Source: Bürgerrechte & Polizei/CILIP (D)
Pubdate: 3/98
Website: http://www.infolinks.de/medien/cilip/
Rot-grüne Politik "Innerer Sicherheit" - Fortsetzung der alten Politik mit anderen Personen
von Martina Kant und Norbert Pütter
Sechzehn Jahre christlich-liberale Koalition liegen hinter uns. Sechzehn
Jahre, in denen das Strafrecht permanent verschärft, die Kompetenzen
der Sicherheitsapparate ausgebaut und BürgerInnenrechte empfindlich
beschnitten wurden. Nahtlos konnte die Regierung Kohl in Fragen der Inneren
Sicherheit an das Helmut Schmidtsche "Modell Deutschland" anknüpfen;
neu waren damals lediglich die Bedrohungsszenarien ("Organisierte
Kriminalität" statt Terrorismus) sowie Ausmaß und Geschwindigkeit,
in denen der Polizei und den Geheimdiensten zu "ihrem" Recht verholfen
wurde. Die neue Regierungsmehrheit im Bundestag ist mit diesem in Jahrzehnten
des rechts- und polizeipolitischen Rückschritts errichteten "System
Innerer Sicherheit" konfrontiert. Was wird sie tun?
Daß die Politik "Innerer Sicherheit" von einer rot-grünen
Regierung neu erfunden werden würde, daß es in diesen Fragen
zu einem radikalen Wandel kommen würde, das konnte angesichts der
Programmatik der neuen Partner nicht erwartet werden. Zu sehr hatte die
SPD in den letzten Jahren versucht, die Union als Law and order-Partei
in den Schatten zu stellen - von der geforderten Beweislastumkehr bis zur
Zustimmung zum Großen Lauschangriff. Und trotz durchaus bürgerrechts-freundlicherer
Absichten hatten sich Bündnis 90/Die Grünen in der jüngeren
Vergangenheit den realpolitischen Zwängen derart gebeugt, daß
allenfalls gradueller Wechsel erwartet werden durfte.
Die neue Regierung ist erst kurz im Amt. An ihren Taten kann sie noch
nicht gemessen werden. Was gegenwärtig im Bereich der Inneren Sicherheit
vorliegt, sind insbesondere die Koalitionsvereinbarung [1] und die Regierungserklärung
[2]. Beide sind notwendigerweise eher allgemein gehalten; Grundlinien sind
ersichtlich, aber nicht die Details zukünftiger Politik. Ihrer Natur
nach müssen diese Übereinkünfte und Ankündigungen konkretisiert
werden. In welche Richtung das geschehen wird, lassen die schriftlichen
Dokumente vielfach offen; insofern bestehen hier große politische
Spielräume. Allerdings haben einige führende Regierungsmitglieder
in öffentlichen Äußerungen bereits deutlich den Weg markiert,
den sie zu beschreiten gedenken.
Die vorläufige Einschätzung der neuen Regierung muß
beides berücksichtigen. Wer nur "alles besser" machen wollte, muß
zunächst daran gemessen werden, ob ihm dies angesichts seiner Pläne
und Absichtserklärungen gelingen kann. Betrachtet man unter dieser
doppelt eingeschränkten Perspektive den Koalitionsvertrag, der die
Arbeit der Regierung für die nächsten vier Jahre strukturieren
soll, dann lassen sich drei Ausrichtungen der zukünftigen "Inneren
Sicherheitspolitik" ausmachen: die Prävention, also die Verhütung
von Kriminalität und ihrer Ursachen; der Schutz von Kriminalitätsopfern
und schließlich die Kriminalitätsbekämpfung.
