Betreff: Offener Brief An die Bundesregierung Datum: Fri, 29 Jan 1999 11:33:45 +0100 Von: canna Firma: H.A.N.F. e.V. Berlin, HANFnet, Hanfparade Center Berlin, Hanf Museum Foren: de.soc.drogen Autonomer Arbeitskreis Berlin, 12. Dezember 1998 zur Beendigung der Cannabis-Prohibition c/o Hanf Museum Mühlendamm 5 10117 Berlin-Mitte Offener Brief An die Bundesregierung An die Ministerien Gesundheit Justiz Inneres Landwirtschaft Arbeit und Soziales Wirtschaft Jugend und Familie An die Fraktionen des Deutschen Bundestages SPD Bündnis 90/Die Grünen PDS FDP Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe MandatsträgerInnen, wir gratulieren Ihnen zu Ihrem erfolgreichen Wahlergebnis. Das Votum der bundesdeutschen WählerInnen hat bewiesen, daß die Zeit gekommen ist für einen neuen Aufbruch, für Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Zu unserem Bedauern mußten wir jedoch feststellen, daß unser Anliegen, eine Cannabis-Legalisierung herbeizuführen, bei den Koalitionsverhandlungen unter den Tisch gefallen ist. Da wir aber auch die Toleranz vertreten, die wir von anderen verlangen, brechen wir über niemanden vorzeitig den Stab und möchten zum wiederholten Male unsere Forderungen vortragen. Das im heutigen Spiegel gegebene Interview von Innenminister Otto Schily hat uns darin bestärkt, daß die Sache von Ihnen noch nicht vollends begraben wurde, sondern daß Sie vielmehr die Möglichkeit einer Cannabis-Freigabe, die von beiden Koalitionspartnern in abgewandelter Form als Wahlversprechen gegeben wurde, nochmals einer Prüfung unterziehen wollen. Eine Veränderung der Gesetze im Sinne einer Tolerierung der HanfkonsumentInnen (und Förderung der Nutzpflanze Hanf) war unter 16 Jahren konservativer Regierung unmöglich. Die Themen der Diskussion und der Stand der wissenschaftlichen Forschung sind seit langem bekannt. Hier verweisen wir auf das BVG-Urteil von 1994, das Apothekenmodell der schleswig-holsteinischen Landesregierung sowie die langjährige und erfolgreiche drogenpolitische Praxis anderer europäischer Länder (Niederlande, Spaniens, Schweiz). Die Unbedenklichkeit des Cannabis-Konsums wurde in vielen von Regierungsseite in Auftrag gegebenen Studien bestätigt, zuletzt in Frankreich. Da das Amt der/des Drogenbeauftragten bislang die einzige bislang offiziell existierende Institution für das Thema Drogen ist, möchten wir das Amt des Drogenbeauftragten neu definiert und mit größeren Befugnissen ausgestattet wissen. Zu unserem Entsetzen mußten wir der Presse entnehmen, daß der Drogenbeauftragte nunmehr als "Suchtbeauftragter" bezeichnet werden soll. Wir möchten Sie nachdrücklich bitten, von dieser Bezeichnung Abstand zu nehmen. Die Aufgaben des Drogenbeauftragten müßten sein, die Drogenproblematik allumfassend und objektiv darzustellen. Daß die in der Vergangenheit betriebene Veröffentlichung von Drogenbeschlagnahmestatistiken dem Namen des Amtes nicht genügt, ist selbstredend. Daß auch die platt betriebene Drogenaufklärung, wie sie in der Vergangenheit mit Hilfe dieses Amtes betrieben wurde, eher ein gegenteiliges Ergebnis zeitigte, ist bekannt. Der Drogenbeauftragte sollte bereit und in der Lage sein, ein Coffeeshop-Modell nach niederländischem Vorbild zu befürworten und durch seine erweiterten Befugnisse in die Praxis umzusetzen. Konkret schlagen wir einen zweijährigen Modellversuch vor, der die legale Abgabe und die legale Beschaffung gewährleistet. Sollten unsere in der Anlage geäußerten Angaben stimmen, müßte dieser Versuch die Freigabe von