Oekonews


Ein Dorf der Zukunft 

Eigentlich sollte Wulkow in der Mark Brandenburg abgerissen werden. Doch die 170 Einwohner machten aus ihrem verrotteten Ort ein Ökodorf und eine TOURISTENATTRAKTION. Und vergangenes Jahr gewann Wulkow sogar den Bundesumweltpreis.

Manche trauen sich gar nicht ran. Drei Meter davor bleiben sie zögernd stehen. Dann schicken sie einen vor. Der soll das Ufo-artige, sechs Meter hohe Dingmal anfassen.

Denn wenn die grünen Männchen wirklich gelandet wären, wäre das 170-Seelen-Nest Wulkow in der dünnbesiedelten Mark Brandenburg kein schlechter Platz. Doch das Ding ist ein Haus. Es kann nicht fliegen, nicht fahren, es dreht sich nicht. Dafür wird es mit Erdwärme beheizt und bekocht und seine Abwässer werden von Pflanzen geklärt. Was das Modell-Haus, das dem verfallenen Wulkower Schloß als Wahrzeichen mittlerweile den Rang abgelaufen hat, mit einem Ufo verbindet, ist nur eins: Die Zukunft hat hier begonnen. Sie fing damit an, daß alles vorbei war. Zu DDR-Zeiten sollte Wulkow sterben.

'Leerwohnen'war der Amtsbegriff. Kein Geld mehr für Neubauten, nichts für Straßen, Lampen oder die Heizung im Kindergarten. Konsum und Poststelle schließen, Ungemütlichkeit verbreiten dieses Schicksal hatten die Genossen dem Nest an der polnischen Grenze mit schlechten Böden und wenig Regen zugedacht. Nach der Wende verloren die Leute von Wulkow ihre Arbeit in der Landwirtschaft, und Hoffnung auf Investoren hatten sie ohnehin nicht. Wer es bis hierhin schafft, das wußten sie, der schafft es auch bis Polen. Heute, fünf Jahre später, stehen jedes Wochenende Reisebusse in Wulkow. Die Wessis kommen. Zum Staunen, zum Gucken, zum Lernen. Biologie-Studenten aus Münster sind es, die im Saal der Schmiedeschänke sitzen und grinsen, als Bernhard Schmidt mit langem Rauschebart und Wollpullover gerade erzählt: 'Ich wollte nie ein Ökospinner sein.'

Dann führt der studierte Forstwirt durch das Ökodorf. Am alten Speicher geht es los. 1990 hatte Schmidt den halbverfallenen vierstöckigen Kasten, der mal zum Schloß gehörte, gekauft. Jetzt konnten die Dörfler der Umgebung jeden Samstag im Speicher verkaufen, was Ihre kleinen privaten Ländereien, mit denen sie schon zu DDR-Zeiten ein Zubrot verdient hatten, hergaben und mußten sich nicht an die Straße stellen. Der Markt im Ökospeicher war geboren. Heute zieht er jedes Wochenende zwischen 300 und mehrere tausend Besucher aus der Umgebung, aus Frankfurt und sogar Berlin an. Der Speicher wird mit Sonnenenergie versorgt. Ein Schweizer Energieberater hatte in der Zeitung von den Bemühungen Wulkows gelesen, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Martin Merk wollte sich das Ganze bloß einmal angucken und blieb.

Unter dem Dach des Speichers gründete er die Firma EcoTech, die alternative Energieprojekte umsetzt und übte hier erst mal: Windkraft für die Straß enlaternen, Sonne für den Speicher, Raps für den Traktor High-Tech in klein. Merks Frau Ulrike, studierte Landwirtin, baute mit einem Freund den einzigen verbliebenen Bauernhof wieder auf. 'Normale Landwirtschaft ist wegen der schlechten Böden nicht konkurrenzfähig,'sagt die 30jährige.

Und so hat sie ihre Nische gefunden: Geprüfte Biowaren, ohne Kunstdünger,ohne chemischen Pflanzenschutz für die Reformhäuser und Bioläden Berlins. 'Wir sind nun mal kein Musterdorf, kein Öko-Museum, kein Lehrpfad', sagt Bäuerin Ulrike. 'Wir müssen davon leben.' Schmidt führt die Studenten aus dem Speicher hinaus. Auf dem Platz sind Steine aufgestapelt für den dorfeigenen Brotbackofen.

Stolz zeigt Schmidt auf die so eben eingeweihte 'Solartankstelle', an der sich Solarmobile aufladen können denn die Sonnenzellen am Speicher produzieren längst mehr Energie, als verbraucht wird. Schräg gegenüber gibt's Biodiesel für den Gemeindetraktor und die ersten umgerüsteten Fahrzeuge der Umgebung. Im Ökospeicher ist eine Hackschnitzelanlage zur Produktion von billigem Strom gerade fertig geworden.

