Merkel und Bode über die ökologische Zukunft   SPIEGEL-Archiv 12/97
Seite 82-85

SPIEGEL-STREITGESPRÄCH


"Ein Spiel mit dem Feuer"

Sind Greenpeace-Aktionen legitim? Schadet die Bonner Umweltpolitik der Demokratie? Bundesumweltministerin Angela Merkel und Greenpeace-Chef Thilo Bode über den rechten Weg in eine ökologisch sichere Zukunft.

SPIEGEL: Frau Merkel, was halten Sie von Greenpeace?

MERKEL: Manches, was sie machen, ist gut, etwa die Förderung des Drei-Liter-Autos. Anderes ist unseriös wie die Behauptungen über Krebserkrankungen durch Ozon. Ebenso sind die Methoden mitunter fürmich nicht akzeptabel, beispielsweise wenn Greenpeace den Frankfurter Hauptbahnhof besetzt, um die Deutsche Bahn zu zwingen, keine Pestizide mehr zur Unkrautbekämpfung auf Gleisen einzusetzen. Zu allem Überfluß hat die Deutsche Bahn auch noch sofort gekuscht.

SPIEGEL: Neidisch, weil die Umweltschützer mehr Power haben als die Bundesumweltministerin?

MERKEL: Darum geht es doch gar nicht, zumal ich in der Sache die Entscheidung der Bahn begrüße. Wenn aber Bahnhofsbesetzungen oder Straßenblockaden Schule machen, nimmt unser demokratisches System Schaden. Denn nicht die Straße entscheidet, was die Politik zu tun oder zu lassen hat.

BODE: Wollen Sie Greenpeace unterstellen, wir seien Totengräber der Demokratie? Offensichtlich waren Sie doch unfähig, das konkrete Problem zu lösen.

MERKEL: Es geht nicht nur um das Ziel, sondern auch um die Wege dorthin. Die Besetzung eines Bahnhofs - und damit die Behinderung des Zugverkehrs - ist ein Regelverstoß, bei dem eindeutig eine Grenze überschritten wird.

BODE: Gott sei Dank entscheiden darüber nicht Sie, sondern die Gerichte ...

MERKEL: ... wenn sie überhaupt damit befaßt werden.

BODE: Regelverstöße müssen nicht rechtswidrig sein. Als Greenpeace 1994 zwölf Stunden lang die Europabrücke bei Straßburg besetzte, um die Rücknahme von deutschen Pestiziden aus Albanien durchzusetzen, hat uns das Amtsgericht Kehl anschließend sogar bescheinigt, das Ansehen der Bundesrepublik gefördert zu haben. Greenpeace ist in Deutschland noch nie strafrechtlich verurteilt worden.

MERKEL: Das hat doch ganz unterschiedliche Gründe und sagt nichts über die Legalität Ihres Vorgehens aus. Und vermutlich leisten Sie sich auch gute Juristen.

BODE: Auch das ist legitim.

MERKEL: Das bestreite ich nicht. Aber uns unterscheidet: Während Sie sich mit Aktionen und Aufrufen zum zivilen Ungehorsam zumindest am Rande der Legalität bewegen, stütze ich mich als gewählte Politikerin auf eindeutige Mehrheiten. Das ist die Chance und die Schwierigkeit der Demokratie.

BODE: Und deshalb fühlen Sie sich berechtigt, Ihre Atompolitik mit massiver Gewalt gegen eine Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen, siehe die Castor-Transporte nach Gorleben?

MERKEL: Was heißt hier massive Gewalt? Es gibt Gesetze, die sind einzuhalten und durchzusetzen. Genauso gehören friedliche Demonstrationen zur Demokratie, aber die Proteste in Gorleben waren nicht gewaltfrei. Da mußten wir Recht und Gesetz durchsetzen. Das hat nichts mit massiver Gewalt zu tun. Gegen eine Mehrheit machen wir auch keine Politik. Im übrigen haben wir alle vier Jahre Wahlen.

SPIEGEL: Herr Bode, woher nimmt Greenpeace das Recht, gegen geltende Regeln zu verstoßen?

BODE: Es geht darum, geltendes Umweltrecht durchzusetzen, wenn die Politik dazu nicht fähig ist. Wir verteidigen dabei ein hochrangiges Recht, nämlich den Schutz unserer Lebensgrundlagen.

MERKEL: Da irren Sie. Das ist überhaupt kein Grund, es mit der Wahrheit nicht immer sehr genau zu nehmen. Es ist bekannt, daß die Strahlenbelastung durch Castor-Behälter geringer ist als die in den Alpen. Warum schüren Sie trotzdem die Angst?

