Politik und Recht
"Richter Unbequem" in Zivilkammer versetzt

Lübeck: Strafaktion wegen liberaler Drogenurteile?

 
Lübeck - Rechtsanwälte und Strafrechtsprofessoren aus ganz Deutschland laufen Sturm gegen eine Personalentscheidung beim Lübecker Landgericht. Der Vorsitzende Richter Hartmut Schneider, der bundesweit mit zwei Drogenurteilen für Aufsehen gesorgt hatte, ist vom Gerichtspräsidium gegen seinen Willen von einer Straf- zu einer Zivilkammer versetzt worden. "Rechtsstaatlich unerträglich" nannte der Bremer Strafrechtsprofessor Lorenz Böllinger in einem jetzt bekanntgewordenen Protestschreiben den "Verdacht, daß hier ein unbequemer Strafrichter quasi strafversetzt und mundtot gemacht" werden solle.

Ein Sprecher des Landgerichts bestätigte, daß das Präsidium des Landgerichts die Geschäftsverteilung entsprechend geändert habe. Rückendeckung bekommt Schneider, der Richter "Unbequem", von Lübecker Anwälten. "Wir haben den Verdacht, daß ein außergewöhnlicher Strafrichter, der insbesondere im Bereich der Drogendelinquenz ebenso außergewöhnliche wie ausführlich begründete Urteile gefertigt hat, dieser Möglichkeit beraubt werden soll", heißt es in einem Brief von insgesamt 16 Strafverteidigern an den Präsidenten des Lübecker Landgerichts, Hans-Ernst Böttcher.

Auch Böllinger und sechs andere Strafrechtsprofessoren verschiedener Universitäten hegen diesen Verdacht, den sie in einem weiteren Brief an Böttcher ausführlich begründeten. Durch die Versetzung des Richters solle die "sachgerechte Kritik an der konservativen und restriktiven Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu Cannabis-Delikten unterbunden werden", heißt es dort.

Schneider hatte 1994 in einem Urteil vier Kilogramm Haschisch als "geringe Menge" eingestuft und eine entsprechend milde Strafe für deren Besitz verhängt. 1996 verurteilte er einen Drogenkurier, der elf Kilo Haschisch eingeführt hatte, zu nur eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe. Das Gesetz sieht in einem solchen Fall dagegen einen Strafrahmen zwischen zwei und 15 Jahren vor. Der Richter war bei dem Kurier von einem minderschweren Fall ausgegangen, weil es sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht um organisierte Kriminalität gehandelt habe und ein Sachverständiger die geringe Gefährlichkeit von Cannabis bestätigt habe.

Beide Urteile waren vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden. Jetzt stand Schneider kurz vor der Vorlage von drei Haschisch-Verfahren zum Bundesverfassungsgericht, um in einem Normenkontrollverfahren Klarheit über die Senkung des Strafrahmens bei Besitz und Einfuhr von Cannabisprodukten schaffen zu lassen.

Schneider und auch sein Lübecker Richterkollege Wolfgang Neskovic unterschieden sich "in ihrer kritischen Haltung maßgeblich vom Durchschnitt und auch von dem, was die Lübecker Staatsanwaltschaft bevorzuge", erklärte Böllinger. Auch der ebenfalls durch Haschisch-Urteile bekanntgewordene Neskovic war 1992 zu einer Zivilkammer versetzt worden.

©DIE WELT, 5.1.1998

Richterkrieg

Zurück! 
s/miscs/fuszeile_transparent.gif" height=59 width=454>
ml>