'Bruchholz aus der Umgebung, und davon gibt es hier reichlich, gegen billige eine Arbeitskraft, und ein Arbeitsplatz in Wulkow, das sind vier Prozent weniger Arbeitslose.' Politik der kleinen Schritte. Einen halben Tag dauert Schmidts Tour durch Wulkow. Durch den ehemaligen Schloßpark, der nach der Wende wiederbelebt wurde, zum Kräutergarten: Hier werden Heil- und Küchenkräuter angebaut, die auf dem Markt verkauft oder in der Schmiedeschänke verkocht werden. Vorbei am Fischteich und dem Fischbruthaus,in dem vom Aussterben bedrohte Fischarten und Speisefisch gezüchtet werden. Ein Stück durch die Holunderplantage, deren Früchte der Saftproduktion dienen und deren Biomasse der Energiegewinnung. Vorbei anden Experimentierfeldern für nachwachsende Rohstoffe: Binsen, Stauden,im nächsten Jahr auch Hanf. Und dann stehen die Besucher vor dem Ufo.

1993 erklärte Brandenburg Wulkow zur ökologischen Modellgemeinde,dafür aber konnte man sich nichts kaufen. 'Wir haben den Zug allein ein Gang gebracht', erklärten die Dörfler den Behörden, 'wenn ihr jetzt mitfahren wollt, kostet das eine Fahrkarte.' Und so entstand mit 300000 Mark Fördermitteln und 100000 Mark Eigenleistung das einzige Niedrigenergiehaus dieser Art in Deutschland: 280 Quadratmeter Wohnfläche auf zwei Etagen. Unten ein großer Saal, oben drei Doppelzimmer, Küche,Bad. Entworfen wurde das Ufo von einem französischen Architekten, gebaut als internationales Seminarzentrum.

Denn das kleine Nest hat mittlerweile Freunde in aller Welt. Und die kommen öfter mal zu Besuch. Aus Polen, das liegt nahe, aber auch aus der Dominikanischen Republik, aus Ghana, aus Österreich von überall, wo ähnliche Problemeherrschen wie hier: viel Platz, wenig Leute, wenig Geld. Wulkow ist eine Touristenattraktion geworden. Und weil viele über Nacht bleiben, mancheiner sogar seinen ganzen Urlaub hier verbringt, entwickelt sich ein bescheidenes Tourismusgewerbe. Ein Hotel gibt es noch nicht, das heißt, doch:ein Hotel unter vielen Dächern, wie die Wulkower sagen.

Die Leute im Dorf vermieten Zimmer an die Fremden, mit Frühstück zu bescheidenen Preisen. Im vergangenen Jahr hat das Dorf den Bundesumweltpreis gewonnen, den höchstdotierten Umweltpreis der Welt. Für die eine Hälfte, 150.000 Mark, wurde die Pflanzenkläranlage gebaut. Denanderen Teil hat die Gemeinde, deren frei verfügbare Haushaltsmittel sich auf 7.500 Mark im Jahr belaufen, erst mal gespart.

Für das nächste große Projekt. Mittags trudeln sie alle in der Schmiedeschänke ein und lassen sich an ihren Stammtisch fallen: Bernhard Schmidt, erschöpft vom Rundgang, Fischer Tusche, der die Gewässerpflege betreibt, derehrenamtliche Bürgermeister, der als Tierarzt sein Geld verdient, der Schmied, der Tischler, die Zivildienstleistenden und die beiden jungen Leute, die in Wulkow ihr freiwilliges ökologisches Jahr ableisten.

Sie bekommen das Hausessen für fünf Mark, Nachschlag inklusive, und dabei reden sie sich die Köpfe heiß über ihren nächsten großen Coup: Das alte Schloß haben sie gekauft, und jetzt muß Geld her für die Renovierung. Und dann träumen sie von einem Umweltarchiv, einer Bildungsstätte mit Übernachtungsmöglichkeit und rechnen kurz aus: Das bringt mindestens acht Arbeitsplätze.

'Normale Landwirtschaft ist hier wegen der schlechten Böden nicht konkurrenzfähig', sagt Landwirtin Ulrike Merk. Und so baut sie für die Reformhäuser Berlins BIOWAREN ohne chemischen Pflanzenschutz und ohne Kunstdüngeran durchaus mit Erfolg Weil viele Besucher auch über Nacht bleiben, manch einer sogar seinen ganzen Urlaub hier verbringt, entwickelt sichsogar ein bescheidenes Tourismusgewerbe. Ein Hotel gibt es freilich noch nicht. Dafür bieten die Leute im Dorf den Fremden ZIMMER MIT FRÜHSTÜCK an
 
Datum:09-11-1995 Ausgabe: 46 Seite: 176
Autor:*Frauke Hunfeld* - STERN 1995, 1996
 