Hanf/Marijuana/Cannabis zur Folge haben. Gleichzeitig sollte man sich über die wirtschaftlichen Aspekte Gedanken machen und diese in die Debatte einbringen. Durch Hanfanbau und Hanfmanufaktor könnte eine Vielzahl von Arbeitsplätzen geschaffen werden. Auch die sogenannten Partydrogen sollten frei abgegeben werden und regelmäßig von Amts wegen auf ihre Reinheit überprüft werden. Gegenüber den KonsumentInnen sogenannter harter Drogen ist Toleranz sowie ärztliche und soziale Hilfe nötig. Die Stigmatisierung von DrogenkonsumentInnen sollte verboten werden, gegebenenfalls als Zusatz in Art. 2 Grundgesetz. Die Kampagne "Keine Macht den Drogen" sollte sofort beendet werden, da sie sehr platt geführt wird, von Doppelmoral geprägt ist und unserer Meinung nach das Gegenteil dessen bewirkt, was sie angeblich beabsichtigt, da bei der angesprochenen Zielgruppe Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene durch sie allgemein Interesse an "verbotenen" Drogen hervorgerufen wird. Diese Gelder sollten für sinnvollere Projekte, die den Namen Aufklärung auch verdienen, verwendet werden. Wir hoffen, daß unser Schreiben und die beigefügten Anlagen die Beachtung finden, die sie verdienen und daß wir mit Ihnen in einen Dialog treten können, an dessen Ende ein Mehr an Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Toleranz stehen wird. Mit freundlichen Grüßen i. A. Eva Hodge PS: Gerne würden wir etwas über das Schicksal unserer Petition vom 2. 5. 1994, Petitions-Nr.: Pet 5-12-15-2127-066237 und ihrer Abhandlung durch die Fraktionen des Deutschen Bundestages nach dem 9. 12. 1994 erfahren. Anlagen Cannabisfreigabe - eine notwendige Reform Es ist schwer mit dem Rechtsempfinden vieler Bürger zu vereinbaren, daß manche bewußt-seinsverändernden oder gesundheitsschädlichen Substanzen legal erwerbbar, besteuert und beworben werden,andere hingegen verboten sind und ihr Besitz bzw. ihre Weitergabe teilweise drastischer bestraft werden als Kapitalverbrechen. Besonders junge Menschen können dieses schwer nachvollziehen, und wer einmal wegen ein paar Gramm Haschisch die ganze entwürdi-gende Prozedur der Täterbehandlung durch Polizei und Justiz erfahren hat, bekommt natürlich sehr schnell Zweifel an der Richtigkeit und Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns. Besonders inhuman ist die Strafverfolgung von Menschen, die Cannabisprodukte als Selbstmedikation bei ihren meist chronischen und unheilbaren Krankheiten einsetzen. Ganz und gar unmöglich fin-den wir, daß die Richtlinien des BVG-Urteils von 1994, eine bundeseinheitliche, nicht verfolg-bare Konsummenge festzulegen, bis heute nicht umgesetzt wurden. Selbst die in einigen Bun-desländern großzügig ausgelegte Regelung, keine Strafen mehr zu verhängen, geht mit der Beschlagnahme einher. Daß die beschlagnahmten Drogen immer wieder durch V-Männer ver-kauft werden und somit immer wieder aufs neue "Drogentäter" kreiert werden, ist peinlich. Wir, die wir auch immer wieder Cannabis kaufen - teilweise seit Jahren und Verbot hin oder her - möchten auch feststellen, daß die Gleichung "böser Dealer - armer Konsument" nicht zutrifft. Haschisch zu kaufen ist für uns gleichbedeutend mit Vergnügen kaufen. Niemand hat uns angefixt oder uns etwas in den Tee getan. Der Entschluß, Haschisch zu konsumieren, war ein freier Entschluß, den manche bald, andere später, andere wiederum nie wieder rückgängig machen. Einigen Leuten ihr Vergnügen zu verschaffen kann leicht jahrelanges Gefängnis nach sich ziehen. Auch deswegen muß es bald zu