Prävention
Die rot-grüne Politik Innerer Sicherheit verspricht, "Sicherheit
für alle (zu) gewährleisten", indem sie "entschlossen gegen Kriminalität
und entschlossen gegen ihre Ursachen" vorgehen will. Da das Strafrecht
die "Ursachen von Kriminalität nicht beseitigen" könne, seien
"eine gute Beschäftigungs- und Sozialpolitik wie auch eine an humanen
Werten orientierte Gesellschaftspolitik unabdingbar". Gleichzeitig setzt
die Regierung auch auf "Ursachenbekämpfung mit kriminalpräventiven
Instrumenten". Ein "Deutsches Forum für Kriminalprävention" soll
ins Leben gerufen werden, um deren Entwicklung voranzutreiben. In welche
Richtung die Koalitionäre hier denken, zeigt der anschließende
Verweis auf die Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften zwischen "Bund,
Ländern und Gemeinden" sowie die kriminalpräventiven Räte,
die "nachhaltig" unterstützt werden sollen. Wie wenig hier an ursachenbezogenes
Engagement gedacht wird, macht das Beispiel deutlich, das Bundeskanzler
Schröder in seiner Regierungserklärung wählte: Erwerbslose,
die als zusätzliches Sicherheitspersonal im öffentlichen Personennahverkehr
patrouillieren. Mit der Erwähnung des "Bundes" wird nebenbei auch
das Kanthersche "Sicherheitsnetz" abgesegnet. [3]
In drei Problemfeldern verspricht der Koalitionsvertrag mehr Prävention.
Das erste betrifft "Gewalt gegen Frauen". Die Regierung kündigt an,
einen "Nationalen Aktionsplan" aufzulegen, dessen Ziel es sein soll, "Gewalt
gegen Frauen vorzubeugen und von Gewalt betroffenen Frauen größtmöglichen
Schutz und Hilfe zu gewähren". Es folgen Bemerkungen zum verbesserten
Opferschutz, die mit der Forderung enden, die Täter konsequent zu
bestrafen. Worin jenseits der Strafandrohung für die Männer die
Vorbeugung bestehen kann, wird noch nicht einmal angedeutet. Das zu bestimmen,
bleibt offenkundig ganz dem "Aktionsplan" vorbehalten, von dem weder gesagt
wird, wer ihn erarbeiten soll, noch wann er "aufgelegt" werden wird.
Der zweite Komplex, in dem Prävention direkt angesprochen wird,
ist die "Drogenbekämpfung". Die Regierung verspricht eine "vernünftige,
wirksame und menschliche Drogen- und Suchtbekämpfungspolitik". Sie
umfasse "die Elemente Aufklärung, Prävention und Hilfe für
Drogenabhängige sowie Strafverfolgung des kriminellen Drogenhandels".
Die Hilfsangebote für Süchtige (Gesundheitsräume als Modellversuche
und Substitutionsprogramme) werden zutreffend als medizinisch gebotene
Maßnahmen beschrieben. Als erwünschte Nebenwirkung wird auf
die voraussichtlich sinkende Beschaffungskriminalität verwiesen. Hinweise
auf eine eigenständige Drogen- und Suchtprävention sucht man
in Koalitionsvereinbarung und Regierungserklärung vergeblich.
Noch vager bleiben schließlich die präventiven Versprechen
bei der "Bekämpfung des Rechtsextremismus". Der gegenwärtig "größten
Gefahr" (Minister Schily) [4] will die Regierung durch ein "Bündnis
für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt" begegnen.
Das Bündnis soll der "Umsetzung der Werte und Garantien unseres sozialen
und demokratischen Rechtsstaates" dienen. Wie dies bewerkstelligt werden
soll, bleibt offen. Der Wortlaut läßt allerdings unweigerlich
an eine Mischung aus Seminaren zur politischen Bildung und der bekannten
"Fairständnis"-Kampagne der Innenministerkonferenz denken.
Die kriminalpräventiven Akzente der neuen Regierung verlassen in
der Regel nicht die Ebene trivialer Einsichten und unverbindlicher Bekenntnisse.
An den wenigen konkreten Stellen erscheint die Verhütung von Kriminalität
als erfreuliches Randprodukt, oder sie wird derart umdefiniert, daß
jede Form öffentlicher Kontrolle als "Prävention" verkauft werden
kann.
