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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 9/1998

aus : /DE/SOC/DROGEN

Abs.: dmueller@namu23.gwdg.de

Detlef Mueller

Hanfparade und die sogenannte "freie Presse"

Erfahrungsbericht von der Hanfparade '98

Am Samstag, dem 29.09.98 war es soweit. Die Taschen vollgepackt mit Verpflegung, einem Schlafsack und mit einem Photoapparat bewaffnet machte ich mich um zehn vor sechs am Morgen auf den Weg. Da meine Spezialitaet das Verirren und Verpassen ist, habe ich lieber die frühere Verbindung gewaehlt, die um 11:32 in Berlin endet. Aus mir unerfindlichen Gründen hatte der Zug nach Eichenberg bereits am Samstagmorgen um 20 nach Sechs Fünf Minuten Verspaetung, die bis Dessau noch um einiges ausgebaut wurde.

Obwohl als Anschlusszug ausgezeichnet, war der Zug nach Berlin schon weg (Gerüchten zufolge war schon dieser Zug überfüllt gewesen, ja warum wohl ?). Trubel und Gezeter an der Information. Scheinbar ist meine einzige Wahl, doch auf die naechste Verbindung überzugehen, also 2 Stunden zu warten. Auf der Wiese vor dem Bahnhof lassen sich nach und nach etwa 40 Hanffreunde nieder, aufgeteilt in gemütliche Grüppchen, etliche Bongs und Pfeiffchen wurden ausgepackt und King-size-Blaettchen ihrer Bestimmung zugeführt.

Da ich mich in Berlin nicht auskenne, guckte ich mir schon mal eine Gruppe aus, an die ich mich anhaengen koennte. Eine konnte ich schon bald ausschliessen die, afangs schon bierseelig, noch fleissig gewissen Hanfderivaten zugesprochen hat und bei der ich so meine Zweifel hatte, ob sie den Weg zum Bahnhofsgebaeude (das etwa 40m hinter uns aufragte) finden wuerde.


Jedenfalls waren viele Typen zu beobachten: Die "normalen" Jugendlichen, bunt aufgemachte Protestler, "neo"-Hippies, Jogis und viele mehr. Entgegen meiner Befuerchtungen fanden trotz eifriger Bongbenutzung alle ihren Weg zum Zug. Irgendwie schaffte ich es dabei ganz ohne THC-Unterstuetzung "meine" Gruppe zu verlieren. Aber ich brauchte mir sicher keine Sorge machen, die Hanfparadebesucher waren anderen Fahrgaesten gegenueber deutlich in der UEberzahl.

Dummerweise landete ich ausgerechnet inmitten einer schon recht angeheiterten Truppe. Hier schon im Vorfeld ein kleiner Wermutstropfen: zumindest diese paar waren keine gute Werbung fuer die Hanfparade. Die Luft im (nichtraucher-)Abteil war Tabak- und Marihuanageschwaengert, eine Weinflasche kreiste und lag schliesslich leer auf dem von Zigarettenasche verschmutzten Boden. Ich wunderte mich wirklich, dass das Verhaeltnis zu den anderen Reisenden nicht noch gespannter war. Frust hin, Frust her; dass muss nicht sein.

Ein Fahrgast hat sich gewundert, was den wohl in Berlin los sei, nachdem einige ein kleines Quizz mit ihm veranstaltet hatten, klaerte ich ihn (immer bemueht, den Ruf der Hanfparade etwas aufzubessern) schliesslich auf und tatsaechlich entsann er sich einer kleinen Meldung in der Zeitung ... soviel zur Vorinformation der Bevoelkerung durch die Presse.

Ein ziemlich behanfter Mitfahrer bestand darauf, dass wir gar nicht umsteigen muessten, sondern bis zum Alex, dem Startpunkt der Parade, bequem sitzen bleiben koennten. Ich hatte schon Zweifel an der Behauptung, dieser Zug fuehre sogar bis Alexanderplatz, aber da wir sowieso schon zu spaet waren ging ich das Risiko ein. Tatsaechlich, bekifft hin oder her: der Typ hatte einfach recht und so haben wir den Start der Parade am Alexanderplatz nicht verpasst.

Der Bahnhof quoll ueber mit den buntesten Gestalten, schon etliche Haltestellen vorher fanden sich uebrigens an den Bahnsteigen unseres Zuges Gruppen von BGS-Beamten, von denen ich nicht so recht weiss, was sie sollten (sie selbst wohl auch nicht, aber vielleicht ist ja just ein Verbrecher entlaufen oder so). Einer Weile dauerte es noch bis zum Start. Auch ohne die (in Anbetracht der Verspaetung der ueberquellenden Zuege Richtung Berlin sicher zahlreichen) Nachzuegler war die Masse von Menschen, die den Alexanderplatz und die umliegende Gegend bevoelkerte gigantisch, ich liess bald von dem Versuch ab, die Zahl der Leute abzuschaetzen.

Mit geringem Verzug ging es los, aber da am Startpunkt staendig neue Teilnehmer eintrafen, war jegliche Angst, den Start zu verpassen unbegruendet. Es wurde nicht getroedelt, die Spitz bewegte sich geradezu zuegig, aber Luecken wurden schnell von immer weiter zustroemenden Hanffreunden aufgefuellt. Fuer einen Umzug sah man auffaellig viele Behinderte hier fuer ein Recht auf eine bewaehrte und guenstige Medizin demonstrieren.