einer Rücknahme des Cannabisverbotes kommen. Kein Musiker, kein Schauspieler und auch keine Prostituierte muß ins Gefängnis gehen, nur weil ihre Kunden "ein bißchen Spaß" haben wollen. Und auch kein Schnapsfabrikant. Diese Behauptungen gehen auch einher mit der Tatsache, daß es sich bei den sog. "Drogendelikten" um sogenannte opferlose Delikte handelt, da Käufer und Verkäufer einvernehmlich handeln und eine Entdeckung entweder durch Denunziation oder durch Observation geschieht. Der einzige Vergleich, der uns dazu einfällt, ist die in der Scharia der islamischen Rechtsprechung vorgesehene Bestrafung für außerehelichen Geschlechtsverkehr, wo, wenn es sich nicht um Vergewaltigung handelt, zwei Personen einvernehmlich handeln. Es scheint undenkbar, daß in der "freien" Welt jemand für außereheliche Beziehungen bestraft werden sollte, trotz des staat-lichen Schutzes von Ehe und Familie. Dies vorab. Die Erfahrungen mit der Alkoholprohibition zeigen, daß erst ein Verbot ein normales Han-delsobjekt zu einer Geschäftssparte des organisierten Verbrechens macht. Bei Cannabis spielt das, was gemeinhin unter organisiertem Verbrechen verstanden wird, ohnehin eine eher unter-geordnete Rolle. Nicht unerwähnt soll die Rolle der Anbauer in der sogenannten Dritten Welt bleiben. Der Cannabisanbau und die Haschischherstellung haben eine jahrtausendealte Tradi-tion. Heute ist der Anbau von "Drogen" für viele Bauern der einzige Weg, wenigstens ein biß-chen Bargeld zu sehen. Da Cannabis verglichen mit Mohn und Coka die geringste Gewinn-spanne einbringt, und die Verfolgung sich gleicht, sind viele Bauern auf die beiden letzteren umgestiegen. (Kolumbien, Türkei). Da der einfachste Weg in einer komplexen Gesellschaft oft nicht gangbar ist und die seit Jahren geschürten Vorurteile besonders bei Teilen der älteren Bevölkerung noch ganz schön festsit-zen, schlagen wir einen Drei-Stufen-Plan vor: Stufe 1: Das BVG-Urteil wird in der Innenministerkonferenz endlich Sache. Eine vernünftige Menge, mit der Konsumenten gut leben könnten (zunächst), sind 50 g Haschisch oder 100 g Gras (Marihuana). Beim Eigenanbau würden dem 100 Pflanzen der Gattung Cannabis entspre-chen. Die letzte Reform des BtMG von 1997, "...Samen, die zum Mißbrauch...", wird gestri-chen. Stufe 2: Die gesetzlich erlaubten Mengen dürfen nicht mehr beschlagnahmt werden. Beim Ein-zug von Mengen über der erlaubten Menge werden Justizverfahren zunächst ausgesetzt, bis Stufe 2 per Bundestagsabstimmung in Kraft tritt, Herausnahme der Gattung Cannabis aus dem BtMG. Alle früher wegen dieses Straftatbestandes bis dahin Vorbestraften werden amnestiert und rehabilitiert; für besonders schwer erlittenes Unrecht wird ein Entschädigungsfond geschaffen, und dabei könnte es eigentlich schon bleiben. Stufe 3: Wenn nicht die uns gegenüber so oft erwähnten internationalen Abkommen und Ver-träge da wären. Doch selbst in den UN-Suchtmittelabkommen ist nur festgelegt, daß eine ge-eignete Kontrolle des Verkehrs stattzufinden hat; ein Verbot wurde nicht explizit ausgespro-chen. Zu der Art und Weise, wie eine solche Kontrolle auszuüben wäre, gibt es bereits mehrere Überlegungen, die sich relativ einfach umsetzen ließen. Das schleswig-holsteinische Apothekenmodell halten wir für kontraproduktiv. Da dabei beab-sichtigt wurde, beschlagnahmtes Haschisch zu einem höheren Preis als auf dem Schwarzmarkt unter Registrierung der Käufer anzubieten, gehen wir davon aus, daß kaum jemand dieses An-gebot in Anspruch genommen hätte. Nichtsdestotrotz war