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Marihuana als MedizinEin Plädoyer für nochmaliges ÜberdenkenZWISCHEN 1840 und 1900 veröffentlichten europäische und amerikanische medizinische Zeitschriften über 100 Artikel über die therapeutische Verwendung des Medikamentes, welches damals unter dem Namen Cannabis indica (oder indischer Hanf) bekannt war und heute als Marihuana. Es wurde als appetitanregendes, muskelentspannendes, analgetisches, hypnotisches und krampflösendes Mittel empfohlen. Noch im Jahre 1913 empfahl William Osler es als das wirksamstes Heilmittel bei Migräne.Heute ist die 5000 Jahre alte medizinische Geschichte von Cannabis fast in Vergessenheit geraten. Seine Verwendung nahm zu Beginn des 20. Jahrhunderts ab, denn die Wirksamkeit der Präparate variierte, das Ansprechen auf die orale Einnahme war unberechenbar und nach und nach waren Alternativen erhältlich - injizierbare Opiate und später synthetische Medikamente wie Aspirin und Barbiturate. In den USA wurde der letzte Schlag mit dem Marihuana Tax Act von 1937 geführt. Ursprünglich dazu entworfen, die nichtmedizinische Verwendung zu verhindern, machte das Gesetz Cannabis für medizinische Zwecke so schwer zugänglich, daß es von der Arzneimittelliste gestrichen wurde. Es unterliegt heute der Liste 1 (Schedule 1) des Betäubungsmittelgesetzes (Controlled Substances Act) als ein Medikament, daß ein hohes Mißbrauchspotential aufweist. Ohne akzeptierte medizinische Verwendung und unsicher in der Anwendung unter ärztlicher Aufsicht. 1972 ersuchte die Nationale Organisation für die Reform der Marihuana Gesetzgebung (National Organization for the Reform of Marihuana Laws) das Ministerium für narkotische Mittel und gefährliche Drogen (Bureau of Narcotics and Dangerous Drugs), später in Drug Enforcement Administration (DEA) umbenannt, Marihuana in die Liste 2 (Schedule 2) herunterzustufen, so daß es offiziell verschrieben werden konnte. Mit dem Fortschreiten des Petitionsverfahrens schlossen sich andere Gruppierungen an, unter ihnen die Ärztevereinigung für AIDS[acquired immunodefiency syndrome]-Fürsorge. Erst 1986, nach vielen Jahren gesetzlicher Manöver, gab die DEA der Forderung nach öffentlichen, vom Gesetz verlangten Anhörungen nach. Während der Anhörungen, die 2 Jahre dauerten, lieferten zahlreiche Patienten und Ärzte Zeugenaussagen und Tausende von Seiten an Dokumenten wurden vorgelegt. 1988 erklärte der Verwaltungsjurist der DEA, Francis L. Young, daß Marihuana in seiner natürlichen Form die in den USA derzeitig gültigen gesetzlichen Anforderungen an die medizinischen Verwendung zu therapeutischen Zwecken erfülle. Er fügte hinzu, daß es "eine der sichersten therapeutisch wirksamen Substanzen sei, die dem Menschen bekannt ist."Aus der Abteilung Psychiatry, Harvard Medical School, und dem Massachusetts Mental Health Center, Boston. Seine Anweisung, die Hanfpflanze in die Liste 2 herunterzustufen, wurde überstimmt, nicht durch eine medizinische Instanz, sondern.durch die DEA selbst, die im März 1992 eine endgültige Ablehnung aller Plädoyers für eine andere Einstufung herausgab. In der Zwischenzeit konnten einige wenige Patienten Marihuana legal zu therapeutischen Zwecken erhalten. Seit 1978 wurden in 38 Staaten Gesetze erlassen, die Patienten mit bestimmten gesundheitlichen Störungen die Verwendung von Marihuana zu therapeutischen Zwecken mit einer entsprechenden Bescheinigung eines Arztes gestattet. Obwohl staatliche Regelungen und Vorgehensweisen die Durchführung der Gesetze erschwerten, etablierten 10 Staaten schließlich offizielle Marihuana-Forschungsprogramme, um die Zustimmung des Amtes für Ernährung und Arzneimittel (Food and Drug Administration, FDA) für Anträge zur