Justizposse im Bergischen Land
Jeht der seleber hin un zeischt sisch an...
Er arbeitet ausgerechnet
im Finanzamt, leistet gerade seinen Zivildienst ab und ist Kreisvorsitzender
der Remscheider Grünen. Demnächst wird er Ratsherr sein. Sein
eigentliches Interessengebiet ist die Umweltpolitik, bloß: Dazu kommt
er in letzter Zeit kaum noch, denn: Georg Wurth hat sich selbst wegen des
Besitzes von Marihuana angezeigt.
Daß das Gras von minderwertiger
Qualität und am Ende weniger war, als er glaubte, ändert nichts
an der Tatsache, daß er - nach einigem Hin und Her - nun verurteilt
wurde.
Der Richter hat es sich leicht gemacht: Zwar war er offensichtlich wenig
geneigt, dem Angeklagten Bosheit oder kriminelle Energie zu unterstellen,
aber er hat sich in seinem Urteil auf Formalia beschränkt und keine
Stellung bezogen. Wirklich verantwortungsvoll hat in dieser Sache nur einer
gehandelt: Der Angeklagte.
Georg
Wurth: Geständnis eines Verbrechers
„Sehr geehrte
Damen und Herren, ich möchte Ihnen mitteilen, daß sich in meiner
Wohnung ungefähr vier Gramm Marihuana befinden.“ So begann der Brief,
den ich offiziel als Sprecher der grünen Partei in Remscheid am 17.
März ‘96 beim Polizeipräsidium eingeworfen habe. Damit verbunden
habe ich Kritik an der derzeitigen Kriminalisierung von Drogengebrauch
und die drogenpolitischen Forderungen der Grünen.
In der darauf folgenden Woche geht die Angelegenheit kreuz und quer durch
die Medien: Montags kommunale Presse und Radio, mittwochs BILD-Zeitung,
freitags WDR-Fernsehen. Dienstags unterhält sich eine anonyme ältere
Dame mit meinem Anrufbeantworter. Sie meint, Vollidioten wie mich solle
man erschlagen. Ein paar Tage später spricht mich ein altgedienter
Strafrichter in der Post an. Er hält nichts von mir und meiner Aktion:
„Damit können Sie bei Jugendlichen keinen Blumentopf gewinnen.“ Ich
denke an die vielen Jugendlichen, die mir spontan zur Selbstanzeige gratuliert
haben und frage mich, was ich mit einem Blumentopf soll. Als ich anfange,
Argumente vorzubringen, hat er es plötzlich eilig.
Freitag, 22. März, 9.00 Uhr morgens:
Nachmeinem Nachtdienst bin ich im Tiefschlaf, als es klingelt. Ich hatte
die Polizei in meiner Selbstanzeige gebeten, einen Termin auszumachen.
Naja, das ist wohl bei Rauschgitft-Sicherstellungen nicht üblich.
Aber die drei Herren sind sehr freundlich. Ihr Einsatz scheint ihnen fast
peinlich zu sein. In meinem Fal halten sie es nicht für nötig,
einen Hund mitzubringen. Dafür ist der Polizei-Pressesprecher dabei.
Mit genau 3,28 Gramm Gras gehen sie dann wieder.
Nachmitags bin ich dann für eine Stunde zum freiwiligen Verhör
auf der Polizeiwache. Die Pistole des Beamten gilt nicht mir, sie gehört
zur Dienstkleidung. Nun bin ich also kriminell. Komisches Gefühl.
Ob jetzt mein Telefon abgehört wird? Ob die Polizei nochmal
zu einem Überraschungsbesuch vorbeikomt?
Zwölf Wochen lang zerbricht sich die Staatsanwaltschaft Wupertal den
Kopf über mein Verbrechen. „In Ihrem Fall ist das ja alles etwas komplizierter,
da müssen wir sorgfältig drüber nachdenken.“
Ergebnis Ende Juni: Den Herrn Wurth müssen wir jetzt mal anklagen,
der ist besonders gefährlich. „Der Angeschuldigte hat damit mindestens
auf Jugendliche und Kinder, die den Unwert des Geschehens nicht einschätzen
können, eingewirkt. [...] Die Strafverfolgung ist somit gegenwärtiges
Anliegen der Gemeinschaft geworden.“
Ende August lehnt das Amtsgericht Remscheid es ab, sich mit so einem Unfug
zu befassen. Ich bin sehr erfreut. Das Verfahren ist mir schon lange auf
den Keks gegangen. Endlich darf ich wieder Politik machen, ohne von den
Kolegen der anderen Parteien schief angeguckt zu werden, die CDU hat schon
Munition für den nächsten Wahlkampf gewittert.