BODE: Hinsichtlich der Auswirkungen radioaktiver Strahlung hat man sich in der Vergangenheit sehr oft getäuscht. Wir handeln nach dem Grundsatz: Wenn es um das Leben von Menschen geht, kann man gar nicht vorsichtig genug sein.

MERKEL: Nach diesem Prinzip handele ich auch.

SPIEGEL: Nach den Auseinandersetzungen um Castor rufen alle Parteien nach einem Konsens in der Energiepolitik. Herr Bode, wozu ist Greenpeace bereit?

BODE: Solange CDU und SPD in bezug auf Atomenergie und Kohlesubventionen einen Kuhhandel betreiben, werden wir zu keinem Konsens kommen. Gegenüber der Atomwirtschaft gibt es von unserer Seite keinen Kompromiß: Es wird ja nur so getan, als ließe sich Atommüll sicher entsorgen. Die Atomindustrie handelt, als ob man ein Flugzeug starten läßt, ohne daß es eine Landebahn gibt. Ein Spiel mit dem Feuer.

MERKEL: So kommen wir doch nicht weiter. Ohne Kompromißfähigkeit geht es doch nicht. Mit einer solchen Haltung verhindern Sie doch genau die Landebahn, also die Entsorgung. Wir können die Entscheidung über Neubauten aufschieben, weil ja überhaupt keiner ein Kraftwerk bauen will. In der Zwischenzeit entwickeln wir für die nächsten 20 Jahre Energieszenarien, welche die Belange der Umwelt, der Versorgungssicherheit und der Wirtschaft berücksichtigen. Dabei sind alle Energieträger zu bewerten, auch die Kernenergie.

BODE: Wir brauchen die Atomenergie nicht und dürfen sie gar nicht nutzen, wenn wir den Energieverbrauch auf ein umweltverträgliches Maß reduzieren wollen. Sie können die Kraftwerke sofort abschalten und die Brennstäbe dort abklingen lassen.

SPIEGEL: Bei der Atomenergie können Sie sich offenbar nicht zusammenraufen. Und in den übrigen Umweltbereichen ?

BODE: Wir müssen - und diesbezüglich liegen unsere Meinungen sicher nicht so weit auseinander - den Ressourcenverbrauch ganz erheblich vermindern. Nur so können wir weltweit überhaupt zu einem tragbaren Wirtschaften kommen. Um den Verbrauch wirklich zu senken, müssen Sie höhere Energiesteuern erheben - natürlich aufkommensneutral, damit der Wirtschaft nicht das Geld für Investitionen entzogen wird. Solange sich das nicht ändert und Sie statt dessen im wesentlichen ein bürokratisches Verordnungsgestrüpp auftürmen, haben wir ein Problem.

MERKEL: Es läßt sich so leicht vom Verordnungsgestrüpp reden. Welche wollen Sie denn so einfach mal streichen? Aber natürlich halte ich es auch für richtig, in der Umweltpolitik ein paar wenige, überschaubare Ziele zu definieren. Zunächst mal müssen wir unsere Atmosphäre schützen, Stichworte sind FCKW, Ozon und Klima. Die Bundesregierung hat gesagt: Europaweit soll eine Kohlendioxidbesteuerung eingeführt werden. Es nützt uns nichts, wenn alle Zementwerke nach Polen und in die Niederlande gehen. Nur eine CO2-Besteuerung ist zur Zeit in Europa nicht erreichbar.

BODE: Wenn die Bundesregierung sich für eine Energiesteuer so ins Zeug legen würde wie für das Reinheitsgebot deutscher Biere, dann wäre schon viel gewonnen.

MERKEL: Ein deutscher Alleingang nutzt niemandem, und ich muß im Gegensatz zu Ihnen Mehrheiten schaffen.

BODE: Sie setzen sich doch für vieles gar nicht erst ein.

MERKEL: Damit machen Sie es sich sehr einfach. Ich muß Kompromisse suchen, Interessen ausgleichen.

BODE: Die Umweltpolitik wird heutzutage vom Forschungs-, Wirtschafts-, Verkehrs- und Finanzminister gemacht.

MERKEL: Na klar. Ich werde Sie an Ihre Verbündeten bei Gelegenheit erinnern. Wir sollten wieder sachlich werden: Im neuesten Worldwatch-Bericht kommt Deutschland in Sachen Klimaschutz relativ gut weg. Auch der World Wide Fund for Nature hat uns gerade gelobt als eines der führenden Länder in der Klimapolitik.

BODE: Deutschland hatte sich 1992 beim Weltklimagipfel in Rio de Janeiro als Vorreiter in der internationalen Umweltpolitik profiliert. Mittlerweile wird im Ausland klar, daß die Bundesrepublik nicht mehr als Durchschnitt ist und die Bundesregierung ihr damaliges Versprechen, die CO2-Emission bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent zu reduzieren, nicht einhalten wird.