Erforschung neuer Medikamente (IND, Investigational New Drug) zu erhalten. Diese Forschungsprogramme wurden später aufgegeben, hauptsächlich weil die bürokratischen Auflagen für Ärzte und Patienten unerträglich wurden. Zudem zwang die steigende Nachfrage die FDA zur Einführung einer IND zur lndividualbehandlung (allgemein bekannt als Compassionate IND) für die ärztliche Verwendung bei Patienten, die Marihuana benötigten, weil kein anderes Medikament den gleichen therapeutischen Effekt erzielte. Der Genehmigungsprozeß wurde erheblich verkompliziert und die meisten Ärzte wollten sich nicht darauf einlassen, vor allem, weil viele glaubten, das Verschreiben von Cannabis sei mit einem gewissen Stigma behaftet. Zwischen 1976 und 1988 verlieh die Regierung zögernd ungefähr ein halbes Dutzend Compassionate INDs für die Anwendung von Marihuana. 1989 wurde die FDA mit einer Fülle von Anträgen von Patienten mit AIDS überschüttet und die Anzahl der Genehmigungen erhöhte sich in einem Jahr auf 34. Im Juni 1991 verkündete das Amt für öffentliche Gesundheit (Public Health Service), daß das Programm eingestellt werde, weil es den Widerstand des Amtes gegen die Verwendung illegaler Drogen untergrabe. In der Folge wurden keine weiteren Compassionate INDs vergeben und das Programm wurde im März 1992 abgesetzt. 8 Patienten erhalten derzeitig noch unter diesem Programm Marihuana, für alle anderen gilt es offiziell als verbotene Medizin. Und dennoch lernt weiterhin eine steigende Zahl von Ärzten und Patienten durch persönliche Erfahrung die Lektionen des 19.Jahrhunderts. Viele Leute wissen, daß Marihuana momentan illegal angewendet wird bei Übelkeit und Erbrechen, den Nebenwirkungen der Chemotherapie. Einige wissen, daß es den Augeninnendruck beim grünen Star senkt. Patienten fanden es nützlich als antikonvulsives Mittel, als Muskelrelaxans bei spastischen Störungen und als Appetitanreger beim Wasting-Syndrom im Rahmen einer Infektion mit dem HI-Virus. Es wird auch verwendet, um Phantomschmerzen, Menstruationsbeschwerden und andere Arten chronischer Schmerzen inklusive Migräne (wie Osler es vorhergesagt haben könnte) zu lindern.² Meinungsumfragen und Referenden haben wiederholt gezeigt, daß die große Mehrheit der Amerikaner der Ansicht ist, daß Marihuana ärztlich zugänglich sein sollte. Einer der größten Vorteile von Marihuana als Medizin ist seine bemerkenswerte Sicherheit. Es hat einen nur geringen Einfluß auf die wichtigsten Körperfunktionen. Es ist kein Fall einer tödlichen Überdosis bekannt. Aufgrund von Tierversuchen wird das Verhältnis von tödlicher zu effektiver Dosis auf 40.000 zu 1. geschätzt. Im Vergleich dazu beträgt dieses Verhältnis zwischen 3 und 50 zu 1 bei Secobarbiturat und zwischen 4 und 10 zu 1 bei Äthanol. Darüber hinaus ist das Abhängigkeitspotential von Marihuana wesentlich geringer und es ist weitaus seltener Subjekt des Mißbrauchs als viele andere Drogen, die derzeitig als Muskelrelaxantien, als Hypnotika und Analgetika Verwendung finden. Die legitime Hauptsorge betrifft die Auswirkung des Rauchens auf die Lunge. Cannabisrauch enthält noch mehr Teer als Tabakrauch und weitere besondere Partikel. Die Menge, die geraucht wird, ist jedoch viel geringer, vor allem bei medizinischer Verwendung; und wenn Marihuana erst einmal als offiziell anerkanntes Medikament gilt, könnten Lösungen geltenden werden. Wasserpfeifen sind eine Teilantwort. Letztendlich könnte eine Technologie entwickelt werden, die das Inhalieren von Cannabinoid-Dämpfen ermöglicht. Aber auch, wenn weiter geraucht wird, würde ein legaler Zugang das Treffen von Vorkehrungen gegen Aspergilli und andere Pathogene erleichtern. Gegenwärtig ist die größte Gefahr der medizinischen Verwendung von