Die
68er |
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Rebellion der Nackedeis Von Reinhard
Linder Eines ist klar. Wenn von Revolution und Sex in einem Atemzug geredet wird, dann sind die 68er gemeint. Noch immer hängt ihnen etwas Verruchtes, Rebellisches an, obwohl sie längst Unternehmer oder Beamte auf Lebenszeit sind, mit dem Ehering am Finger, Kindern auf der Uni und dem Zweitwagen vor der Tür. Das hatten sie sich vor 30 Jahren anders vorgestellt: Persönliches Eigentum galt als Verbrechen an der Gesellschaft, die spießige Ehe sollte der eifersuchtslosen freien Liebe weichen, der demokratische Staat in eine Räterepublik verwandelt werden. Dafür gingen sie auf die Straße, klopften sich mit den Ordnungshütern, schockierten als Nackedeis ihre Eltern und Großeltern. Der nackte Hintern wurde zum Symbol des Wiederstands: Richter bekamen ihn zu sehen, Polizisten und Professoren sowieso. Selbst die Grenzschützer der DDR starrten plötzlich auf eine Reihe entblößter Ärsche. Ein Bild ging um die Welt: Frauen, Männer und Kinder der "Kommune1" bei einer Hausdurchsuchung von der Polizei nackt an die Wand gestellt. Skandal! Natürlich war das Foto eine Idee der Kommunarden um Fritz Teufel, Rainer Langhans und Dieter Kunzelmann. Sie machten die Kommune 1, die Urzelle der Wohngemeinschaft, zum Mythos. Weltruhm erlangten sie bereits 1967, als sich der amerikanische Vizepräsident Hubert Humphrey zu einem Staatsbesuch in Berlin ansagte. Die Kommunarden planten ein Pudding-Attentat auf ihn. Das Vorhaben flog auf, wurde von der Bild-Zeitung zum Bombenanschlag aufgepusht, die Verschwörer festgenommen. Blamiert war die staatliche Obrigkeit, als sich bald herausstellte, daß der Sprengstoff tatsächlich nur aus Quark und Pudding bestand. Viel makabrer war
eine Inszenierung wenige Wochen danach. Bei einem Kaufhausbrand in Brüssel
kamen 300 Menschen ums Leben. Die Kommunarden verteilten Flugblätter
mit Sätzen wie: "Neue Demonstrationsformen in Brüssel
erstmals erprobt" oder "Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?",
damit auch die Deutschen das "knisternde Vietnamgefühl"
erleben könnten. Die Kommune 1 war das Vorbild für viele andere Wohngemeinschaften, in denen alternatives Zusammenleben erprobt wurde. In ihnen fand die sexuelle Revolution statt, neue pädagogische Formen wurden entwickelt. Kinderläden versuchten sich in antiautoritärer Erziehung, Kinder sollten nicht länger durch Hiebe diszipliniert werden. In den Wohngemeinschaften galt das Gebot der Gleichberechtigung: Auch Männer mußten die Kloschüssel schrubben und Windeln waschen, während die Frauen in den Hörsälen über Marx und Mao diskutierten. Die Kommunen sollten zur Keimzelle einer neuen Gesellschaft werden, in der es gewaltfrei, gleichberechtigt und selbstbestimmt zugeht. Die Vision der Räterepublik schwirrte durch die Köpfe. Das theoretische Grundgerüst lieferte Herbert Marcuse, der die Lehren von Karl Marx und Siegmund Freud zusammenführte. In einfachen Worten: Nur der seine Sexualität auslebende Mensch wird zum mündigen Bürger, und genau dies versucht der Obrigkeitsstaat im Dienste des Kapitals zu verhindern. In diesem Sinne war alles revolutionär, was "anders" war: Minirock, lange Haare, Rockmusik. Diese äußerlichen Zeichen der Rebellion nahm die deutsche Jugend begeistert an. Selbst im kleinsten Dorf tauchten "Gammler" auf, spielte die Jugendmusikkapelle Beatles-Songs, bräunten sich im Freibad Mädchen mit entblößter Brust. Während die politische Revolution in Vergessenheit geriet, feierte die Subkultur ihren Triumph: Sie wurde zur Kultur des Bürgertums.
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Das Fotomodell Uschi Obermaier avancierte zur APO-Queen. Eine Generation ergab sich dem kollektiven Rausch. Für die 68er war der Joint, was für die Arbeiter das Feierabendbier war: Entspannung vom Streß des Tages. |
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