Nachwachsende Rohstoffe: In Deutschland zeigt der Aufbau einer Hanf-Wirtschaft erste Erfolge - Hanf liefert Rohstoffe für Garne, Folien, Baumaterialien, Öl und Papier Arnulf Rolfsmeyer ist optimistisch. "Wenn das Wetter so bleibt, können wir in den nächsten Tagen die Ernte einfahren." Im Frühjahr hatte sich der 47jährige Landwirt 150 kg Saatgut der Sorte Fasamo besorgt - genug, um auf 12 ha Anbaufläche das größte Hanffeld in Nordrhein-Westfalen zu bestellen. Trotz des verregneten Sommers sind die Pflanzen gut gewachsen - bis zu 4 m hoch. Rolfsmeyer nimmt eine Blütenspitze, reibt sie zwischen den Händen und ist zufrieden. "Trocken genug", sagt er. Der 280-PS-starke Mähdrescher mit seinem 6 m breiten Laufwerk knickt die fingerdicken Halme problemlos um, Blätter und Stiele werden durchgeschreddert, die Körner in einer separaten Kammer gesammelt. Für Rolfsmeyer ist diese Ernte die dritte und etwas ganz Besonderes. Seit 1980 bewirtschaftet er das 80 ha große Gut Deesberg bei Bad Oeynhausen. Aus Überzeugung ist der Landwirt zur biologischen Bewirtschaftung gekommen. Doch auch ihm macht der rapide Preisverfall und der Konkurrenzdruck zu schaffen. An Aufgeben denkt Rolfsmeyer nicht. Er hat eine Vision: der Ökobauer als Rohstofflieferant. Während sein Blick auf den Mähdrescher fällt, erklärt er, wie es mit der Hanfwirtschaft weitergehen muß. Statt einige hunderttausend Hektar stillzulegen, sollte Hanf im großen Stil auf deutschen Äckern wachsen. "Wenn man bedenkt, was man alles aus dieser Pflanze machen kann, dann ist das doch eine riesige Chance für uns und auch für die Industrie." Dafür leistet er Pionierarbeit. Kleidung, Garne, Lkw-Planen, Folien, Formpreßteile, Speiseöl, Druck- und Schreibpapier, Verpackungsmaterial, Schmierstoffe, Spanplatten und selbst Brems- und Kupplungsbeläge lassen sich aus dem Rohstoff Hanf gewinnen. Die aktuelle Entwicklung zeigt aber auch, wo die Probleme liegen. "Es muß eine Infrastruktur zur Hanfverarbeitung geschaffen werden, und die Industrie muß mehr investieren, sonst geht uns bald wieder die Luft aus." Auf der Verarbeitungsseite sieht es nicht danach aus. Praktisch alle deutschen Automobilhersteller und deren Zulieferer zeigen mittlerweile Interesse an Hanffasern aus Deutschland. Versuche und Vorserienproduktionen bei VW, BMW und Mercedes-Benz haben gezeigt, daß sich Hanf sehr gut für Türinnenverkleidungen und ähnliche Anwendungen im Innenausbau eignet. "Hanf kann in diesem Bereich als nachwachsender Rohstoff herkömmliche Glasfasern und Kunststoffe zum Teil heute schon ersetzen", meint Experte Michael Karus vom nova-Institut in Köln. Der Markt allein in diesem Bereich sei, so Karus, gigantisch. Um den Jahresbedarf der Automobilindustrie zu decken, müßten über 30.000 ha Hanf angebaut werden - "eine echte Chance für eine zukunftsorientierte Kooperation zwischen Landwirtschaft und Industrie", meint Karus. Davon ist auch Peter Weber-Heck überzeugt. Seit 1919 produziert die Firma Heck in der Nähe von Gummersbach Isolierpappe für die Bauindustrie. Schon vor vier Jahren überlegte Unternehmer Heck, ob sich der Rohstoff Hanf in seinem Betrieb verarbeiten läßt. Knapp 1 Mio. DM investierte