Das Vorhaben, die Massen auf Fotos zu bannen verwarf ich, nachdem ich versucht hatte, die Parade von vorn nach hinten zu durchqueren; als ich etwa 10 Minuten nach hinten geeilt war, habe ich es aufgegeben. Immerhin konnte ich schon den grossen Roten Ballon, der wohl das Schlusslicht markierte, in etlicher Entfernung sehen. Auf fast allen meinen Fotos ist allerdings das Ende buchstaeblich nicht abzusehen.

Mit einer Stunde Verspaetung erreichte der Zug das Brandenburger Tor. Nach durchschreiten des Tores merkte ich erst nicht, dass der Zug hier zuende war, zwar sah ich die Staende des Marktes der Moeglichkeiten, trotzdem schaute ich ein paar mal, ob die Wagen nicht irgendwo abbogen. Der Hit auf dem Markt waren natuerlich alle Staende, die Rauchutensilien oder Musikinstrumente anboten. Nicht, dass sich zu Grupierungen wie Hanf in der Medizin gar keiner verirrt haette, aber das Hauptgewicht lag fuer die meisten offenbar mehr auf der Konsum- und Partyseite.

Und so wurden, obwohl die Organisatoren dies (zum Wohlgefallen der Polizei) nicht guthiessen, reichlich Tueten und Blubber gefuellt. Auf der Hauptbuehne fing (ca. 18:00, mit zwei Stunden Verspaetung) die Gruppe Mutabor mit ihrem Blockfloeten-Punkrock an. Diese erste Band hatte als Publikum eine Menschenmasse, die sich in weite Ferne erstreckte (die naemlich den, riesigen, Platz am Brandenburger Tor anfuellte), spaeter am Abernd wurden es wieder weniger.

Etwas weniger unwillig als auf dem Hamburger Hanffest namen die berliner Teilnehmer die Redebeitraege auf, natuerlich konnte hier der Redner der Gruenen auftrumpfen, hatte er doch seine Partei im Ruecken und die Zuhoerer auf seiner Seite. Die anderen Redner konnten da eigentlich wenig entgegensetzen, es war schon mutig von ihnen, ueberhaupt zu erscheinen.

Die Reden waren durch Bandauftritte getrennt, wobei sehr verschiedene Stilrichtungen repraesentiert waren. Gegen 12 wurde es merklich leerer, langsam machte ich mir Gedanken ueber die Uebernachtung. Es gab ein Open-Air in Neuruppin, aber da wollte ich nicht mehr hin. Also schaute ich noch einigen beim Tanzen zu, bis schliesslich ein Ordner die Sache zum Ausklingen brachte. Immernoch um einen Schlafplatz verlegen, suchte ich schliesslich das Caffee unplugged auf, in dem die "unplugged Hanfparty" seit 00:00 laufen sollte. gegen 2h war ich dort, es war aber keine Band zu sehen. Spaeter erfuhr ich, das wohl Musiker da waren, aber aus unbekannten Gruenden nicht aufgetreten sind (zuwenig Publikum?).

Den Laden verliess ich nach einem Bier, suchte noch vergeblich nach dem Caffee "gruene Kiste" und packte mich von halb vier bis sechs Uhr nach Obdachlosenmanier in meinen Schlafsack. Auf der Rueckfahrt, die ich um kurz nach sechs antrete, begegne vielen von der Dessauer Wiese wieder, die im Halbschlaf (wie ich) die Heimreise antreten. Zurueck geht eigentlich alles glatt und ich bin puenktlich wieder in Goettingen, um mich sogleich in mein Bett zu verkruemeln.

Insgesamt kann ich nur sagen: eine tolle Veranstaltung, ehrenamtlich organisiert und, statt staatlich gefoerdert zu werden, gegen Boykottversuche durch offizielle Stellen durchgesetzt. Eine beeindruckende Demonstration, wie Viele mit der Legalisierungsbewegung sympatisieren. Aber auch ein Trauerspiel, wie ich am Montag danach erfahren musste: Die Presse, die sich angeblich der Information des Volkes verpflichtet fuehlt, stellt sich tot. Notgedrungen ein paar kleine Artikel der lokalen Berliner Zeitungen, (wobei zumindest der in der BZ obendrein in herablassender Art verfasst war) einer in der taz; fast geben sie die laecherlich kleine "offizielle'' Schaetzung der Teilnehmerzahl an, ein einziger Blick auf meine Amateurfotos zeigt, dass da niemand recherchiert haben kann (oder daß die Reporter den ``Offiziellen'' mehr glauben als ihren eigenen Augen).

Die anderen grossen Zeitungen, die ich in die Finger kriege, schweigen sich aus. "Was ist da los?" denkt man: Die Hauptstadt wird stundenlang lahmgelegt, der zentrale Platz und die direkt anliegenden Strassen einen Tag besetzt, und keinen soll das interessieren? Pressewagen stehen auf der Veranstaltung, Kameras nehmen alles auf, ich habe Interviews beobachtet. Aber ich lese keinen Bericht. Na, das kommt bestimmt alles noch. Schliesslich haben wir ja nach dem Fall der Mauer keine Schere mehr im Kopf, ihr Damen und Herren Redakteure, oder....



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