Cannabis als Medizin
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Erfahrungsbericht „Schmerzzustände"


Ich bin 37 Jahre, männlich, seit genau 20 Jahren unterschenkelamputiert und leide zeitgleich an psychischen Problemen. Seit der Amputation leide ich an sehr starken Phantomschmerzen. Diesem Symptom möchte ich mich als erstes und für mich wichtigstes zuwenden. Das Empfinden dieses Schmerzes ist nicht abhängig von Tageszeit, Jahreszeit oder auch der Wetterlage. Am ehesten sehe ich noch einen Zusammenhang mit dem psychischen und physischen Zustand.

1976, also unmittelbar nach der Amputation (unfallbedingt) wurde mir gesagt, daß diese Schmerzen mit der Zeit nachlassen würden. Da ich die ersten 3 Jahre ständig mit Entzündungen des Stumpfes und mit offenen Stellen zu kämpfen hatte, konnte ich zwischen „normalen" Stumpfschmerzen und Phantomschmerzen nicht unterscheiden. Es tat einfach nur höllisch weh. In dieser Zeit setzte ich Alkohol, Medikamente und illegale Substanzen, wie Heroin und Speed, auch als Mixtur ein. Zwar hatte ich stundenweise „Erfolg" - ich konnte mich wenigstens nicht mehr erinnern, ob ich noch Schmerzen hatte, aber mit dem Aufwachen waren die Schmerzzustände wieder da. So kam, was kommen mußte. Ich unterzog mich einer Alkoholentziehungskur. Aus Angst um meinen Arbeitsplatz gab ich damals den Einsatz von illegalen Substanzen nicht zu.

Nach abgeschlossener Therapie hatte ich nun keine Möglichkeit mehr, den Schmerz zu verdrängen. So rieten mir einige Ärzte zur Nachamputation, was ich in meiner Verzweiflung auch machen lies. Dies brachte zwar etwas Linderung, aber die Schmerzen erreichten auf einer Skala von 1-10 immer noch die 8. An dieser Stelle möchte ich etwas näher auf die Häufigkeit und Intensität des Schmerzes eingehen.

Der Phantomschmerz stellt sich ohne „Verwarnung" ein. Er tritt häufig mehrmals die Stunde für einige Sekunden ein, wobei er bis zu einer Minute anhalten kann. 1-4 auf der Skala bedeutet intensivere Schmerzen. Diese zu beschreiben muß sehr abstrakt sein, denn diese Gefühle sind mir in meinem Leben Gott sei Dank erspart geblieben (ich habe sie nie real erlebt). Ich fühle, daß ein Messer in meine Wade gerammt und mit Gewalt nach oben und unten geschnitten wird. Das Gefühl, als ob meine Zehennägel herausgerissen werden oder das Gefühl, daß mein Knöchel mitsamt dem Fuß langsam zerquetscht wird. 8-10 bedeutet, daß nur der Schmerz der Bewußtseinsinhalt ist, um den sich alles dreht und die Angst vor dem nächsten Schmerzanfall. Alle anderen Gedanken, „auch bei mehrstündiger Schmerzfreiheit", werden überschattet, so daß ein normaler Tagesablauf nicht mehr möglich ist /ich bin nervös, unkonzentriert, kann mir nichts merken, bin sehr gereizt und ich habe sogar Suizidgedanken).

Nach der vorherigen Amputation lies ich mich akupunktieren, aber dieser Versuch brachte überhaupt nichts ein, außer dem Gefühl, daß ich „Elefantenohren" hätte. 1985 begab ich mich erstmals in psychosomatische stationäre Behandlung. Danach ging es mir besser (bis 7 auf der Skala). Als ich aber dann große psychische Probleme hatte (Tod der Ehefrau und Pflegebedürftigkeit des Vaters), nahmen diese wieder zu. Nach erneutem Aufenthalt in dieser Klinik 1987 und meinem Entschluß auf Cannabis zurückzugreifen, habe ich den Schmerz eigentlich recht gut im Griff. Nur als ich auf Grund von Rationalisierungsmaßnahmen um meinen Arbeitsplatz fürchten mußte, nahm die Intensität wieder zu. Die TU München riet mir in dieser Phase zur Einnahme von Tegretal 400 mg täglich und die gleichzeitige Einnahme von Saroten. Diese Kombination erwies sich aber für mich als nicht anwendbar, da ich zu sehr müde wurde und meine Leistungsfähigkeit im Arbeitsleben stark negativ beeinflußt wurde. Zur Zeit nehme ich an Medikamenten also regelmäßig nur Tegretal 400 mg täglich und bei extremen Schmerzen zusätzlich Nabilone ein. Es brachte zwar nicht die erhoffte Erleichterung, aber in Kombination mit ca. 2 Gramm Cannabis inhaliert kann ich zumindest an diesen stark von Schmerz beeinflußten Tagen schlafen. Das Preis/Leistungsverhältnis ist jedoch hier nicht positiv gegeben. Ohne zusätzliche Einnahme von Cannabis kann ich dieses Medikament nicht weiterempfehlen.

