Die 68er

 

Schröder zieht den Jusos ihren Stachel

Von Reinhard Linder

In Gewissensnöte brachten die 68er die SPD. Für die Christdemokraten war die Haltung klar: Die demonstrierenden Studenten waren der Feind. Ganz anders war es innerhalb der SPD, die gerade während der heißen Phase eine Ehe mit der CDU unter den aus Ebingen stammenden Kurt-Georg Kiesinger eingegangen war und ab 1968 in der sozialliberalen Koalition sogar mit Willy Brandt den Kanzler stellte. Nach außen hin vertraten die SPD-Gewaltigen eine harte Linie gegen die Demonstranten, befahlen den Einsatz von Wasserwerfern und massivem Polizeiaufgebot. Aber vielen blutete das Herz. Schließlich war die APO Fleisch vom Fleisch der SPD.

Als sich die Sozialdemokraten mit dem Godesberger Programm 1959 endgültig vom Marxismus verabschiedet hatten, wollte der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) nicht mitziehen. Zwei Jahre später löste die SPD jede Verbindung zu ihrer früheren Unterorganisation, die dann zum Sprachrohr der APO wurde.
Die Auflösung des SDS im Jahr 1970 war keinesfalls das Ende der politischen Diskusssion. Während sich einige Aktivisten in Esoterik flüchteten, bei sektiererischen kommunistischen Grüppchen unterschlüpften oder resigniert ein bürgerliches Leben einschlugen, suchten andere bei den Jusos ein neues Betätigungsfeld. Dort setzten sie ihren Streit über den richtigen Weg zum demokratischen Sozialismus fort - bis Gerhard Schröder kam und die Diskussion beendete.

Unerbittlich standen sich zwischen 1970 und 1979 drei Strömungen gegenüber: die Systemüberwinder, die Stamokap und die Antirevisionisten. Letztere sahen den Staat als nicht reformierbar an, also mußte er verschwinden, um eine neue klassenlose Gesellschaft aufbauen zu können. Diese Auffassung vertrat zu Anfang auch Gerhard Schröder.

Die Stamokap stellten über Jahre hinweg die Juso-Mehrheit. Sie vertraten die These vom Staatsmonopolkapitalismus. Demnach schütze der Staat nicht mehr das kapitalistische System an sich, sondern diene ausschließlich den Monopolen. Diese müßten als erstes enteignet werden auf dem Weg zur Verstaatlichung aller Produktionsmittel. Erst dann könne es dem Staat gelingen, eine sozialistische Gesellschaft zu formen.

Die Systemüberwinder um Rudolf Scharping betrachteten den Staat im Grunde genommen als Schiedsrichter zwischen den Interessengruppen, der momentan - leider, leider -von den Kapitalisten in Beschlag genommen sei. Diese Auffassung machte sich Gerhard Schröder zu eigen und legte eine interessante Analyse des Zusammenhangs von Wirtschaft und Regierungsmacht vor: Demnach danken es die Unternehmer dem Staat mit Investitionen und der Schaffung von Arbeitsplätzen, wenn er Rahmenbedingungen in ihrem Sinne schafft. Und weil das Volk Brot und Arbeit will, bestätigt es bei den Wahlen diese Politik. Machtverlust droht hingegen, wenn der Staat Maßnahmen ergreift oder ankündigt, die die Unternehmer vergrätzen: Sie reagieren mit Investitionsstopp und streichen Arbeitsplätze. Die Folgen: Die Bevölkerung sieht ihre materiellen Grundlagen gefährdet und entzieht bei den Wahlen der Regierung das Vertrauen.

Um dennoch den demokratischen Sozialismus zu verwirklichen hat Schröder zu Juso-Zeiten noch die Doppelstrategie propagiert: Innerhalb und außerhalb des Parlaments müsse für Reformen gekämpft werden. Alle neuen Gesetze müßten in diese Richtung weisen, die Bevölkerung müsse über ihre Organisationen, beispielsweise Gewerkschaften oder Bürgerinitiativen Druck in diese Richtung ausüben.

Auf seinem Marsch ins Kanzleramt hat Schröder sowohl seinen Traum vom demokratischen Sozialismus verloren, als auch die Doppelstrategie aufgegeben. Was geblieben ist, ist seine Analyse der kapitalistisch-demokratischen Gesellschaft - und sein Wille zur Macht.