Aber halt!
Justitia ist noch nicht mit mir fertig.
Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wupertal entscheidet das dortige
Landgericht, daß das Amtsgericht Remscheid doch verhandeln muß.
Wieder rollt der Fall bundesweit durch die Medien, alle deutschen Tageszeitungen
sind dabei. Langsam macht mir die Sache wieder Spaß. Ich erfahre
viel Unterstützung von Initiativen, Vereinen, Verbänden und natürlich
von den Grünen.
Die rührende Hartnäckigkeit der Staatsanwälte macht die
Sache zu einer unterhaltsamen Justizposse.
Am 20. November findet der Prozeß statt, der Staatsanwalt hat in
der 90minütigen Verhandlung einen schweren Stand. Richter und Publikum
sind deutlich auf meiner Seite. Der Staatsanwalt überspannt ständig
den Bogen. Zu einer Broschüre, die wir vor Schulen verteilt haben,
sagt er: „Gut, sie warnen hier auch vor möglichen Schwierigkeiten.
Aber hier...“ - seine Stimme wird laut und bedrohlich - „schreiben Sie:
‘Es gibt auch die Möglichkeit, mit Haschisch genußvoll umzuggehen’.“
Große Fragezeichen bei allen Gesichtern im vollbesetzten Raum. JA,
UND?
Am Ende der spanenden Verhandlung glaubt der Richter, er könne von
Strafe nicht absehen, weil es ja nunmal nicht um eine kleine Menge zum
Eigenverbrauch ging, sondern zur Übergabe an die Polizei. Naja, die
Logik soll einer verstehen.
600,- Mark auf 2 Jahre Bewährung.
Wie geht’s weiter? Bis zum völligen Freispruch vor dem Bundesverfassungsgericht?
Mal sehen...
Mit der Selbstanzeige waren einige Risiken verbunden (Vorstrafe,
Führerscheinentzug) und viel Arbeit.
Warum ich es trotzdem gemacht habe?
Erstmal war die Selbstanzeige politisch äußerst wirkungsvoll.
Sie hat die drogenpolitische Diskussion spürbar belebt. Ich persönlich
hate keine Lust, mich zu verstecken, bloß, weil ich ein paar Hanf-Fissel
besitze.
Ich bin ein ziemlich moralisch lebender Mensch. Als Kind habe ich nicht
mal die „Mutprobe“ Ladendiebstahl mitgemacht. Und jetzt ein Krimineller?
Wegen ein bißchen Hanf?
Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen.
Georg Wuth
Chronolgie
der Ereignisse
Februar
Grüne Jugend Remscheid (GJR)
verteilt Flugblätter vor Schulen
Sonntag, 17. März
Abgabe der Selbstanzeige bei der Polizei in Remscheid
Freitag, 22. März
Sicherstellung von 3,28 Gremm (ofizielle
Messung) durch die Polizei
25. - 29. März
Anrufe verschiedener Polizisten zur Drogenkampagne
18. April
Smoke-In der GJR in der Innenstadt
2. Mai
Podiumsdiskussion u.a. mit Kerstin Müller (Bundessprecherin
der Grünen) und Jürgen Heimchen (Elternkreis
für akzeptierende Drogenpolitik)
Anfang Juni
Telefonische Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal;
ohne Ergebnis
24. Juni
Anklage vor dem Amtsgericht Remscheid
Ende August
Eröffnung des Verfahrens durch das AG Remscheid abgelehnt
3. September
Staatsanwaltschaft legt Beschwerde vor dem Landgericht Wuppertal
ein
Mitte September
Georg Wurth nimmt umfangreich Stellung zu den Vorwürfen
Ende September
LG Wuppertal zwingt AG Remscheid zur Verfahrensaufnahme
20. November
Georg Wurth wird zur Zahlung von DM 600,- auf Bewährung verurteilt
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Niemand
muß Cannabis konsumieren, um Argumenten zugänglich zu sein.
Manchen hilft es dabei, für manche ist es nicht gut, manche wollen
es als Genußmittel, manche brauchen es als Medizin und niemand sollte
dafür bestraft werden. Um Gesetze zu ändern, brauchen wir eine
öffentliche Auseinandersetzung. Also stehen wir dazu.
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