Freie Bahn für prügelnde Polizisten in Berlin

junge Welt, 5.06.1999: 
Von 1 004 Anzeigen wegen Körperverletzung führten 1998 nur fünf zu einer Verurteilung vor Gericht

Über 1 000 Berliner Polizeibeamte sind im vergangenen Jahr wegen Körperverletzung angezeigt worden. In der gleichen Zeit gab es jedoch nur fünf Verurteilungen. Diese Angaben der Senatsverwaltung für Justiz auf eine kleine Anfrage von Freke Over (PDS) belegen, daß prügelnde Polizisten kaum zur Rechenschaft gezogen werden.
 
Gewalt-Bullen!Over sagte gegenüber jW am Mittwoch, daß er in seinen Vorurteilen bestätigt worden sei. Im Vergleich zu 1 004 Anzeigen hat die Staatsanwaltschaft nur 459 Ermittlungsverfahren registriert. Diese Differenz erklärte die Senatsverwaltung für Justiz damit, daß es häufig zu Anzeigen gegen mehrere Polizeibeamten gekommen sei, die dann in einem Verfahren bearbeitet wurden. Davon wurden ohnehin 447 Verfahren eingestellt, so daß es nur in zwölf Fällen zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft kam. Zumindest die Gerichte wollten die Polizisten nicht so oft schonen und bestraften mit fünf Verurteilungen fast die Hälfte der ihnen zugeführten Verdächtigen.

Ein ähnliches Mißverhältnis war auch in den beiden Vorjahren festzustellen. 1996 folgten auf 928 Anzeigen fünf Verurteilungen und 1997 waren es bei 1027 Anzeigen gerade sechs. Diese Quote von fünf Promille ließe nicht erwarten, daß die massiven Polizeiübergriffe vom 1. Mai diesen Jahres in Berlin irgendwelche Konsequenzen für die Polizisten hätten, so Over.

Die Erfahrungen des Berliner Ermittlungsausschusses zeigen zudem, daß sich die Polizei häufig mit Gegenanzeigen schützen will. Wie ein Mitglied des Ermittlungsausschusses jW sagte, werden verletzte Demonstranten oft schon bei der Festnahme wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt angezeigt, weil dann brutale Einsätze leichter zu rechtfertigen seien.
 
festnahmeAn den Übergriffen ist nach Angaben des Ermittlungsausschusses auffällig oft die 23. Einsatzhundertschaft beteiligt. Diese Einheit wird seit der Umstrukturierung der Berliner Polizei 1994 als Greiftruppe ausgebildet und speziell für Festnahmen geschult. Ihre Aussagen gegen Demonstranten würden vor Gericht kaum angezweifelt, wie ein Mitglied des Ermittlungsausschusses erklärte. Ihr Zugführer Olaf Hansen ist in vielen Prozessen der Hauptzeuge. Der Vergleich der Prozesse zur Rosa-Luxemburg-Demonstration 1997 hat nach Berichten des Ermittlungsausschusses ergeben, daß Hansen zwei Festnahmen an verschiedenen Stellen gleichzeitig beobachtet haben muß.

Andreas Schug
 
Jungle World Nr. 21, 19.5.99

Jungle World vom 19.5.1999So geht es nicht. Mit Staatseigentum hat man sorgfältig und vorschriftsgemäß umzugehen. Weil er das nicht tat, wurde nun ein Berliner Polizeibeamter, der am 1. Mai nach Zeugenberichten solange auf eine Frau einschlug, bis sein hölzener Dienstknüppel auf ihrem Kopf zersplitterte, sogar von Kollegen angezeigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits gegen den Beamten, obwohl von der Frau selbst noch jede Spur fehlt.
 
Anti-Gewalt-Bullen?!Der Berliner PDS-Abgeordnete Freke Over vermutet, es habe sich um eine Zivilpolizistin gehandelt. Denn - wer hätte das gedacht - am 1. Mai waren in Berlin-Kreuzberg jede Menge Zivis unterwegs. Meist eigenständig, wie ein von Over präsentierter Polizeifunkmitschnitt belegt: "Ich weise an, was ich selten mache", tönt es an alle Zivilkräfte, "daß ihr euch zurückzieht auf die Fahrzeuge, und dann werden wir neu sammeln."

Aber auch ihre uniformierten Kollegen haben sich offenbar wie Hooligans aufgeführt. Immerhin befand selbst Hans-Georg Lorenz, innenpolitischer Sprecher der Berliner SPD, das polizeiliche Wüten habe den diesjährigen 1. Mai-Krawall eingeleitet. Ausgetobt haben sollen sich vor allem Beamte der zweiten Bereitschaftspolizeiabteilung, die sonst in Kasernen unter Verschluß gehalten werden.
 
gewaltmonopolMit Schlagstöcken, Fäusten und Füßen rockte die grüne Bande durch Kreuzberg und hinterließ so manchen Kollateralschaden: Eine Frau mußte zweimal operiert werden, weil ihr der Tritt eines Beamten einen offenen Unterschenkelbruch bescherte. Anderen wurde nach der Festnahme mit Fäusten ins Gesicht oder mit Knüppeln auf den Kopf geschlagen.
 
 widerstand zwecklos"Ihr müßt mal versuchen, drauf einzuwirken, daß die sich nen bißchen einkriegen irgendwie, daß die hier nen Konzept reinbringen, die schlagen alles zusammen", empörten sich gar Kollegen im PDS-Mitschnitt des Polizeifunks über die Schlagstock-Attacken: "Also, die Teilnehmer haben nicht die Möglichkeit, aus der Sanderstraße rauszukommen, die sind wohl eingekesselt, und die Bullen drehen völlig durch."

