In Kioto treffen Umweltgruppen und
Industrielobbyisten aufeinander. Die einen haben die Experten und sind
gut organistert. Die anderen haben Einfluß und Millionen. Beim Klimagipfel
geht es zu wie auf einem Basar. Die Umweltschützer geben eine Kongreßzeitung
heraus, die Bremser wirken lieber im verborgenen. Und während auf
der Konferenz über Treibhausgase gestritten wird, fordert der Wissenschaftliche
Beirat der Bundesregierung weitergehende Schritte
Den Lobbyisten der Tag, dem Klima die Nacht
Hinter Stellwänden befindet
sich der Entspannungsraum, drei mal drei Meter groß und auf dem Boden
eine kleine rote Filzmatte. Doch kaum einer kommt hierher, zu viel steht
auf dem Spiel bei diesem Klimagipfel. Auch die Umsetzung des Einfalls der
japanischen Gastgeber, auf den Toiletten Vogelgezwitscher einzuspielen,
ist für europäische Ohren eher eine zusätzliche Belastung.
In Kioto soll ein einschneidendes Klimaprotokoll eingetütet werden
- endlich. Doch die Unterschiede zwischen den Vorschlägen sind gewaltig.
Wer einem in dem Konferenzzentrum entgegenrauscht, ist kaum auszumachen
in dem Gewimmel aus Sakkos und Seidenblusen. Auch die Umweltschützer
wissen, wie man sich als guter Lobbyist zu kleiden hat. Zum Glück
gibt es Namensschilder: blau für UN-Offizielle, grün für
regierungsunabhängige Organisationen, orange für die Presse,
rosa für die Delegierten.
"Wir sind alle älter geworden", sagt eine US-Umweltjournalistin, die
schon in Rio auf dem Umweltgipfel mit dabei war. "Wir sind zynischer und
nicht mehr so laut", ergänzt die Frau in dem dunkelblauen Kostüm:
"Heute berücksichtigen wir mehr die Ökonomie, sowohl die der
Gegner als auch die der Verfechter eines wirksamen Protokolls."
Und die Umweltschützer machen nicht solche Anfängerfehler wie
die US-Delegation. Die mutete gestern auf der Pressekonferenz den versammelten
Journalisten einen Vortrag eines knuffigen Meteorologen aus Colorado zu.
Eine halbe Stunde lang erklärte der das Einmaleins des Treibhauseffekts,
mit handgemalten Folien, darauf ein kleines schwarzes Männchen, das
vor einer Fabrik steht, aus der viel schwarzer Rauch quillt. Damit versucht
die ewig übellaunig dreinschauende Melinda Kimble, die US-Verhandlungsführerin,
zu unterstreichen, daß die USA sehr wohl um den Treibhauseffekt besorgt
sind und für ein "umweltpolitisch korrektes" Protokoll eintreten.
Eine "Mickymaus-Vorführung" nannte das hinterher ein Reuters-Journalist,
"Schulfernsehen" ein Umweltschützer. Der Saal war genervt, daß
so wenig Zeit blieb für die wirklich drängenden Fragen. Etwa
die, ob es stimmt, daß die USA heute einem Kompromiß bei der
Zahl der im Protokoll begrenzten Treibhausgase zugestimmt haben.
So eine Panne passiert den Umweltgruppen nicht. Sie arbeiten professionell
und sind gut vernetzt. Für jedes Thema findet sich bei den im Climate
Action Network (CAN) weltweit verbundenen Umweltschützern ein Experte,
von Atomenergie in Kanada bis zu Waldschutz in Brasilien. Daneben betreiben
der WWF und Greenpeace die beiden mit Abstand beliebtesten Büros.
Klimaexperte Stefan Singer vom WWF kommt selbst nachts nicht zum Schlafen,
weil Journalisten in Deutschland die Zeitverschiebung übersehen -
oder übersehen wollen.
Abends, wenn die Delegierten sich in ihre Hotels zurückziehen, wird
eine Handvoll Umweltschützer erst richtig aktiv. Um 20.30 Uhr beginnt
im Hotel Hearton die Konferenz des eco, der meist vierseitigen Flugzeitung
der engagierten Klimaschutzlobbyisten aus dem CAN. Was die bis zum nächsten
Morgen produzieren, ist heiß begehrt. "Jeder will eine Kopie", erzählt
eine Delegierte aus Botswana, "manchmal werden die Exemplare knapp." Wie
ein Großteil der Verhandlungsdelegationen schätzt sie den guten
Überblick. "Nicht jeder ist in der vordersten Front der Verhandlungen",
sagt die Afrikanerin, "eco ist gut, um den Verhandlungen zu folgen".
Und um zu verstehen, wo bei vielen Vorschlägen die Fallstricke liegen.
Und so freut sich der inoffizielle eco-Chefredakteur Alister Sieghart,
wenn sich Delegierte amüsieren über Zeilen wie "Kiwis zielen
niedrig". Aufs Korn genommen wurde der schwache Verhandlungsvorschlag Neuseelands.
Auch die Industrielobbyisten fahren dick auf. Allein vom Stahl- und Öllobbyclub
der Global Climate Coalition (GCC) sind 61 Blockierer angereist. Aber bei
den Verhandlungen können sie den Umweltschützern nicht das Wasser
reichen. In der öffentlichen Meinung ist der Erfolg leider nicht immer
so groß, und eine Zahl sagt aus, warum. Allein 13 Millionen US-Dollar
war der GCC ihre Kampagne gegen ein Klimaprotokoll in den USA wert.
In Kioto arbeiten die Bremser lieber im verborgenen. So werden hier Gerüchte
gestreut, die EU hätte ihr Reduktionsziel von 15 Prozent bis 2010
bereits als Kompromißangebot halbiert. Zuerst läuft die Meldung
über das japanische Fernsehen - aber auch kanadische Delegierte verbreiten
massiv dieses Gerücht.
"Das geht hier zu wie auf dem Basar!" schimpft Sascha Müller- Kranner
vom Deutschen Naturschutzring. Damit soll die EU-Delegation unter Druck
gesetzt werden. Die kam bereits reichlich ins Trudeln, als die USA eine
ihrer wenigen jahrelangen Gemeinsamkeiten mit der EU aufgab und am Montag
plötzlich nicht mehr darauf bestand, daß alle Industrieländer
gleich viel reduzieren sollen. Die Europäer waren so durcheinander,
daß sie einen Tag brauchten, um eine Strategiesitzung einzuberufen,
bei der sie in der Nacht auf Mittwoch erst mal ihre Gegenargumente sammelten.
Doch gestern trugen sie scheint's ihren ersten Erfolg davon. Es werden
wohl zunächst nur drei Treibhausgase - Kohlendioxid, Methan und Lachgas
- verhandelt. Die USA halten offenbar nicht mehr an ihrem Plan fest, drei
weitere Gase einzubeziehen. Das ist deshalb ein Erfolg, weil es die USA
bei den verbleibenden Gasen zwingt, ihr Reduktionsziel (plus/minus null
bis 2010) höherzuschrauben und sich stärker den Zielen der EU
anzunähern.
Matthias Urbach, Kioto
TAZ Nr. 5399 vom 04.12.1997 |