es ein mutiger Vorstoß, der letzt-endlich am Einspruch des Bundesgesundheitsamtes gescheitert ist. Hier wäre noch anzumer-ken, daß bei einer grundlegenden Reform des BtMG die Kompetenzen dieses Amtes grund-legend beschnitten werden müßten. Eine umfassende Begründung dieses Anliegens, basierend auf mannigfaltigen Erfahrungen mit dieser Behörde, werden wir bei Bedarf nachreichen. In diesem Kontext weisen wir nur darauf hin, daß jede Urteilsbegründung im BtMG-Strafverfah-ren mit den Worten beginnt: "...ohne im Besitz der dazu erforderlichen Erlaubnis gewesen zu sein." In zumindest zwei von uns dokumentierten Fällen haben die später Verurteilten versucht, diese Erlaubnis zu erhalten. Selbstredend vergebens. Beide erlitten in der Haft schwere gesund-heitliche Schäden. In der Handhabung dieser Nichterlaubnis sehen wir eine Orwellsche Welt-sicht. Es sich doch so, als wenn keine Führerscheine ausgestellt würden, um dann die Leute wegen Fahrens ohne Führerschein zu verurteilen. Das geht nicht. Natürlich stellen die meisten diesen Antrag nicht, weil sie um die Vergeblichkeit dieser Handlung wissen. Es wäre also auch ein Weg, eine Reform auf den Weg zu bringen, indem am besten eine andere Behörde Erlaub-nisse ausstellen würde, die den Konsumenten in die Lage versetzen würde, legal zu handeln. Zumindest für eine Übergangszeit wäre es eine gangbare Lösung, wobei leider viele Betroffene dem eher skeptisch gegenüber stehen würden in der Annahme, daß ihre Daten gegen sie ver-wendet würden. Diese Handhabe wäre ein Mitbestandteil der Stufe 1 der Reform und könnte bei vernünftiger datenschutzrechtlicher Handhabung bei einer Gebühr von 10,-- DM zwischen vier und zwanzig Millionen DM in die Staatskassen bringen. Einfuhr: Solange keine internationalen Verträge existieren, die einen legalen Umgang mit Cannabis regeln, solange wäre eine legale Einfuhr gewiß ein Problem. Dennoch halten wir es für durchführbar, bilaterale Verträge mit Cannabis anbauenden Ländern zu schließen, um die Einfuhr zu sichern. In der Vergangenheit wurden Unsummen von Geld ausgegeben, um z. B. in Marokko den Cannabisanbau zu unterbinden. Vor Ort kann sich jeder, der will, davon über-zeugen, das dieses nichts gefruchtet hat. Statt sich jetzt Gedanken über die Höhe der marok-kanischen Tomatenproduktion für ein EU-Assoziierungsabkommen zu machen, könnte dieses Land mit seinen sehr gefragten Produkt nach Europa kommen. Da über kurz oder lang eine EU-einheitliche Regelung nötig wird, könnte auch eine autarke Versorgung in Betracht gezo-gen werden. Bereits heute stammt ungefähr ein Drittel des in der Bundesrepublik angebotenen Cannabis aus nordwesteuropäischer Produktion. Doch wegen der Angebotsvielfalt und der Landwirtschaft der Drittweltländer wäre eine solche Handhabe nicht ganz so glücklich. Legalisierung/Arbeitsplätze und Staatsfinanzen: Jede Mark, die heute mit illegalisierten Sub-stanzen verdient wird, ist eine Schwarzmark. Ein Großteil dieses Geldes fließt aber in den normalen Wirtschaftskreislauf, und es werden Dienstleistungen und Waren dafür gekauft. Wenn der weltweite Handel mit illegalisierten Substanzen wirklich so umfangreich ist, wie von offizieller Seite behauptet wird, muß sich doch dieser Geldüberschuß irgendwo signifikant manifestieren. Sonderbarerweise bleiben die Behauptungen über das Verbleiben dieser Geld-ströme immer recht vage. Da wir davon ausgehen, daß viele der Behauptungen, die in diesem Zusammenhang aufgestellt werden, von Hintergedanken (mehr Ausstattung für die