der Mittelständler aus eigener Tasche in die Entwicklung von Isolierbaustoffen auf Hanf-Basis. Im Dezember 1997 konnte Peter Weber-Heck sein erstes Patent auf einen vollkommen neuen Hanf-Isolierstoff anmelden. Die Dämmung ist feuchtigkeits- und wasserabweisend, ohne chemische Zusatzstoffe. "Weil Hanf die Eigenschaft hat, keine Hausstaubmilben aufzunehmen, profitieren vor allem Allergiker von der Hanf-Dämmung", erklärt Firmenchef Weber-Heck. Der einzige Haken: Der Handel zieht noch nicht so richtig mit, er setzt lieber weiterhin auf Dämmstoffe auf Kunststoff. Richtig professionell gibt sich die Hanfwirtschaft im Süden Deutschlands. Die Badische Naturfaseraufbereitung (BaFa) in Malsch bei Karlsruhe hat im Umkreis von 30 km zahlreiche Landwirte für den Hanfanbau gewinnen können. Fast 1500 ha Anbaufläche hat BaFa-Geschäftsführer Bernd Frank unter Vertrag. "Wir kaufen den Landwirten das Hanfstroh ab, trennen Fasern und Schäben und bieten das Material der Industrie zur Weiterverarbeitung an", erklärt Hanf-Fan Frank. So müßte die gesamte Hanfwirtschaft strukturiert sein, wenn sie künftig auf der Ökoschiene ihre Produkte vermarkten will. Denn nur die Nähe zum Erstverarbeiter garantiert kurze Transportwege bei der industriellen Aufbereitung des Hanfstrohs. Ökologisch bietet Hanf eine Reihe von Vorteilen. Nach einer Studie des Instituts für Angewandte Forschung (IAF) der Fachhochschule Reutlingen spart ein Hektar Hanf, der für die Dämmstoffindustrie angebaut wird, 2 t CO2 gegenüber Mineralfaserdämmstoffen mit äquivalentem Nutzwert ein. Würde nur jede dritte Dämmplatte aus Hanf bestehen, dann kämen Landwirte und verarbeitende Industrie auf ein Umsatzvolumen von fast 10 Mrd. DM. Vielleicht ein Grund mit dafür, weshalb sich die amerikanische Investmentfirma CGP im Herbst 1997 an der Badischen Naturfaseraufbereitung beteiligt hat. In der Hanfbranche ist die Aufbruchstimmung im dritten Erntejahr noch nicht abgeklungen. Klar ist, daß es nur mit breiter politischer Unterstützung gelingen wird, Hanf-Landwirte zu einem wichtigen Glied in einer nachhaltigen Wertschöpfungskette zu machen. Manche macht der Hanf ganz high: Im Sommer hat die Firma Ver-Na-Ro in Gardelegen in Sachsen-Anhalt für den Faseraufschluß die modernste Anlage in Europa in Betrieb genommen. Geschäftsführer Fred Bohndick hat knapp 1000 ha Hanffläche unter Vertrag. Die Fasern werden zu Ballen gepreßt, die Schäben entstaubt und gereinigt und als naturreines Produkt Gestüten als Pferdeeinstreu angeboten. Nicht technische, sondern eher ökonomische Probleme verhindern noch eine breite Verarbeitung und Verwendung von Hanfrohstoffen für neue Produkte. Gerade auf dem lukrativen Bausektor treffen die Cannabis-Materialien auf einen weitgehend gesättigten Markt. Die Anbieter der Hanf-Produkte müssen mit den Herstellern billiger Kunstfasern konkurrieren. Dennoch: Ökobauer Arnulf Rolfsmeyer hat die Hoffnung nicht aufgegeben. "Der Umweltgedanke nimmt beim Verbraucher einen immer größeren Stellenwert ein." Während der Mähdrescher die letzten Pflanzen kleinheckselt, schmiedet der Landwirt schon Pläne fürs kommende Jahr. Mindestens 20 ha Hanf will Rolfsmeyer dann anbauen, er