Nicht wichtig genug
Einstimmig haben sie
beschlossen. Das klingt gut. Keine Meinungsverschiedenheiten, kein Gezerre.
Ein sauberes Gericht wurde gehalten. Und ein Beschluß erging. Der
Beschluß verfügt, daß ein Verfahren gar nicht erst eröffnet
wird. Der Sieg der Vernunft?
Leider nicht.
Was
sich anhört wie das, was Georg Wurth sich erhofft hatte, ist das genaue
Gegenteil, und zwar in ungewöhnlich harscher Form: Seine Verfassungsbeschwerde
richtete sich gegen eine Verurteilung wegen einer „geringen Menge“ und
wurde nicht bloß abgelehnt, sondern nicht einmal zur Entscheidung
angenommen. Im Klartext: Die Roten Roben wollten nicht schon wieder offiziell
darüber befinden, wie es sich mit der Rechtfertigung des Cannabis-Verbots
verhält; das hatten sie doch zwischen 1992 und 1994 erst getan, mit
dem zweifelhaftem Erfolg, daß sich das dicke Dokument zusammenfassen
läßt: „Milchtrinken? Na gut, aber Kühe? Nix da!“
Ja, Kruzifix, was hat sich inzwischen denn auch geändert? Ach ja,
da war noch der gequälte Jesus, der den Karlsruhern Ärger mit
den Bayern beschert hat. Auch hier wurde ein Gericht zum Ersatz für
politisches Rückgrat benutzt.
Ob Jesus denn nun auch zu denen gehört hat, die gekifft haben, obwohl
es heute keiner mehr wahrhaben will, wissen wir nicht. Die Realität
um den Hanf hat sich in der Grauzone zwischen Alltäglichkeit und offizieller
Ächtung festgebissen. Was sich nicht verändert hat, ist die Tatsache,
daß Haschisch und Marihuana immer noch zu den harmlosesten Genußmitteln
in unserer Gesellschaft gehört. Drogentote werden nur gezählt,
wenn es sich um illegale Drogen handelt und Kiffer sind da sowieso nicht
bei. Alles beim Alten?
Nein. Nach dem „Cannabis-Beschluß“ von 1994 hat sich viel bewegt
und Hanf wächst schnell. Das ist schließlich eine seiner wichtigsten
Eigenschaften. Immer mehr Menschen finden den Mut, zu widersprechen: Lehrer,
Eltern, Ärzte. Vielen ist es noch nicht wichtig genug. Wie dem BverfG,
denn auf dem Ablehnungsbescheid steht oben links: „Bundesverfassungsgericht“,
darunter „- 2 BvR 910/97 –„ und rechts daneben ein Stempel.
Eine schallende Ohrfeige: Wurth hatte sich selbst angezeigt und nach der
Argumentation seines Richters bei der Verurteilung in Remscheid ist er
deswegen schuldig, weil er das Gras nicht geraucht, sondern es der Polizei
gegeben hat. Deswegen habe es sich nicht um Eigenbedarf im Sinne des Verfassungsgerichtsbeschluß
gehandelt.
Klare Aussage: „Wer nicht still vor sich hinkifft, sondern laut wird, bekommt
eins drauf.“
Und das ist nicht wichtig genug, um in die Entscheidungssammlung der Hohen
Damen und Herren in Karlsruhe einzugehen?
Das könnte bedeuten, daß die Karlsruher RichterInnen demnächst
genauso sang- und klanglos vor dem Widersinn kapitulieren, wie es der Surpreme
Court im fernen Washington auch gerade getan hat: Weil das Cannabis-Verbot
angeblich der Volksgesundheit nützt (es darf
gekichert werden), darf ein Krebskranker weiterhin
nicht straflos kiffen. Ob sie nicht wenigstens die Kranken in Ruhe lassen
können?
Die freien Räume werden enger und die Zeche zahlen die Schwächsten.
Dabei könnte der Hanf eine Menge leisten, wenn er nur dürfte.
Von der Aktie bis zur Messe, vom Internet bis in die Universitäten
– soviel hat es noch nie gegeben, was „hanfig“ ist und seinen Platz in
dieser Gesellschaft gefunden hat. Langsam nimmt die „Bewegung“ Formen an,
die noch vor zwei Jahren von Hans-Georg Behr zurecht als ein „diverses
Zappeln“ bezeichnet wurde. Er gehört zu den Menschen, die seit Jahrzehnten
dem Widersinn die Stirn bieten. Von der Oktober-Ausgabe an schreibt er
für uns.
In Karlsruhe schreiben andere und es scheint, als ob dort niemand mehr
Lust hat, sich ernsthaft mit dem Hanf auseinanderzusetzen. Die Cannabis-Bundeskonferenz
im Oktober findet ebendort statt – vielleicht eine Gelegenheit zur Fortbildung?
-JJ-
Der
komplette Fall von Georg Wurth
zusammengestellt
von Hanf! -JJ-
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