Polizei, Lauschangriffbefugnisse, pure Angstmacherei) bestimmter Interessengruppen geprägt sind, können wir selber kein abschließendes, gültiges Bild darüber liefern, wie verbreitet Cannabis-konsum wirklich ist, da viele "offizielle Zahlen" eben mit diesen Hintergedanken veröffentlicht werden. Wenn aber 1997 über 41.000 Verurteilungen wegen Drogenvergehen stattfanden und manche Experten davon ausgehen, daß sich im Drogenbereich die Zahl der Verurteilten im Promillebereich zur Zahl der "Täter" bewegt, gehen wir davon aus, daß etliche Millionen Bür-ger von einer Freigabe profitieren würden. Wir können dem zustimmen, daß eine Schattenwirt-schaft vorhanden ist, wobei es sich in den meisten Fällen von Cannabishandel doch eher um kleinere Zuverdienste handelt, wobei hier auch eine der wenigen Parallelen zum Heroinhandel vorhanden ist, da viele Händler durch die Gewinne ihren eigenen Konsum finanzieren. Konsum heißt nicht Sucht. Noch einige weitere Anmerkungen zu den sogenannten Dealern: Es ist unverständlich, daß in einer Welt, in der Gewinn und Profit das Alpha und Omega allen Han-dels und Handelns sind, den aus Drogen erzielten Profit zu verdammen. Gerade in bezug auf Drogen muß doch ehrlich eingestanden werden, daß gerade hier eine reine marktwirtschaftliche Situation besteht, in der die Nachfrage das Angebot bestimmt, da weder Werbung nötig ist noch durch Lobbyisten entstandene Zwänge vorhanden sind, die den Konsum eines Artikels mit Hilfe staatlicher Instanzen erst notwendig machen (wie Warndreiecke, Schulhefte und ähn-liches). Durch die sogenannte Neue Armut, die immer größere Bevölkerungskreise in ihren Sog zieht, nimmt natürlich sowohl der Drogenkonsum wie auch der Drogenhandel zu. Dieser Personenkreis trägt über Polizeiarbeit, Lauschangriffaufrüstung, Justizstellen und Gefängnis-bauten zum offiziellen Wachstum bei. Diese Menschen haben nichts weiter getan, als eben die an sie herangetragene Nachfrage nach Vergnügen zu befriedigen. Weiter haben sie versucht, die an einem fiktiven Mittelstand orientierten Lebenshaltungskosten zu tragen, die sie ander-weitig nicht hätten begleichen können. Es müßte eigentlich jedem klar sein, daß die einzige, nicht virtuelle Wachstumsbranche in die Legalität überführt werden muß. Neben dem wirt-schaftlichen Gewinn auf der einen Seite sollte auch der geistige Gewinn in Betracht gezogen werden. Wo soll dieser liegen, könnten Sie sich fragen. In einer indischen Erzählung heißt es: "...Haschisch ist der Himmel des kleinen Mannes. Haschisch vermag es, Hunger und Kälte ertragen zu lassen und macht aus einer kleinen, schäbigen Hütte einen Palast." Es sind die abgewickelten Bergarbeiter und Stahlwerker, die nach 20 Jahren Schichtdienst als Kranken-schwester in die Frührente gegangenen Frauen, die in ihrer dritten Praktikantenstelle arbeiten-den Hochschulabsolventen, die ihre einhundertste Absage auf eine Lehrstelle erhaltenden Jugendlichen - es ließen sich noch hunderte von Beispielen aus der neuen Stammeswelt einfüh-ren - die Cannabis konsumieren und teilweise auch handeln. Es sind aber auch die Stützen der Gesellschaft, die hippen DJs, die rund um die Uhr arbeitenden Selbständigen der neuen Medienwelt und neben den vielen Armen auch die ganz normalen Steuerzahler. Auch Ihre Wähler. Schlicht: das Volk. Um den ideologischen Einschub zu vervollständigen, müssen wir noch die vielen Kranken mit ins Boot nehmen - vor allem die AIDS- und Krebskranken, die allem Fortschritt zum Trotz zum vorzeitigen Tod Verurteilten, die mit Hilfe von