Opferschutz
Ein weiteres Element der Politik, die "Sicherheit für alle" verspricht,
ist der verbesserte Opferschutz. Weil "Rechtsstaat" auch "Schutz der Schwachen
durch Recht" bedeute, will sich die neue Regierung "besonders der Opfer"
annehmen. Sie kündigt an, die Rechtsstellung und den Schutz von Opfern
verbessern", "den Täter/Opfer-Ausgleich stärken und die Entschädigung
verbessern" zu wollen. Darüber hinaus beabsichtigt sie "Gewalt als
Erziehungsmittel (§nbsp;1631 Abs. 2 BGB)", "häusliche Gewalt"
und "Gewalt gegen Ältere, Behinderte und Minderheiten" zu "ächten
und (zu) bekämpfen". Elemente eines verbesserten Opferschutzes werden
auch im Kapitel über die Frauenplitik benannt. Frauenhäuser und
Zufluchtswohnungen für von Männergewalt betroffene Frauen werden
gewürdigt. Damit diese nicht weiter als Langzeitunterkünfte genutzt
werden müßten, soll eine "vereinfachte Wohnungszuweisung" ermöglicht
werden. Die "Entwicklung von Strategien zum Schutz der Opfer" wird zudem
als "eine unabdingbare Voraussetzung für eine wirksame Bekämpfung
des Frauenhandels" angekündigt. Dazu gehörten "Zeugen- und Zeuginnenschutzprogramme"
sowie "gegebenenfalls die Aussetzung der Abschiebung mindestens bis zum
Abschluß des Gerichtsverfahrens". Schließlich soll die "rechtliche
und soziale Situation von Prostituierten verbessert" werden.
Nur an wenigen Stellen der Koalitionsvereinbarung erscheint der Opferschutz
als ein eigenständiges Ziel der neuen Regierungspolitik. Insgesamt
jedoch lassen die Zusammenhänge, in denen vom Schutz der Opfer gesprochen
wird, ein Konzept erahnen, das vom herkömmlichen kaum abweicht. Drei
Beispiele:
*Daß Wiedergutmachung gefördert werden soll, schließt
sich an jenen Satz an, der ankündigt, "konsequent, aber bürokratiearm"
bestrafen zu wollen. Zuerst kommt der staatliche Strafanspruch, dann die
Wiedergutmachung - so war es eigentlich schon immer. *Das Aufenthaltsrecht
für Opfer des Menschenhandels soll ("gegebenenfalls"!) so lange währen,
bis der Händler verurteilt ist. Nicht das Opfer soll geschützt,
sondern die Bestrafung des Täters soll erreicht werden. Die Ausweisung
des Opfers im Anschluß an einen erfolgreichen Strafprozeß spricht
nicht für den Vorrang des Opferschutzes. *Es wird nicht ausgeführt,
aber wie anders als durch neue Strafandrohungen will die Regierung Gewalt
gegen Randgruppen und Minderheiten "ächten und bekämpfen"? Es
ist offenkundig, daß hier erneut mit den Drohungen des Strafrechts
geliebäugelt wird.
Insgesamt erscheint der Opferschutz in den Vorhaben der neuen Regierung
nach wie vor als Juniorpartner des staatlichen Strafanspruchs. Wo er sich
mit diesem kombinieren läßt, soll er gefördert werden.
Daß das Strafen hinter den Interessen der Opfer zurücktreten
könnte, wird für das elterliche Züchtigungsrecht klar benannt;
für die Staatsgewalt bleiben die Strafoptionen jedoch im pauschalen
Bekenntnis zum Täter/Opfer-Ausgleich jederzeit präsent.
Kriminalitätsbekämpfung
Die Leitlinie "entschlossen gegen Kriminalität und entschlossen
gegen ihre Ursachen" suggeriert, (primär-)präventive und repressive
Elemente zur Bekämpfung von Kriminalität hätten in der rot-grünen
Politik den gleichen Stellenwert. Der Koalitionsvertrag und vor allem Äußerungen
aus Justiz- und Innenministerium deuten jedoch darauf hin, daß Rot-Grün
Kriminalitätsbekämpfung im herkömmlichsten Sinne betreiben
will: D.h. mehr Befugnisse für die Polizei und verschärfte Strafgesetze,
ganz im Sinne Kantherscher Law and order-Politik. Schließlich seien
alle erleichtert, daß mit Joschka Fischer die Kontinuität der
äußeren Sicherheit gewahrt bleibt. "Warum darf es nicht Kontinuität
bei der Inneren Sicherheit geben?" fragt Innenminister Otto Schily in einem
Zeitungsinterview. [5]
Im Bereich Gewalt gegen Frauen, bei der Bekämpfung sog. organisierter
Kriminalität, der Schleuser-, Drogen- und Alltagskriminalität
und hinsichtlich der Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems wird
gänzlich auf die vermeintlich abschreckende Wirkung des Strafrechts
gesetzt. Tendenzen zur Entkriminalisierung oder Legalisierung bspw. im
Zusammenhang mit weichen Drogen oder Bagatellkriminalität sucht man
im Koalitionsvertrag vergeblich. Mehr Strafen, schneller Strafen und gleichzeitig
ökonomischer Strafen lautet statt dessen der Tenor rot-grüner
Kriminalpolitik.
