11 März 1999
Parlamentskiffer unentschlossen
Politiker von SPD und Grünen wollen das Verbot von Hanfsamen
wieder rückgängig machen. Doch viele haben Angst, sich am Thema
Drogen die Finger zu verbrennen
Von Markus Franz
Bonn (taz) - Als Holger Gensberger am Montag früh gegen neun Uhr
sein Geschäft in Köln- Deutz aufschließen wollte, paßte
der Schlüssel nicht mehr. Auch in seine Privatwohnung gegenüber,
in der er über Nacht nicht gewesen war, kam er nicht herein. Im Türschlitz
steckte ein Zettel, eine Quittung aus seiner Buchhaltung. Darauf stand,
es habe eine polizeiliche Durchsuchung stattgefunden, die Türschlösser
seien ausgetauscht worden, er solle sich beim Rauschgiftdezernat melden.
Holger Gensberger ist, gemeinsam mit Christian Engber, Inhaber
der Hanf-Galerie in Köln, einem sogenannten Grow-Shop. Gensberger
vermutet: "Man will uns verängstigen. Die Hanfszene soll kaputt gemacht
werden."
Seit Februar 1998, seitdem das Betäubungsmittelgesetz novelliert und
damit der Verkauf von Hanfsamen, die zum "unerlaubten Anbau" von Cannabis
bestimmt sind, verboten wurde, hat die Hanf- Branche nichts mehr zu lachen.
Bis dahin setzte die Branche rund fünf Millionen Mark jährlich
mit Hanfsamen um, der für Müsli, zum Backen von Brot, als Vogelfutter
sowie zum illegalen Anbau von Hanf benutzt wurde. Der Samen selbst hat
keinerlei berauschende Wirkung.
Der Umsatz der Grow-Shops ist durch das Verbot des Samenverkaufs etwa um
30 bis 40 Prozent zurückgegangen. Großhändler sind noch
schlimmer betroffen. Auch Zeitschriftenverlage aus der Szene bangen um
ihre Existenz, weil ihnen Einnahmen aus dem Werbebereich fehlen. Zudem
ist die Branche von Bremen bis Freiburg vor Hausdurchsuchungen, die als
besonders ruppig beschrieben werden, nicht mehr sicher.
Der SPD-Abgeordnete Hubertus Heil kritisiert die Aktionen, die zum Teil
von Sondereinsatzkommandos durchgeführt worden seien, als "mehr als
unverhältnismäßig". Es sei "aberwitzig", daß sich
der Rechtsstaat mit der geballten Staatsmacht auf einen kleinen harmlosen
Industriezweig stürze, der auf diese Weise "ins Nichts" falle. Die
SPD-Innenpolitik-Expertin Ute Vogt bezeichnet Aufwand und Bürokratie
wegen einer "unter dem Strich ungefährlichen Substanz" wie Cannabis
als "unsinnig". Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Gudrun Schaich-Walch,
hält das Verbot von Hanfsamen für eine Vorverlagerung von Strafbarkeit,
die dem Strafrecht wesensfremd sei. Schließlich enthalte der Hanfsamen
selbst keine psychoaktiven Wirkstoffe.
Die Grünen sind geschlossen für eine Legalisierung von Cannabis
und insofern erst recht gegen ein Verbot von Hanfsamen.
Auslöser für die Hausdurchsuchungen war das Auftreten einer sogenannten
"drogenpolitischen Guerilla". Die anonymen Aktivisten hatten im Februar
letzten Jahres angekündigt, pünktlich zum Inkrafttreten der neuen
Betäubungsmittelnovelle eine Tonne Hanfsamen (rund 40 Millionen Stück)
kostenlos an Interessenten in der gesamten Bundesrepublik zu versenden.
Diese sollten die Samenkörner überall verstreuen, um auf diese
Weise die "Hanf-Selbstlegalisierung" zu fördern. Sämtliche Abgeordnete
des Deutschen Bundestages wurden ebenfalls mit einem Tütchen besonders
hochwertigen Hanfsamens bedacht.
Wenig später ging bei der Staatsanwaltschaft Bonn eine Anzeige ein,
alle Abgeordneten hätten gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen.
Sie seien im Besitz von Hanfsamen. Das Gelächter in der Hanfszene
war groß. Doch nun besteht die Befürchtung: "Das Imperium schlägt
zurück."
Die Staatsanwaltschaft Aachen wurde aktiv, als sich der Betreiber des Hanfartikel-Vertriebs
"Catweazel", Michael W., per Internet und im Fernsehen als Initiator der
drogenpolitischen Guerilla outete. Sie erhob Anklage gegen ihn, die Hausdurchsuchungen
bei Grow- Shops, die mit Catweazel in Geschäftsbeziehungen stehen,
kamen ins Rollen.
Begründet werden die Durchsuchungen wie folgt: "Es bestehen hinreichende
Anhaltspunkte dafür, daß die Beschuldigten sich eines Verstoßes
gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig gemacht haben, indem sie
bei der Firma Catweazel Waren bestellten, mit denen man Betäubungsmittel
produzieren kann." Mit "Waren" sind auch Lampen und Dünger gemeint,
wie sie in jedem Pflanzenmarkt gekauft werden können. "Mit dieser
Begründung", sagt Holger Gensberger, "könnte jedes Lampengeschäft
durchsucht werden."
Ob und wann es zu einer Rücknahme des Hanfsamen-Verbotes kommt, das
die alte Regierung mit Unterstützung der SPD verabschiedet hatte,
ist noch ungewiß. Ute Vogt meint, daß es im Gesundheitsausschuß
sogar eine Mehrheit für die Legalisierung von Cannabis und insofern
erst recht für die Rücknahme des Hanfverbots gebe. Insofern könne
sie sich vorstellen, daß sich was bewegt.
Viele Abgeordnete haben aber Angst, sich mit dem Thema Drogen die Finger
zu verbrennen. Selbst ein namhafter Grüner wollte sich nicht dazu
äußern, weil er Innenminister Otto Schily nicht ins Messer laufen
wolle. Schily hatte es bei den Koalitionsverhandlungen abgelehnt, über
das Thema Cannabis zu verhandeln. Aktuell heißt es aus dem Innenministerium:
"Wir sind zur Zeit mit anderen Themen beschäftigt."
taz Nr. 5783 vom 11.3.1999 Seite 7 Inland 164 Zeilen
TAZ-Bericht Markus Franz
http://www.taz.de/
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