Weltwoche, 13.3.1997

Der Drogenkonsum in den USA steigt - die amerikanische Drogenpolitik bleibt realitätsfern wie gehabt

Das rasante Comeback des Marihuanas

von Martin Kilian

HOCHBURG: Der wachsende amerikanische Appetit auf Drogen stürzt nach Kolumbien nun auch die Drogenhochburg Mexiko zunehmend ins Chaos. Immer noch suchen die USA die Schuld an der Drogenmisere nur auf der Anbieterseite. Nach altem, erfolglosem Muster wird der Drogenkrieg mit 16 Milliarden Dollar neu angeheizt.



Als Bürgermeister der Grossstadt Baltimore kämpft Kurt Schmoke beim amerikanischen Krieg gegen Drogen in vorderster Front. Er hat die Crack-Epidemie der achtziger Jahre erlebt, jetzt kann Schmoke den rasanten Anstieg des Marihuana-Konsums in seiner Stadt beobachten. Sein Fazit: «Ich glaube, der Krieg gegen Drogen richtet mehr Schlechtes als Gutes an.» Schmoke steht beileibe nicht allein mit diesem vernichtenden Urteil, eine rationale Debatte über Sinn und Unsinn der amerikanischen Drogenpolitik jedoch erweist sich nach wie vor als Ding der Unmöglichkeit.

16 Jahre nach dem Beginn des zweiten amerikanischen Kriegs gegen Drogen - Richard Nixon führte den ersten - und nach Kriegskosten von 150 Milliarden Dollar erlebt Marihuana unter jungen Amerikanerinnen und Amerikanern ein rasantes Comeback, steigt der Heroinverbrauch und sind Crack- wie Pulver-Kokain überall erhältlich. Hinzugekommen sind neue Versuchungen wie Methamphetamine oder die Modedroge Ecstasy. 400 000 Bürger sitzen wegen Drogenvergehens in US-Gefängnissen ein, die Kriminalisierung des Drogenkonsums zwingt Bund, Staaten und Kommunen zum Bau von immer mehr Zellen.

Doch während die Nachfrage nach Marihuana unter US-Schülern auf Rekordhöhe geklettert ist, bleibt die amerikanische Diskussion befangen in Klischees und Realitätsferne. Nach neuen Wegen aus der Drogenmisere wird anderswo, vornehmlich in Europa, gesucht, indes amerikanische Drogenbürokraten und Politiker weltweit in die längst verlorene Schlacht ziehen. Vorige Woche ritten die Kreuzzügler Richtung Rio Grande: Nachdem Präsident Clinton Ende Februar in einem alljährlichen Ritual Mexiko wider besseres Wissen, jedoch aus Furcht vor wirtschaftlichen Konsequenzen eine saubere Weste beim Drogenkrieg bescheinigt hatte, verweigerte der auswärtige Ausschuss des Repräsentantenhauses vor Wochenfrist den Persilschein.

Clintons Unbedenklichkeitserklärung, wonach Mexiko trotz aller Schwächen ein tapferer Alliierter im Drogenkrieg sei, nannte der republikanische Senator Jesse Helms, der mächtige Vorsitzende des Senatskomitees für internationale Angelegenheiten, «einen Betrug». Eine Mehrheit im Kongress denkt wie Helms, nicht auszuschliessen ist deshalb, dass der mexikanischen Regierung vom Kongress bescheinigt werden wird, was unbestreitbar ist: Mexiko ist zu einer Hochburg der Drogenhändler geworden, Marihuana, Methamphetamine und Kokain gelangen in Rekordmengen über den Rio Grande in die Vereinigten Staaten.

Seitenanfang

Drogenkorruption in Mexiko


Der parlamentarische Schlag nach Süden ist riskant, denn die mexikanische Regierung reagierte auf die Abstrafung durch den Washingtoner Ausschuss überaus irritiert. Präsident Ernesto Zedillo schwor, «die Würde und Souveränität Mexikos» mit allen Mitteln «zu verteidigen». Was den von Drogenkorruption geschüttelten Nachbarn besonders in Rage versetzt, ist die amerikanische Selbstgerechtigkeit: Die weltweit führende Nation der Kiffer und Kokser verzeichnet steigende Nachfrage, zur Verantwortung dafür wird jedoch die Angebotsseite gezogen.

Solche intellektuellen Verrenkungen kennzeichnen den Krieg gegen Drogen, seit die Regierung Reagan 1981 erneut die Front eröffnete und Drogensucht und Drogenkonsum nicht als öffentliches Gesundheitsproblem einstufte, sondern kurzerhand kriminalisierte. Seitdem gilt die harte Linie: Beschwörend versuchte die Clinton-Administration die Bürger Kaliforniens und Arizonas im November 1996 davon abzuhalten, per Volksentscheid den Konsum von Marihuana für medizinische Zwecke zu legalisieren. Vor allem Krebskranke und Aids-Patienten wollten legal zum Hanf greifen, weil das Kraut die Nebenwirkungen von Chemotherapie und Medikamenten erträglicher macht.