Marihuana seine Illegalität, die leidenden Menschen große Sorgen und hohe Kosten verursacht, sie zwingt mit illegalen Drogendealern zu handeln und sie der Gefahr aussetzt, wegen krimineller Handlungen verfolgt zu werden. Seit 1985 ist die Hauptsubstanz des Cannabis, Delta 9-Tetrahydrocanabinol (Delta 9-THC), für begrenzte Zwecke als ein synthetisches Medikament nach 1Liste 2 erhältlich. Dieses Medikament, Dronabinol (Marinol), das oral als Kapsel eingenommen werden kann, soll - so wird manchmal behauptet - den Bedarf von Marihuana als Medizin überflüssig machen. Patienten und Ärzte, die beides ausprobiert haben, stimmen dem nicht zü. Dosierung und Wirkungsdauer von Marihuana sind leichter zu kontrollieren und andere Cannabinoide, die in der Marihuanapflanze enthalten sind, können die Wirkung des Delta 9-THC verändern. Die Entwicklung von Cannabinoiden in reiner Form sollte auf jeden Fall unterstützt werden, jedoch sind Zeitaufwand und Ressourcen, die benötigt werden, hoch und gegenwärtig nicht aufzubringen. Unter diesen Umständen sollten weitere Isolierung, Testung und Entwicklung einzelner Cannabinoide nicht als Ersatz datür angesehen werden, den unmittelbaren Bedürfnissen leidender Menschen nachzukommen. Obwohl oft eingewendet wird, daß die medizinische Tauglichkeit von Marihuana nicht durch kontrollierte Studien belegt ist, lassen zahlreiche informelle Forschungsprojekte mit einer großen Zahl von Teilnehmern eine Überlegenheit von Marihuana gegenüber oralem Delta 9-THC und anderen Medikamenten vermuten. Beispielsweise wurden in New Mexico von 1978 bis 1986 ungefähr 250 Krebspatienten, die mit Chemotherapie behandelt wurden, im Rahmen eines staatlichen Forschungsprojektes mit Marihuana oder synthetischem THC versorgt, nachdem konventionelle Medikamente ihnen bei Übelkeit und Erbrechen nicht helfen konnten. Ein Arzt, der an diesem Projekt mitarbeitete, bezeugte bei einer DEA-Anhörung, daß Marihuana bei diesen Patienten Chlorpromazin und synthetischem Delta 9-THC klar überlegen war.3 Es stimmt, daß keine kontrollierten Forschungsergebnisse nach den Maßstäben der FDA vorliegen, hauptsächlich deshalb, weil den Forschern ständig gesetzliche, bürokratische und finanzielle Hindernisse in den Weg gelegt werden. Die Situation ist lächerlich, da bereits so viel Forschungsarbeit mit Marihuana vorgenommen wurde, oft mit dem Versuch, seinen gefährlichen und abhängigmachenden Charakter zu beweisen, daß wir mehr darüber wissen als über die meisten rezeptierfähigen Medikamente. Ärzte sollten mehr Einsatz zeigen für die kontrollierte Forschung, jedoch hat auch diese ihre Grenzen. Individuelle therapeutische Reaktionen können verdeckt werden durch statistische Gruppenergebnisse, bei denen wenig Wert darauf gelegt wird, die spezifischen Reaktionen eines Patienten, die auf die Anwendung des Medikamentes zurückzuführen sind, zu erforschen. Darüber hinaus rührt viel von unserem Wissen über synthetische Medikamente wie auch über pflanzliche Derivate von anekdotenhaften Befunden. Zum Beispiel hatten bereits 1976 einige wenige, methodisch unvollkoinmene und relativ vage Studien gezeigt, daß die Einnahme einer Aspirin-Tablette pro Tag vor einem zweiten Herzinfarkt schützen konnte. 