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Die Woche (2/5/97)
Spricht der Bayer Horst Seehofer über Drogen, dann wirft
er nicht nur alle in einen Topf - Heroin, Kokain und Haschisch-, dann sind
auch satanische Bilder nicht weit: "Das ist teufelszeug", pflegt der Bonner
Gesundheitsminister zu schäumen, und er meint das grundsätzlich.
Mögen die weichen Stoffe Haschisch und Marihuana noch so sanft wirken:
Der CSU-Mann verdammt sie als Einstiegsdrogen, denen die harten Gifte bald
folgen, und warnt vor dauerhafter Abhängigkeit. Geradezu vom Teufel
müsse folglich geritten sein, wer über eine Freigabe von Cannabis
-wie sie in Holland praktiziert wird- auch nur nachdenke.
Horst Seehofer müsste es besser
wissen. In der Schublade hat er seit einem Dreivierteljahr eine Studie
der freien Universität Berlin liegen, die den konservativen Klischees
deutlich wiederspricht. Drei Jahre lang hatte ein Team unter Leitung des
Soziologie Professors Dieter Kleiber 1458 aktuelle und ehemalige Kiffer
befragt, stellvertretend für etwa ein Drittel der Westdeutschen, die
mindestens einmal in ihrem Leben zum Joint gegriffen haben. Unter dem Titel
"Cannabiskonsum in der Bundesrepublik Deutschland: Entwicklungstendenzen,
Konsummuster und Einflussfaktoren" entstand eine mehr als 300 Seiten starke
Expertise, die wie keine vergleichbare zuvor ins Detail geht.
Die These von der Einstiegsdroge lässt
sich danach nicht belegen. Und die von Bonns unionschristlichen Drogenwächtern
behauptete Suchtgefahr erweist sich nach der Kleiber-Studie weitgehend
als Mythos.
Für Seehofer starker Tobak. Umso mehr, als sein Ministerium die Studie
selbst veranlasst hatte -und daran vermutlich auch bestimmte Erwartungen
knüpfte. Politiker beauftragen Wissenschaftler schließlich gerne,
um eigene Sichtweisen bestätigen und untermauern zu lassen.
Da die Ergebnisse aus Berlin Bonns
restriktive Drogenpolitik nun nachhaltig in Frage stellen, behandelt der
Auftraggeber sie fast wie Teufelswerk. Jegliche Mitteilung an die Presse
unterblieb. Der ursprünglich vorgesehene Druck in der hauseigenen
Schriftenreihe, mit dem die Studie in den Buchhandel gelangt wäre,
lässt bis heute auf sich warten. "Das müssen wir nicht unbedingt
zu Markte tragen, zumal wenn das Geld knapp ist", verrät ein Ministerialbeamter.
Proffesor Kleiber sei deshalb empfohlen worden, sich doch selbst einen
Verlag zu suchen. Um möglichen Nachfragen zu genügen, sind in
Seehofers Ministerium zwar einige Kopien angefertigt worden. Im hausamtlich
verfassten Vorwort werden die nicht genehmen unter den Forschungsergebnissen
allerdings schlicht unterschlagen oder einfach umgedeutet.
So fehlt dort jeglicher Verweis auf das Essential der Studie, das dem Etikett
"Einstiegsdroge" gründlich den Halt nimmt: Die Ergebnisse zum Konsumverhalten
und zur Wahrscheinlichkeit des Ausstiegs. Abseits der reinen Probierer
haben die wissenschaftler vier Usergruppen ermittelt:
Was
Seehofer offenbar nicht ins Einstiegsdrogen-Weltbild passt: Nicht nur die
Gelegenheits-, auch die meisten Gewohnheitskonsumenten stellen das kiffen
eines Tages wieder ein. "Ein Ausstieg aus dem Cannabiskonsum kann unabhängig
von der dauer des Konsums zu jeder Zeit erfolgen", resümieren die
Forscher um Professor Kleiber. Vor allem: 85 Prozent der Aussteiger griffen
innerhalb des letzten Jahres auch zu keiner anderen illegalen Droge. Immerhin
hatten sich viele zuvor auch an Halluzinogenen, Kokain und Opiaten versucht.
"Mit dem einstellen des Konsums", schlussfolgern die Forscher, "nimmt auch
die Wahrscheinlichkeit, andere illegale Drogen zu konsumieren deutlich
ab."
Viele wenden sich allerdings ab, weil sie erleben, dass Kiffen mehr Ärger
und Schwierigkeiten einbringt als Genuss, Entspannung oder Akzeptanz. Bestätigt
wird nähmlich die These, häufiges Haschen mache mehr oder weniger
phlegmatisch.
Fast jeder zweite Aussteiger fühlt sich als Kiffer immer seltener
im Stande, eigene Vorhaben zu verwirklichen. Dazu kommen "Filmrisse" oder
"Ärger mit der Familie". Vom Bundesgesundheitsministerium, dem unbefriedigten
Auftraggeber, wird dies im Vorwort auf seine Weise interpretiert: "In keinem
Fall ist die vermeintliche Harmlosigkeit des Konsums gewährleistet."
Als wirkliche Problemgruppe haben die Forscher lediglich die Dauerkonsumenten
ausmachen können: Setzen sie Cannabis wie Medikamente ein, um im Studium
oder Job zurechtzukommen, dann stellt sich auch ein hohes Risiko ein, dem
Stoff vollends zu verfallen. "Abhängigkeit", stellt Kleiber wenig
überraschend fest, "findet sich deshalb unter den Dauer-Kiffern am
häufigsten."
Auch das die User ständig auf der Jagd seien nach dem angeblich unverzichtbaren
Stoff stellt sich in der Studie als Legende herraus. Drei von vier befragten
Kiffern verspüren kein oder nur geringes Bedürfnis, sich Cannabis
zu beschaffen, wenn unmittelbar keines zur Hand ist. Als ebenso haltlos
erweist sich das gern bemühte Klischee vom jugendlichen Opfer, das
von kriminellen Dealern verführt und angefüttert wird. Drei viertel
der Befragten haben ihren ersten Stoff von Freunden bekommen.
Mit anderen Daten liefern die Berliner Wissenschaftler erstmals ein Bild
des deutschen Durchschnittskiffers: Er stammt aus gut situiertem Elternhaus,
hat Abitur oder steht kurz davor. Er raucht mit 17 den ersten Joint und
steigt nach neun Jahren wieder aus. Monatlich hat er sich den Rausch bis
dahin zwischen 36 und 171 mark kosten lassen, je nachdem ob er Gelegenheits-
oder Gewohnheitskiffer war.
Für Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer scheint auch dieses Ergebnis
keine Veröffentlichung zu rechtfertigen -was seine Sprcherin Ilona
Klug allerdings seltsamerweise bestreitet: Die Studie sei doch veröffentlicht.
Wie? Indem Kopien an die einschlägigen Suchthilfe-Verbände verteilt
worden seien.
Eine stichprobenartige Nachfrage ergab unterdessen: Von fünf Institutionen hat lediglich eine ein Exemplar erhalten.
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