Um Frauen vor ihren gewalttätigen (Ex-)Partnern zu schützen,
müßten die "Täter (...) konsequent verfolgt und bestraft
werden". Entschlossen bekämpft werden soll auch die sog. organisierte
Kriminalität. Insbesondere will die Koalition die nationale und internationale
Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels verstärken, indem u.a.
die strafrechtliche Definition von Menschenhandel erweitert wird. Um kriminell
erworbene Gewinne leichter einziehen zu können, will Rot-Grün
ein "Gesetz zur verbesserten Abschöpfung von Vermögensvorteilen
aus Straftaten einbringen". Der alten SPD-Forderung nach einer Beweislastumkehr
und damit der Aufgabe der Unschuldsvermutung werden sich die Bündnisgrünen
nach dieser Übereinkunft wohl kaum noch entgegenstellen können.
Wirtschafts- und Umweltkriminalität, Korruption und illegale Beschäftigung
gehören ebenfalls zu den Kriminalitätsbereichen, die besonders
bekämpft werden sollen. Welche Maßnahmen die Koalition konkret
plant, ist noch weitgehend offen. Um den Mißbrauch von Sozialleistungen
besser bekämpfen zu können, fordert Bundesfamilienministerin
Bergmann (SPD) "härtere Strafen und schärfere Kontrollen, zum
Beispiel durch Fahnder, die auch bundesweit und international aktiv werden
können". [6]
Sog. Alltagskriminalität, was auch immer darunter zu verstehen
ist, soll laut Koalitionsvertrag "konsequent, aber bürokratiearm"
bestraft werden. "Schnelle Strafen ohne großen Aufwand" fordert Bundesjustizministerin
Däubler-Gmelin. [7] Dazu sollen neue Sanktionsformen und neue Befugnisse
für die Polizei geschaffen werden. Das Bundesjustizministerium (BMJ)
arbeitet bereits an einem Gesetzentwurf, der die Polizei ermächtigt,
Kleinkriminalität (insbes. Ladendiebstahl, 'Schwarzfahren') mit "Strafgeldern"
zu ahnden, ohne daß ein Gericht beteiligt wird. [8] Die (bislang)
unzulässige Vermischungen von Justiz- und Polizeiaufgaben, durch die
Polizisten zu Ermittlern, Anklägern und Richtern in einer Person würden,
sieht man auch im BMJ als ein Problem. Lösen könnte man es, indem
kleinere Delikte ent'kriminalisiert' und zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft
w¸rden, die dann von der Polizei mit Bußgeldern analog zu Verkehrsverstößen
geahndet werden könnten. Entkriminalisierung sei aber gerade nicht
das Ziel, sondern eine flächendeckende Bestrafung und schnellere Erledigung
solcher Fälle, die heute im Regelfall ohne Bestrafung bleiben. [9]
Das strafrechtliche Sanktionensystem, so ist in der Vereinbarung zu
lesen, will die Koalition insgesamt reformieren. Z.B. sollen "zeitgemäße
Sanktionsformen" wie gemeinnützige Arbeit oder Fahrverbote neben der
Freiheits- und Geldstrafe geschaffen werden. Sie seien für Fälle
gedacht, in denen "Menschen, die kleinere Straftaten begangen haben und
deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, (...) im Gefängnis
landen, nur weil sie das Geld nicht aufbringen können", erläutert
Däubler-Gmelin. [10] Die Gefahr, daß diese vermeintlich milderen
Strafen auch vermehrt bei Kleinstdelikten verhängt werden, bei denen
die Täter bislang straflos oder mit einer Verwarnung davonkamen, liegt
auf der Hand. Wo angesichts dieser 'Straf-Orgien' noch Raum für den
von Rot-Grün geforderten Täter/Opfer-Ausgleich oder für
Wiedergutmachung und Opferschutz sein soll, ist nicht nachvollziehbar.