MERKEL: Das ist eine Unterstellung. Gewiß, wir müssen mehr machen. Deshalb wird die Bundesregierung auch bis Mitte des Jahres ein Szenario vorlegen, mit welchen zusätzlichen Maßnahmen wir die noch fehlenden acht Prozent CO2-Reduzierung erreichen werden. Das können marktwirtschaftliche Anreize, Selbstverpflichtungen der Industrie oder auch ordnungsrechtliche Schritte sein.

BODE: Wenn Sie weiter die Wünsche der Automobilindustrie erfüllen, kommen wir ökologisch nicht voran. Solange Sie in Brüssel nicht dafür kämpfen, daß der durchschnittliche Verbrauch aller verkauften Autos im Jahre 2005 bei drei Litern liegt, haben wir ein Problem. Der Verkehrssektor wird der allergrößte CO2-Produzent - aber Sie machen da nichts.

MERKEL: Was die CO2-Reduzierung angeht, stellt der Verkehr das größte Problem dar. Darin stimme ich mit Ihnen überein. Ich habe der Automobilindustrie - da gab es viel Ärger - die Verpflichtung abgehandelt, den CO2-Ausstoß bis 2005 um 25 Prozent zu vermindern. Das sind konkrete Schritte nach vorn.

BODE: Real ist: Die Bundesregierung hat bei der Umweltkommission in Brüssel, als das Fünf-Liter-Auto für 2005 anstand, dieses Ziel auf 2010 verschoben.

MERKEL: Erstens stimmt das so pauschal nicht. Außerdem ist es einfach, viel zu fordern. Aber damit kann ich mich im Gegensatz zu Ihnen nicht begnügen.

BODE: Mit dieser Argumentation werden Sie selbst im Jahre 2030 noch nicht das Fünf-Liter-Auto haben. Sie müssen mal den Mut und die Kraft aufbringen, der Automobilindustrie die Meinung zu sagen.

MERKEL: Aber damit sind die fünf Liter Flottenverbrauch noch nicht geschafft.

BODE: Bei den beiden wichtigsten ökologischen Problemen, in der Energiepolitik und bei der Artenvielfalt, reicht die Bonner Kraft hinten und vorn nicht.

MERKEL: Nehmen Sie doch mal die Konvention der Vereinten Nationen zur Erhaltung der Artenvielfalt. Da sind selbst unsere schärfsten Kritiker der Meinung, daß wir diese Konvention wesentlich mit vorantreiben.

BODE: Ihr Dilemma ist: Sie reden über Konventionen, fehlende Mehrheiten und über das, was Sie nicht machen können. Währenddessen geht die Welt an der Umweltzerstörung zugrunde.

SPIEGEL: Warum können Sie sich eigentlich nicht in den Punkten, in denen sie ähnliche Ziele formulieren, unterstützen?

MERKEL: Ich halte es für bedauerlich und für einen strategischen Fehler, daß es nur an sehr wenigen Punkten Solidarität zwischen Umweltpolitik und Umweltverbänden gibt - das schwächt die Umwelt. Wirtschaftsminister und Wirtschaftsverbände gehen häufig gemeinsam vor, auch der Sozialminister und die Gewerkschaften oder die Autoproduzenten und der Verkehrsminister.

BODE: Wir können mit Ihnen nicht solidarisch sein, solange Sie vor der Industrie in die Knie gehen und solange Ihre Politik nicht ausreicht, die Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen wirklich zu sichern. Der Schutz künftiger Generationen ist nach Artikel 20a Grundgesetz Staatsziel. Ihre Politik erfüllt diese Aufgabe nicht. Wenn Sie weiter so wursteln, wird unser Planet ökologisch kollabieren. Deshalb stelle ich mittlerweile die Legitimität Ihres Handelns in Frage.

MERKEL: Sie machen es sich sehr einfach. Sie stellen schöne Maximalforderungen auf - um mir dann immer vorzuwerfen, daß ich sie nicht verwirkliche. Daß Umweltschutz Staatsziel ist, ist dieser Bundesregierung zu verdanken - und meine gesamte Politik ist daran ausgerichtet.

SPIEGEL: Bevor Sie vor das Bundesverfassungsgericht ziehen: Wie wäre es, wenn Sie mal vier Wochen die Jobs tauschen?

BODE: Keine schlechte Idee.

MERKEL: Da ich nicht sonderlich sportlich bin, würde ich nicht ins Schlauchboot steigen. Wenn ich Zeit hätte, würde ich gern mal vier Wochen gucken, wie bei Greenpeace das Drei-Liter-Auto gebaut wird. Aber ich bin ganz gern Politikerin.

SPIEGEL: Frau Merkel und Herr Bode, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


DER SPIEGEL 12/1997