junge Welt Interview
Was bringt Cannabis als Medizin?
Gespräch mit Dr. Ellis Huber, Chef der Berliner Ärztekammer
F: Sie haben sich in ihrem Vorwort für die deutsche
Ausgabe des Buches »Marihuana, die verbotene Medizin« für
die Zulassung von Cannabis als Heilmittel eingesetzt. Seit Februar ist
die Vergabe von THC auf Rezept für die Linderung von Übelkeit
bei Krebskranken und Appetitssteigerung bei Aids-Patienten erlaubt. Werten
Sie diese Regelung als Erfolg?
Die Regelung ist völlig unzureichend, weil
sie nach wie vor nicht den Stand der pharmakologischen Erkenntnis widerspiegelt.
Wir sollten alle Abkömmlinge der Cannabis- Pflanze so behandeln, wie
Valium behandelt wird. Allerdings sind auch Cannabis-Präparate keine
Wunderarznei, sondern relativ zu bewertende Möglichkeiten der Heilkultur,
wie andere Abkömmlinge von Pflanzen auch. Es unterscheidet sich nicht
vom Johanniskraut-Präparat, Baldrian-Präparat oder von dem Herzmittel,
das aus der Fingerhutpflanze gewonnen werden kann.
F: Es gibt zugelassene Medikamente, wie Codein, die bekanntermaßen
abhängig machen können. Auf welcher Grundlage wird da ein Verbot
des harmloseren Cannabis als Medizin begründet?
Das hat ideologische Gründe und geht zurück
auf einen Glaubenskrieg gegen die Sucht in unserer Gesellschaft. Man nimmt
eine Symbolsubstanz und bekämpft diese in der irrigen Meinung, damit
die Sucht an sich in unserer Gesellschaft treffen zu können. Das ist
die Unfähigkeit der Politik, rational und nach dem Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnis mit den gesellschaftlichen Problemen umzugehen. Ohne Zweifel
haben wir ein Suchtproblem, das gilt aber sehr viel mehr für Tabak,
Alkohol, Psychopharmaka im weitesten Sinne und auch Dinge wie Codein. Die
Abkömmlinge der Cannabis- Pflanze sind demgegenüber ein überschaubares
Problem.
F: Glauben Sie, daß dabei auch der Einfluß der Pharmaindustrie
eine Rolle spielt, die an Cannabis weniger verdienen würde als an
Codein beispielsweise?
Das glaube ich nicht. Die Pharmaindustrie macht
alles zu Geld, was möglich ist, und gegenwärtig haben wir ein
Zeitalter der Kolonialisierung der individuellen Körper erreicht.
Cannabis könnte auch lukrativ vermarktet werden - daher denke ich,
daß gegenwärtig die Angst der Politik vor der Sucht in der Gesellschaft
sehr vorherrschend ist.
F: Es gibt ja schon viele Menschen, die ihre Krankheiten mit
Haschisch illegal therapieren. Muß man diese Leute vor gefährlichen
Nebenwirkungen warnen oder ist der Haschischkonsum völlig unbedenklich?
Keine Arznei, die wirkt, ist unbedenklich, sie
hat immer Nebenwirkungen. Und jede Arzneimittelgabe ist eine Ermessensentscheidung,
eine Abwägung zwischen positiver Wirkung und bedrohlicher Nebenwirkung.
Im Vergleich zu gängigen Arzneimitteln, die auch frei verkäuflich
jederzeit zugänglich sind, sind die Nebenwirkungen von Cannabis- Präparaten
eher geringer. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, daß
Cannabis eine körperliche Abhängigkeit erzeugt, es kann aber
eine psycho-soziale Abhängigkeit entstehen. Das kann bei jedem anderen
Arzneimittel auch auftreten. Es ist wie mit dem Wein: Der chronische Säufer
ist krank, während derjenige, der einmal in der Woche ein Glas Wein
trinkt, doch nicht als krank bezeichnet werden kann.
Der chronische Dauerkiffer ist ein kranker Mensch, während derjenige,
der gelegentlich einen Joint raucht, im Vergleich zum fundamentalistischen
Verweigerer psycho-sozial eher gesünder ist.
F: Laut Arzneimittelbehörde ist die positive Wirkung von
Cannabis in verschiedenen Bereichen erwiesen, jedoch sei nicht erwiesen,
daß es besser wirken würde als bereits zugelassene Medikamente.
Das würde heißen, auf den meisten Einsatzgebieten wäre
Cannabis überflüssig.
Wenn diese Behörde sich selbst ernst nehmen
würde, dann gäbe es nicht einen Arzneimittelmarkt in der Bundesrepublik,
wo tausenderlei verschiedenartige Substanzen für die gleiche Indikation
möglich sind.
Die Aussage ist nicht ganz richtig. Es gibt einzelne Indikationsfelder
und Menschen, wo dieses Medikament besser ist als die anderen. Es ist aber
nicht per se das Bessere. Auf den Punkt gebracht: Ein Cannabis-Präparat
wirkt beim 50jährigen Soziologieprofessor besser als bei der katholischen
Oma Ende 70. Das ist aber ein Sachverhalt, der bei allen Medikamenten gleichermaßen
gegeben ist. Es führt dazu, daß man unterschiedliche Möglichkeiten
nebeneinander gebrauchen kann und individuell entscheidet, was das Vernünftigste
ist. In diesem Konzert von Möglichkeiten der medizinischen Therapie
Cannabis-Präparate zu diffamieren und auszugrenzen, ist nicht rational,
sondern Ergebnis einer irrationalen Einstellung, Ergebnis eines Glaubens
oder einer Ideologie. Die Wissenschaft heutzutage ist da aufgeklärter
und weiter.
F: Würden Sie so weit gehen, Cannabis als Heilmittel frei
verkäuflich in den Apotheken anzubieten?
Die Angst vor der Sucht, die berechtigt ist,
führt zu neurotischen Projektionen gegenüber Cannabis in der
deutschen Bevölkerung.
Cannabis-Präparate jetzt generell freizugeben, würde die Menschen
ängstigen. Obwohl es wissenschaftlich gesehen das Sinnvollste wäre,
wäre es aus sozio-kultureller Sicht unvernünftig. Deshalb würde
ich empfehlen, zunächst eine Rezeptpflicht einzuführen und Cannabis-Präparate
insgesamt so zu behandeln wie Valium oder andere rezeptpflichtige psychotrope
Substanzen.
Interview: Florentine Anders
Interview
Präsident Berliner Ärztekammer mit Sativa
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