Zur Verwendung von Cannabis möchte ich sagen, daß das Rauchen bei mir am effektivsten ist. Erstens tritt die Wirkung sehr schnell ein, was bei der Schmerzbekämpfung ja am wichtigsten ist, zweitens kann ich es so am besten dosieren und drittens ist so bei mir eine Art von Retard-Wirkung festzustellen, so daß ich am nächsten Tag ziemlich schmerzfrei bin. Vor der Amputation hatte ich keine Erfahrung mit Cannabis und die ersten Jahre danach, wie vorher angesprochen, keine Wahrnehmung die rein auf Cannabis beruht. Die vorher angesprochene Tagesdosis verteile ich auf 3-6 Joints täglich. Diese Dosis hat sich im Lauf der Zeit herauskristallisiert. Bei geringerer Dosierung treten die Schmerzen am selben Tag weiter auf und sind am nächsten Tag wieder unerträglich. Bei höherer Dosis schlafe ich ein und bin am nächsten Tag psychisch ziemlich labil. Dosierungsprobleme tauchen bei mir nicht mehr auf.

Bei dieser Dosierung tritt als Nebeneffekt eine sedative Wirkung ein, die als angenehm und erwünscht bezeichnet werden kann. Seit 9 Jahren nehme ich Cannabis täglich ein. Die medizinisch wirksame Dosis hatte sich relativ schnell (3-5 Monate) herauskristallisiert, wobei die ersten 2-3 Jahre als unangenehmer Nebeneffekt täglicher Nachtschweiß auftrat.

Entzugssymptome traten bei Nichtanwendung von Cannabis nicht auf, nur die geschilderten Schmerzen waren wieder da. Die schmerzstillende Wirkung von Cannabis läßt nicht nach und auch die „Retard-Wirkung", also Schmerzfreiheit ca. 16 Stunden ließ bis jetzt nicht nach.

Meine behandelnden Ärzte sind alle eingeweiht und stehen meiner „Selbstmedikation" unterstützend, wenn auch skeptisch gegenüber. Zusammenfassend möchte ich mich begeistert zu den Ergebnissen meiner Anwendung von Cannabis äußern. Als einziger Nachteil für mich ist das Bewußtsein stets mit einem Bein im Gefängnis zu sein. Obwohl mir jedes Schuldbewußtsein fehlt (da ich nur mein im Grundgesetz zugesichertes Recht auf körperliche Unversehrtheit - Schmerzfreiheit - wahrnehme), bin ich immer auf der Suche nach legalen Mitteln diese Schmerzen loszuwerden. An dieser Stelle möchte ich noch erwähnen, daß auch der Einsatz eines TENS-Gerätes nicht den erhofften Erfolg brachte. Die einzige Möglichkeit, die mir von der TU München aufgezeigt wurde, ist die Gabe von Opiaten, da diese nach Aussage des behandelnden Arztes nicht abhängig machen, wenn sie zur Schmerzbekämpfung eingesetzt werden. Da ich aber wie schon gesagt heroinabhängig war, möchte ich mich des Risikos eines Rückfalls nicht aussetzen. Auch die Möglichkeit der Gabe von Opiaten mittels Katheter in das Rückenmark lehne ich ab, da als Nebenwirkung eine mögliche Lähmung oder Teillähmung genannt wurde. Mit der Polizei oder Justiz habe keine Probleme, da ich ja niemals den Stoff, der mir Schmerzfreiheit bringt, an andere weitergebe.
 


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