Die
68er |
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Die Welt schrumpft zum Dorf Von Reinhard Linder Das Jahr 1968 ging auch nicht länger als ein anderes Schaltjahr. Trotzdem gab es einer ganzen Generation seinen Namen. 1968 ist ein Zeitraum, der sich vom Anfang der 60er bis in die Mitte der 70er erstreckt. Es wäre falsch anzunehmen, die 68er Bewegung habe es nur in Deutschland und in Frankreich gegeben. Es gab sie in verschiedenen Ausprägungen in der gesamten westlichen Hemisphäre und sie drückte sogar durch den Eisernen Vorhang nach Osten. Überall wurden die Autoritäten in Frage gestellt und Utopien von einer besseren Zukunft gesponnen. Erstmals rückte der Vietnam-Krieg die Dritte Welt in das Bewußtsein der Ersten Welt. Die Ereignisse stießen sich gegenseitig an. Was in den USA geschah konnte in Frankreich zu Protesten führen, als die Chinesen die Kulturrevolution ausriefen, machten sich die Deutschen deren Symbole und radikalen Parolen zu eigen. Ein Merkmal der 68er Bewegung war die internationale Ausrichtung ihres Protests. Was in den hintersten Winkeln der Erde geschah, ging alle an. Schließlich gab es nur diese eine Welt, die auf Dorfgröße schrumpfte, als der erste Mensch den Mond betrat. Die revolutionären Romantiker in den europäischen Großstädten beobachteten die Schritte Che Guevaras im bolivianischen Urwald. Zu ihrem Helden wurde er schon bevor er 1967 seinen Häschern in die Hände fiel. Che Guevara war der Inbegriff von Abenteuer und Freiheit - und er sah verdammt gut aus, fanden zumindest die Mädchen. Viele der Aktionsformen, etwa Sit-ins, importierten die deutschen Revoluzzer direkt aus den USA. Gegen den Vietnamkrieg zogen junge Amerikaner friedlich zu Felde. "Make love, not war", lautete ihre Botschaft, die sie mit nackter Haut und dröhnender Rockmusik unterstrichen. Der Hippie war geboren, der sich dem Leistungszwang der Gesellschaft entzog und in die unwirkliche Welt des LSD-Rausches flüchtete. In Woodstock setzte sich diese Flower-Power-Bewegung ein Denkmal. Aber da war auch noch etwas anderes als die Aufmüpigkeit verwöhnter Bürgersöhnchen. Die unterprivilegierten Schwarzen wehrten sich. Mit friedlichen Mitteln kämpften sie um Gleichberechtigung, Martin Luther King setzte sich an die Spitze dieser Bewegung. Als er im April 1968 ermordet wurde, brach ein Aufstand los, der 46 Menschen das Leben kostete. Die Gewalt auf der Straße schwappte von den Slums in die Villenviertel der Weißen. Per TV wohlgemerkt. Überhaupt darf die Rolle des Fernsehens nicht unterschätzt werden. Es lieferte Bilder vom mörderischen Kampf im vietnamesischen Dschungel, zeigte die Särge gefallener GI's. Die Nation war schockiert. Ähnlich war es in Deutschland: Die schwarz-weiß-Bilder in der Tagesschau von "Ho-Ho-Ho-Chi-Minh"-skandierenden Demonstranten, die Plakate mit den Konterfeis von Mao Zedong, Marx, Lenin und Che Guevara in die Höhe reckten, die Bilder von brennenden Autos, steinewerfenden Studenten und prügelnden Polizisten entzweiten die Bevölkerung. Die einen solidarisierten sich, die anderen glaubten das Ende aller Tage sei gekommen. In Deutschland gesellte sich zur internationalen noch eine nationale Komponente dazu: Sie hieß Vergangenheitsbewältigung. Kinder befragten ihre Eltern nach ihrem Verhalten während der Nazizeit. Mit der Antwort "Wir haben nichts gewußt" gaben sie sich nicht zufrieden. Überall in staatlichen Funktionen entdeckten die Jugendlichen ehemalige NSDAP-Mitglieder. Und dann wurde einer von ihnen, Kurt-Georg Kiesinger, auch noch Bundeskanzler - just in dem Moment, als die NPD in die Landtage einzog. Viele junge Leute wähnten die Bundesrepublik auf dem Weg in einen aggressiven und totalitären Staat. Die Wiederbewaffnung war bereits in den 50er Jahren auf Widerstand gestoßen, der sich in der Ostermarschbewegung Luft verschaffte. Und nun plante die CDU auch noch ein Notstandsgesetz, das die im Grundgesetz garantierten Freiheiten beschnitt und das Volk aller legalen Mittel gegen ein - mögliches - verbrecherisches Regime beraubte. In diesem Spannungsfeld gab es die ersten Demonstrationen: Sie richteten sich gegen die Notstandsgesetze, gegen den Vietnamkrieg, gegen die altmodische Bildungspoltik, gegen alles, was als faschistisch betrachtet wurde. Darunter fiel auch der Schah von Persien, der in seinem Land keine Meinungsfreiheit duldete. Als er 1967 zu Besuch nach Berlin kam, geschah das Unfaßbare: Die Demonstranten wollten sich nach ihrer Kundgebung gerade zerstreuen, als plötzlich Polizisten die Jagd auf sie eröffneten.Dabei wurde der Student Benno Ohnesorg durch einen Kopfschuß getötet. Der Tod Ohnesorgs markierte eine Wende in der Auseinandersetzung zwischen Staat und Demonstranten. Beide eskalierten die Gewalt. Für das Attentat auf Rudi Dutschke machten die Studenten die Springer-Presse verantwortlich. In vielen Städten belagerten sie Druckhäuser, um die Auslieferung von Springer-Zeitungen zu verhindern. Es kam zu Schlachten mit der Polizei. Auf der Strecke blieben zwei Tote und mehr als 400 Verletzte. Ende der 60er Jahre lief sich die APO tot. Die Studenten kehrten zurück an die Uni, um sich das Rüstzeug für den von Rudi Dutschke vorgegebenen "Marsch durch die Institutionen" zu verschaffen. Der Studentenführer hatte nämlich schon frühzeitig erkannt, daß der Funke der Rebellion nicht auf die Arbeiter und Handwerker überspringen würde. Die Revolution war zu Ende, bevor sie eigentlich angefangen hatte. Aber wenn es gelinge, so die These, Schlüsselpositionen im Staat und in der Gesellschaft zu erobern, könne der Staat von innen heraus reformiert werden. Viele Aktivisten schlugen diesen Weg ein und ihre radikalen Ideen aus dem Kopf. Aber es gab auch einige wenige andere, die den schnellen revolutionären Erfolg suchten. Mit der Waffe in der Hand. Das Ende der APO war die Geburtsstunde der RAF. |