Auf europäischer Ebene stehen die "Stärkung der Inneren Sicherheit"
und "Gewährleistung der Bürgerrechte" auf dem Programm. Dazu
will die Koalition:
*die "grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung"
verbessern, *Europol unter Gewährleistung der gerichtlichen Kontrolle
und der Befassungsrechte des Europäischen Parlaments ausbauen, *die
Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik 'harmonisieren', wobei schwerpunktmäßig
"illegale Einwanderung" - insb. "Schleuserkriminalität" - bekämpft,
die Lasten gerecht verteilt und Fluchtursachen nachhaltig bekämpft
werden sollen, und *eine EU-Charta der Grundrechte schaffen.
Im Zuge der 'Europäischen Einigung' will die neue Bundesregierung
für eine "weitestgehende Integration des Schengen-Bestandes in das
europäische Gemeinschaftsrecht eintreten". Das ist bereits durch den
Amsterdamer Vertrag festgelegt. Die neue Regierung nimmt offenkundig keinen
Anstoß daran, daß damit eine auf höchst undemokratische
Weise zustande gekommenene Regierungsvereinbarung einiger weniger Staaten,
einschließlich der mehr als 200 Beschlüsse des Exekutivausschusses,
für die gesamte EU verbindlich wird - ohne daß das Europäische
oder die nationalen Parlamente auf dieses bestehende Regelungsgeflecht
Einfluß nehmen könnten.
Auch auf europäischer Ebene stehen Verbrechensbekämpfung und
der Ausbau polizeilicher Befugnisse eindeutig im Vordergrund; BürgerInnenrechte
bleiben nur ein unbestimmtes Anhängsel.
Schweigen ist Gold?
Die repressive Schlagseite der kriminalpolitischen Vorhaben wird ergänzt
durch das, was nicht in der Koalitionsvereinbarung steht. Auffallend ist,
daß die Polizei dort nicht vorkommt. Die Frage der Kontrolle wird
allein bei den Geheimdiensten angesprochen. Deren parlamentarische Kontrolle
soll in einem mit erweiterten Befugnissen ausgestatteten Gremium zusammenfaßt
werden. Daß es ein Kontrollproblem bei der Polizei geben könnte,
wird ignoriert. Überhaupt soll der institutionelle Status quo im 'System
Innerer Sicherheit' beibehalten werden. Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz
(BGS) tauchen in den Plänen der Regierung nicht auf. An deren Bedeutung,
die unter Kanther zielgerichtet ausgeweitet wurde, will man offenkundig
nichts ändern. Demgegenüber werden die genannten neuenBekämpfungspläne
notwendigerweise mit neuen polizeilichen Zuständigkeiten und neuen
Kompetenzen verbunden sein.
Angesichts dieses programmatischen Zuschnitts verwundert es wenig, daß
die neue Regierung weder im Strafrecht noch bei den polizeilichen Eingriffsrechten
bereit scheint, die Linie ihrer Vorgängerin zu verlassen. Statt Bagatellen
zu entkriminalisieren, will sie konsequentes Strafen auch bei kleinsten
Verstößen. Weder die Abschaffung der §§ 129 und 129a
(kriminelle und terroristische Vereinigung) werden noch die der Kronzeugenregelung
werden erwähnt. Angesichts dieser Vorgaben kann in die angekündigte
Überprüfung der Antiterror-Gesetze [11] kaum Hoffnung gesetzt
werden. Das Vermummungsverbot soll ebenso erhalten werden wie die Hauptverhandlungshaft
und die lebenslange Freiheitsstrafe. Justizministerin Däubler-Gmelin
hat bereits deutlich gesagt, daß hier alles beim alten bleiben wird.