Als breite Mehrheiten in beiden Staaten den medizinischen Gebrauch befürworteten, geriet die Drogengeneralität in Washington in Panik und drohte Ärzten, die es wagten, ihren Patienten Marihuana zu verschreiben, strenge Strafen an. Schon vorab hatte Clintons Drogenzar, der pensionierte General Barry McCaffrey, düster orakelt, bei dem Referendum gehe es «nicht um Barmherzigkeit, sondern um die Legalisierung gefährlicher Drogen». Und in einem Verleumdungsfeldzug sondergleichen unterstellten Washingtons Martini-Trinker dem Financier George Soros, der die Marihuana-Initiative in Kalifornien mit einer Million Dollar unterstützt hatte, ohne Rücksicht auf Kinder und Jugendliche die Legalisierung der Droge durchdrücken zu wollen.

Bei einer Kongressanhörung über die Volksentscheide im Dezember beschuldigte der republikanische Senator Orrin Hatch den Milliardär, eine «Tarnkappen-Kampagne» mit ebendiesem Ziel geführt zu haben. Soros gehöre zu denen, die «das Leiden und die Krankheit verwundbarer Menschen» zynisch für ihr eigentliches Ziel missbraucht hätten, schob Thomas Constantine, Chef der amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde DEA, nach. Soros verwahrte sich gegen die Angriffe und warnte davor, die «gesundheitsschädigende Wirkung von Marihuana zu übertreiben». Der daraus resultierende Mangel an Glaubwürdigkeit erschwere den Kampf gegen harte Drogen.

An Amerikas Schulen und Universitäten scheint die staatliche Verteufelung von Marihuana vornehmlich Heiterkeit auszulösen. Damit schliesst sich ein Kreis, der 1973 begonnen hatte, als Richard Nixon ablehnte, einen von ihm in Auftrag gegebenen Report über die gesundheitlichen Risiken von Marihuana öffentlich in Empfang zu nehmen - die konservativen Autoren der Studie hatten zu milde geurteilt. Jimmy Carter war drauf und dran, Marihuana für den Eigengebrauch zu entkriminalisieren, doch seitdem herrscht beim Umgang mit dem Kraut wieder unerbittliche Härte.

Weil ihm im Wahlkampf 1996 vorgeworfen wurde, er sei beim Krieg gegen Drogen fahnenflüchtig geworden, will Bill Clinton nun seine Fronttauglichkeit beweisen. Im Februar stellte der Präsident seinen Kriegsetat von 16 Milliarden Dollar vor, mehr Geld soll künftig für Aufklärung und Therapien zur Verfügung stehen, ein Grossteil der Mittel aber wie bisher an Justiz und Polizei gehen. Marihuana in einem Grossversuch zu entkriminalisieren und freiwerdende Gelder für Entzug und Therapie von Heroin- und Crack-Abhängigen auszugeben, bleibt tabu und bezeugt die Irrationalität der amerikanischen Position.

Unterdessen hat der amerikanische Appetit auf Rauschgifte nicht nur Länder wie Mexiko und Kolumbien ins Chaos gestürzt, er bedroht auch die Integrität der amerikanischen Polizei und Justiz. Allein mexikanische Kartelle geben pro Jahr schätzungsweise 500 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern aus, was dem Gesamtetat der DEA entspricht. Schleichende Korruption bedroht kommunale Polizeibehörden ebenso wie die amerikanischen Drogenfahnder entlang der 3200 Kilometer langen Grenze mit Mexiko. Und trotz wachsender amerikanischer Budgets und verstärkter Grenzpatrouillen sind die Grenzregionen der Bundesstaaten Texas, New Mexico und Arizona zu Schmugglerparadiesen geworden, deren Bewohner über die zunehmende Unsicherheit klagen.

Revierkriege der Prohibition


«Bei jedem anderen Krieg, den wir so lange und mit solchen Resultaten geführt hätten, wäre schon längst der Ruf nach anderen Feldherren und einer neuen Strategie laut geworden», klagt Bürgermeister Schmoke. George Soros hält die Idee einer drogenfreien amerikanischen Gesellschaft schlicht für «eine Utopie», der Ökonom und Nobelpreisträger Milton Friedman möchte alle Drogen legalisieren, andere prominente Kritiker des Drogenkriegs wie Exaussenminister George Shultz verlangen die Freigabe von Marihuana.
An der amerikanischen Haltung aber wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Wie während der Prohibition, als Alkohol zur illegalen Substanz erklärt wurde und Mafiabanden den lukrativen Markt bei blutigen Gefechten unter sich aufteilten, stecken Drogengangs in amerikanischen Städten ihre Reviere mit Gewalt ab, unter der besonders schwarze Amerikanerinnen und Amerikaner leiden. Und wie damals wird das Suchtproblem kriminalisiert anstatt therapiert.

«Das Drogenproblem unter den Teppich zu kehren wird diesmal nicht funktionieren», bekundete der demokratische Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Richard Gephardt, letzte Woche seine Zustimmung zur harten Gangart gegenüber Mexiko. Das grösste Drogenproblem der Welt indes haben nicht die Mexikaner, sondern die Vereinigten Staaten, wo seit Jahrzehnten der gesunde Menschenverstand unter den Teppich gekehrt wird, wenn es um Rauschgift geht.

Zurück!


Originaldokument