Cannabis ihr Wohlbefinden steigern. Alle diese Menschen sind keine Kriminellen, sie werden dazu gemacht. Durch eine Entkriminalisierung werden Energien frei, die der Gesamtgesellschaft zugute kom-men. Es kommt leider recht häufig vor, daß der Konsument nicht das erwirbt, was er gerne hätte. Beimischungen, Streckungen und Verfälschungen, oft schon im Erzeugerland dazugegeben, sind bei illegalen Substanzen bestimmt genauso gang und gäbe wie bei legalen Handelsproduk-ten. Doch im Gegensatz zu diesen hat der Konsument hier keine Möglichkeit der Qualitätskon-trolle seitens Dritter. Es wäre auch ein wichtiger Aspekt der Freigabe, Kontrollmöglichkeiten zu ermöglichen. Hier wäre auch durchaus eine indirekte Möglichkeit vorhanden, Arbeitsplätze zu schaffen, um entweder bereits vorhandenen Einrichtungen diese Aufgabe zu übertragen oder solche speziell für die Übergangszeit einzurichten. Die technischen Einrichtungen sind in den Polizeidienststellen ja vorhanden, und es ist momentan so, daß der Konsument erst bei seiner Festnahme und der Prüfung seines "Stoffes" etwas über den THC-Gehalt erfährt. Bei anderen Drogen, den sogenannten Partydrogen und auch bei Heroin und Kokain, wären solche Einrichtungen, in denen anonym Drogen auf ihre Zusammensetzung getestet werden könnten, oft sogar lebensrettend. Wo und wie könnte das legale Cannabis zur Distribution kommen? Lizensierter Großhandel/ freier Kleinhandel, z. B. Tabakgeschäfte. Dem lizensierten Großhandel würde in diesem Falle auch die Qualitätskontolle unterliegen. Da es sich bei Cannabis um ein pflanzliches Produkt handelt, könnten, wie in der Vergangenheit, die Händler mit Kräutern diesen Part übernehmen. Aus Gründen der Märktetrennung sollte diese Aufgabe nicht der Pharmaindustrie anheimfallen. Die Kontrolle über den Kleinhandel ließe sich bei diesem Modell mit Hilfe der Steuerbanderole ausüben. Im Schnitt beträgt der Preis für ein Gramm Haschisch seit Jahren mehr oder weniger konstant 10,-- DM, wobei Spitzenqualitäten bis über 16,-- DM gehen können und die gängige "Standardqualität" bei etwa 5,-- DM liegt. Hier sind aber auch die Risiken des Schwarzmarktes mit einkalkuliert. Der Preis für ein Kilogramm liegt in den Erzeugerländern bei 250,-- - 500,-- DM. In dieser Größenordnung liegt auch der Erzeugerpreis für ein Kilogramm Selbstangebau-tes unter Kunstlicht. Wenn wir diese beiden - zugegeben etwas willkürlichen - Größen zusam-menführen, kommen wir auf 7,50 DM pro Gramm für den legalen Endverbraucher. Davon wären 2,50 DM für den Erzeuger, 2,50 DM für Handel und Kontrolle und 2,50 DM für die Genußmittelsteuer zu veranschlagen. Wenn wir die Zahl der Verurteilten (1997: rund 40.000) nur verdoppeln (80.000) und die durchschnittliche Konsummenge eigentlich sehr niedrig bei 10 g pro Monat ansetzen, kommen wir auf 24.000.000,-- DM allein für die jährliche Haschischsteuer. Dazu kommen die Einsparungen bei Polizei, Justiz und Stafvollzug plus die Umsatzsteuer- und Einkommensteuer-Mehreinnahmen. Da manche Quellen anstatt von 80.000 Konsumenten jedoch von 4.000.000 sprechen, andere gar von 12 Millionen, lägen die Einnah-men sogar erheblich höher. Sollte hier der Einwand kommen, solche Einnahmen seien unmoralisch, dann könnten wir den zustimmen, sobald auch Konsens darüber besteht, daß es unmoralisch sei, Menschen ihre Freiheit und dadurch ihre Würde zu nehmen, einzig und allein aus dem Grund, weil sie sich für ein anderes Stimulans als Tee, Kaffee, Nikotin oder Alkohol entschieden haben. Mehr verlangen wir nicht.