[12] Verdachtsunabhängige Kontrollen durch den BGS sind kein Thema;
die ausufernden Bestimmungen über die geheimen Methoden der Polizei
(Telefonüberwachung, Verdeckte Ermittler, Lauschangriff etc.) sollen
unverändert bleiben - so als hätten die Wählerinnen und
Wähler der neuen Regierungsparteien schon immer die Sicherheitspolitik
der Ära Kohl gewollt.
Wende ohne Kurswechsel
Die Ankündigungen rot-grüner Politik "Innerer Sicherheit"
zeichnen sich durch eine vordergründige rhetorische Kombination des
entschlossenen Vorgehens gegen Kriminalität und deren Ursachen aus.
Während die Kriminalitätsbekämpfung auf allen Ebenen - von
der Alltagskriminalität bis zur europäischen Zusammenarbeit -
verstärkt werden soll, bleibt die Erwähnung der Prävention
praktisch folgenlos. Die von den Sicherheitsapparaten gespeisten Bedrohungsszenarien
liegen auch der Politik "Innerer Sicherheit" der neuen Regierung zugrunde.
Dabei wird die inhaltliche Bestimmung der Bedrohungen durch die Interessen
der eigenen Parteiklientel modifiziert: Umweltkriminalität und Wirtschaftskriminalität
werden gesondert erwähnt. Durch die Hinweise auf den "Frauen- und
Kinderhandel" oder die "Schleuserkriminalität" werden zudem Phänomene
in den Vordergrund gestellt, denen das breite Publikum mit moralischer
Abscheu gegenübersteht. Daß "Wirtschaftskriminalität" mit
den Formen kapitalistischen Wirtschaftens in Zusammenhang steht, daß
Umweltprobleme primär keine der Umweltkriminalität sind, daß
Menschenhandel und Schleusertätigkeit spezifische Folgen weltweiter
Migration sind, die durch bewußte politische Entscheidungen erst
geschaffen werden - all das läßt die innere Sicherheitspolitik
der neuen Regierung außer acht. In ungebrochener Kontinuität
hält sie daran fest, unerwünschte Erscheinungen als "Kriminalität"
zu behandeln und entsprechende Abhilfe in verschärften Straf(androhung)en
und entsprechend ermächtigten Apparaten zu suchen. Entgegen dem Versprechen
"die Bürgerrechte werden ausgebaut", können bei einer Politik,
die sich diese Logik zu eigen gemacht hat, die BürgerInnenrechte nur
verlieren.
Wer deshalb von dem Wechsel in Bonn auf Impulse für eine liberale
Politik "Innerer Sicherheit" gehofft hatte, der oder die kann nach wenigen
Wochen nur enttäuscht sein. Auch insofern bleibt Kontinuität,
daß mehr bürgerliche Freiheiten in Deutschland nicht mit, sondern
nur gegen die Regierung errungen werden können.
Martina Kant und Norbert Pütter sind RedakteurInnen von Bürgerrechte
& Polizei/CILIP.
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[1] Frankfurter Rundschau v. 22.10.1998. Alle weiteren Zitate, sofern keine
anderen Angaben gemacht werden, stammen aus der Koalitionsvereinbarung.
[2] Frankfurter Rundschau v. 11.11.1998
[3] s. hierzu: Kant, M.; Pütter, N.: Sicherheit und Ordnung in den
Städten, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 59 (1/98), S. 70-79
[4] Tagesspiegel v. 15.11.1998. Während in der Koalitionsvereinbarung
nur von Rechtsextremismus gesprochen wird, hat Innenminister Schily in
diesem Interview die bekannte 'Ausgewogenheit' wieder hergestellt und darauf
hingewiesen, daß die Regierung selbstverständlich auch im "Bereich
des Linksextremismus (...) wachsam" bleiben werde.
[5] Der Tagesspiegel v. 15.11.1998
[6] Der Tagesspiegel v. 19.11.1998
[7] Süddeutsche Zeitung v. 30.11.1998
[8] Süddeutsche Zeitung v. 20.11.1998
[9] Der Tagesspiegel v. 22.11.1998; Süddeutsche Zeitung v. 20.11.1998
[10] Die Zeit v. 5.11.1998
[11] Der Tagesspiegel v. 8.11.1998
[12] Der Tagesspiegel v. 12.11.1998
© Bürgerrechte & Polizei/CILIP 1998 |