1988 bewies eine breit angelegte Untersuchung dramatische Wirkungen. Dieses Beispiel ist von Bedeutung, denn wie Aspirin ist Marihuana eine Substanz, die für ihre ungewöhnliche Sicherheit und für ihren außergewöhnlichen potentiellen gesundheitlichen Nutzen bekannt ist. Cannabis kann auch eine unmittelbare Linderung von Beschwerden bewirken, welches sich in einer Studie mit einem einzigen Patienten messen läßt. Bei dieser Methode, bekannt als randoimsierter Ein-Patienten-Versuch (single patient randomized trial), werden echte und Plazebo-Behandlungen zufallsartig im Wechsel oder aufeinanderfolgend an einem Patienten durchgeführt. Diese Methode ist oft sinnvoll, wenn umfassende, kontrollierte Studien unmöglich oder unangebracht sind, weil die gesundheitlichen Störungen selten auftreten, der Patient untypisch ist oder die Reaktion auf die Behandlung unvorhersehbar ist. Viele Patienten haben entweder absichtlich oder wegen unregelmäßiger Verfügbarkeit ungefähr dieselben Experimente durchgeführt, indem sie wechselweise eine Zeit lang Cannabis zur Behandlung verschiedener Störungen anwendeten und dann eine Zeit lang nicht. Die amerikanische medizinische Gesellschaft (American Medical Association) war eine der wenigen Organisationen, die ihre Stimme gegen das Marihuana Gesetz von 1937 erhoben, heute scheinen jedoch die meisten Ärzte wenig aktives Interesse an der Sache zu haben und ihr Schweigen wird oft von jenen zitiert, die darauf bestehen, daß Marihuana ein verbotenes Medikament bleiben sollte. Während dessen geben viele Ärzte vor, nichts von der Tatsache zu wissen, daß ihre Patienten mit Krebs, AIDS oder Multibler Sklerose zur Linderung ihrer Beschwerden Marihuana rauchen. Einige Ärzte ermuntern sie insgeheim dazu. In einer Umfrage von 1990 gaben 44% der befragten Onkologen an, sie hätten einem Patienten das Rauchen von Marihuana empfohlen, um die Übelkeit im Rahmen einer Chemotherapie zu lindern.4 Wenn Marihuana tatsächlich sogar unter ärztlicher Aufsicht unsicher in der Anwendung wäre, wie es sein Liste-I-Status ausdrücklich behauptet, wäre solch eine Empfehlung undenkbar. Es ist an der Zeit, daß Ärzte sich offener dazu bekennen, daß die gegenwärtige EinstLifting unter wissenschaftlichen, gesetzlichen und moralischen Gesichtspunkten falsch ist. Ärzte haben das Recht und die Pflicht, Behauptungen über den therapeutischen Wert einer Substanz skeptisch gegenüber zu stehen, jedoch nur nachdem sie ihre Befürchtungen und Zweifel beiseite gelegt haben, die mit dem Stigma der verbotenen nichtmedizinischen Drogenanwendung verbunden sind. Befürworter der Anwendung von Marihuana für medizinische Zwecke werden zum Teil angeklagt, die medizinische Verwendung als Wegbereiter für den Konsum zu Genußzwecken zu verwenden. Diese Anschuldigung ist hinsichtlich ihrer Zielsetzung falsch, sie drückt allerdings in verzerrter Form aus, was einige Gegner der medizinischen Marihuana-Anwendung in Wahrheit denken: Sie werden nicht zugeben, daß es eine sichere und wirkungsvolle Medizin sein kann, vor allem deshalb nicht, weil sie sich stur darauf versteift haben, die Gefahren, die mit der nichtmedizinischen Verwendung verbunden sein sollen, zu übertreiben. Wir verlangen von den Lesern nicht, daß sie unserer Behauptung eines medizinischen Nutzens von Marihuana unmittelbar zustimmen, aber wir hoffen, daß sie sich mehr dafür einsetzen, die offene und legale Erforschung seines Potentials voranzutreiben. Die scheinbare Gleichgültigkeit der Ärzte sollte nicht mehr als Rechtfertigung dafür dienen, dieses Medikament weiterhin im Schatten zu halten. Lester Grinspoon, MD Jaiiies B. Bakalar, JD
2 Grinspoon, L., Bakalar, J. Marihuana, the Forbidden Medicine. New Haven, Conn: Yale University Press; 1993. 3 In the Matter of Marihuana Rescheduling Petition, Docket 86-22, Affidavit of Daniel Dansac, M. D. Washington, DC: Drug Enforcement Agency, 1987. 4 Doblin R., Kleiman MAR. Marihuana as anti-emetic medicine: a survey of oncologists' attitudes and experiences. J. Clin. Oncol. 1991;9:1275-1290 durch: Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM), Maybachstr. 14, D-50670 Köln 0221-912 30 33,Telefax: 0221-130 05 91, Email: ACMed@t-online.de, Internet: http://ww.hanfnet.org/acm/ |