will noch mehr Schulklassen über seinen Hof führen und ihnen erzählen, warum die Hanfsorte Fasamo nicht high macht sondern bestens geeignet für die Herstellung von Kleidung, Papier und sogar Waschmitteln ist. EU fördert Mittelständler mit Produkten aus Hanf Seit Mitte Mai fördern die Europäische Kommission und das Land Nordrhein-Westfalen den Faserhanfanbau. Das über zwei Jahre laufende Projekt verfolgt das Ziel, faserverarbeitende kleine und mittlere Unternehmen "zur Integration heimischer Hanffasern in bestehende Produktions- und Vermarktungsstrukturen zu befähigen". Das Projekt wird von drei Instituten durchgeführt, die bereits seit einigen Jahren auf diesem Gebiet tätig sind: dem nova-Institut für Ökologie und Innovation in Köln, dem Faserinstitut Bremen (FIBRE) und der Kölner Akademie für Markt- und Medienpsychologie. "Durch Informations- und Qualifikationsmaßnahmen für faserverarbeitende Unternehmen soll das Projekt dazu beitragen, bestehende Hemmnisse beim Aufbau der deutschen Hanfindustrie zu überwinden", sagt Daike Lohmeyer, Agraringenieurin und Hanfexpertin des nova-Instituts. Das soll auf branchenbezogenen Seminaren geschehen. Zum Thema "Technische Hanffasern aus Deutschland" finden am 3. Dezember in Köln ein Symposium und eine Produktschau statt. Informationen gibt es beim nova-Institut Tel: 02233/9436-84; Fax: 02233/9436-83. Hanfproduktlinienprojekt Eine Faser für alle Fälle Das Kürzel THC hat bis zum Frühjahr 1996 verhindert, daß Hanf auf deutschen Äckern sprießen konnte. Tetrahydrocannabionol, kurz THC, ist der Stoff aus Blüten und Blättern der grünen Hanfpflanzen, aus dem Marihuana und Haschisch gewonnen werden können. Doch um als Rohstoff für die Drogengewinnung genutzt zu werden, muß der THC-Gehalt der Pflanzen zwischen 5 % und 12 % liegen. Die Hanfsamen, die die Landwirte aussäen, enthalten jedoch einen THC-Wert von höchstens 0,3 %. Der Wirkstoffgehalt der THC-armen Hanfsorten reicht nicht aus, um eine Rauschwirkung zu erzielen. Die Zunahme der Hanfanbau-Fläche kann sich mittlerweile sehen lassen. Waren es vor zwei Jahren 1423 Hektar (ha) und 1997 schon 2812 ha, so stieg die Zahl in diesem Jahr auf 3575 ha. Vieles spricht für den nachwachsenden Rohstoff Hanf. Er wächst innerhalb von zwei bis drei Monaten so schnell, daß Unkraut kaum eine Chance hat. Herbizide und Pestizide sind nicht erforderlich. Hanf braucht kaum Dünger, und er kann mehrjährig auf derselben Fläche angebaut werden. Außerdem ist der Ertrag doppelt so hoch wie beim Flachsanbau und viermal höher als bei der Baumwolle. Kein anderer nachwachsender Rohstoff bietet so viele Verwendungsmöglichkeiten. Die Palette reicht vom Hanföl als Grundstoff für Heilmittel, Farben, Kosmetika, Reinigungs- und Waschmittel bis hin zum Speiseöl. Aus den Fasern lassen sich Textilien, Seile, Bremsbeläge und Baustoffe wie Dämmplatten herstellen. Und aus den Schäben - die verholzten Stengel -, kann man sogar Pferde- und Katzenstreu gewinnen. Die renommierte Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt attestiert den Cannabisfasern eine höhere Reißfestigkeit als Leinenfasern, sie übertreffen sogar Glasfasern. MICHAEL FRANKEN news:de.soc.umwelt |