jan 10, 1999

Trance & Schamanismus

Christian Rätsch
Psychorituale im Amazonas

Text von Jörg Birkhold & Susanne Ziegele

taken from mushroom magazine #48 oct 98

Christian Rätsch, Dr.phil., ist Altamerikanist und Ethnopharmakologe. Er hat schon über 20 Bücher veröffentlich, u.a. "Pflanzen der Liebe" und "Räucherstoffe-Atem des Drachen". Sein neustes Werk "Enzyklopädie psychoaktiver Substanzen" umfaßt auf knapp 1000 Seiten !) alle bisher bekannten Aspekte zum Thema. Neben seiner Autoren- und Forschungstätigkeit hegt er auch schon langjährige musikalische Ambitionen, hörbar bereits 1993 auf der Kult-CD "Acid-Test" (mit Hans Cousto und Steve Schroyder) anläßlich des 50-jährigen LSD-Jubiläums. Seit 1997 existiert auch eine fortlaufende Kooperation mit Dope Media ("Psychedelic Beer" auf High Society und "Pro Cannabis 3 auf Dope Records). Das neueste CD-Produkt dieser Verbindung führte zum ersten Psytrance-Konzept-Album der Geschichte mit Hamburgs Bodh Gaya (Ex-After Sunset), das mit vielen Originalsamples auf der Grundlage des Ayauasca-Rituals der Shipibo-Indianer vom Amazonas basiert, und ca. Mitte Oktober 98 auf High Society erscheint.

Pilz: Du hast Dich länger in Südamerika aufgehalten...

C.R.: Insgesamt habe ich ca.5 Jahre dort verbracht,immer auf den Spuren der Schamanen und ihren psychoaktiven Gewächsen.

Pilz: Erzähl mal von den Ritualen der Schamanen dort.

C.R.: Die Shipibo haben in Amazonien eigentlich dasreinste Erbe von ritueller Anwendung von Ayahuasca. Das ist praktisch die Basis ihres Schamanismus und ihrer gesamten Kultur, Kunst, Gesundheit - allem eigentlich. Das ist ein Volk von 20-30 tausend Leuten, die in Peru leben. Auf eine Frage an einen Schamanen, was sie denn für eine Religion haben antwortet er nur: wir haben keine Religion, wir trinken Ayahuasca. Das ist eben ganz charakteristisch für schamanische Kulturen. Schamanismus ist eine Technologie die angewandt wird, um in andere Wirklichkeiten reisen zu können und daraus mystische Erfah-rung, Heilkraft und spirituelle Entwicklung abzuleiten.

Pilz: Wie sehen die Rituale aus?

C.R.: Die Rituale sind extrem einfach - je einfacher desto effektiver. Wenn Rituale zu kompliziert werden, ist das ein Indikator dafür, dass die Ausführenden keine Ahnung haben. Wie bei uns in den Kirchen, die haben keine Ahnung wie man mystische Erfahrungen macht. Bei den Shipibo finden die Rituale immer nachts statt , weil man nur nachts richtig sehen kann. Es gibt individuelle und Gruppenrituale. Man trinkt Ayahuasca unter Anleitung eines Schamanen, der meist einen Sänger als Helfer hat. Der Sänger gibt mit drei Gesängen der Erfahrung eine Struktur. Mit dem Ersten öffnet er die Türen zu der nomalerweise unsichtbaren Welt. Der Welt der Geister und Götter. Mit dem Zweiten bewirkt er eine Reinigung von Körper und Geist. Der Sänger produziert sich überlagernde Obertöne und löst so gezielt Erbrechen aus. Dies ist ein ganz entscheidender Teil, denn die Ayahuasca-Erfahrung ist nicht einfach nur ein bißchen Spaß haben und ein paar bunte Kringelchen in der Luft sehen. Es ist den Körper und Geist in Harmonie zu bringen, das ist die Grundlage allen schamanischen Heilens. Der dritte Gesang ist dafür da, den Weg in unsere Welt zurückzufinden. Falls man solche Substanzen ohne Führung einnimmt, kann es zu Komplikationen kommen, z.B. daß man von Dämonen in der anderen Wirklichkeit verschlungen wird und nicht mehr zurückfindet. Deswegen passiert es auch, dass wenn Leute Trips schmeissen, einfach ausklinken, mit einem Schamanen wäre das nicht passiert. Der würde einen wieder rausholen und mitnehmen. Die Kreisrituale sind einerseits Heilrituale für die Kranken und spirituelle Rituale für die Gesunden, die dadurch ein tieferes Verständnis für sich selbst, für ihre Umwelt und für ihre Beziehung zu anderen finden. Durch diesen Kreis wird wahnsinnsviel Energie aufgebaut. Und je weiter man aus dem Körper in andere Welten rausschiesst, desto gesünder wird man sein, wenn man zurückkommt. Die Indianer sehen Aya-huasca in ihren Bildern als Schlange, als Boa, die zum Boot wird, das der Schamane lenkt und alle einlädt, mit Ihm an den Ursprung des Universums zu reisen. Wenn man dann Rituale, die psychoaktive Substanzen und Musik einschließen, auf der gan-zen Welt vergleicht, wird deutlich, warum es sie gibt: damit Menschen, die ein grundsätzliches Bedürfnis nach mystischen Erfahrungen haben, diese an einem guten Platz in Sicherheit haben können.

