. Hiener nimmt ein paar heiße Körner zwischen Daumen und Zeigefinger und läßt sie sich in den Mund rieseln. »Traumhaft«, schwärmt der Koch. »Keine anderen gerösteten Samen schmecken so nussig und derartig aromatisch.« Aus den gerösteten Hanfsamen macht er Schrot, indem er die Körner mit einem schweren Henkeltopf auf einem Brett zermalmt. Dann wirbelt er los. Töpfe klappern, in Pfannen brutzelt Butterschmalz - es wird heiß in der kleinen Küche des Weißen Hirschen. Der herbstliche Menüvorschlag: Rehrücken in Hanfsamenkruste auf Rotweinsoße, dazu handgeschabte Hanfschrot-Spätzle. Zum Dessert ein Hanf-Krokant-Parfait mit beschwipster Birne.

Der 31jährige ist Koch in vierter Generation und aus Leidenschaft. Er macht ihn nicht mit, den Wettlauf um die exotischsten Neuerungen auf dem Gourmet-Markt. Sein Blick richtet sich auf regionale Küchen. »Ein Nahrungsmittel, das man frisch auf einem Markt erstehen kann«, bemerkt Hiener während er den Spätzleteig mit der Hand fluffig schlägt, »ist mir lieber als eine weitgereiste, tiefgefrorene und in Plastik verpackte Extravaganz.« Hiener ist Mitglied des Verbundes Qualitätsorientierter Köche, gleichsam der Fief in de Kök, einer Gruppe von Köchen rund um Fischland-Darß-Zingst. Ihr Fleisch kommt meist von der Wildannahmestelle des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft, Gemüse und Obst von einheimischen Bauern, die Molkereiprodukte von Meiereien aus der Gegend. Frische und Bodenständigkeit, in die sich der Hanf als Zutat unbeschwert einreiht. Ob Vorspeisen, Süppchen, Salate; Gerichte mit Fisch und Fleisch oder auch Desserts - den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt.

Der kleine Walter Hädecke Verlag nahm sich der Kochbuch-Idee an. Erschienen ist eine Rezeptsammlung, die gleichzeitig Nachschlagwerk ist. Ein Abriß über Geschichte, Nützlichkeit und Schmackhaftigkeit von Cannabis - gedruckt auf Hanf-Papier, versteht sich.

Die Hanfidee im Weißen Hirsch

Ralf Hiener richtet an. Die Rehmedaillons erfüllen die kleine Gaststube mit einem betörenden Duft. Der Weiße Hirsch - eine Adresse für anspruchsvolle Küche, in der man nicht von Vornehmheit erschlagen wird. An den Wänden Thomas Klamann, auf den Böden natürliches Holz. Der Tischler, ein Freund Hieners aus Hameln, baute während der Sanierung vor drei Jahren mitten im Gastraum seine Werkbank auf und zimmerte drauf los. Enstanden sind Möbel und Ausstattungen, die wie gewachsen scheinen.

Daß Hanf auch im normalen Restaurantalltag außerhalb der Speisekarte eine Rolle spielen kann, beweist Bettina Mack, die Wirtin des Hauses. Sie legt Wert auf ökologisches Wirtschaften in ihrem Betrieb. Die Wiedergeburt des Hanfs seit Anfang der 90er traf genau ihren Nerv. »Wir haben nicht so viele Alternativen, als daß wir die eine oder andere ignorieren könnten«, freut sie sich über das Comeback. Im Weißen Hirsch sind Produkte des Hanfs deshalb stets gegenwärtig. Ob als Papier, auf dem die Menüs angepriesen werden, als Stoff für die Berufsbekleidung oder als Seife und Waschmittel für den täglichen Bedarf.

Hanf in aller Munde

Ralf Hiener weiß, Hanfprodukte zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt, können eine Punktlandung bedeuten. »Der Umgang mit ihm in der Küche ist nicht der leichteste,« so der Maestro de Cannabis, »aber wenn man seine Formel knackt, gibt er alles doppelt zurück.« Jede größere Stadt hat mittlerweile ein Hanfhaus, auch Reformhäuser führen vermehrt Hanfsamen und Hanföl. Erste Vorraussetzung, sich an die Rezepte des Hanfkochbuches heranzuwagen. Schwierig ist es keineswegs - alle Schritte sind detailliert beschrieben. Und wenn man dann sein erstes Filet in Hanfkruste genossen hat, dann könnte man fast süchtig danach werden. * T.L.

Das Hanf-Kochbuch von Ralf Hiener, Bettina Mack, Matthias Schillo und Stefan Wirner mit wunderbar schmackhaften Fotos von Ansgar Pudenz ist im Hädecke Verlag erschienen und kostet DM 49,90.

Das Quintett der »Fief in de Koek«: Ralf Hiener (ganz rechts) hat den Hanf-Gedanken neu aufgekocht...

 










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