Geht es nach Innensenator Eckart Werthebach (CDU), kann gegen solche Orgien aber bei den Maifestspielen im nächsten Jahr präventiv - und damit deeskalierend - vorgegangen werden: "Potentielle Gewalttäter", so die Idee des Politikers, sollten künftig bis zu zwei Wochen in Vorbeugehaft genommen werden können.
  
Gewalt-Bullen! Gegen 21 Beamte gingen bisher Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt ein - neun davon erstatteten Journalisten. Die Polizei jedoch hat sich dazu bislang nicht geäußert. Wozu auch: Polizeipräsident Hagen Saberschinsky ist zufrieden mit der Arbeit seiner Jungs. Lediglich die mutwillige Beschädigung von Polizeieigentum durch einen seiner Untergebenen dürfte auch ihn nicht erfreuen.
 

Zahlen & Fakten zur Polizei in der BRD für das Jahr 1997

PolizistPolizeistärke 

  • (Stand: Mai 1997)
    • Polizeibeschäftigte in der BRD 314.319
    • (Länderpolizeien, BKA, BGS)
    • davon PolizeivollzugsbeamtInnen 25.500
    • Frauenanteil an den PolizeivollzugsbeamtInnen ca. 9 %
    • Polizeibeschäftigte in Berlin 29.906
    • davon PolizeivollzugsbeamtInnen 20.890
    • Bundesgrenzschutz (Mai 1996) 42.945
    • davon PolizeivollzugsbeamtInnen 33.300 

Polizeidichte 

  • (Stand: September 1997)
    • (PolizeibeamtIn pro Einwohner)
    • Berlin 1 : 164,00
    • Hamburg 1 : 202,67
    • Niedersachsen 1 : 407,14


Quelle: Gewerkschaft der Polizei, Hilden 1997

Telefonüberwachungen 1997 

  • (nach §§100a,100b StPO) 1)
    • richterliche Anordnungen ca. 7.800
    • (in rund 1.990 Ermittlungsverfahren)


Quelle: taz, 26.8.1998

Grenzpolizeiliche Festnahmen durch den BGS 

  • und beauftragte Behörden 1997 29.714


Quelle: Bundesministerium des Innern: Bundesgrenzschutz-Jahresbericht 1997, Bonn 1998

Personenkontrollen in Baden-Württemberg 

  • (9/96-8/97) 119.200
    • davon verdachtsunabhängig 71.700
    • aufgrund anderer Rechtsgrundlagen 47.500


Quelle: Innenministerium Baden-Württemberg, Pressemitteilung v. 3.9.1997

Gemeinsame Ermittlungsgruppe der Berliner Polizei und BGS 

  • 1. Halbjahr 1998
    • eingeleitete Ermittlungsverfahren ca. 7.000
    • vorläufige Festnahmen ca. 1.650
Quelle: Bundesministerium des Innern, Pressemitteilung v. 23.9.1998

Polizeilicher Schußwaffengebrauch 1997 

  • Fälle insgesamt: 2.666
    • davon:
    • Gebrauch gegen Personen
    • Warnschüsse 172
    • gezielte Schüsse 60
    • Todesschüsse 12 2)
    • gezielt gegen Sachen 46
    • zum Töten gefährlicher, kranker oder verletzter Tiere 2.361
    • gegen sonstige Sachen 18


Quelle: Pressestelle des IMK-Vorsitzenden: Presseinformation v. 20.5.1998

Straf- und Disziplinarverfahren gegen Berliner PolizeibeamtInnen 1997: 

  • Strafverfahren 2.262
    • davon wegen Körperverletzung im Amt 1.027
    • abgeschlossene Verfahren 2.012
    • Einstellung 1.935
    • Freispruch 23
    • Verurteilung 54
    • Disziplinarverfahren (innerhalb u. außerhalb des Dienstes) 738
    • davon wegen Körperverletzung im Amt 51
    • abgeschlossene Verfahren 488
    • Einstellung 352
    • Verweis 54
    • Geldbuße 73
    • Gehaltskürzungen 8
    • Sonstiges 1 
Quelle: Antwort auf die Kleine Anfrage Nr. 13/4176 der Abg. Seelig (PDS) vom 24.9.1998, in: Landespressedienst Berlin 206/98 v. 26.10.1998, S. A7-A9
1) ausführlich in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 60 (2/98), S. 36-42
2) Bürgerrechte & Polizei/CILIP 60 (2/98), S. 75-79
illoyal - Journal für Antimilitarismus
Nr. 6 Winter 98/99
illoyal@Kampagne.DE