Pilz: Siehst Du Parties als Rituale? Mit dem DJ als Schamane?

C.R: Ja, der DJ hat eine unglaubliche Verantwortung. Ich habe die Tranceszene zum Glück von Anfang an beobachten können und habe sehr viele Parallelen zu historischen Kulten gefunden. Es gibt keine Zentralisierung, keine Dogmen, kein religiöses Ritual; nur den Mensch, der ein tiefes extatisches Erlebnis will. Das ganze Drumherum, die Musik, der Aufbau, der Raumklang, der erzeugt wird, die Beleuchtung, die Fraktal- oder Mandalabilder - kombiniert mit dem stundenlangen Tanzen- und die meisten nehmen sowieso was ein. Zum Glück geht der Trend wieder mehr zu Psychedelika und weg vom E. Ich versteh eh nicht, wie man so blöd sein kann, ´ne E auf ´ner Party zu schlucken; das ist etwas, um dein Herz zu öffnen und Verständnis für Dich und andere zu haben. Für eine richtig ekstatische Erfahrung braucht man LSD oder Pilze; das ist eine ganz andere Nummer. Aber nochmal zurück zu der Struktur von den Parties: daß ununterbrochen Musik geboten wird, in einer bestimmten Rhythmik, daß Lichterscheinungen geboten werden, daß psychoaktive Substanzen genommen werden und das man tanzt. Das ist eine Kombination, die praktisch archetypisch ist für menschliche Kulte. Diese Kulte kann man von der Steinzeit bis heute nachweisen. Und sie entstehen vor allem dann, wenn es eine repressive Gesellschaftsstruktur gibt, in der mystische Erfahrungen verboten sind. Der Dionysos-Kult z.B. ist in Rom unter Todesstrafe gestellt worden und war eigentlich das gleiche, wie die Rave Szene heute. Die haben sich nachts im Wald getroffen, wilde Rhythmen mit schrillen Obertönen gespielt, haben sich mit pilzgeschwängertem Wein vollgeballert und allen möglichen anderen Sachen und haben die ganze Zeit getanzt. Was bei diesen Orgien viel schöner war, als bei unseren Raves, war, daß sie sexuell auch noch voll abgegangen sind, also über sexuelle und erotische Praktiken ihre extatischen Erfahrungen gemacht haben. Es passiert ja auch auf Raves und Parties ab und zu, dass die Leute aus dem Körper rausfliegen. Dadurch, dass ich seit über 20 Jahren mit Schamanen zu tun habe, kann ich das von außen gut sehen, wenn jemand echt tief in Trance oder Extase geht. Wenn dies dann auf die ganze Gruppe von Tänzern übergeht, ist das total ein Erfolg vom DJ. Der DJ müsste eigentlich wie der Schamane frei von Ego sein und den Menschen mit bedingungsloser Liebe begegnen. Das ist sehr schwer. Aber wenn es dann passiert und bei den Menschen das Herz aufgeht, dann -poff- ist es plötzlich so und keiner kanns beschreiben. Ich habe mich darüber schon mit vielen DJ`s unterhalten, viele haben sich auch schon eingehend mit Schama-nismus beschäftigt, und versuchen das auch umzusetzen.

Pilz: Wie beurteilst Du die Partyszene?

C.R.: Parties dienen dazu, daß wir uns aus dem kulturellen Misthaufen und der politisch abartigen Situation befreien, in der wir uns befinden. Die Stärke der Partyszene liegt darin, dass sie sich aus den Zwängen löst und keine Religion aufbaut, sondern nach Extase zielt. Man muß sich darüber klar sein, dass in jeder Religion spirituelle oder mystische Erfahrungen praktisch verboten sind. Im Islam sind z.B. die Sufis verboten, das ist auch nichts anderes als ein Tanzkult.

Pilz: Siehst Du einen Unterschied zwischen grossen und kleinen Parties ?

C.R.: Es gibt grosse und kleine Parties die gut abgehen, aber das kann einfach nicht immer so sein. Wenn Leute meinen, vor 10 Jahren war alles besser, die haben echt gar nichts be-griffen und das ist schade, weil sie die Szene empfindlich stören.