 
Die Realos der Hanfszene setzen auf Baustoffe zum Dämmen und Geotextilien zur Dachbegrünung beispielsweise. Einer von ihnen ist Matthias Schillo, Vorstandsmitglied der TreuHanf AG. Die Aktiengesellschaft dient der Kapitalbeschaffung für die junge Hanfindustrie. »Der TreuHanf-Ansatz unterscheidet sich von Anfang an von dem unserer Mitbewerber durch zwei Prämissen: Erstens wird die EU-Prämie schnell fallen und zweitens gibt es noch keine Chance, in global wirtschaftende High-Tech-Bereiche wie Textilien oder Papier vorzustoßen. Angesagt sind zunächst einfache Produktionslinien, vor allem auf dem Bausektor«, meint Schillo. Der Traum vom »vollökologischen« Reihenhaus aus Hanf, Holz und Lehm wird wahr.

In Sachsen-Anhalt entsteht eine weitere HanfFabrik, die die Wärmedämmstoffe herstellt. In Dessau, gleich in Nachbarschaft zum Bauhaus, sollen die alternativen Häuslebauer in einer Bauakademie eine Anleitung zum Selbermachen bekommen - ein offizielles EXPO-2000- Projekt. Daneben hat TreuHanf seit einigen Monaten ein Tochterunternehmen in Polen und eines in Rumänien, dem größten Hanfanbaugebiet in Europa.

In den osteuropäischen Ländern wurde die Hanfproduktion nicht durch die chemische Industrie verdrängt wie in Westeuropa.

Allerdings sind es heute zum großen Teil absterbende Unternehmen, da die Maschinen völlig veraltet sind. Außerdem schrumpft der Bedarf. Statt Schiffssegel und Armeeuniformen produzieren sie heute Öko-Mode. »Wir springen diesen Unternehmen mit Kapital und neuer Technologie zur Seite und zeigen ihnen, wie sie aus ihren Nebenprodukten wertvolle Baustoffe herstellen können«, erklärt Matthias Schillo.

Dabei schöpft die TreuHanf vor allem aus den Erfahrungen ihres Unternehmens in Zehdenick. Der Maschinenbauingenieur Christian Krasemann gündete vor einem Jahr die kleine Fabrik in dem traditionellen Hanfanbaugebiet nördlich von Berlin. »Ich war vor allem von der Pflanze fasziniert«, sagt Krasemann.

»Hanf ist ein idealer Dämmstoff, hat gute Sorptionseigenschaften, kann also wie Holz und Lehm Luftfeuchtigkeit in Wohnräumen aufnehmen oder abgeben; Hanf ist nicht krebserregend wie Glasfaser und kann nach dem Abriß einfach kompostiert werden.«

Während Krasemann erzählt, verkauft er an zwei junge Männer mit langem Haar einen Sack Hanfwolle und ein paar Meter Vlies zur Auskleidung ihres Wohnwagens.

Ein anderer Kunde bringt eine Kiste Einlegesohlen zurück, die er aus Hanfvlies genäht hat. Zu dünn, läuft sich zu schnell durch. Krasemann ist um eine Erfahrung reicher. Ein Jahr lang hat er zusammen mit dem Maschinenbaumeister Jürgen Krüger gebraucht, um die alte Vlies-Anlage so umzurüsten, daß sie problemlos Hanf verarbeiten kann. »Ich hätte allen Grund, zufrieden zu sein, jetzt, wo wir endlich unseren ersten Großauftrag haben«, sagt Krüger. »Wir fangen gerade erst an, von der Testphase in die Produktion überzugehen. Da wäre Euphorie, wie sie in den lokalen Medien verbreitet wurde, nicht angebracht.« Häufig kommen junge Leute hierher, in der Hoffnung auf einen Job. Bisher arbeiten an der Anlage gerade vier Personen. »Wenn es gut läuft, können wir vielleicht in ein paar Monaten eine zweite Schicht aufbauen«, erzählt Maschienbaumeister Krüger. Aber nicht nur die Jobsuchenden rennen ihm die Tür ein. »Es kommt auch oft mal jemand vorbei, der sich als Öko-Bauer ausgibt und sich eigentlich für die Technologie interessiert. Da muß man verdammt aufpassen«, sagt Krüger.

Langsam dämmert das Bewußtsein, daß in dem Markt riesige Potentiale stecken. Zum Beispiel in der Automobilindustrie. Hier sollen Kunststoffe wie Tür-Innenverkleidungen in zunehmenden Maße durch Naturfasern ersetzt werden. »Die Pläne liegen schon lange in den Schubläden, sie warten nur, bis der Hanfpreis genügend gefallen ist«, meint Krasemann.

Auch bei ihm liegt bereits ein Muster im Schubfach.
 
Highligts 

Zurück!
ce="comic sans ms">Zurück!
tml>