Datum: Fri, 10 Jul 1998 17:59:29 GMT
Aus der Badischen Zeitung vom 07.07.98:
Grüne zum Drogenscreening
"Stadt geht zu rigide vor"
Das Drogenscreening, wie es die Stadt Freiburg praktiziert, gehört abgeschafft. Dies fordern Lioba Grammelspacher und Dieter Salomon, beide Stadträte der Bündnisgrünen. Wer in Freiburg mit Haschisch oder Marihuana in der Tasche ertappt wird und eine entsprechende Untersuchung auf regelmäßigen Drogenkonsum ablehnt, riskiert bislang, daß ihm der Führerschein entzogen wird. Dies gilt auch, wenn der Betroffene im Rauschzustand gar nicht mit einem motorisierten Gefährt unterwegs war. Lioba Grammelspacher begründet ihre Kritik mit einem Hinweis auf die jüngst nachgereichte Vorlage der Verwaltung. Aus dieser gehe hervor, daß andere Städte in Baden-Württemberg weniger streng vorgingen. Beispielsweise zähle man in Stuttgart (586000 Einwohner) 106 Drogenscreeningfälle. Damit liege die Landeshauptstadt nur knapp über den 100 Fällen des 200 000 Bürger zählenden Freiburg. Salomon erklärt sich die im Vergleich zu Stuttgart große Zahl für Freiburg über eine rigide Behördenpraxis:
"Die Stadt gibt sich liberal, fährt aber in der Drogenpolitik eine harte Linie." Grammelspacher sieht den Knackpunkt in der sogenannten "Sachverhaltswürdigung": Demnach entscheide der Sacnbearbeiter allein, ob es wahrscheinlich ist, daß der Drogenbesitzer häufig Drogen konsumiere. Das "Drogenscreening" - drei Urinproben innerhalb von zwölf Monaten - werde angeordnet, um den Verdacht zu erhärten. Diesen Abwägungsprozeß nennt sie "restriktiv" und die Debatte "ideologisch gefärbt": Haschisch werde "verteufelt"; Alkohol dagegen als "Genußmittel" verharmlost.
Rechtsanwalt Sebastian Glathe stimmt in die Kritik mit ein. Er bemängelt, daß das Amt für öffentliche Ordnung Ansichten der Polizei übernehme, ohne sie eigenständig zu überprüfen. Auch griffen die Behörden auf Sachverhalte zurück, die teilweise bis zu vier Jahre zurückliegen. Die Stadt begnüge sich zudem mit dem "allgemeinen Erfahrüngssatz", daß bereits der Besitz eine Kleinstmenge Rückschlüsse auf ein tatsächliches Konsumverhalten zulasse. Zudem fehlten bei der von der Stadt angeführten Studie über den Zusammenhang von Cannabiskonsum und Verkehrstauglichkeit die Quellenangaben.
Kommentar der BZ zu "Grüne zum Drogenscreening"
Datum: Fri, 10 Jul 1998 17:59:30 GMT
Kommentar der BZ vom 07.07.98
Drogenscreening
Merkwürdig
2331 Unfälle ereigneten sich 1997 im Regierungsbezirk Freiburg, 100 davon waren durch Alkohol verursacht worden. Wer trinkt und Auto fährt, schert sich offensichtlich um keine Promillegrenze, 27 der Unfallverursacher hatten mindestens 1,5 Promille Alkohol im Blut - Tendenz steigend. Soweit die Fakten, jetzt zur Behördenpraxis. Die Freiburger Behörden greifen nämlich seit vergangenem Sommer hart durch. Allerdings nicht bei jenen, denen die Unfallgefahr mit jedem Viertele offensichtlich mehr und mehr schnuppe wird. Nein, einem Drogenscreening müssen sich jene unterziehen, die zuvor einmal mit etwas Haschisch in der Tasche erwischt worden sind. Ob sie einen eigenen Wagen besitzen oder nicht, ob sie ihn auch bekifft steuern oder nicht - das ist einerlei. Das Amt für öffentliche Ordnung hält jeden für verkehrsgefährdend, der über "Gras" oder "Shit" verfügt - und seien es auch nur ein Paar Gramm. Wer hingegen angetrunken übers Weinfest schlendert, läuft nicht Gefahr, zur dreimaligen Urinprobe herbeizitiert zu werden. Das ist merkwürdig, wohl wahr. Die Drogenscreenings sind rechtens, sagt die Stadt. Nur ist Recht bekanntlich Auslegungssache: Im großen Stuttgart verordneten die Behörden im vorigen Jahr 106mal ein Drogenscreening; in Freiburg l00mal. So wunderten sich auch die Kollegen der Stuttgarter Behörden über die hohen Zahlen aus Baden. Sie vermuteten, daß in Freiburg jeder der drei Urintests gezählt werde und deswegen die Statistik der kleineren Stadt der der Landeshauptstadt so ähnlich geworden sei. Aber nein, hier wird genauso gezählt wie anderswo, sagt Hanns Brugger, Leiter des Amtes für öffentliche Ordnung. Und er bestätigt damit nur, was andere bereits kritisieren: Freiburg gibt sich liberaler, als es ist.
Susanne Werner
Schreiben der Stadt Freiburg: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt
Stellungnahme zum "Informationspapier" der Stadt Freiburg
Begründung des RA Glathe