Über 1 000 Berliner Polizeibeamte sind im vergangenen Jahr wegen
Körperverletzung angezeigt worden. In der gleichen Zeit gab es jedoch
nur fünf Verurteilungen. Diese Angaben der Senatsverwaltung für
Justiz auf eine kleine Anfrage von Freke Over (PDS) belegen, daß
prügelnde Polizisten kaum zur Rechenschaft gezogen werden.
Over
sagte gegenüber jW am Mittwoch, daß er in seinen Vorurteilen
bestätigt worden sei. Im Vergleich zu 1 004 Anzeigen hat die Staatsanwaltschaft
nur 459 Ermittlungsverfahren registriert. Diese Differenz erklärte
die Senatsverwaltung für Justiz damit, daß es häufig zu
Anzeigen gegen mehrere Polizeibeamten gekommen sei, die dann in einem Verfahren
bearbeitet wurden. Davon wurden ohnehin 447 Verfahren eingestellt, so daß
es nur in zwölf Fällen zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft
kam. Zumindest die Gerichte wollten die Polizisten nicht so oft schonen
und bestraften mit fünf Verurteilungen fast die Hälfte der ihnen
zugeführten Verdächtigen.
Ein ähnliches Mißverhältnis war auch in den beiden Vorjahren
festzustellen. 1996 folgten auf 928 Anzeigen fünf Verurteilungen und
1997 waren es bei 1027 Anzeigen gerade sechs. Diese Quote von fünf
Promille ließe nicht erwarten, daß die massiven Polizeiübergriffe
vom 1. Mai diesen Jahres in Berlin irgendwelche Konsequenzen für die
Polizisten hätten, so Over.
Die Erfahrungen des Berliner Ermittlungsausschusses zeigen zudem, daß
sich die Polizei häufig mit Gegenanzeigen schützen will. Wie
ein Mitglied des Ermittlungsausschusses jW sagte, werden verletzte Demonstranten
oft schon bei der Festnahme wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt angezeigt,
weil dann brutale Einsätze leichter zu rechtfertigen seien.
An
den Übergriffen ist nach Angaben des Ermittlungsausschusses auffällig
oft die 23. Einsatzhundertschaft beteiligt. Diese Einheit wird seit der
Umstrukturierung der Berliner Polizei 1994 als Greiftruppe ausgebildet
und speziell für Festnahmen geschult. Ihre Aussagen gegen Demonstranten
würden vor Gericht kaum angezweifelt, wie ein Mitglied des Ermittlungsausschusses
erklärte. Ihr Zugführer Olaf Hansen ist in vielen Prozessen der
Hauptzeuge. Der Vergleich der Prozesse zur Rosa-Luxemburg-Demonstration
1997 hat nach Berichten des Ermittlungsausschusses ergeben, daß Hansen
zwei Festnahmen an verschiedenen Stellen gleichzeitig beobachtet haben
muß.
Andreas Schug
|
So
geht es nicht. Mit Staatseigentum hat man sorgfältig und vorschriftsgemäß
umzugehen. Weil er das nicht tat, wurde nun ein Berliner Polizeibeamter,
der am 1. Mai nach Zeugenberichten solange auf eine Frau einschlug, bis
sein hölzener Dienstknüppel auf ihrem Kopf zersplitterte, sogar
von Kollegen angezeigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits gegen
den Beamten, obwohl von der Frau selbst noch jede Spur fehlt.
Der
Berliner PDS-Abgeordnete Freke Over vermutet, es habe sich um eine Zivilpolizistin
gehandelt. Denn - wer hätte das gedacht - am 1. Mai waren in Berlin-Kreuzberg
jede Menge Zivis unterwegs. Meist eigenständig, wie ein von Over präsentierter
Polizeifunkmitschnitt belegt: "Ich weise an, was ich selten mache", tönt
es an alle Zivilkräfte, "daß ihr euch zurückzieht auf die
Fahrzeuge, und dann werden wir neu sammeln."
Aber auch ihre uniformierten Kollegen haben sich offenbar wie Hooligans
aufgeführt. Immerhin befand selbst Hans-Georg Lorenz, innenpolitischer
Sprecher der Berliner SPD, das polizeiliche Wüten habe den diesjährigen
1. Mai-Krawall eingeleitet. Ausgetobt haben sollen sich vor allem Beamte
der zweiten Bereitschaftspolizeiabteilung, die sonst in Kasernen unter
Verschluß gehalten werden.
Mit
Schlagstöcken, Fäusten und Füßen rockte die grüne
Bande durch Kreuzberg und hinterließ so manchen Kollateralschaden:
Eine Frau mußte zweimal operiert werden, weil ihr der Tritt eines
Beamten einen offenen Unterschenkelbruch bescherte. Anderen wurde nach
der Festnahme mit Fäusten ins Gesicht oder mit Knüppeln auf den
Kopf geschlagen.
"Ihr
müßt mal versuchen, drauf einzuwirken, daß die sich nen
bißchen einkriegen irgendwie, daß die hier nen Konzept reinbringen,
die schlagen alles zusammen", empörten sich gar Kollegen im PDS-Mitschnitt
des Polizeifunks über die Schlagstock-Attacken: "Also, die Teilnehmer
haben nicht die Möglichkeit, aus der Sanderstraße rauszukommen,
die sind wohl eingekesselt, und die Bullen drehen völlig durch."
Geht es nach Innensenator Eckart Werthebach (CDU), kann gegen solche Orgien
aber bei den Maifestspielen im nächsten Jahr präventiv - und
damit deeskalierend - vorgegangen werden: "Potentielle Gewalttäter",
so die Idee des Politikers, sollten künftig bis zu zwei Wochen in
Vorbeugehaft genommen werden können.
Gegen 21 Beamte gingen bisher Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt
ein - neun davon erstatteten Journalisten. Die Polizei jedoch hat sich
dazu bislang nicht geäußert. Wozu auch: Polizeipräsident
Hagen Saberschinsky ist zufrieden mit der Arbeit seiner Jungs. Lediglich
die mutwillige Beschädigung von Polizeieigentum durch einen seiner
Untergebenen dürfte auch ihn nicht erfreuen.
|